„Die Nacht ist weit vorgerückt, und der Tag ist nahe.
Laßt uns nun die Werke der Finsternis ablegen
und die Waffen des Lichts anziehen.“

(Röm.13:12)

Aktuelles

– „Prophetische Ereignisse“ Teil 7

 

Israels Nachbarvölker –  Sacharja 9

Nachdem Gott den Segen für Israel in den vorigen Kapiteln verheißen hat, kündigt Er jetzt das Gericht über die Nachbarländer an. Manche atheistischen Bibelkritiker haben behauptet, dass die in Hes.26:2-12 erwähnte Eroberung von Tyrus zwar von Nebukadnezar im Jahr 586 versucht wurde, aber nach 13 Jahren Belagerung dann aufgegeben wurde, da die Stadtfestung auf einer uneinnehmbaren Insel vor der Küste lag. Erst Alexander der Große habe es 332 geschafft, indem seine Armee einen Damm aufschüttete. Dies ist zwar richtig, denn König Nebukadnezar hatte nur die Altstadt von Tyrus auf dem Festland erobert, aber bei genauem Hinsehen hatte Gott in Hes.26:3 genau dies vorhergesagt: „Ich will VIELE Völker gegen dich heraufführen, wie das Meer seine Wellen heraufführt“ – also kein Widerspruch zur Bibel. Geistlich gesehen stehen sowohl der König von Babel in Jes.14 als auch der König von Tyrus in Hes.28 für Satan, der aus Eden vertrieben wurde. Der in V. 3 beschriebene Reichtum von Tyrus entspricht dem Wort in Luk.4:6, dass Satan jedem Reichtum verleiht, der ihn anbetet.

Seit dem 07.10.23 hat die Ankündigung über das Gericht Gottes an den Anrainerstaaten Israels eine besondere Aktualität gewonnen. Der Krieg im Irak und Syrien (Damaskus) von 2011-2018 hat das Land in Trümmer gelegt. Der Libanon (Tyrus und Sidon) steht nach dem Bürgerkrieg (1970-1985), den Angriffen der Hisbollah-Miliz und zahlreicher Korruptionsskandale kurz vor dem Staatsbankrott. Die Städte Gaza, Askalon und Ekron, gehören alle zu den Palästinensern, die von den vormaligen Philistern abstammen. Dies wird nicht nur am arabischen Wort für Palästina deutlich (Filastin), sondern ist auch historisch belegt: die Römer nannten jene Araber in ihrem besetzten Gebiet Palaestinae nach den ehemaligen Feinde Israels, während die Juden sie als כְּנַעַן KeNaAN bezeichneten. Damals benutzte der HErr den griechischen König Alexander, um Sein Gericht an den Feinden Israels auszuführen; aber da sich die Geschichte ständig wiederholt und es nichts Neues unter der Sonne gibt (Pred.1:9), gebraucht der HErr in unseren Tagen die Israelis selbst, um die Schandtaten Seiner Feinde zu bestrafen (V. 13). Deswegen sollten Gläubige sich nicht von der Kritik der UNO oder den Linken an Israel beeinflussen lassen, sondern hier Gottes Eingreifen erkennen.

Zweimal erwähnt der Text Gottes Augen, mit denen Er das Tun der Menschen und besonders das Tun Israels beobachtet (V. 1+8). Durch den Überfall der Hamas sind 260 junge Leute bei einem Musikfestival ermordet worden. Auf einem Handy-Video sieht man mitten unter den 4000 Besuchern des Festivals eine große Buddha-Statue, um die herum die jungen Leute ausgelassen tanzten (www.youtube.com/watch?v=8Asg534zduc). Was für ein Gräuel mitten im heiligen Land! Unwillkürlich werden wir an das Goldene Kalb erinnert, das sich die Kinder Israel aufgestellt haben. Dieser Frevel konnte von Gott nicht ungestraft bleiben.

Die Betonung, dass der verheißene König Israels in aller Demut auf einem Eselsfüllen kommen werde (V.9), soll uns an Kap.4:6 erinnern, dass wahre Macht und Größe nicht durch Prunk und Protz ausgedrückt werden muss, sondern durch einen tugendhaften Charakter (vergl. Spr.16:32). Aufmerksame Bibelleser haben sich gefragt, warum die Berichte über die Erfüllung dieser Prophetie in den Evangelien in den Details von einander abweichen. War es nun ein Eselsfüllen (Mk.11:7, Lk.19:35), eine Eselin (Joh.12:14) oder sogar beide (Mt.21:7)? Will man die Aussagen harmonisieren, dann muss es sich um ein weibliches Füllen handeln, das von seiner Eselsmutter begleitet wurde, auch wenn diese in Markus, Lukas und Johannes nicht extra erwähnt wurde. Allegorisch stellen die beiden das Haus Israel und das Haus Juda dar, bzw. Christen und Juden, denn wir Gläubigen sind ja nicht nur geistlicherweise „Israel“ (Gal.6:16), sondern stammen auch buchstäblich von den verschollenen zehn Stämmen Israels ab (Röm.9:24-25, Gal.4:27, Eph.2:11-12, Hebr.10:16 u.a.). Diese Zweierschaft aus Juden und Israelnationen (Heiden), die gem. Hes.37:15f und Eph.2:11-22 in Christus aufgehoben ist, wird im Matthäusevangelium, das sich ja vor allem an Juden richtet, allegorisch dargestellt durch zwei Besessene (8:28), zwei Blinde (9:27, 20:30) und die zwei Esel (21:7) dargestellt, während es in den anderen Evangelien jeweils nur ein Besessener, ein Blinder und ein Esel ist.


Gottes Segenszusage für Israel –  Sacharja 10

Erbittet von dem HErrn…“ Gott hat uns in Christus so reich gemacht – wie wenn jemand uns jeden Monat eine Milliarde Euro auf unser Konto überwiest, aber wir müssen das Geld abheben und verbrauchen. Spätregen steht hier symbolisch für eine Erweckung kurz vor der Wiederkunft des HErrn (Hos.6:1-3). Viel zu lange hatte Gottes Volk sich von falschen Heilsversprechen blenden lassen, weil sie auf die frei erfundenen Vorhersagungen von Träumern achtgeben. Dies geschieht ja auch heute z.B. durch die Genderideologie bei gleichzeitiger Hetze gegen Konservative, Coronaskeptiker und Klimawandel-Kritiker. Man träumt heute von einem industriefreien, grünen Schlaraffenland, in dem niemand mehr arbeiten muss und trotzdem alle genug haben. Jene Hirten und Leitböcke aus Vers 3, die eigentlich die Herde des HErrn verantwortungsvoll führen sollten, werden vom HErrn wegen ihres Versagens bestraft bzw. „heimgesucht“. Aber auch Israel erfährt eine „Heimsuchung“: das hebr. Wort PaQa´D bedeutet wörtl. „sich vorsetzen“, d.h. sich eine Gerichtsakte vorlegen lassen, um darüber im Guten wie im Bösen zu entscheiden. Man könnte bei einer Heimsuchung auch an den Besuch des Gerichtsvollziehers denken, der den Beschluss des Gerichts aushändigt und das Urteil unmittelbar vollstreckt.

Vers 4 kündigt dann wieder den „Eckstein“ an, der von vielen Juden verworfen wurde, von dem alles abhängt und der allem Halt und Schutz bietet. Er ist zugleich die Ursache, warum aus dem Judentum in der Folgezeit so viele Herrscher hervorgegangen sind, d.h. Politiker, Musiker, Künstler, Entdecker und Nobelpreisträger. In seinem Samen „sollten gesegnet werden alle Geschlechter der Erde“ (Apg.3:25). Die in Vers 6 verheißene Heimkehr des Volkes kann nur die seit 1882 begonnene Alijah sein, denn die Rückkehr aus dem Exil war schon vor Sacharjas prophetischem Auftreten in 520 v.Chr. beendet. Gott behandelt die geretteten Glieder Seines Volkes so, als hätten sie ihn nie enttäuscht oder auf falschen Wegen gegangen wären. Alle Wunden werden geheilt. Immer wieder verspricht der Prophet die zukünftige Freude, die Israel haben wird, ein regelrechter Freudentaumel. So stark sind diese Verheißungen, dass die Juden auch heute noch nach 2.500 Jahren davon zehren und nicht ihre Hoffnung verloren haben.

Vers 10 erfüllt sich in unseren Tagen, dass schon jetzt kaum noch Platz ist für die Heimkehrer, so dass sie sich immer mehr im Westjordenland ansiedeln. Gilead liegt östlich vom Jordan und wäre dann bereits ein Teil des heutigen Jordanien. Mit derselben Wundermacht, mit der der HErr einst Israel durchs Rote Meer und durch den Jordan geführt hat, hat er auch in der ersten Hälfte des 20.Jh. alle politischen Hindernisse aus dem Weg geräumt. Ägypten und Assyrien stehen hier wohl stellvertretend für die heutigen islamischen Länder, die aus ihrer Staatsräson Israel als Erzfeind sehen und damit sich auch zu Feinden Gottes gemacht haben. Israel wiederum soll zukünftig – wie wir heute schon – in würde den Namen (d.h. das Wesen) Gottes in der Welt würdig vertreten, damit die anderen Nationen für den HErrn gewonnen werden können.

Der gute und der böse Hirte  –  Sacharja 11

Zunächst prophezeit Sacharja wie bereits in Kap.9 das Gericht, dass Gott über die Länder im Norden Israels bringen wird, also der heutige Libanon, Jordanien und Syrien. Der sprichwörtliche Stolz der Zedern Libanons ist lange gebrochen: Bis zum Bürgerkrieg (1975-90) gehörte der Libanon noch zu den wichtigsten Handels- und Finanzzentren im Nahen Osten. Heute zählt die Staatsverschuldung Libanons zu den höchsten der Welt. Die libanesische Wirtschaft befindet sich in der schlimmsten Rezession weltweit, das Bruttoinlandsprodukt um 40 Prozent gesunken. Die Landeswährung hat mehr als 95 Prozent seines Wertes verloren. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 50 % und 80 % der Bevölkerung leben in Armut.

Ab Vers 4 überträgt Gott dem Sacharja stellvertretend für den HErrn Jesus die Hirtenrolle, um dadurch die in V.12-13 beschriebene Verwerfung zu veranschaulichen, die sich dann durch Judas in Mt.27:9-10 erfüllen sollte. Die Ausbeutung der „Schlachtschafe“ in V.4-7 erfüllte sich durch die Römer, die das Volk bis 70 n.Chr. besetzt hielten und es dann endgültig in alle Winde zerstreuten. Wenn Gott Sein Mitleid zurückzieht, ist ein Mensch völlig der Willkür seines Nächsten ausgeliefert. Über eine Million Juden kamen damals durch Titus ums Leben und noch einmal 0,5 Millionen bei weiteren Angriffen gegen Palästina. Vers 6 beschreibt aber auch die heutige Zeit, in welcher wieder Hunderttausende junger Männer in der Ukraine „der Hand ihres Königs“ preisgegeben sind, um in einem sinnlosen Krieg ihr Leben zu opfern.

Die Hirtenstäbe in V.7 erinnern mich an den „Stecken und Stab“ aus Psalm 23, die uns Trost und Sicherheit vermitteln sollen. Sie haben eine heilbringende Funktion, indem wir Gottes Wohlwollen erleben und unser Füreinander-Einstehen. Über jemanden den Stab zu brechen, ist heute sprichwörtlich zu einem endgültigen Aburteilen geworden. Ab diesen Moment bekommt der Mensch schonungslos die Folgen seines Tuns zu spüren, die Gott aus Liebe bis dahin zurückgehalten hat.

Die Elenden der Herde sind die Jünger, denn sie achten auf den HErrn und Seine Gebote, was sie für die Welt als elendig erscheinen lässt (Mt.11:5,25,28). Die „drei Hirten“, die der HErr Jesus in Vers 8 „in einem Monat“ vertilgen ließ, waren die drei Hirtengruppen der Pharisäer, Sadduzäer und Herodianer, deren Sauerteig Er durch Seine Widerlegungen entlarvte und dadurch ihre Vollmachtstellung über das Volk infrage stellte. Die Ungeduld des HErrn über die Juden drückt Er im Gleichnis aus: „Schon drei Jahre komme ich und suche Frucht an diesem Feigenbaum und finde keine; haue ihn ab, wozu macht er auch das Land unnütz“ (Luk.13:7). Und der Überdruss und die Enttäuschung des Volkes drückte sich schließlich in der Forderung aus „Kreuziget ihn!

Durch das Zerbrechen des ersten Stabes (Vers 10) wurden die Juden entrechtet und zu Freiwild. Die Römer haben ihnen alles weggenommen, ihren Besitz und ihren Tempel. Beim Zerbrechen des zweiten Stabes war es dann auch mit der Verbundenheit zwischen Juda und Israel (Europa und Amerika) vorbei. Wenn wir an die Schoah denken, dann ging es den Juden nun ums nackte Überleben. Dieses zweistufige Gericht erinnert mich an Hiob, der zunächst am Besitz und dann am Körper bestraft wurde, obwohl er völlig unschuldig war. „Du hast Menschen auf unserem Haupt reiten lassen; wir sind ins Feuer und ins Wasser gekommen, aber du hast uns herausgeführt zu überströmender Erquickung“ (Ps.66:12).

Da Israel Christus als guten Hirten verworfen hatte, sollte es nun einen törichten Hirten bekommen, nämlich den Antichristus (V.15). Er tut genau das Gegenteil von Fürsorge, „weil er ein Mietling ist, und sich um die Schafe nicht kümmert“ (Mt.10:13). Vers 17 offenbart nun ein wertvolles Geheimnis, was es mit jener Wunde auf sich hat, von welcher das Tier nach Offb.13:3+12 geheilt werden wird. Viele haben dies ja vergeistigt als eine Art Wiedererstehung des alten Römischen Reiches, das sich von den Einflüssen des Christentums befreit hat. Hier aber sehen wir, dass es sich um eine echte Todeswunde handelt, durch die der Antichrist sterben, aber auch wieder genesen wird (vergl. auch Mt.5:29).


Jerusalems Sieg und Buße  –  Sacharja 12

Das Kapitel beginnt mit einem prophetischen „Ausspruch“ des HErrn, wörtlich „Last“ (hebr. MaSSa), also eine massive Bürde, ein GEWICHTIGES Wort, das man nicht mal so eben ignorieren und beiseiteschieben kann. Um Seine Autorität noch mehr zu unterstreichen, erinnert uns der HErr daran, dass Er nicht nur die Erde geschaffen hat, sondern sogar „die Himmel ausbreitet“ (Jes.42:5). Hier haben wir möglicherweise den Hinweis darauf, dass wir ein expandierendes Universum haben, dessen Ausbreitung sich nicht etwa abschwächt, wie man aus physikalischen Gründen vermuten müsste, sondern sich durch eine unbekannte Kraft („dunkle Energie“) immer schneller ausbreitet – was völlig unerklärbar ist – so als wolle Gott die Urknallforscher zum Narren halten. Das größte

Wunder von allen ist jedoch, dass Gott „den Geist im Menschen zu formen“ vermag nach Seinem Willen (Spr.21:1). Und worin besteht diese so gewichtige Botschaft? „Alle Völker der Erde werden sich gegen Jerusalem versammeln“ (V.3), und ihre Wut gegen die Stadt wird so groß sein, dass sie wie Betrunkene den Verstand verlieren und sich an ihr überheben, d.h. sie unterschätzen. Hier ist von der letzten großen Schlacht von Armageddon die Rede (Offb.16:16) kurz von der Ankunft des HErn Jesus.

Gott selber wird Jerusalem beistehen, indem Er die gegnerischen „Rosse“ mit Blindheit schlägt. Im 21.Jh stellt sich die Frage, ob hier nicht auch Panzer gemeint sein könnten, die sich ja mit Pferdestärke (PS) fortbewegen. In Offb.9:9+17 ist ja tatsächlich von gepanzerten Wagen die Rede, die mit Pferdekraft in den Kampf ziehen und aus deren „Mäulern“ Feuer, Rauch und Schwefel hervorgeht. Die Standhaftigkeit der Bewohner von Jerusalem wirkt sich nun auch auf die geflohenen Juden aus, die ihren Brüdern nun zur Seite stehen wollen. Gott verspricht, dass diese erbitterte Endschlacht nicht zu einem Sieg der Feinde führt und sich der Kampf um Jerusalem auszahlen wird. Vor der gut befestigten Hauptstadt wird Gott zuerst die relativ schutzlose Bevölkerung Judas retten, wohl um zu zeigen, dass die Schlacht nicht durch militärische Stärke oder Strategie gewonnen werden wird. Durch die Kraft Gottes wird sogar der Schwächste unter ihnen dann ein Held sein wie David, der den Goliath bezwang. Und die Stärksten werden sogar so mächtig und siegreich sein wie der „Engel des HErrn“, d.h. wie der HErr Jesus selbst. Gott wird alle diese Völker am Ende vernichten, die gegen Jerusalem gezogen sind. Hier stellt sich die Frage, ob diese Drohung nicht auch all jenen Völkern gilt, die heute in der UNO die Existenzberechtigung Israels infrage stellen oder durch die Forderung einer Zwei-Staaten-Lösung, den Juden endgültig den Zugang zum im Ostteil gelegenen Tempelberg verhindern.

In Vers 10 sehen wir dann die wunderbare Verheißung, dass der HErr dem Überrest der Juden in Jerusalem dann Seinen Geist geben wird, so dass sie den HErrn Jesus als den wahren Messias erkennen, den sie damals gekreuzigt hatten. Sie werden dann genau das sagen, was in Jes.53 steht („Wir haben Ihn für nichts geachtet, … aber um UNSERER Sünden willen wurde Er geschunden …Gott hat Ihn leiden lassen!“). Und dann erfüllt sich zugleich die Vorschaffung in der allegorischen Deutung der Joseph-Geschichte, als dieser sich seinen Brüdern zu erkennen gab. Allein schon wegen der facettenreichen Umstände lohnt es sich, die einzelnen Details der Joseph-Geschichte in 1.Mo.37-47 noch einmal gesondert unter den prophetischen Andeutungen zu beachten (so erfahren wir z.B., dass das Offenbarwerden im 2. Jahr der sieben Jahre geschah, was sich entsprechend analog wohl dann auch im 2. Jahr der Drangsalszeit ereignen wird). Und erst dann erfüllt sich auch das Wort in Joel 2:28-29, von dem Petrus zu Pfingsten nur einen Vorgeschmack bekamen, dessen Wunderwerke aber ursprünglich von Gott für „das zukünftige Zeitalter“ geplant war, also dem 1000-jährigen Reich.

Es ist erstaunlich, dass die heutigen Juden diese Worte in Sach.12:10 und Jes.53 schon viele Male gelesen haben, aber bisher nicht merkten, dass sie sich in dem HErrn Jesus erfüllt hatten. Es liegt halt noch eine „Decke auf ihrem Herzen“, die erst durch ihre Umkehr hinweggetan wird (2.Kor.3:15-16). Gott bewirkt durch Seinen „Geist der Gnade und des Flehens“ eine Traurigkeit, die zu einer „nie zu bereuenden Buße zum Heil führt“ (2.Kor. 7:10). Manche Christen ignorieren, dass der Vorwurf des HErrn sich hier an alle Juden aus allen Generationen richtet, obwohl theoretisch ja nur die damaligen Juden Ihn durch die Römer durchbohren ließen. Solche leiten aus dem Vers ihren Glauben an eine Reinkarnation ab, was aber völlig abwegig ist. Schon damals sagten ja die Juden: „Sein Blut komme über und über unsere Kinder“ (Mt.27:25). Wie sehr hat es damals den HErrn geschmerzt, dass ausgerechnet Sein eigenes Volk Ihn so sehr abgelehnt hat (Joh.1:11)!

Bemerkenswert ist hier die wiederholte Erwähnung, dass nicht nur bestimmte Familienhäuser „besonders“ klagen, sondern von diesen auch noch „ihre Frauen besonders“. Was will der Heilige Geist uns damit sagen? Wenn heute ein Soldat stirbt, dann leiden besonders die Mütter und Ehefrauen unter diesem Verlust. Wenn man einen Menschen während der Schwangerschaft unter seinem Herzen trägt, dann bleibt er ein Leben lang ein Teil der Mutter. Und so hat auch Marias Seele beim Anblick des Leidens und Sterbens ihres Sohnes „ein Schwert durchdrungen“ (Luk.2:35). Aber auch viele andere Frauen haben bei der Kreuzigung das Leid von Maria teilen können und standen ihr deshalb bei, während die Jünger kaum erwähnt werden (Mt.27:55). Ebenso war es der besondere Wunsch der Frauen, den Leichnam des HErrn am ersten Wochentag zu salben, wodurch sie das Privileg hatten, als erste von der Auferstehung zu erfahren. Während ständig immer und überall nur die Männer im Vordergrund stehen, betont der Heilige Geist hier, dass die jüdischen Frauen noch viel mehr sich mit dem Leid und dem Unrecht, das dem HErrn Jesus angetan wurde, identifizieren und ihre Wehklage „besonders“ ist. Sie wird hier verglichen mit dem Leid, dass man damals beim Tod des gerechten Königs Josia empfand, der aufgrund einer Unbesonnenheit im Tal Megiddo starb (2.Chr.35:20-24).

Zu beachten ist, dass Sacharja immer nur von Jerusalem und dem Haus Davids spricht, nicht aber von den anderen Stämmen Israels, ja noch nicht einmal von ganz Juda. In Offb.1:7, wo Johannes auf diese Stelle Bezug nimmt, heißt es aber: „… und wehklagen werden Seinetwegen ALLE Stämme des Landes“. Ich vermute, dass die Wehklage zunächst nur die Bewohner Jerusalems erfassen wird (im 2. Jahr des letzten Siebeners) und erst bei dem Erscheinen Seiner Ankunft auch alle anderen Stämme Israels zur Buße kommen. Und nicht nur sie: Denn in Hes.37:9-14 verheißt Gott, dass auch die verstorbenen Juden aus den Gräbern auferweckt werden und dann den Geist Gottes empfangen. Und gemäß Hes.37:15-22 wird Gott dann auch die übrigen Stämme Israels ins verheißene Land zurückbringen, so dass diese sich mit den Juden zu einem Volk vereinen. Nach Jer.31:31ff, Gal.4:27 und Röm.9:25-26 kann es sich bei diesen verschollenen zehn Stämmen des Hauses Israel nur um die sog. „Heiden“ (wörtl. „Nationen“) handeln, da sie sich nach der assyrischen Gefangenschaft mit den übrigen Nationen vermischt haben (Hos.7:8), aber zur Zeit der Apostel wie der verlorene Sohn zum Vater zurückkehrten, während der ältere Sohn (die Judenchristen) neidisch auf seinen Bruder war. Wir waren „entfremdet dem Bürgerrecht Israels“ (Eph.2:12), das wir einstmals besaßen. Nun aber hat Gott aus beiden Haushaltungen „eine gemacht, indem Er abgebrochen hat die Zwischenwand der Umzäunung“ (Eph.2:14).

 

– „Lebenszeugnisse von Knechten Jesu Christi“  Teil 10

Lebenszeugnisse von Knechten Jesu Christi  Teile 28-32:

Martin Luther (1483 – 1546)      

Luther war zweifellos der bedeutendste Reformator der Kirchengeschichte. Mit ihm endete die konfessionelle Einheit in West-Europa und es begannen allmählich Meinungsfreiheit und Demokratie. Luther wurde 1483 in Eisleben geboren, etwa 50 km westlich von Leipzig. Er ging mit seinen Eltern und seinen acht Geschwistern in die Kirche, fiel aber zunächst nicht mit besonders religiösem Engagement auf. Gelegentliche Gewalt gehörte zwar zur Erziehung, aber im Großen und Ganzen hatte Luther ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern.

Um sozial aufsteigen zu können, herrschte eiserne Sparsamkeit im Haus Luther. Zunächst ging der junge Martin in die Schule von Mansfeld, später dann in Magdeburg und Eisenach. Eine lebendige Frömmigkeit, die ihn beeindruckte, erlebte Luther in Eisenach bei der Patrizierfamilie Cotta, bei der er zeitweise wohnte, sowie im Haus Schwalbe und bei den Mönchen des örtlichen Barfüßer-Klosters. Das Bewusstwerden der Größe Gottes, der eigenen Endlichkeit und Sündhaftigkeit sowie des ewigen Gerichts standen im Mittelpunkt der religiösen Überlegungen. Gedanken an das Fegefeuer, den Ablass, an Wallfahrten und Heilige dominierten den Glauben der meisten Menschen. Nach der Schulzeit ging Luther zum Studium an die Universität Erfurt. Das philosophische Grundstudium beinhaltete Logik, Physik, Moralphilosophie und Metaphysik. Im Einklang mit dem Wunsch des Vaters begann Luther daraufhin ein Jurastudium. Zum frühstmöglichen Zeitpunkt schloss er mit dem Baccalaureus und dem Magister Artium als Zweitbester ab.

Die erste Wende im Leben Luthers war durch ein plötzliches Gewitter bestimmt, das ihm auf dem Weg von seinen Eltern nach Erfurt im Juli 1505 überraschte. In der Nähe des Ortes Stottenheim schlug ein Blitz direkt neben ihm ein. Mit einem Mal stand ihm die Gefahr des plötzlichen Todes ganz deutlich vor Augen. Angesichts des dann drohenden Jüngsten Gerichts wollte er sein Leben mit Gott in Ordnung bringen. Luther rief die heilige Anna um Hilfe an und versprach, ein Mönch zu werden. Gegen den Willen seiner Eltern trat er kurze Zeit später in das Augustiner-Eremiten Kloster von Erfurt ein, das als besonders streng galt. Damit schien seine akademische Laufbahn beendet. Damals bekam er zum ersten Mal eine Bibel in die Hand, in der er eifrig las. 1507 wurde er feierlich zum Priester geweiht. Er gelobte Armut, Gehorsam und Keuschheit. Das Leben im Kloster war nach strengen Regeln geordnet. Sieben Mal täglich traf man sich zum Gebet. Andauernde Buße und Meditation sollten zur Heiligung führen. Der Aufenthalt im Kloster war für Luther keine aufgezwungene Pflicht, sondern Ausdruck einer totalen Hingabe an Gott.

Da sich Luther stets als unwürdig betrachtete, ging er äußerst häufig zur Beichte, fastete und betete ganze Nächte vor dem Altar der Klosterkirche. Er suchte nach der „Gerechtigkeit, die vor Gott gilt“. „Wenn jemand durch Möncherei je in den Himmel gekommen ist, dann müsste ich dorthin gekommen sein“ schrieb er später über seine Zeit im Kloster. Ständig hatte er den Eindruck, dem Willen Gottes nicht genügend zu entsprechen. Außerdem quälten ihn Gedanken an die Prädestination (Erwählung Gottes). So beschlich ihn immer wieder die Angst, trotz all seiner Bemühungen von Gott verworfen zu sein. „In solchen Augenblicken erscheint Gott in Seinem schrecklichen Zorn Da gibt es kein Entrinnen, keinen Trost, nicht drinnen noch draußen, sondern nichts als Anklage aller. Luther entwickelte geradezu einen Hass auf Gott, der Seine eigene Gerechtigkeit als Maßstab nehme, um begrenzte, irdische Menschen danach zu beurteilen. Ich konnte den gerechten, die Sünder strafenden Gott nicht lieben, im Gegenteil, ich hasste Ihn sogar. Wenn ich auch als Mönch untadelig lebte, fühlte ich mich vor Gott doch als Sünder, und mein Gewissen quälte mich sehr. Ich wagte nicht zu hoffen, dass ich Gott durch meine Genugtuung versöhnen könnte.“

Auf Anweisung seines Ordensvorgesetzten durfte Luther ab 1507 Theologie in Erfurt studieren, später dann in Wittenberg, wo er auch zum Doktor promovierte. Gleichzeitig gab er bereits Vorlesungen an Hochschulen. In dieser Zeit setzte er sich mit der Scholastik, mit Augustinus und der mittelalterlichen Mystik auseinander. Die innere Gewissheit von der Erlösung in Christus wurde Luther von seinem Generalvikar Johannes von Staupitz nahegebracht, der den jungen Mönch in manchen Glaubenskämpfen begleitete. Als die klösterliche Strenge des Ordens in Gefahr stand, wurde Luther im Herbst 1510 als Vertrauensmann der protestierenden Klöster nach Rom geschickt. Zu diesem Zeitpunkt war er unter den Augustiner-Eremiten allgemein geachtet und als Autorität anerkannt. Abgesehen von seinen Verhandlungen war die Reise nach Rom für Luther eine Wallfahrt. So besuchte er die entsprechenden Kirchen, beichtete mehrfach und kaufte Ablässe. Der offensichtliche Verfall der Katholischen Kirche erschreckte den deutschen Mönch. Er bekam mit wie oberflächlich Messen gelesen wurden und wie sog. “Geistliche“ bedenkenlos kirchliche Ordnungen überschritten. Außerdem hörte er Gerüchte von wilden Festen, Gewalt und Glücksspiel im Vatikan. Diese Eindrücke vom Abfall der römischen Kirche begleiteten Luther für den Rest seines Lebens. Landesherr Friedrich der Weise hatte sich nach dem Bau einer Residenz entschieden, in dem 2000-Einwohner zählenden Wittenberg eine Universität zu gründen, die wesentlich durch Gelder finanziert wurde, die aus dem Ablasshandel stammten. Nach seiner Promotion 1512 begann Luther hier mit Vorlesungen über biblische Bücher. 1515 wurde Luther zum Distriktsvikar seines Ordens ernannt und hatte die Aufsicht über elf Klöster in Meißen und Thüringen.

Den entscheidenden Durchbruch zum reformatorischen Denken hat Luther später selbst beschrieben. Beim Nachdenken über Römer 1:17 – „Darin (im Evangelium) wird die Gerechtigkeit offenbart, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben ; wie geschrieben steht: ‚Der Gerechte wird aus Glauben leben“ –  erfuhr Luther die innere Befreiung vom Zwang aus eigener Kraft Gottes Ansprüchen genügen zu müssen. Wie die meisten Theologen seiner Zeit ging auch Luther davon aus, dass Gott in aktiver Gerechtigkeit jede Sünde des Menschen verurteilen und bestrafen würde. Nur der total sündlose könne demnach zu Gott kommen. Dann wurde Luther klar, dass Paulus an dieser Stelle von der passiven Gerechtigkeit spricht, welche der Gerechte als durch Gottes Gnade erlebt. Die Gerechtigkeit Gottes sei ein Geschenk an den Menschen, den er allein aus Gnaden gerecht machte. Tagelang hatte Luther über diesen Bibeltext nachgegrübelt. Jetzt fühlte er sich „wie ganz und gar neu geboren“ und „durch offene Tore trat ich in das Paradies selbst ein„.  Nachdem er die ganze Bibel durchgegangen war, sah er sich überall bestätigt. Auch die Schriften des Augustinus bestärkten Luther in der neuen Erkenntnis von der Rechtfertigung aus Glauben: „Mit so großem Hass, wie ich zuvor das Wort Gerechtigkeit Gottes gehaßt hatte, so ist mir diese Stelle des Paulus in der Tat die Pforte des Paradieses gewesen„. Diese theologische Erkenntnis Luthers aus dem Jahr 1518 wurde später als Turmerlebnis bezeichnet, weil Luther in dieser Zeit ein beheizbares Arbeitszimmer im Turm des Wittenberger Klosters nutzte.

Überregionale Bedeutung bekam Luther durch die Auseinandersetzungen um den Ablasshandel. Schon lange war der Ablass in der Katholischen Kirche fest etabliert. Demnach seien die Vergebung der Sünden und die Rettung des Menschen zwar grundsätzlich kostenlose Geschenke Gottes, als Zeichen seiner echten Reue aber solle der Christ zumindest versuchen, die Folgen seiner Schuld zu neutralisieren. Der Dieb solle den materiellen Schaden ausgleichen, der Lügner die Wahrheit verbreiten. Außerdem sollte man Gott gegenüber seine Reue durch Gebete, Fasten oder Geldspenden. Zwar hatte ein Kirchenmitglied nach katholischer Auffassung ein generelles Anrecht auf den Himmel, doch vorher würden bestimmte Sünden im Fegefeuer bestraft, danach könnte der Mensch gereinigt zu Gott kommen.  Die Länge der Leiden im Fegefeuer würde durch die Menge unvergebener Sünden bestimmt. Durch Bußleistungen (Wallfahrten, Gebete usw.) und durch Geldzahlungen könnte die Zeit im Fegefeuer verkürzt werden.

Der wohl berühmteste und erfolgreichste Ablassprediger Deutschlands war der damalige Dominikanermönch Johann Tetzel. 1516 organisierte er seine Ablass-Tournee auf Magdeburger Gebiet. Mit dem eingenommenen Geld sollten die Türken-Kriege und der Bau der Peterskirche finanziert werden. Tatsächlich ging nur die Hälfte des Geldes nach Rom. Die andere Hälfte teilten sich der Ablassprediger und der Erzbischof Albrecht von Brandenburg, der damit seine Schulden bei den Fuggern zurückzahlte, die ihm den Kauf seines Amtes ermöglicht hatten. Tetzel bot den Menschen sogar Ablassbriefe für zukünftige Sünden an, die sie noch gar nicht getan hatten. Mit seinem Werbeslogan: „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt“ verdrängte er den Gedanken von Buße und Reue fast vollständig. Luther ärgerte sich über diese Vorgehensweise Tetzels, die bei seinen Gemeindemitgliedern den Eindruck erweckte, sie könnten sich von der Strafe Gottes freikaufen. Daraufhin verfasste Luther seine 95 Thesen und schlug sie an die Tür der Schlosskirche von Wittenberg, um dadurch eine akademische Diskussion in Gang zu bringen. „Ein jeder Christ, der wahre Reue und Leid über seine Sünden hat, hat völlige Vergebung von Strafe und Schuld, die ihm auch ohne Ablassbrief gehört. Ein jeder wahrhaftige Christ […] ist teilhaftig aller Güter Christi […] aus Gottes Geschenk, auch ohne Ablassbriefe.“ Die lateinisch abgefassten Thesen wurden von seinen Studenten ins Deutsche übersetzt, gedruckt und innerhalb kürzester Zeit in ganz Deutschland verbreitet.

Luther sah sich nicht als Revolutionär. Noch wollte er lediglich an die Kirchenfürsten appellieren, um diese offensichtlichen Missstände abzubestellen. So schrieb er z.B. an seinen geistlichen Vorgesetzten Albrecht von Mainz, um ihn über die Fehlentwicklungen im Ablasshandel aufzuklären. Luther sah sich als treuen Anhänger der Kirche und des Papsttums. Später schrieb er über diese Jahre, er sei „ein Mönch und ein ganz unsinniger Papist“ gewesen, „trunken, ja beinahe ertrunken in den Lehren des Papstes“. Im Juni 1518 wandte sich Luther an Papst Leo X., um ihn über seine 95 Thesen urteilen zu lassen. „Mache lebendig, töte, widerrufe, billige, missbillige, wie es dir gefällt; deine Stimme werde ich als Stimme Christi anerkennen, der in dir regiert und redet.“ Die römische Kirchenleitung ließ sich aber auf keinerlei theologische Diskussion ein, sondern eröffnete stattdessen einen Ketzer-Prozess gegen Luther und forderte seine Auslieferung an den Vatikan.

Im April 1518 sollte sich Luther in Heidelberg vor dem Generalkapitel der Augustiner-Eremiten verteidigen. Er vertrat seine Lehren und den Grundsatz, dass der Mensch allein aus Glauben gerecht werde. Allmählich begann Luther schon, an der Irrtumslosigkeit von Papst und Konzilien zu zweifeln. Immer stärker hatte er den Eindruck, dass die Missbräuche der Kirche von ihrer Spitze ausgingen: „Ich weiß nicht, ob nicht etwa der Papst der Antichrist ist oder sein Apostel. So abscheulich wird durch seine Dekrete Christus entstellt und gekreuzigt.“ Nachdem Karl V. durch Bestechung deutscher Kaiser geworden war (1519), fertigte der Vatikan gegen Luther die Bannandrohungsbulle Exsurge Domine aus. Luther wandte sich daraufhin 1520 an die höheren Bevölkerungsschichten, um die Reformation voranzutreiben.

In seiner Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation. Von des christlichen Standes Besserung“ forderte er Bürger und Adel dazu auf, die Reformation zu ihrer Sache zu machen. Luther wandte sich gegen die Überhöhung des Priesterstandes und plädierte für das allgemeine Priestertum aller Gläubigen. Außerdem bezweifelte er die weltliche Macht des Papstes und seine alleinige Autorität in der Schriftauslegung. Die Fürsten sollten ihrer Verantwortung vor Gott nachkommen und dem wahren Evangelium zum Durchbruch verhelfen. Außerdem sollten sie ein Konzil einberufen, dass dann über die drängenden Fragen der Kirche entscheiden würde (das Investiturrecht, die weltliche Macht des Papstes, Wallfahrten, Zölibat, Fasten und geistliche Strafen). Neu war Luthers Gedanke, dass nicht die Kirchenleitung, sondern fromme Laien über geistliche Wahrheit entscheiden sollten. Gegen die Sakramentslehre der Kirche wandte sich Luther in seiner Schrift „Von der Babylonischen Gefangenschaft der Kirche“. Wie einst die alttestamentlichen Juden in Babylon gefangen waren, so würden nun die wahren Christen vom antichristlichen Papsttum in geistlichen Ketten gehalten. In seinem Buch kritisiert Luther die Transsubstantiation (Brot und Wein werden angeblich bei der Einsegnung des Abendmahls zu Fleisch und Blut Jesu) und forderte den Laienkelch (die Gemeinde bekommt beim Herrenmahl nicht nur das Brot, sondern auch den Wein). Sakramente (d.h. heilswirksame Handlungen). seien unverdiente Geschenke und Heilszusagen Gottes.

In seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ (1520) hebt Luther die Unabhängigkeit des einzelnen Christen in seiner Beziehung zu Gott hervor. In Glaubensfragen sei er weder der kirchlichen noch der weltlichen Autorität gänzlich unterworfen. Die Liebe zu Gott aber verpflichte den Christen, dem Staat zu gehorchen und sich um den Nächsten zu kümmern. Es gelte: „Ein Christenmensch ist äußerlich und in seinen Werken ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Freiheit versteht Luther hier nicht politisch oder sozial, sondern religiös.

Am 10.12.1520 verbrannte Luther öffentlich die Bann-androhungsbulle des Papstes mit anderen römischen Kirchenbüchern. Aus Luthers Sicht hatte sich das Papsttum an die Stelle Christi gesetzt, den Glauben und die Kirche geschädigt und an die Stelle des Wortes Gottes menschliche Gesetze gestellt. Obwohl er für einzelne Päpste auch lobende Worte fand, sammelte er seine Vorwürfe gegen die katholische Kirchenleitung insgesamt später noch einmal in seinem Buch „Wider das Papsttum zu Rom, vom Teufel gestiftet“ (1545). Nach Ablauf einer 60-tägigen Frist wurde Luther vom Papst offiziell mit dem Bann belegt. Das beinhaltete aus katholischer Sicht nicht nur den Kirchenausschluss, sondern auch die ewige Verdammnis. Friedrich der Weise weigerte sich weiterhin, Luther auszuliefern, und bestand auf einer Anhörung des Theologen vor einem ordentlichen Reichstag auf deutschem Territorium.

Zu einem dramatischen Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen Papst und Luther kam es dann auf dem Reichstag zu Worms (1521). Obwohl er unter dem Schutz des Kaisers nach Worms reiste, war Luther wohl bekannt, dass man den tschechischen Reformator Jan Hus nur 100 Jahre zuvor trotz zugesicherter Immunität auf dem Konzil von Konstanz festgenommen und verbrannt hatte. Doch wollte Luther seiner Verantwortung nicht ausweichen und vor den führenden Vertretern des Reiches zu seinen Überzeugungen stehen.

Um den immer ausufernden Streit zu schlichten, wollte Karl V. Luther in Worms noch eine Gelegenheit zum öffentlichen Widerruf geben. An eine theologische Grundsatzdiskussion, wie Luther sie sich wünschte, war dabei nicht gedacht. Das Urteil über Luthers Schriften war längst gefallen. So forderte man ihn vor den versammelten Würdenträgern lediglich auf, zu widerrufen. Nach einem Tag Bedenkzeit stellte er sich mutig zu dem, was Gott ihm durch die Bibel gezeigt hatte. „Es sei denn, dass ich durch Zeugnisse der Schrift oder einleuchtende Gründe überwunden werde, – denn ich glaube weder dem Papst noch den Konzilien allein, weil es offensichtlich ist, dass sie öfters geirrt und sich selbst widersprochen haben -, so bin ich überzeugt durch die heiligen Schriften, die von mir aufgeführt wurden, und mein Gewissen ist gefangen in Gottes Wort. Deshalb kann und will ich nichts widerrufen, denn gegen das Gewissen zu handeln, ist beschwerlich, unheilsam und gefährlich. Ich kann nicht anders. Hier stehe ich. Gott helfe mir! Amen!“

Der Kaiser bestätigte daraufhin die Ketzerverurteilung und appellierte an die Landesherren, sich nun endgültig von dem Reformator zu distanzieren. Außerdem wurde Luther unter die Reichsacht gestellt. Alle bürgerlichen Rechte wurden ihm entzogen. Es war strengstens verboten, seine Schriften zu drucken, zu verkaufen oder zu lesen. Weil der Beschluss aber nicht von allen deutschen Fürsten mitgetragen wurde, hatte der Kaiser Probleme, konsequent gegen Luther und seine Anhänger vorzugehen. Außerdem war Karl V. bei seinen Kämpfen mit Frankreich (bis 1544) und mit den Türken (bis 1541) auf die tatkräftige Unterstützung der evangelisch gesinnten Landesfürsten angewiesen, weshalb er eine endgültige Klärung der Religionsfrage immer weiter verschob. In zähen Verhandlungen drängte der Kaiser vergeblich darauf, die Beschlüsse von Worms umzusetzen. Auf dem ersten Reichstag in Speyer (1526) wurde beschlossen, dass jeder Fürst es mit der Religion so halten sollte, wie er es vor Gott und Kaiser verantworten könne. Auf dem zweiten Reichstag zu Speyer sollte dieses Zugeständnis gekippt werden, wogegen die evangelischen Fürsten protestierten, weshalb die Kirchen der Reformation seitdem auch Protestanten genannt wurden.

Auf dem Rückweg von Worms wurde Luthers Wagen von Reitern überfallen, der Mönch wurde verschleppt. Die Öffentlichkeit wusste nichts über den Verbleib Luthers und rechnete mit seinem sicheren Tod und dem Ende der Reformation. In Wirklichkeit war Luther im Auftrag Friedrich des Weisen in Sicherheit gebracht worden. Von Mai 1521 bis März 1522 lebte Luther nun verkleidet als Junker Jörg auf der Wartburg bei Eisenach. Dort übersetzte er innerhalb weniger Wochen das Neue Testament aus der lateinischen Vulgata und der griechischen Ausgabe des Humanisten Erasmus von Rotterdam. Luthers Werk wurde schon im September 1522 verlegt und erlebte innerhalb von wenigen Jahren eine Massenauflage. Der besondere Wert der Übersetzung lag in seiner sprachschöpferischen Gestaltung. Luther hat dadurch wesentlich zur Entwicklung der deutschen Sprache beigetragen. „Man muss nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man Deutsch reden soll [] sondern, man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Straße, den einfachen Mann auf dem Markt fragen, und ihnen auf das Maul sehen, wie sie reden, und danach dolmetschen, so verstehen sie es und merken, dass man Deutsch mit ihnen redet.“ Luther erfand Worte, formulierte bis heute gängige Redewendungen und drückte sich ungemein verständlich aus. Außerdem brachte er den einfachen Menschen die Heilige Schrift nahe und gab ihnen die Möglichkeit, selbständig die Lehren der Reformation zu prüfen.

 

Inzwischen wurde die Reformation in Wittenberg von hitzigen Köpfen übernommen, die alles möglichst sofort verändern wollten und damit den politischen Freiraum gefährdeten, den der Landsherr ihnen bot. Professor Karlstadt trieb die Reformen des Klosterwesens und der Messe voran. Im November 1521 verließen 13 Mönche das Wittenberger Augustinerkloster unter tumultartigen Umständen. Priester traten in den Ehestand, Mönche heirateten Nonnen, unter ihnen Luthers enger Mitarbeiter Justus Jonas (1493-1555). Zu Weihnachten führte Karlstadt das evangelische Abendmahl ein, d.h. die Gläubigen bekamen auch den Wein zu trinken. Priester, die in der Stadtkirche eine katholische Messe abhalten wollten, wurden von der Volksmenge gewaltsam vertrieben. Propheten aus Zwickau brachten mit ihren vorgeblichen Offenbarungen und sozialrevolutionäre Thesen weitere Unruhe in die Stadt. Es gab Tumulte unter Studenten. Herzog Georg drohte, gegen die kirchlichen Revolutionäre vorzugehen und alle Neuerungen verbieten zu lassen. Als die Radikalen im Februar 1522 dazu übergingen Bilder, Statuen und Schmuck aus den Kirchen zu reißen und als Abgötter zu verbrennen, kam Luther zurück nach Wittenberg. Mit eindrücklichen Predigten rief er eine Woche lang zur Mäßigung und Geduld gegenüber den Schwachen auf, die sich gegen die Einführung neuer Gesetze wehrten. Er setzte die lateinische Messe und die Messgewänder wieder ein. Karlstadt schwenkte auf Luthers Kurs um, und die Zwickauer Propheten mussten die Stadt verlassen.

Luther stufenweise Einführung des evangelischen Gottesdienstes und die Reform der kirchlichen Praxis zogen sich über mehrere Jahre hin (bis 1525), um möglichst niemanden in der Gemeinde zu überfordern. Auf der einen Seite war Luther nach wie vor stark vom Katholizismus geprägt, und änderte nur, was theologisch unbedingt notwendig war. Auf der anderen Seite arbeitete er an dem pietistischen Ideal einer Kerngemeinde von echten, engagierten Christen, die Gott aus innerer Überzeugung folgen und deshalb weder staatliche noch kirchliche Gesetze bräuchten. In seiner Vorrede zur deutschen Messe (1526) forderte Luther neben dem traditionellen Gottesdienst private Versammlungen der wahrhaft Gläubigen: „[…] diejenigen, die mit Ernst Christen sein wollen und das Evangelium mit der Tat und dem Munde bekennen, müssen […] sich in Gruppen versammeln zum Gebet, Lesen, zu taufen, das Sakrament zu empfangen und andere christliche Werke zu üben. In dieser Gruppe kann man die, welche sich nicht christlich verhielten, kennen, strafen, bessern, ausstoßen oder in den Bann tun […]. Hier kann man auch Spenden sammeln, die freiwillig gegeben und nach dem Vorbild des Paulus ausgeteilt werden (2.Kor.9:1). Hier bedarf es nicht vieler und großer Gesänge. Hier kann man auch Taufe und Sakrament auf eine kurze feine Weise halten und alles aufs Wort und Gebet und auf die Liebe richten. […] In Kürze: Wenn man die Menschen und Personen hätte, die mit Ernst Christen zu sein begehrten, die Ordnungen und Regeln dafür wären schnell gemacht.“

Zeitweise kritisierte Luther das ganze katholische Sakramentsverständnis, einschließlich der Kindertaufe. Demnach könne nur der persönliche Glaube und keine äußere, kirchliche Handlung dem Menschen Sündenvergebung geben und ihn zum Christen machen. „Taufe hilft niemand, ist auch niemand zu geben, es sei denn, er glaube für sich selbst. Ohne eigenen Glauben ist niemand zu taufen. Der Glaube muss vor oder je in der Taufe vorhanden sein […] Da wir nun nicht beweisen können, dass die jungen Kinder selbst glauben und eigenen Glauben haben, da ist es mein Rat […], dass man sofort damit aufhöre, je eher desto besser und taufe kein Kind mehr, damit wir nicht die hochgelobte Majestät Gottes mit solchen Betrügereien und Gaukelwerk […] spotten und lästern.“

In den 20er-Jahren des 16. Jh. trennte sich Luther von den Schwärmern, den Sozialrevolutionären, den Schweizer Reformatoren und den Humanisten. In seiner Schrift Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakramenten (1525) kritisierte Luther die charismatischen Spiritualisten seiner Zeit. Er wirft ihnen vor, dass sie sich zwar immer wieder auf den Heiligen Geist beriefen, nicht aber wirklich auf ihn hörten. Bei den Schwärmern sollte der Geist durch Offenbarungen und innerliche Gefühle sprechen. Die Stimme Gottes würde am lautesten in den einfachen, ungebildeten Menschen sprechen. Die Stimme Gottes würde am lautesten in den einfachen, ungebildeten Menschen sprechen, behaupteten sie. Eigene Gedanken und Wünsche würden leichtfertig als Reden Gottes interpretiert, meinten sie. Das Wirken des Heiligen Geistes durch Ordnungen, Gemeinde und Bibel würde vollkommen vernachlässigt. Wichtige christliche Lehren wie die von Sünde und Vergebung klammerten die Spiritualisten weitgehend aus. Stattdessen konzentrierten sie sich auf neue, spekulative Interpretationen der Bibel und auf menschliche, gelegentlich sogar teuflische Propheten, die ihnen genau das sagten, was sie gerne hören wollten. Zeitweise waren die falschen Propheten auch unter den ersten Täufern (Mennoniten) zu finden, weshalb sich Luther von ihnen distanzierte.

Christliche Sozialrevolutionäre wie Thomas Münzer (1489-1525) arbeiteten an einer Umwälzung der ganzen Gesellschaft, die sie vorwiegend aus dem Alten Testament ableiteten. Mit Berufung auf die Zehn Gebote forderte Münzer die Abschaffung aller Bilder in der Kirche. Die Fürsten betrachtete er als Feinde Gottes, gegen die man, wie im Alten Israel, mit dem Schwert in der Hand zu Felde ziehen müsse. Luther distanzierte sich von dieser Sichtweise. Er unterschied deutlich zwischen dem Alten und Neuen Testament. Viele Gebote würden nur für Israel gelten, nicht aber für die Gemeinde, die durch Christus unter dem Neuen Bund stehe. Nicht Kampf, sondern Liebe und Glaube sollten das Verhalten der Christen bestimmen. Münzer aber dachte nicht nur an Gewalt. Er versuchte, seine Vorstellungen einer gerechten Gesellschaftsordnung umzusetzen: Privilegien wurden aufgehoben, Klöster aufgelöst, Räume für Obdachlose geschaffen, eine Armenspeisung eingerichtet. Er erstrebte die „Gemeinschaft aller Güter, die gleiche Verpflichtung zur Arbeit und die Abschaffung aller Obrigkeit.“

Die Forderung nach Gleichberechtigung, sozialer Gerechtigkeit und der Vorbereitung auf das nahe Reich Gottes begünstigte die blutigen Bauernkriege in Süddeutschland und Thüringen (1524/25). Missernten, hohe Abgaben und rechtliche Unterdrückung der Bauern führten zur gewaltsamen Erhebung der Landbevölkerung. Nachdem Bauern Schlösser und Burgen geplündert und deren Bewohner abgeschlachtet hatten, zogen die Heere der Fürsten mit aller Brutalität gegen die Aufständischen. Tausende von Bauern wurden getötet, Münzer ließ man 1525 hinrichten. Luther hatte sich deutlich von den Aufständischen distanziert, weil sie die von Gott gegebene Gesellschaftsordnung missachteten und im Namen Gottes mordeten und plünderten. In seiner Schrift Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern (1525) rechtfertigte er das militärische Vorgehen der Fürsten gegen die Aufständischen. Politischer Aufruhr war Luthers Sache nicht, aber er fühlte sich solidarisch mit den Unterdrückten. „Ich halte es stets […] mit denjenigen, die unter dem Aufruhr leiden, wie ungerecht sie auch seien, und stelle mich gegen diejenigen, die Aufruhr machen, wie gerecht ihre Sache auch immer ist.

Obwohl viele Humanisten anfänglich Luthers Reformbemühungen der Kirche aktiv unterstützten, traten die Differenzen später deutlich zutage. Für den philosophisch orientierten Erasmus von Rotterdam (1466-1536) war Luthers pessimistische Sicht des Menschen nicht akzeptabel. Er veröffentlichte seine Kritik an der reformatorischen Rechtfertigungstheologie 1524 unter dem Titel Abhandlung über den freien Willen, in der er den freien Willen nur auf den Bereich alltäglicher Entscheidungen, nicht aber auf religiöse Dinge anwenden wollte. Der Mensch sei eben nicht frei, sich für Gott zu entscheiden, sondern völlig unter der Sünde gefangen. Alle geistliche Einsicht und Erlösung müsse deshalb von Gott ausgehen. Wenn das Heil vom Menschen abhinge, würde er es angesichts der übermächtigen Kraft des Bösen nie erlangen. Weil es aber ganz von Gott ausgehe, könne der Christ sicher sein, „dass kein Teufel, keine Widrigkeit ihn überwältigen oder ihn aus Gottes Hand reißen können.“ Erasmus ging es um den Menschen mit seinen natürlichen Fähigkeiten, Luther dagegen betonte die Größe Gottes und seine Gnade, die sich in der Wiedergeburt zeige.

Die unterschiedliche Interpretation der Sakramente führte schließlich zu einer Trennung zwischen Luther und dem Schweizer Reformator Huldrych Zwingli (1484-1531). Zwingli verstand die Formulierung „Das ist mein Fleisch, das ist mein Blut“ (Mt.26:26-28) bildlich. Für ihn war das Abendmahl ein Symbol, eine Erinnerung an den Tod Jesu Christi. Aus Luthers Sicht war das zu wenig. Zwar distanzierte er sich von der katholischen Transsubstantiationslehre (Brot und Wein sind tatsächlich Fleisch und Blut Jesu), meinte aber, dass Jesus Christus für den, der daran glaubt, im Abendmahl wahrhaftig gegenwärtig sei (Realpräsenz). Auch in der Taufe sah er nicht nur ein Zeichen, sondern ging davon aus, dass Gott in dieser kirchlichen Handlung am Menschen Heil bewirke. Als ein engagierter Schriftwechsel über diese Frage und das Marburger Religionsgespräch (1529) keine Einigung brachte, trennten sich die Wege der beiden Reformatoren.

Nach Auflösung des Wittenberger Klosters wohnte Luther als Junggeselle allein mit Prior Brisger im Haus. Immer wieder hatte Luther die erzwungene Ehelosigkeit der Priester als unbiblisch kritisiert. Am 13.06.1525 heiratete er die ehemalige Nonne Katharina von Bora (1499-1552). Die selbstbewusste Katharina stammte aus sächsischem Landadel, wurde im Kloster Brenha erzogen und war seit 1515 Nonne im Zisterzienserkloster Marienthron bei Grimma. Luthers Schriften lösten bei einigen Nonnen ein Umdenken in Bezug auf katholische Traditionen aus. Die Frauen baten Luther um Hilfe bei ihrer Flucht aus dem Kloster, worauf dieser ihnen zu Ostern 1523 einen Wagen schickte, in dem Katharina und acht ihrer Ordensschwestern, hinter Heringsfässern versteckt, entkamen. Weil sie fürchteten, von ihren Familien verstoßen zu werden, brachte Luther sie in Wittenberg unter und vermittelte ihnen passende Ehemänner. – Nach seiner Hochzeit schrieb Luther: „Ich hoffe, es sollen die Engel lachen und alle Teufel weinen.“

Katholische Theologen warfen Luther Unmoral vor und prognostizierten, dass aus dieser Ehe zwischen einem ausgetretenen Mönch und einer entlaufenen Nonne der Antichrist geboren würde. Obwohl Katharina und Martin ihre Ehe eher aus Vernunft denn aus Liebe begannen, führten sie eine sehr harmonische Ehe, aus der sechs Kinder hervorgingen. Kurfürst Johann der Beständige schenkte dem Paar das leerstehende Augustinerkloster in Wittenberg als Wohnhaus. Katharina bewirtschaftete die umfangreichen Ländereien, betrieb Viehzucht und eine Bierbrauerei, um ihre Familie, Studenten und Gäste zu verköstigen. In Zeiten der Pest führte sie zudem ein Hospiz, in dem sie mit anderen Frauen Kranke pflegte.

Das moderate Vorgehen Luthers führte zu einer beständigen Ausbreitung der Reformation. 1524/ 1525 wandten sich die Städte Straßburg, Nürnberg, Konstanz und Bremen dem evangelischen Glauben zu. Die Situation verschärfte sich 1526 wieder. Die katholischen Landesherren von Brandenburg, Sachsen und Braunschweig schlossen sich im Bündnis von Dessau zusammen, um die Reformation zu bekämpfen. Die evangelischen Fürstentümer Kursachsen und Hessen bildeten dagegen das Bündnis von Gotha. Politische Auseinandersetzungen mit dem Papst und die Bedrohung Wiens durch die türkische Armee verhinderten vorläufig weitere Konfrontationen.

1530 lud Kaiser Karl V. die deutschen Fürsten nach Augsburg, um die anstehenden Religionsfragen zu klären. Auf diplomatische Weise wollte er hier den Einfluss der Evangelischen zurückdrängen. Für die Verhandlungen mit dem Kaiser verfasste Philipp Melanchthon die Confessio Augustana als reformatorisches Glaubensbekenntnis. Kaiserliche Theologen bezweifelten die Rechtgläubigkeit dieser Schrift, worauf Melanchthon mit einer Apologie der Confessio Augustana antwortete. Schlussendlich bestand der Kaiser auf den in Worms ausgesprochenen Schutz katholischer Traditionen und Besitzungen. Trotzdem forderte Luth seine Anhänger auf, Frieden zu wahren, auch wenn er seine Befürchtung eines künftigen Krieges zum Ausdruck brachte. Aufgrund außenpolitischer Spannungen wurde eine endgültige Lösung im Nürnberger Anstand von 1532 noch einmal aufgehoben (Waffenstillstand).

Trotz aller politischen und militärischen Bedrohungen breitete sich die Reformation gerade in diesen Jahren weiter aus: Württemberg (1534), Sachsen-Anhalt, Pommern, Nassau, Mecklenburg, Pfalz Neuburg, Braunschweig, Brandenburg und das Herzogtum Sachsen (1539) wurden evangelisch. Selbst in den katholischen Fürstentümern von Magdeburg, Halberstadt, Köln, Münster und Osnabrück gewann der neue Glaube die Überhand.

Luthers Theologie wird immer wieder zutreffend auf die vier soli (lat. allein) konzentriert: 1. Sola gracia: Allein durch die Gnade Gottes wird der glaubende Mensch errettet, nicht durch seine guten Werke. 2.sola fide: Allein durch den Glauben wird der Mensch gerechtfertigt, nicht durch Erkenntnis, Sakramente oder Leistung. 3. Sola scriptuture: Allein die Schrift ist die Grundlage des christlichen Glaubens, nicht die kirchliche Tradition oder die päpstliche Autorität. 4. Solus Christus: Allein die Person, das Wirken und die Lehre Jesu Christi können Grundlage für den Glauben und die Errettung des Menschen sein, nicht Heilige, die katholische Kirche oder Priester.

Nach Luthers Auffassung könnte jeder Bibeltext auf Jesus Christus hin ausgelegt werden. Außerdem sollte jede Predigt Gesetz und Evangelium enthalten. Einerseits würden dem Zuhörer im Gesetz die Gerechtigkeit Gottes und seine eigene Unzulänglichkeit vor Augen geführt. Mit dem Evangelium würde ihm der Ausweg aus seiner hoffnungslosen Lage gezeigt. Jesus Christus starb für alle Menschen, damit alle, die Gott um Vergebung ihrer Sünden bitten, von ihrer Schuld befreit werden könnten. In zahlreichen Bildern der Reformationszeit wurden Gesetz und Evangelium einander gegenübergestellt. Auf der einen Seite waren der Sündenfall, die Gesetzgebung am Sinai und das ewige Gericht abgebildet. Auf der anderen Seite wurden Jesu Tod am Kreuz, Seine Auferstehung und die himmlische Herrlichkeit zu sehen.

Luthers oft diskutierte Stellung zum Judentum durchlief eine radikale Wandlung. Im Gegensatz zum damals vorherrschenden Antisemitismus sprach sich Luther in seiner Frühzeit für eine Akzeptanz der Juden und für einen regen theologischen Austausch aus, so beispielsweise in seiner Schrift: Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei (1523). Da Luther von der baldigen Wiederkunft Jesu ausging, erwartete er die in der Bibel angekündigte Bekehrung zahlreicher Juden vor diesem Ereignis. In erster Linie würden Juden durch katholische Unmoral und Irrlehre abgehalten, Christen zu werden, meinte Luther. Als sich diese Hoffnung nicht erfüllte, stimmte er gegen Ende seines Lebens in die damals weit verbreitete Kritik und Diffamierung der Juden ein, so beispielsweise in der später von den Nationalsozialisten benutzten Schrift Von den Juden und ihren Lügen (1542).

Luther starb in Eisleben am 18.02.1546 nach einer mühevoll erreichten Einigung unter den zerstrittenen Mansfelder Grafen (wahrscheinlich an Angina Pectoris). Mit Luthers Reformation wurde die Grundlage gelegt für die Wiederentdeckung der Bibel, für Religionsfreiheit, für eine Individualisierung des Glaubens, für die hochdeutsche Sprache, füt eine breit angelegte Bildung der Bevölkerung und vieles mehr.  (Quelle: Michael Kotsch, Helden des Glaubens Band 1)

– „Such, wer da will, ein ander Ziel“ Teil 8

 

Januar bis Februar 2018

Machet alle Nationen zu Lernenden

Am 10.01.18 flog ich mit meiner Frau Ruth nach Lima, wo wir durch Gottes Gnade wohlbehalten ankamen und von unserem Bruder Ricardo Pineda (63) abgeholt wurden. Nachdem Ruths Eltern inzwischen beide heimgegangen waren, hatte Ruth die elterliche Wohnung in der Nähe vom Stadtzentrum von Lima geerbt. Als wir am Abend die Tür aufschlossen, mussten wir erstmal schnell die Fenster öffnen, da es streng nach Schimmel roch. Die Wohnung musste dringend mal renoviert werden und die ganzen alten und von Motten zerfressenen Möbel und Türen gehörten auf den Sperrmüll. In diesem Zustand konnten wir auf jeden Fall noch keine Gäste zu unserer Hausgemeinde einladen.

Am nächsten Tag wechselten wir erst einmal Geld und kauften auf dem Wochenmarkt ein. Zum Mittag aßen wir Cebiche (ausgesprochen: „Sevitsche“), das peruanische Nationalgericht, das dort in etwa so beliebt ist, wie bei uns ein Döner. Es besteht aus rohem Fisch, der klein geschnitten, mit Limettensaft angemacht wird unter Hinzunahme von Zwiebeln, Chili, Süßkartoffel, Maniok, Seetang und geröstetem Mais. Ich freute mich so sehr, meine Ruth zum ersten Mal nach langer Zeit wieder so glücklich zu sehen. Am späten Nachmittag ging ich mit Ricardo zu seinem Neffen Miguel, der noch nicht gläubig ist. Zunächst spielten wir eine Weile Tischtennis und dann sprach ich ihn auf den Glauben an. Er erzählte uns, dass er bisher immer ein guter Katholik war, aber dass er seit einiger Zeit in einer unehelichen Beziehung lebe. Ihm sei bewusst, dass dies nicht recht sei, aber könne sich auch nicht vorstellen, dass Gott so kleinlich sei und er allein deshalb schon in die Hölle käme. Zudem habe er gehört, dass das Christentum möglicherweise kopiert wurde von der Religion der alten Ägypter. Wir sprachen 2 Stunden mit ihm und beantworteten ihm viele Fragen. Wir merkten, dass er allmählich weich wurde, aber zu einer Lebensübergabe hat es noch nicht gereicht. Trotzdem beteten wir zum Schluss noch zusammen und befahlen ihn dem HErrn und Seiner Retterliebe an.

Am darauffolgenden Tag fuhren wir in die Innenstadt von Lima, um dort das Evangelium zu predigen. Bei einer Bevölkerung von etwa 33 Millionen Peruanern, leben allein 11 Millionen in der Hauptstadt Lima. Lima ist eine ziemlich schmutzige Stadt. Da es nie regnet, sind die Häuserwände meist alle von einer dicken Staubschicht bedeckt. Bedrückend ist auch die allgegenwärtige Armut, weil es hier keinerlei Sozialhilfe gibt; bettelnde Indiofrauen und Kinder finden sich hier zuhauf an jeder Straßenecke. Einer der beiden großen Plätze im Stadtzentrum ist der Plaza de San Martin, wo ich bei der letzten Reise mit Bruder Klaus Rost (46) gepredigt hatte. Dieser Platz eignete sich besonders gut, weil es dort viele Sitzgelegenheiten und schattenspendende Bäume gab. Es war so eine Art Areopag, wo sich Intellektuelle trafen, die keine Arbeit hatten, den ganzen Tag über Politik diskutierten und über die korrupte Regierung schimpften. Doch als wir ankamen, war der Platz durch eine Vielzahl von Polizisten gesperrt, weil es in den Tagen zuvor dort regelmäßige Demonstrationen gegeben hatte mit Sachbeschädigungen. Wir suchten einen anderen Ort in der Fußgängerzone, aber es gab überall viel zu laute Musik Wir stellten uns dann in eine Ecke und ich betete mit ihr, dass der HErr uns doch Weisheit geben möge, was wir tun sollten.

Dann gingen wir zurück zum Platz, wo wir am Rande eine große Menschenansammlung sahen, die einem professionellen Musiker zusah. Plötzlich kam ein Polizeiwagen und hielt an. Zwei Polizisten stiegen aus und erklärten, dass der Musikant alles abräumen müsse, da er keine Erlaubnis habe, dort öffentlich zu spielen. Daraufhin geriet die Menschenmenge in Rage und beschimpfte die Polizisten von allen Seiten. Der Musikant räumte alles ein und zog von dannen, aber die Leute waren aufgebracht, weil es doch schließlich nicht um Politik sondern um Kunst ging. Die Situation drohte zu eskalieren, weil sich die Polizisten allmählich von dem Pöbel bedroht sahen. Beinahe fluchtartig fuhren sie wieder davon, während die Menge nicht wusste, wohin mit ihrer Wut.

Alle standen also noch einen Moment herum, da merkte ich, dass der HErr unser Gebet erhört hatte. Es war, als hätte der HErr mir einen Fußball direkt vors Tor gelegt und ich brauchte den Ball nur noch reinstoßen. So holte ich schnell meine Bibel hervor und fing an, laut das Evangelium zu predigen. Sofort umringte mich die Menge und hörte mir eine Weile zu. Es waren etwa 100 oder 150 Personen. Doch dann ging es los, dass sie mir ins Wort fielen, mir widersprachen und Fangfragen stellten. Es waren überraschend viele Atheisten unter ihnen, aber auch jede Menge junge Leute, die still waren und einfach nur zuhörten. Zeitweise redeten alle gleichzeitig auf mich ein, so dass ich gar nicht wusste, wem ich zuerst antworten sollte. Der HErr schenkte mir aber Konzentration, dass ich die Fangfragen auch immer wieder biblisch beantworten konnte. Doch dann tat sich ein besonders aggressiver Redner hervor, der mir voller Wut eine Standpauke hielt. Zu meiner Überraschung war aber das meiste, was er sagte, im Prinzip richtig, so dass ich mich fragte, warum er eigentlich so wütend war. Es stellte sich am Ende heraus, dass er einer christlichen Sekte angehörte, namens Alpha und Omega, die zwar an die Bibel glaubt, aber zusätzlich noch an andere Dinge wie Außerirdische etc. Auf jeden Fall wurde diese Podiumsdiskussion am Ende ruhig und sachlich geführt, sodass ich Vieles aus dem Wort Gottes erklären konnte.

Als ich mich am Ende verabschiedete, kamen drei Brüder auf mich zu, die wissen wollten, zu welcher Gemeinde ich gehörte usw. Auch einer der Agnostiker wollte sich noch mit mir unterhalten über die scheinbaren Widersprüche in der Bibel. Er holte plötzlich eine völlig zerlesene Bibel aus seinem Rucksack, die an vielen Stellen unterstrichen war, was uns sehr überraschte. Ich gab ihm Zeugnis davon, dass ich selber vor 4 Jahren noch ein Agnostiker war, aber dass sich all meine Argumente in Luft auflösten, als der HErr sich mir offenbarte. Er erzählte uns, dass er aufgrund einer unheilbaren Krankheit mit starken Schmerzen sich das Leben nehmen wollte, aber ein Freund ihm sagte: „Bevor Du das tust, lass uns doch noch mal zu einem brujo (Hexer) gehen, denn vielleicht wird er dich heilen können.“ Und tatsächlich ging es ihm schon kurz darauf wieder viel besser, was er jedoch dem Schamanen zuschrieb. Der fremde Geist, den er sich dadurch eingefangen hatte, hinderte ihn möglicherweise daran, den HErrn anzunehmen.

Auftritt im peruanischen Fernsehen

Am Wochenende fuhren wir in die Wüstenstadt Ica, im Süden von Peru, wo der Bruder von Ruth namens Israel Condori (63) wohnt, zusammen mit seinen beiden Söhnen Jonathan (31) und Joel (30). Ica ist in einem Tal, das umgeben ist von bis zu 200 m hohen Sandbergen (Dünen), die sich kilometerweit bis zur Atacamawüste erstrecken an der Grenze zu Chile. Aufgrund des Klimaphänomens El Niño hat es hier noch nie geregnet; dennoch bekommt der Ort genügend Wasser zur künstlichen Bewässerung aus den Gebirgsflüssen. Bruder Israel hat hier innerhalb einer Art Parzellengebiet ein Landhaus mit einem großen ummauerten Grundstück voller großer Mango-, Avocado-, Maracuja- und Limettenbäumen. Im Haus gibt es einen großen Versammlungsraum und viele Zimmer. Die Sonne scheint dort im Sommer bei ca. 40 °C im Schatten, und auch in der Nacht ist es im Haus mit ca. 35 °C wärmer als draußen, so dass man kaum schlafen kann. Zudem bellen auch noch die ganze Nacht Hunde aus der Nachbarschaft.

In der Nacht zum Sonntag weckte mich Ruth kurz nach 4.00 Uhr, denn die Erde bebte. Wir beteten zusammen um Bewahrung, und noch bevor wir Amen sagten, hatte es auch schon wieder aufgehört. Später erfuhren wir, dass es ein Erdbeben der Stärke 7,2 auf der Richterskala war, und dass es in Arequipa auch Tote und Verletzte gegeben haben soll. Am Morgen fuhren wir nach dem Frühstück zum Friedhof nach Parcona, am Stadtrand von Ica, am Fuße des Gebirges. Ruth weinte am Grab ihrer Mutter und legte Blumen ab. Nach dem Mittag bekamen wir Besuch von den Söhnen Israels zusammen mit Joels Familie. Sie wollten mit uns unsere Silberne Hochzeit feiern und luden uns nach dem Essen zu einem Ausflug ein nach Huacachina, einer Oase in der Wüste, wo man auch schwimmen konnte. Im Anschluss machten wir eine kleine Wüstenwanderung.

Am Abend war dann Gottesdienst mit anschließendem Abendmahl. Nach der Lehre des kanadischen Missionars Dr. Arthur Allen Vincent (1897-1991), der damals all diese Gemeinden mitgegründet und über Jahrzehnte durch Besuche betreut hatte, kann man das Abendmahl nicht am Vormittag feiern, da es ja „Abendmahl“ heiße. Im Anschluss, nachdem alle gegangen waren, erzählte mir Joel, dass eine ehemalige Freundin ihn verklagt habe auf Unterhaltszahlung, da er mit ihr einen Sohn gezeugt habe. Er hatte dies zunächst abgestritten und einen Vaterschaftstest verlangt. Jetzt aber hatte sich herausgestellt, dass er wirklich der Erzeuger sei. Joel bat mich um Rat, und ich schimpfte mit ihm, welche Schande er als Sohn gläubiger Eltern auf den Namen des HErrn gebracht habe. Es sei nun eine Selbstverständlichkeit, dass er zur Strafe jetzt auch für seinen unehelichen Sohn Unterhalt zahlen müsse. Er weinte vor mir und bat den HErrn im gemeinsamen Gebet um Vergebung. Leider wollte seine Ex-Freundin nichts mehr mit ihm zu tun haben, weshalb eine Versöhnung nicht möglich sei. Ich empfahl ihm, dass er sie wenigstens um Vergebung bitten solle für all das Unrecht, dass er ihr angetan habe und alle ihre Forderungen erfüllen müsse.

Für Montagvormittag hatte Israel ein Treffen organisiert mit dem lokalen Fernsehsender Canal 9. Er hatte mir schon vor ein paar Tagen angekündigt, dass ich dort als Deutscher die Möglichkeit bekommen würde, in einem Interview etwas über Deutschland, Peru und die Zukunft der Welt zu sagen. Deshalb betete ich zum HErrn, dass Er diese Gelegenheit gebrauchen möge, um mir die richtigen Worte in den Mund zu legen zum Zeugnis. Bei der Bibellese am Morgen kam mir in Mt. 9:36-38 der Gedanke, dass auch die Peruaner im doppelten Sinne ohne „Hirten“ waren. Denn die Präsidenten der letzten 20 Jahre waren alle korrupt und hatten die Staatskasse um viele Millionen Dollar ausgeplündert, während das Volk z.T. in bitterer Armut lebte. Hinzu kam die immer weiter angestiegene Verbrechensrate in Peru. Schon bei geringsten Überfällen werden die Opfer gleich erschossen. Auch hat sich die Mafia in Lima breit gemacht und erpresst die Geschäfte. Ein Ladenbesitzer, der sich weigert, Schutzgeld zu bezahlen, dessen Laden fliegt schon kurz darauf in die Luft. Auch Bürgermeister, Präfekten oder Stadträte arbeiten oftmals mit der Mafia zusammen. Sogar Kinder werden häufig zu Mördern, weil sie strafunmündig sind.

Da wir etwas verspätet zum vereinbarten Live-Interview kamen, gab es keine Möglichkeit mehr, vorher noch mit dem Moderator der Fernsehanstalt zu sprechen. Es blieb nur noch Zeit, mir ein Mikrofon anzustecken, denn die Live-Sendung ging schon los. Die erste Frage, die er mir stellte, war, wie ich als Deutscher die gegenwärtige politische Situation in Peru einschätzen würde. Zum Glück hatte ich mich zuvor etwas informiert über den Präsidenten Pedro Pablo Kuczinsky (von allen einfach nur „PPK“ genannt) und den sog. Odebrecht-Skandal, in den er verwickelt war. Um mich jedoch nicht zu blamieren, lenkte ich das Gespräch auf die weltweiten Krisen und erklärte, dass sich durch diese biblische Prophezeiungen erfüllen würden. Nur einmal kam ich kurz ins Stocken, als ich über die Staatsverschuldungen sprach und nicht wusste, wie man das Wort „Insolvenzverschleppung“ übersetzt. Und dann kam die Frage, welchen Lösungsvorschlag ich denn sehen würde für all diese Krisen. Ich sagte: „Es wird Sie vielleicht überraschen, wenn ich das sage, aber es gibt keine Lösung! Die Welt ist dem Untergang geweiht, weil sie sich von den Geboten Gottes abgewandt hat. Die Apokalypse ist unaufhaltsam, und sie ist schon in der Bibel vorhergesagt worden. Die einzige Möglichkeit zur Rettung besteht darin, sich Jesus Christus anzuschließen, indem man Ihn als HErrn und zukünftigen Weltherrscher anerkennt.“ Dann sprachen wir noch über den falschen Messias, der kurz vor der Wiederkunft Christi kommen würde. Und wenn der Fragesteller mich auch vielleicht für verrückt gehalten hatte, so ließ er sich dies nicht anmerken. Nach 20 Minuten war das Interview vorbei, er bedankte sich und wir gingen.

Da wir am Mittwoch nach Ecuador reisen wollten, mussten wir schon am Nachmittag nach Lima zurück. Weil es dort auf dem Land kaum Firmen oder Fabriken gibt, sind die Gläubigen in Ica z.T. sehr arm; deshalb hatten wir für sie Spenden aus Deutschland mitgebracht und Spielsachen für die Kinder. Mit der Verteilung hatten wir Roxana und Israel beauftragt, da diese die Armut und die Bedürfnisse der Geschwister besser kennen als wir. Nachdem wir am Abend wieder in Lima angekommen waren, aber noch einen Tag Zeit hatten vor unserer Abreise nach Ecuador, sind wir am Folgetag nachmittags ins Stadtzentrum gefahren, um das Evangelium zu verkünden. Wie sich dann herausstellen sollte, war die gute Hand unseres Gottes über uns:

Menschenfänger

Der Plaza de San Martin war diesmal zugänglich, und überall sah man größere Menschenansammlungen, wo jeweils Vorträge gehalten wurden über politische oder religiöse Themen. Ich ging zu einem der drei oder vier Vorträge und erkannte schnell, dass der Redner mir noch von meiner letzten Reise in 2016 bekannt war. Er erklärte den Menschen den Marxismus und behauptete, dass man alle Gesellschaftssysteme in zwei „Konzepte“ (Gruppen) aufteilen könne, nämlich die „Materialisten“ (die Guten) und die „Idealisten“ (die Bösen). Zur Letzteren zählten in seinen Augen natürlich auch die Religiösen, insbesondere die Katholiken, weil sie die Menschen auf ein besseres Leben vertrösten würden, um sie dadurch umso leichter unterdrücken und ausbeuten zu können. Ich entgegnete ihm, dass der Marxismus ja selber eine idealistische Religion sei und dass der Kommunismus Millionen von Toten verursacht habe. Jesus aber habe hingegen Gewaltlosigkeit gepredigt, weshalb all jene keine Christen seien, die Gewalt verüben. Er liess mich insgesamt nur dreimal sprechen, aber dann nicht mehr zu Wort kommen. Zum Glück gab es dafür andere, die ihm auf hohem, intellektuellem Niveau widersprechen konnten. Allerdings war die Mehrzahl der Zuhörer auf der Seite des Marxisten, weil er ihnen wegen seines bescheiden. indigenen Aussehens sympathischer erschien. Zum Schluss ließ der Marxist einen Klingelbeutel durch die Reihen gehen mit dem Hinweis, dass er von diesen Vorträgen leben würde.

Dann ging ich zur nächsten Menschenansammlung von etwa 100 Leuten, wo zwei junge Burschen mit Mikrofon und Verstärker den kurz bevorstehenden Besuch des Papstes Franziskus in Lima anprangerten. Es stellte sich bald heraus, dass es sich bei diesen um Nationalisten handelte, welche die Prä-Inka-Kultur als ein goldenes Zeitalter glorifizierten. Als mich einer der Redner sah mit meiner Bibel in der Hand, lud er mich ein, nach vorne zu kommen, um einen Kontrastandpunkt zu vertreten. Daraufhin folgte eine fast eineinhalbstündige, z.T. hitzig geführte Debatte, in welchem wir beide jeweils immer 5 Minuten sprachen und dann dem anderen das Mikrofon überreichten. Wir sprachen über die Evolutionstheorie, über die Eroberung des Inkareiches und die Kirchengeschichte. Vor allem aber durfte ich immer wieder die Evangeliumsbotschaft erklären. Mein Gegner, namens Leonardo, wurde häufig sehr ausfallend und sagte immer wieder „Caracho!“ („Verdammt nochmal!). Und wenn ich mal lauter wurde, sagte er: „Bruder, reg dich ab, denn als Christ musst du doch sanftmütig sein wie eine Taube!“ Ich entgegnete: „Ach, und du etwa nicht?!“ und er sagte: „Nein, denn ich bin ja vom Teufel, deshalb darf ich alles!“ -was zu allgemeinem Gelächter führte. Am Ende lud mich Leonardo für den 30.01. ein, die öffentliche Debatte über scheinbare Widersprüche in der Bibel fortzusetzen.

Als ich mich dann verabschiedete, gingen einige hinter mir her und stellten mir Fragen über das Evangelium und den Heilsplan Gottes. Mir fiel auf, dass die Zuhörer auf dem Platz wesentlich einfältiger und ungebildeter waren als die Redner. Wahrscheinlich verstanden sie nur die Hälfte von dem, worüber wir redeten, sondern wollten einfach nur von ihrem Gefühl her sehen, welcher der beiden Redner irgendwie auf sie den besseren Eindruck machte. Die Redner waren daher im Grunde wie „Rattenfänger“ (oder biblisch gesprochen: „Menschenräuber“), denen die Menge bereitwillig alles abnahm, wenn es nur irgendwie intelligent klang. Umso wichtiger ist es, dass auch wir Gläubigen den gekreuzigten Christus verkünden, denn der Feind schläft nicht. Plötzlich fiel mir ein, dass ich mir von meinem Schwager ein paar Traktate geben ließ mit seinem Stempel, die ich herausholte und die mir förmlich aus der Hand gerissen wurden. Währenddessen gesellte sich ein anderer Bruder zu uns und erklärte die Heilsbotschaft, und als Ruth mich am Ärmel zog, weil sie nach Hause wollte, nahm er das Heft in die Hand und predigte weiter. Möge der HErr diesen Dienst segnen und zu dem ein oder anderen gesprochen haben! Und möge der HErr mich vor Hochmut bewahren, indem mir allezeit bewusst sei, dass ich nur ein unnützer Knecht bin, der nur seine Schuldigkeit tut.

Reise nach Guayaquil

Am Morgen machten Ruth und ich uns auf den Weg nach Guayaquil, der größten Stadt in Ecuador, zusammen mit Bruder Ricardo. Zum Glück ist auch er genauso kommunikativ wie meine Frau, denn dem Redebedarf, den Ruth hat, könnte ich nie gerecht werden. Ricardo ist von seinem Wesen her etwas neurotisch und überängstlich. Er muss immer alles unter Kontrolle behalten. Das konnte zuweilen ziemlich anstrengend werden, da ich ja genau das Gegenteil bin. Gerade solch eine Reise kann man gar nicht so genau planen, sondern muss sich einfach auch ein wenig leiten lassen, um zu erkennen, was Gott mit einem vorhat. Aber zum Glück war er wenigstens nicht empfindlich oder beleidigt, sondern hat eher ein dickes Fell. Theologisch gesehen unterscheiden wir uns in unserer Auffassung über die zahlreichen Kirchen und Benennungen. In Ricardos Augen handelt es sich bei all diesen um „falsche Religionen“, die von Freimaurern gegründet wurden und die Menschen betrügen. Als ich ihn darauf hinwies, dass sogar Laodizäa zu den Leuchtern zählt, in deren Mitte der HErr wandelt, behauptete er einfach, dass die Evangelikalen, Baptisten oder Pfingstler nicht zu Laodizäa gehören würden.

Als wir in Guayaquil ankamen, holte uns Bruder Felix Ramirez (45) vom Flughafen ab. Obwohl nur 34 °C auf dem Thermometer waren, fühlte sich die subtropische Luft eher wie 50 °C heiß an, wie in einem Backofen. Felix sagte: „Obwohl ich hier geboren bin, werde ich mich nie an diese Hitze gewöhnen.“ Er fuhr uns zu seiner Mutter Gladys Ramirez (77) nach Chongon, einer Ortschaft etwa 25 km westlich, wo wir auch übernachten sollten. Zusammen mit Felix` Familie aßen wir Abendbrot und unterhielten uns über die Vergangenheit. Felix erzählte uns, dass die Brüder Nelson Mogollon und Jorge Calvache inzwischen gestorben seien. Seit dem Scheitern unseres Kinderheim-Projekts 1996 war ich kaum noch in Ecuador gewesen. Deshalb musste ich ihnen bekennen, dass ich damals auch meinen Glauben an Gott verlor, worüber sie sehr erschrocken waren. Ich erzählte ihnen die Umstände und wie der HErr mich vor 4 Jahren wieder zurückholte aus der Verbannung. Am Ende sagte Gladys: „Simon, du machst mir ja richtig Angst. Mach das bloß nie wieder, dass du einfach den guten Hirten verlässt!“ Ich versprach es ihr.

Ecuador ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Bananenrepublik, denn das Land ist der größte Bananenexporteur der Welt. Dabei gibt es zudem etwa zehn verschiedene Sorten: Angefangen von der großen grünen Banane (die ausschließlich zum Braten verwendet wird und wie Kartoffelpuffer schmeckt) bis hin zu den kleinen Guineos (die helloranges Fruchtfleisch haben und sehr süß sind). Darüber hinaus wird in Ecuador aber auch viel Kakao angebaut und exportiert, sowie Riesengarnelen. Am Morgen sind wir nach dem Frühstück in die 3-Millonen-Stadt Guayaquil gefahren. Zunächst besichtigten wir den berühmten Leguan-Park, in welchem es Hunderte von Riesen-Leguane gibt, die frei umherlaufen und fast so groß wie Krokodile sind. Die meisten dösten auf den Mangrovenbäumen in der Sonne und warteten auf die nächste Mahlzeit.  Es war wieder brühend heiß und wir tranken zusammen jeder zwei Becher Guaven-Saft mit Eiswürfeln. Dann gingen wir zum Guayas-Fluss, der über einen Kilometer breit war und eine starke Strömung hatte. Leider hatte es mich dann doch (wie immer) erwischt, dass ich Durchfall bekam, was auf Reisen nicht sehr angenehm ist, weil man nicht immer eine Toilette in der Nähe hat. Dem HErrn sei Dank – fand sich aber schon bald eine öffentliche Toilette.

Gegen Mittag gingen wir in einen Stadtpark, wo viele Leute im Schatten der Bäume ihr Mittagsschläfchen hielten. Ich war erschrocken, wie viele Bettler es in der Stadt gibt, besonders Kinder und ältere Menschen, die barfuß und völlig verdreckt waren. So viel hatte es m. E. vor 20 Jahren noch nicht hier gegeben, als ich das letzte Mal mich für mehrere Monate hier aufhielt. Wir beteten gemeinsam. Ich fing an zu predigten, und von etwa 20 Leuten im Umkreis hörten mir gerade einmal nur 5 Leute zu. Die anderen schauten desinteressiert auf ihr Handy oder unterhielten sich untereinander. Dann gingen wir etwas weiter und Ricardo predigte, aber leider viel zu leise, so dass die Leute ihn schon aus der Nähe kaum verstanden, geschweige denn Interesse zeigten. Wir gingen dann noch weiter zu einem Kleidermarkt, wo ich predigte, aber wieder genau das Gleiche: alle schauten mich nur gelangweilt an oder gingen einfach weg. Ich war zwar traurig, aber nicht entmutigt. Es wäre auch unrealistisch, wenn man jedes Mal einen solchen Erfolg erwartet wie bei den letzten Malen. Wir fuhren also wieder zurück im Bus.

Am Abend hatten wir Bibelstunde in Guayaquil mit der ganzen Versammlung, etwa 15 Geschwister und 7 Kinder. Zu meiner Überraschung wurde diese unter freiem Himmel abgehalten, nämlich im gepflasterten Vorgarten des Hauses, sodass auch die unmittelbare Nachbarschaft diese mitverfolgen konnte. Bei geschätzten 30 °C, die es abends immer noch heiß war, war diese Gewohnheit sicherlich vernünftig. Eine Besonderheit, an die ich mich aber inzwischen schon längst gewöhnt hatte, war, dass hier die Männer den Frauen zur Begrüßung immer ein Küsschen auf die rechte Wange geben. Männer hingegen umarmen sich nur und geben sich keinen Kuss (wie bei den Russlanddeutschen). Diese Tradition ist in Südamerika auch bei Ungläubigen üblich. Ricardo predigte über Römer 8 und ich über die Sendschreiben. Danach hatten wir ein gemeinsames Liebesmahl und unterhielten uns über die Vergangenheit. Bruder Dr. Galo Granados (70), der früher auch zu dieser Gemeinde gehört hatte, sich aber dann einer liberaleren Gemeinde angeschlossen hatte, war wegen uns auch gekommen und lud mich für den Sonntag in 9 Tagen ein, in seiner Freikirche zu predigen, was ich dankbar annahm.

Reise ins Gebirge und in den Urwald

Am nächsten Morgen litt ich massiv an Durchfall, ausgerechnet wo wir doch heute ins Gebirge fahren wollten! Es war schlimm, denn ich hatte in der Nacht sogar die Matratze der Geschwister verunreinigt. Ich hätte gestern nicht am Abendessen teilnehmen dürfen! sagte ich mir. Aber ich demütigte mich im Gebet darunter und aß den ganzen Tag kaum etwas. Bevor wir dann losfuhren, kauften wir noch schnell ein paar Medikamente. Die 5,5-stündige Busfahrt durch das Andengebirge war ziemlich anstrengend, zumal der Bus immer wieder anhielt, um neue Passagiere mitzunehmen, meistens Indios. Auch stiegen jedes Mal Verkäufer von Kokosmilch, Früchten, gerösteten Bohnen und sogar Hühnersuppe in den Bus, um ihr Essen an die Passagiere zu verkaufen. Die Anden liegen etwa 3.000 bis 4.000 m über dem Meeresspiegel. In dieser Höhe gibt es vor allem Eukalyptusbäume und Gräser, aber teilweise auch noch Ackerbau an den Berghängen. Von dieser Plattform gehen dann die Berge bis zu 6.900 m hoch. Gerne hätte ich mit Ruth und Ricardo mal eine Bergwanderung gemacht, aber das würde meine Frau kräftemäßig kaum schaffen. Dabei kann man noch bis 4800 m mit dem Auto hochfahren. Dort oben ist natürlich nur noch eine „Mondlandschaft“ aus Geröllsteinen, wo nichts mehr wächst. Und ab 5.000 m beginnt dann die Schneegrenze. Wenn man aber an einem Tag innerhalb weniger Stunden von der Küste bis auf eine Höhe von 3.000 m fährt, dann spürt man nicht nur einen Druck in den Ohren, sondern auch Kopfschmerzen und hat das Gefühl, dass man nicht genügend Luft bekommt. Sogar die Haut bekommt eine leichte violette Färbung aufgrund des geringeren Sauerstoffgehalts in der Luft. Der Körper braucht meist einen Tag, bis er sich an die Höhe gewöhnt hat.

Am späten Nachmittag kamen wir in Ambato an, das auf 2.570 m in einem Tal auf der Rückseite der Anden liegt, am Fuße des Vulkans Chimborazo (6.310 m), der aufgrund seiner Entfernung zum Erdmittelpunkt als der höchste Berg der Erde gesehen werden kann. Woran wir jedoch nicht gedacht hatten, war, dass es oben im Gebirge natürlich viel kälter ist als unten an der Küste, etwa 8 – 10 °C. Wir hatten nur Sandalen mit und kurzärmlige Hemden. Ricardo schämte sich nicht, sich einfach seinen langärmligen Pyjama überzuziehen, was wirklich sehr lustig aussah. Wir fanden ein Hotel für 10 $ pro Nacht, wo wir warm duschen konnten. Die Indios hier sprechen mit einem starken Akzent, der fast etwas Portugiesisch klingt.

Am nächsten Morgen machten wir uns früh auf, ließen unsere Sachen im Hotel und fuhren mit dem Bus in den Urwald nach Puyo, wo es für Touristen eine ganze Menge zu sehen gab. Die dreistündige Busfahrt ging praktisch 2.500 Meter die Anden herab, und wir hatten eine wunderschöne Aussicht auf die gewaltigen Berghänge, Wasserfälle und reißenden Flüsse unten in den Bergschluchten. Am Vormittag besuchten wir einen Tierpark in Baños, einem Vorort von Puyo, wo man Affen, Papageien, Pumas, Bären, Tapire und sogar Kondore besichtigen konnte. Am Nachmittag machten wir in Puyo eine Wanderung durch den Regenwald, entlang des Puyo-Flusses. Weil es gerade zuvor geregnet hatte, war die Luft schwülwarm, aber angenehm sonnig bei etwa 27 °C (normalerweise ist es hier bis zu 40 °C). Zum Glück hatten wir Repelente mitgebracht, d.h. eine Schutzcreme gegen Mückenstiche, denn an Flussläufen gibt es hier sehr viele Moskitos. Es war wirklich wunderbar, all die vielen Pflanzen zu sehen, wie Gott sie geschaffen hat: riesige Bäume, ungewöhnliche Palmen und Orchideen und einen großen Ameisenbau in 2 m Höhe direkt an einem Baum angebaut. Wir waren alle sehr beeindruckt. Leider konnte ich keine Fotos machen, weil mein Handy nicht mehr zu laden war (scheinbar der Akku kaputt). Wir hätten uns auch noch die Indianersiedlungen ansehen können, von denen es zahlreiche gab, aber die Zeit hätte dafür nicht mehr gereicht. Am Ende unserer Wanderung, sahen wir an einer breiten Stelle des Flusses etwa 20 Personen stehen und bei näherem Hinsehen stellte sich heraus, dass eine alte Frau getauft wurde – mitten im Urwald! Was für ein schöner Anblick! Dem HErrn sei Dank! Am Abend fuhren wir wieder die 2.500 m hinauf nach Ambato, wo unser Hotel war.

Wenn man zu dritt solch eine lange Reise macht, dann können immer wieder Spannungen entstehen, weil jeder seine eigenen Bedürfnisse und Interessen hat. Umso wichtiger ist es dann, auf einander Rücksicht zu nehmen und sich von der Liebe Gottes leiten zu lassen. Am Morgen hatten wir eine Diskussion über die Weiterreise. Ruth und Ricardo wollten nicht länger mit dem Bus fahren, weil ihnen das zu anstrengend war. Eine Busfahrt nach Bogota (Kolumbien) dauert von Quito aus 23 Stunden, kostet aber auch nur umgerechnet rund 25 Dollar. Ein Flug hingegen würde uns mindestens das Zehnfache kosten, und dann auch noch zurück, und das zu zweit, da sind wir vielleicht schon bei 1000 Dollar! Aber so viel Geld wollten Ruth und ich nicht ausgeben, weil unser Reisebudget begrenzt war. Wir überlegten also, auf Kolumbien zu verzichten, aber das wollte Ricardo nicht, und ich eigentlich auch nicht, weil ich Bruder Pepe Gomez dann sehr enttäuschen würde, den ich schon zweimal versetzt hatte. Ruth aber wollte auf dem schnellsten Weg wieder zurück nach Lima, weil sie starke Schmerzen hatte und es überhaupt bereute, mitgekommen zu sein. Sie bot an, dass Ricardo und ich doch alleine unsere Reise fortsetzen könnten und sie direkt nach Lima fliege. Wir entschieden uns dann aber, dass wir erst mal eine längere Gebetsgemeinschaft haben sollten, um uns dann vom HErrn leiten zu lassen, wie es weiter gehen soll.

Nach dem Gebet ging es Ruth schon deutlich besser. Allerdings litten wir alle inzwischen unter Kopfschmerzen und Atembeschwerden, weil dieser ständige Wechsel zwischen den Klimazonen auf den Kreislauf schlägt. Besonders Ricardo hatte zeitweise richtig Atemnot. Zum Glück hatten wir japanisches Minzöl dabei, das ihm sehr half. Wir frühstückten und fuhren mit dem Bus nach Quito, der Hauptstadt von Ecuador, die nur etwa 2,5 Stunden entfernt lag. Quito ist mit 2.850 m überm Meeresspiegel die höchstgelegenste Hauptstadt der Welt, aber mit 31 °C deutlich wärmer als Ambato, da Quito direkt auf der Äquatorlinie verläuft (daher kommt auch der Name von ECUADOR). Wir fanden eine Herberge im Stadtzentrum für 7 Dollar/Nacht, die sogar noch komfortabler war, als die in Ambato, und erkundigten uns über Flugpreise. Es stellte sich dann heraus, dass ein Flug von Quito nach Bogotá hin- und zurück zwischen 400 bis 600 Dollar kostet, was uns doch zu teuer war. Deshalb entschieden wir uns nach Gebet und reiflicher Überlegung, unseren Plan zu ändern und ein weiteres Mal auf Kolumbien zu verzichten.

Nach dem Mittagessen gingen wir in die historische Altstadt von Quito mit ihren vielen Kathedralen aus der Kolonialzeit. Quito ist eine sehr katholische Stadt, deshalb waren an diesem Sonntag auch alle Geschäfte geschlossen. Hier finden regelmäßig Prozessionen statt, bei welchen sich die Männer mit nacktem Oberkörper selbst geißeln oder sich mit Stacheldraht fesseln lassen. Die Priester tragen dazu unheimliche Büßer-Kutten, die an den KuKluxKlan erinnern, oder schwere Holzkreuze, die sie durch die Straßen schleppen. Wir gingen auf den großen Marktplatz von Quito, wo sich zu meiner Freude viele Menschen befanden, genauso wie in Lima. Ich ging zu einem der Menschenansammlungen hin und – siehe da! – zwei Christen diskutierten mit den Zuhörern und erklärten, dass die einzig gültige Taufe diejenige sei „im Namen des HErrn Jesus“, aber auf keinen Fall nur „im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Ich hörte eine Weile zu und warf dann die Frage auf, warum dies eigentlich so wichtig sei und ob es überhaupt ein Thema sei, um darüber einen öffentlichen Disput zu führen, wo doch viele Zuhörer noch nicht einmal gläubig sind. Als sie dann auch noch über die Frage der Dreieinigkeit diskutieren wollten (es waren offensichtlich Unitarier), habe ich mich umgedreht und mit den neben mir Stehenden über das Evangelium gesprochen, so dass sich allmählich zwei Gruppen bildeten. Die Leute stellten erfreulicherweise sehr gute Fragen, die ich von der Bibel her beantworten durfte. Doch dann trat ein Mann herzu, der scheinbar der „Gnosis“ angehörte, denn er lehnte das Alte Testament ab. Da er mich kaum zu Wort kommen ließ, bot ich ihm an, eine eigene Diskussionsgruppe zu beginnen, wo er dann alleine sprechen könne. Er wurde dann still, notierte sich aber Argumente, die er mir entgegensetzen wollte. Da ich z.B. nur die Reina-Valera-Übersetzung hatte, die auf dem Textus receptus basiert, er aber eine Nestle-Aland-Übersetzung hatte, wollte er dadurch beweisen, dass meine Bibel verfälscht wurde, da ganze Sätze in seiner Bibel fehlten. Damit er die ahnungslosen Zuhörer nicht noch mehr verwirrte, gab ich eine etwas längere Erklärung, wie sich diese tatsächliche Diskrepanz aus meiner Sicht erklären ließe. Von da an ließ ich ihn auch nicht mehr zu Wort kommen, weil ich merkte, dass der Feind ihn geschickt hatte.

Nach etwa zwei Stunden verabschiedete ich mich von der Menge und ging mit Ruth zum Hotel. Auch Ricardo hatte viele Gespräche gehabt, wie er erzählte. Als wir ankamen, sollte ich etwas für einen Hotelgast übersetzen. Es war ein Ägypter, der kaum Spanisch konnte, dafür aber Englisch. Es war ein koptischer Christ, der mich auf eine Tasse Tee einlud. Er kannte die Bibel ziemlich gut und konnte mir Stellen nennen, die scheinbar die Abbildung von Jesus oder den Heiligen und sogar die Fürbitte durch Maria rechtfertigen. Ich war schwer beeindruckt, entgegnete ihm jedoch, dass wir aber nicht über das hinausdenken dürfen, was geschrieben steht (1.Kor.4:6).

An unserem vorletzten Tag im Gebirge wollten wir nochmal einen Ausflug nach Otavalo machen, einer Kleinstadt im Hochgebirge, von wo aus man schöne Bergwanderungen unternehmen kann. Die Indio-Frauen, die hier wohnen, tragen Hüte und übertrieben viele goldfarbene Ketten an ihrem Hals, weil dies ihre Tradition ist. Männer und Frauen tragen beide lange Haare mit Pferdeschwanz und Mittelscheitel, so dass man sie nur durch die langen Röcke der Frauen voneinander unterscheiden kann. Als erstes sind wir durch einen Wald mit riesigen Eukalyptusbäumen zu den Wasserfällen von Peguche gewandert, die etwa 80 Meter in die Tiefe rauschten. Dann haben wir eine Höhle entdeckt, die voller Altäre mit Opfergaben für „Mutter Erde“ war. Ebenso ein Indianerzelt, wo die Schamanen Krankenheilungen ausüben. Nach dem Mittagessen sind wir zu einem etwa 9 km großen und 145 m tiefen Gletschersee mit glasklarem Wasser gefahren, der in 3.068 m Höhe liegt. Diese Laguna de Cotacachi ist eigentlich der Krater eines noch immer aktiven Vulkans, aus dem unentwegt Gase emporsteigen. Deshalb gibt es auch keine Fische im See, dafür aber zwei Berginseln mit üppiger Vegetation. Bei der Vielzahl an visuellen Eindrücken kann ich nachvollziehen, warum Humboldt sich die Mühe machte, vor 200 Jahren all diese Naturphänomene genauestens zu beschreiben, denn einen Fotoapparat hatte er damals ja noch nicht gehabt.

Nachdem wir die Nacht wieder in Quito verbracht hatten, sollte es heute wieder zurück nach Guayaquil gehen. Da unser Flug aber erst um 17.00 Uhr ging, war ich am Vormittag noch mal auf den großen Marktplatz gegangen. Dort waren wieder sehr viele Menschen, allerdings diesmal hauptsächlich Anhänger der politischen Opposition, weil eine Großdemonstration gegen den Ex-Präsidenten Correa stattfinden sollte. Dieser hatte das Land mit seiner sozialistischen Regierung über 10 Jahre lang wie ein Diktator regiert und danach eine Marionette seiner sozialistischen Partei namens Lenin Moreno als seinen Nachfolger ernannt, während er weiterhin im Hintergrund die Strippen zog und die Verfassung ändern ließ, um danach noch einmal für eine 3. Amtszeit wiedergewählt zu werden. Die Menschen waren voller Wut gegen das korrupte Establishment, das sich auf Kosten von enteignetem Privatbesitz reicher Bürger selbst bediente (Auch mir selbst wurde ja in Ecuador zehn Jahre zuvor mein Haus faktisch enteignet, das ich 1992 in Daule nördlich von Guayaquil gekauft hatte, um es als ein Kinderheim umbauen zu lassen, wozu es damals aber nicht mehr kam). Bei all dem Geschrei fühlte ich mich ziemlich entmutigt zu predigen. Da hörte ich von der anderen Seite des Platzes einen jungen Mann mit aufgeschlagener Bibel laut das Evangelium predigen. Da nahm ich es aus der Hand des HErrn, dass Er einen anderen Bruder bestellt hatte.  Später flogen wir dann wie geplant nach Guayaquil.

„Gott ist treu“

Zurück in Guayaquil fuhren wir wieder mit Ricardo und Felix ins Stadtzentrum, das etwa 30 km entfernt ist vom Haus unserer Gastfamilie. Wir gingen wieder in den Park, wo wir das letzte Mal waren, und ich begann, einfach nur laut aus der Bergpredigt vorzulesen. Leider war auch diesmal keine Reaktion bei den Leuten zu erkennen. Einer stand sogar auf und setzte sich woanders hin, weil er seine Ruhe haben wollte. Mich kränkte das aber nicht, sondern ich las einfach immer weiter über mehrere Kapitel. Auch diesmal war wieder eine Bullenhitze, und da ich mir das Gesicht nicht eingecremt hatte, war ich am Abend rot wie ein Hummer. Nach dem Mittag haben Ruth und ich dann bewusst die vielen Bettler aufgesucht, um ihnen Essen und Trinken zu kaufen. Das taten wir meist ganz pragmatisch, indem wir ihnen anboten, sich im Schnellimbiss ein Essen auszusuchen. Geld gaben wir immer nur in Ausnahmefällen, damit sie es nicht für unsinniges Zeug ausgeben. Besonders ältere Mütterchen wurden von uns bevorzugt, weil sie häufig keine Möglichkeit mehr hatten, sich anders als durch Betteln ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Auf der anderen Straßenseite sahen wir dann einen Krüppel, der von einem Mann gewaschen wurde. Ich vermute, dass dieser auch ein Kind Gottes war, der sich dieses Elenden erbarmt hatte. Das hat uns alle sehr bewegt.

An nächsten Tag haben wir den alten Bruder Enriquez (80) besucht, der inzwischen an Alzheimer litt und kaum Besuch bekommt. Er wohnte in den „Suburbios“ (Slums) der Stadt, d.h. in ziemlich bescheidenen Verhältnissen. Da er nie geheiratet hatte, wurde er von seinen beiden Nichten gepflegt. Er konnte nicht mehr sprechen, aber er freute sich über den Besuch, auch wenn er sich nicht mehr an mich erinnern konnte. In dem kargen Zimmer, wo er saß, schaute er auf eine verputzte aber ungestrichene Wand, auf der jemand mit oranger Farbe geschrieben hat: „Dios es fiel“ („Gott ist treu“). Das hat mich sehr berührt, dass er trotz seiner eingeschränkten Hirnaktivität den ganzen Tag auf diesen Schriftzug schaute, um zu wissen, dass Gott immer bei ihm war und immer treu zu ihm bleiben würde! Da er nicht mehr richtig laufen konnte, schaffte er es häufig nicht mehr rechtzeitig auf Toilette. Deshalb ließ Ruth ihm später den mobilen Topfstuhl ihrer Mutter schicken, der ähnlich wie eine Camping-Toilette funktionierte.

Am letzten Tag vor unserer Abreise hat uns Bruder Dr. Galo Granados (70) abgeholt und zum Gottesdienst in seine Gemeinde gefahren, die am Stadtrand von Guayaquil in einer sehr ärmlichen Siedlung liegt, damit ich dort predigen möge. Er hatte uns aber nicht verraten, dass es eine Pfingstgemeinde war, aber schon von 30 m Entfernung konnte man dies hören. Ich war noch nie in einer deutschen Pfingstgemeinde, aber dafür schon sehr oft in südamerikanischen Pfingstgemeinden, die es besonders viel unter den Armen gibt. In diese wird zwar eher selten in Zungen geredet oder geweissagt, dafür aber sind sie sehr laut. Vorne sang und spielte der sog. „Vorsänger“ und die anderen begleiteten seinen Gesang bis zu drei Stunden ununterbrochen mit Tanz und Zwischengesang. Das letzte Mal war ich eingeladen auf der Hochzeit von Bruder Henry Tippner, bei der es ganz ähnlich zuging. Mich stört diese völlig andere Art des Gottesdienstes nicht wirklich, es ist einfach nur befremdlich und gewöhnungsbedürftig. Als Gäste durften wir natürlich ganz vorne sitzen, genau neben dem Lautsprecher aus dem ein Klang mit über 100 Dezibel erschall. Der Sänger war noch sehr jung, aber äußerst talentiert. Selbst als Nicht-Pfingstler kann man nicht leugnen, dass er absolut „begabt“ war für diesen Dienst.

Heute sollte das zweite Mal sein, dass ich in einer Pfingstgemeinde predigen durfte. Das letzte Mal hatte mich Bruder Jorge Calvache eingeladen vor 26 Jahren, auch in Guayaquil. Damals war ich aber so töricht, dass ich die Gelegenheit dazu missbrauchte, um ausgerechnet gegen die Geistesgaben zu predigen. Meine damalige Predigt war lieblos und pharisäerisch, aber ich war damals auch erst 23 und entsprechend unreif. Heute aber predigte ich auf liebevolle Weise über die geistliche Reife durch das Ablegen der fleischlichen Lüste (1.Kor.3:1, Eph.4:14, Hebr. 5.13, Gal:4:1-3), sowie über die Urgemeinde und speziell über die Taufe. Denn in dieser Freikirche gab es die Lehre, dass erst verheiratete Erwachsene getauft werden dürfen, während den Unverheirateten prinzipiell die Taufe verweigert wurde, aufgrund der weitverbreiteten Gefahr der Hurerei. Das Problem war ja, dass man bei Neubekehrten nie mit Sicherheit wissen konnte, ob sie vielleicht heimlich noch in Hurerei leben würden (vergl. Spr.30:19). Sie aber deshalb unter Generalverdacht zu stellen und ihnen die Taufe zu verweigern, ist natürlich eine drastische Bevormundung. Dies findet auch Bruder Galo, weshalb er mich bat, dieses Thema anzusprechen. Bruder Galo hat nach dem damaligen Scheitern unseres Kinderheimprojektes ein eigenes Projekt begonnen, und zwar hat er eine christliche Schule mitten in den Slums gegründet mit nahezu ehrenamtlichen Lehrern, die die Kinder auf Grundlage des Evangeliums erzogen und unterrichteten. Er zeigte uns am Nachmittag die Schule, die sogar einen Schulhof und 6 Toilettenräume hatte. Wir waren sehr beeindruckt. Möge der HErr dem Bruder Galo Gelingen schenken bei seinen Bemühungen in seinem Dienst für den HErrn!

Unter Wölfen

Nachdem wir am Abend des 29.01. wieder in Lima ankamen, fuhr ich am nächsten Tag mittags wieder ins Stadtzentrum, denn ich hatte mich ja vor zwei Wochen mit Leonardo auf dem Plaza de San Martin verabredet, um wieder gegenseitig über die Glaubwürdigkeit der Bibel zu debattieren. Als ich um ca. 15.00 Uhr ankam, war Leonardo nicht da. Da wir keine Uhrzeit vereinbart hatten, wusste ich nicht, ob er schon da WAR oder noch kommen würde. Ich ging jedenfalls an die selbe Stelle wie letztes Mal und begann, das Evangelium zu predigen. Etwa 6 Leute hörten mir zu, von denen zwei mir Fragen stellten und offensichtlich Christen waren. Allmählich kamen immer mehr Leute hinzu, so dass es am Ende etwa 80 Menschen waren, die zuhörten. Doch auf einmal waren Leonardos Leute angekommen und bauten genau hinter mir ihre Lautsprecher und Verstärker auf und breiteten auf dem Boden ein riesiges Plakat aus, auf dem sämtliche Politiker Perus mit Gefängniskleidung und hinter Gitterstäben abgebildet waren. Auf ihren Flaggen stand „AGORA“, vermutlich der Name ihrer Organisation. Sie begrüßten mich, baten mich aber, nun aufzuhören, weil sie hier eine Kundgebung abhalten würden. Ich wies sie daraufhin, dass ich doch zuerst hier war und sie doch auch woanders hingehen könnten. Außerdem hatten wir doch für heute eine öffentliche Debatte geplant, was er scheinbar vergessen hatte. Er erklärte mir, dass gleich eine Großdemo im Stadtzentrum beginnen würde und er die Eröffnungsrede halten müsse. Er bot mir aber an, ich solle in 20 Minuten wiederkommen, wenn er seine Rede gehalten habe, und dass im Anschluss, wenn der Demonstrationszug losmarschiert sei, er mit mir den öffentlichen Disput führen könne.

Ich ging mit Ruth in die Fußgängerzone, aber sie wollte mit mir nach Hause. Ich erklärte ihr, dass ich die Gelegenheit mit Leonardo nutzen müsse und ich ihm trotz seiner Nachlässigkeit eine Chance geben müsse. Plötzlich sprach uns ein junger Mann an von denen, die mir zuvor zugehört hatten. Er sagte: „Entschuldigen Sie. Ich arbeite als verdeckter Ermittler für den peruanischen Verfassungsschutz und bin heute wegen dieser Demonstranten gekommen, um Informationen zu sammeln. Ich bin aber auch Christ und möchte Sie deshalb vor diesen Leuten warnen. Die wollen nur die Unzufriedenheit in der Bevölkerung ausnutzen, um eine Revolte gegen die Politiker aller Parteien anzuschüren. Die geben sich als Nationalisten aus, sind aber in Wirklichkeit Linksradikale. Seit der Zerschlagung des maoistischen Sendero Luminoso [„Leuchtender Pfad“] in den 90er Jahren sind viele der damaligen Terroristen inzwischen wieder aus dem Gefängnis entlassen und versuchen im Dunstkreis der linken Szene eine neue Generation von Anhängern zu rekrutieren. Sie sollten sich keine Illusionen machen, denn die wollen Sie nur für ihre Zwecke instrumentalisieren und werden Ihnen ohnehin keine Möglichkeit geben, das Evangelium zu predigen. Warum sollten sie das auch!“ Ich war sehr überrascht über seine Worte und versicherte ihm, dass ich mit Gottes Hilfe den Glauben verteidigen würde und auch mein Wort halten müsse. Wenn er mich nicht reden lassen würde, könne ich ja immer noch gehen.

Als die 20 Minuten um waren, ging ich wieder auf den Platz. Leonardo schrie Parolen und die Menge wiederholten sie stumpfsinnig. Wie damals in Ephesus wussten die meisten auch hier nicht, warum sie eigentlich zusammengekommen waren. Der Demonstrationszug setzte sich in Gang und Leonardo blieb mit einigen seiner Leute zurück. Als er mich sah, rief er mich nach vorne und erklärte den Zuschauern, dass es nun ein öffentliches „Duell“ geben würde über die Bibel. Jeder von uns habe in den nächsten anderthalb Stunden abwechselnd jeweils immer wieder genau 5 Minuten Redezeit (ein „Schiedsrichter“ würde uns stets nach 4 Minuten ein Zeichen geben, das wir nur noch eine Minute hätten). Im Anschluss können dann die Zuschauer Fragen stellen und selber auch Stellung beziehen. Ich durfte dann den Anfang machen und erklärte den Zuschauern die Heilsbotschaft des Kreuzes Christi. Leonardo erwiderte diese mit der Behauptung, dass Jesus gekommen sei, um die Reichen und Mächtigen zu vertreiben, diese sich aber bis heute erfolgreich schützen würden, indem sie Leute wie mich schicken, um das arme Volk auf ein besseres Leben nach dem Tod zu vertrösten.

Ich entgegnete ihm, dass ich von niemandem bezahlt sei, aber dass seine Worte sehr an Karl Marx erinnern, für den ja bekanntlich die Religion das „Opium des Volkes“ gewesen sei. Der Marxismus aber habe der Welt bisher nur Leid und Elend gebracht und sei schuld an Millionen von Toten auf der ganzen Erde, auch gerade hier in Peru durch den Terror des Sendero Luminoso in den 80ern. Deshalb würde das Volk inzwischen mehrheitlich zurecht den Marxismus ablehnen, weil der Mensch einfach nicht in der Lage sei, seinen Besitz freiwillig mit seinem Nächsten zu teilen. Das Grundübel sei eben die Bosheit, die in jedem Menschen von Jugend an stecke. Er warf mir vor, dass er nie behauptet habe, Marxist zu sein, dass aber doch Marx gar nicht so falsch lag mit seiner Forderung: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ Darauf gab es viel Applaus von der Menge, die inzwischen auf etwa 200 Leute angestiegen war. Ich bezeugte ihnen, dass eine Vereinigung der Massen gegen Gott auch schon der Satan versucht habe und damit kläglich gescheitert sei, dass aber Gott selbst am Ende eine gerechte Welt schaffen würde durch Jesus Christus, der bald wiederkäme, um die Welt zu richten. Daraufhin erklärte Leonardo, dass schon im Garten Eden nachweislich die „Verdummung“ der einfachen Leute durch die Mächtigen begonnen habe. „Denn warum sonst“ so Leonardo „solle Gott angeblich nicht gewollt haben, dass die ersten Menschen vom Baum der Erkenntnis essen sollten?!“ Ich erklärte der Menge, dass es Gott hier nicht um allgemeine Erkenntnis ging, sondern nur speziell um die „Erkenntnis von Gut und Böse“, denn erst dadurch, dass der Mensch den Willen Gottes kennt, wird er auch schuldig vor Gott, und nur das wollte Gott dem Menschen ersparen.

Darauf stand ein dicker Mann auf von den Leuten Leonardos und hielt wütend eine Rede über die angebliche „Verantwortungslosigkeit“ und „Dummheit Gottes“, dass er doch hätte ahnen müssen, dass er seine ersten Geschöpfe ins offene Messer laufen ließe, indem er keine Rücksicht nahm auf ihre Arglosigkeit, sondern ihnen ein Verbot auferlegte, dass ihre Neugier doch erst recht hervorlockte. Zudem konnten sie doch auch die Konsequenzen noch gar nicht abschätzen, da sie gar nicht wussten, was der Tod eigentlich bedeute. Die Menge applaudierte ihm und war gespannt darauf, was ich entgegnen würde. Ich gab zunächst mal ein kurzes Zeugnis von meinem eigenen Werdegang und dass es auch bei mir einmal diese Zweifel an der Gerechtigkeit Gottes gegeben habe, bis mir Gott selbst vier Jahre zuvor begegnet sei und mir gezeigt habe, wie sich diese scheinbaren Widersprüche auflösen. Dass nämlich Gott den Menschen durch all diese Maßnahmen belehren und erziehen wollte, weil Er keine Marionetten wolle, sondern Wesen, die Ihn freiwillig und aus ganzem Herzen lieben sollten. Deshalb nahm Gott diesen Weg durch die Sünde in Kauf, habe aber selber auch sofort die Abhilfe angekündigt, indem Er die Erlösung des Menschen von der Schlange durch den Samen des Weibes verhieß (1.Mo.3:15). Leonardo sagte: „Immer wenn die Christen keine Argumente mehr haben, kommen sie mit einem ZEUGNIS, dass ihnen Gott angeblich selber erschienen sei!“ Dabei sei die Bibel ein durch und durch unmoralisches Buch, in welchem Väter ihre eigenen Kinder schwängern oder Gott den Befehl gäbe, ganze Völker auszurotten von den Kindern bis zu den Alten. Als dann ein alter Bruder aufstand, um seinen Worten entgegenzuhalten, sah ich die Gelegenheit gekommen, mich zu verabschieden, da auch Ruth schon ungeduldig auf mich wartete.

Der Tempelraub

Ruth und ich überlegten, ob wir nicht die letzten Tage, die ich noch in Peru war, nutzen sollten, um die Wohnung endlich einmal von Grund auf zu renovieren. Ich hatte noch rund 1.000 Euro und eine Woche Zeit. Also bestellten wir einen Fliesenleger, der uns den Boden in Ordnung machen sollte, während ich die gesamte alte Leimfarbe von den Wänden entfernte, damit der Schimmel wegginge und der neue Anstrich überhaupt haften konnte. Und bei dieser Gelegenheit sollten wir auch mal ein größeres Bett für uns kaufen, denn wenn wir weiterhin zu zweit in einem 1-Personen-Bett schlafen, das zudem nur 1,70 lang ist, ist das auf Dauer nicht gerade angenehm, besonders wenn man 1,94 m lang ist. Nachdem ich die Türen und Rahmen herausgerissen hatte, stellte ich sie zusammen mit den uralten Möbeln in den Hof vor unserer Wohnung. Doch obwohl diese voller Mottenfraß waren, wollten einige Nachbarn sie noch haben. Als die Woche rum war, bin ich gerade fertig geworden mit der Arbeit. Ruth wollte noch ein paar Wochen länger in Peru bleiben, weshalb ich schon am 08.02. zurück nach Deutschland fuhr.

Als ich in Bremen ankam, machte ich eine schlimme Entdeckung: nicht nur mein Handy war gestohlen, sondern auch mein Portemonnaie war nicht mehr aufzufinden, in welchem meine EC-Karte, mein Perso und mein Führerschein war! Ich hatte es zwar zuhause gelassen, aber versehentlich so gut versteckt, dass ich es nun selbst nicht mehr finden konnte. Ich suchte überall, aber fand es nirgends. Dann betete ich und bat den HErrn, dass Er mir doch zeigen möge, wo ich das Portemonnaie versteckt hatte. Mitten in der Nacht wachte ich plötzlich auf und dachte an die Erlebnisse auf der Reise. Speziell an ein ganz bestimmtes Ereignis wurde ich nun erinnert, und zwar als ich in jener Höhle war in Ecuador, wo die Indios ihren Göttern zwei Altäre gemacht hatten mit Opfergaben. Unter diesen war eine große Meeresschnecke, die mir gefiel und die ich heimlich mitnahm als Souvenir. Ich dachte mir, dass ein Götzenopfer ja nach der Schrift keine Bedeutung habe, da ein Götze nichtig ist. Doch plötzlich erschrak ich, als der Heilige Geist mich auf einmal an eine Bibelstelle erinnerte: „Der du Götzenbilder für Gräuel hältst, du begehst Tempelraub?“ (Röm.2:22). Sofort sprang ich auf und ging auf meine Knie, um Gott um Vergebung zu bitten. Dann nahm ich jene Meeresschnecke und zertrümmerte sie mit einem Hammer, bevor ich sie mitten in der Nacht in den Müll warf. Danach konnte ich wieder gut einschlafen. Am nächsten Morgen entdeckte ich wie durch Zufall mein Portemonnaie, das aus einer Ablage auf meinem Schreibtisch herausfiel. Da dankte ich dem HErrn.

 

 

 

– „Such, wer da will, ein ander Ziel“ Teil 9

 

Februar bis Juni 2018

Du wirst mit dieser Lehre einer der größten Verderber der Gläubigen

Als ich aus Peru zurückgekommen war, fand ich wie gewöhnlich eine Menge Post vor, die mein Bruder Marcus während meiner Abwesenheit regelmäßig aus dem Briefkasten geholt hatte. Nachdem ich die geschäftliche Post aussortiert und beantwortet hatte, machte ich mich an die privaten Briefe, von denen vor allem jene von Bruder Bernd und Bruder Friedemann mich ziemlich schockierten. In beiden ging es um die Frage, ob es für das Verbot der Wiederheirat Ausnahmen in der Schrift gibt oder nicht. Ich hatte ja drei Monate vorher meinen Standpunkt in dieser Frage geändert, indem ich zuvor der Überzeugung war, dass ein unschuldig Geschiedener wieder heiraten dürfe aufgrund von 1.Kor.7:27-28, wo es wörtlich heißt: „Bist du an eine Frau gebunden, so suche nicht, sie los zu werden; bist du gelöst worden* von einer Frau, so suche keine Frau! Wenn du aber doch heiratest, so sündigst du nicht; und wenn die Jungfrau heiratet, so sündigt sie nicht; aber solche werden Bedrängnis für das Fleisch haben; ich aber möchte euch schonen.“ Meine Argumentation war zunächst, dass ein Gelöstwerden nur eine Scheidung bedeuten könne. Denn wenn hier mit dem Gelöstwerden der Tod gemeint sei, dann hätte Paulus in Vers 27 die Verheirateten gebeten, dass sie ihre Frauen nicht umbringen sollten, was absurd wäre (*griech.: LÄLYSAI ist die Perfekt-Passiv-Form des Verbs LY’Oo = lösen).

Mir war aber durch Bruder Wolfgang Ruland aufgefallen, dass Paulus in Vers 39 nur den Tod eines Mannes als Möglichkeit nennt, wieder neu heiraten zu dürfen. Und auch Vers 11 ließ keinen Spielraum für eine Wiederheirat, sondern nennt nach einer Trennung nur die Möglichkeiten des Ledigbleibens oder der Versöhnung. Zu Vers 27 kam mir die Idee, dass auch durch eine Verlobung oder ein unverheiratetes Zusammenleben eine Bindung entsteht, die ja schließlich auch gelöst werden könnte. Nach einer ungewollten Verlobungsauflösung empfiehlt Paulus, nicht nach einer anderen Frau Ausschau zu halten, man sündige aber nicht, wenn man trotzdem heiratet. So machte alles Sinn und es gab für mich keinen Widerspruch mehr. Bernd hatte jedoch im Dezember in einem 15-seitigen Brief u.a. behauptet, dass mein Auslegungsvorschlag eine „Wunschkonstruktion“ sei, die zwar „in die eingeschlagene Auslegungsrichtung passen und diese bestätigen“ würde, aber außer Acht ließe, dass es hier generell um die Frage ginge, „ob Männer die … nicht an eine Frau gebunden sind, die Ehelosigkeit anstreben sollten“.

Des Weiteren hatte Bernd die Bedeutung eines Scheidebriefes gemäß 5.Mose 24:1-4 hervorgehoben, durch welche eine Verstoßene, die darauf angewiesen war, durch einen neuen Ehemann versorgt zu werden, nachweisen konnte, dass sie rechtlich verbindlich geschieden wurde, damit der Ehemann sie später nicht zu Unrecht als Ehebrecherin verklagen konnte. Aber mal abgesehen davon, dass eine Frau heute selber arbeiten kann und nicht versorgt werden muss, widersprach diese Regelung der verschärften Auslegung des HErrn Jesus: Denn wer sich einer Entlassenen erbarmt, indem er sie heiratet, um sie zu versorgen, der würde ja nach Jesu Worten als Dank zum Ehebrecher. Und was war mit jungen Witwen, die keinen Mann mehr finden? Auch die mussten doch schließlich arbeiten, um zu überleben. Überhaupt leuchtete mir auch Bernds Argumentation nicht ein, dass man bei einem kategorischen Verbot der Wiederheirat die Gläubigen zur Hurerei verleiten würde, da man die menschliche Schwäche ja dann auf alle Gebote Gottes anwenden könnte, um diese nicht einhalten zu brauchen. Schließlich müssten ja sogar nach Bernds Auffassung schuldhaft Geschiedene ehelos bleiben, obwohl sie keine Gabe dazu hatten.

Bruder Friedemann wollte sich an dieser Debatte nicht beteiligen, zumal er aufgrund seiner Ehe mit einer ungewollt Geschiedenen selber betroffen und sich für befangen erklärte. Bernd hingegen hatte in seinem neuen Brief nun zum Rundumschlag gegen mich ausgeholt, wobei er diesmal in völlig untypischer Weise auf biblische Begründungen verzichtete, sondern eine lange Anklageschrift gegen mich verfasst hatte, die aus lauter Vorwürfen bestand über alles Mögliche, was ihm in den letzten Jahren bei mir aufgefallen sei: „Ich denke inzwischen ähnlich wie Friedemann, dass Du in den 18 Jahren im Reich der Finsternis eher rückwärts als vorwärts gekommen bist und noch oder wieder ein Jungspross im Glauben bist, der in die Fangschlinge des Teufels gekommen ist.“ Über meine Überlegung, mit Ruth später mal nach Südamerika auszuwandern, schrieb er: „An die Schwachen, denen dieser Weg von vornherein verschlossen ist, denkst du dabei mit keiner Silbe. Damit hast Du die Liebe Gottes, die auch in Dein Herz ausgegossen wurde (Rö5,5), massiv verleugnet.“ Zu meiner Kritik an Friedemann, dass er einen Israel-Fetischismus betreibe und der Staat Israel heute noch nicht das Volk Gottes sei, sondern von Gott allen anderen gottlosen Staaten gleichgestellt sei, schrieb Bernd: „Dein noch verlorener Bruder Juda steht Deinem Herzen nicht näher als alle anderen Menschen. Zuvor sah ich nur, dass Du die judaisierenden Christen herzlos kritisierst …Obwohl Du 18 Jahre lang ein verlorener Sohn warst, ist Deine Haltung gegenüber Deinem noch verlorenen Bruder Juda die des daheim gebliebenen Bruders.“ Hier fragte ich mich: Seit wann ist Juda denn schon bekehrt?!

Meine aus seiner Sicht „rabiate“ und „undurchführbare“ Forderung, dass Geschiedene grundsätzlich zur Enthaltsamkeit verpflichtet sind, erinnerte ihn an den erbarmungslosen Rigorismus von Daniel Werner, der sogar die Auflösung von zweiten Ehen verlangt hatte, selbst wenn aus dieser schon Kinder hervor gegangen waren: „Merkst Du nicht, dass Du damit die Liebe zu den Mitchristen völlig aufgegeben hast? Merkst Du nicht, dass Du mit dieser Lehre einer der größten Verderber der Gläubigen und Schänder des Evangeliums wirst?“ Meine Gemeinschaft mit Bruder Wolfgang Ruland bezeichnete er als „geistliche Hurerei“: „Du hättest ebenso mit dem Teufel darüber diskutieren können … Wie fast immer bei Irrlehrern bist auch Du anscheinend verliebt in deine Wiederheiratslehre, und der andersartige Geist drängt dich, sie möglichst schnell unter die Leute zu bringen“. Und als ob dies alles noch nicht genug sei, toppte Bernd sein Urteil über mich noch damit, dass er mich mit dem Teufel verglich, der – so wie ich mit meiner hohen Begabung und meinem großen Freundeskreis – sich überhob „infolge des Vielseins seines Handels“ (Hes. 28:16). Zum Schluss zitierte er noch kommentarlos Gottes Vorwurf in Jer.3:13, dass Israel mit Seinem „Gott gebrochen“ habe und „unter jedem grünen Baum zu den fremden Göttern hin und hergelaufen“ sei.

Nun war ich wirklich geplättet und fassungslos. Denn Bernd war ja nicht nur irgendein Bruder für mich, sondern mein Lehrer, den ich immer wie einen Vater verehrte. Das meiste, was ich bisher gelernt hatte, hatte ich ja von ihm gelernt. Und jetzt schreibt er mir auf einmal so viele schwerwiegende  Vorwürfe, die so ziemlich allem widersprechen, was er selbst mir in den letzten Jahren beigebracht hatte. Zum Beispiel sagte er immer, dass man vor jeder Kritik einem Bruder erstmal seine Wertschätzung zum Ausdruck bringen sollte, damit er die Kritik auch verkraften kann. Dann lehrte er mich, dass Kritik niemals grausam und lieblos sein dürfe, sondern nach 1.Kor.13:4 „milde“, wörtlich sogar „gebrauchsfähig“, d.h. so zugeschnitten, dass jemand nicht daran erstickt, sondern sie noch runterschlucken kann. In einem Brief schrieb er mir mal selbst: „Bei dem Trümmerfeld an zerbrochenen Beziehungen unter Brüdern heute, sollten wir einander höher achten als uns selbst, anstatt übereinander leichtfertige und sehr oft unberechtigte Urteile zu fällen.“ Und warum hielt Bernd sich jetzt nicht selber daran?

Und dann hatte ich immer wieder von Bernd gelernt, dass man nach 1.Kor.4:5 niemals die Gesinnung und die Motive eines Menschen verurteilen darf, sondern nur seine sichtbaren Taten. Vor allem sollen wir nie ein „Totalverwerfungsurteil“ über einen Bruder aussprechen gemäß Mat.5:22, so wie Bernd es jetzt selbst tat gegen Wolfgang, den er dem Teufel gleichsetzte. Merkte Bernd denn nicht, dass er sich dadurch selbst verurteilt hatte (Mat.7:1-2, Röm.2:1-4)? War das etwa kein Brudermord, den Bernd hier an einen unbescholtenen Bruder begangen hatte (1.Joh.3:15)? Bernd schrieb mir mal in Bezug auf einen anderen Bruder namens Elmar, der mir ständig unterstellte, dass ich noch gar nicht errettet sei, ohne Gründe dafür zu nennen: „Wo kein ausdrückliches Gebot Gottes verletzt wurde, gilt das allgemeine Richtverbot“. Aber gegen welches Gebot hatte Wolfgang verstoßen, dass er ihn einfach als „Gesetzlosen“ verunglimpfte? Nur weil er in Auslegungsfragen eine andere Bibelauslegung hatte als Bernd und es ihm gelungen war, mich zu überzeugen, konnte Bernd uns hier doch nicht einfach „geistliche Hurerei“ vorwerfen. Soll die Weisheit Gottes nach Jak.3:17 nicht immer bereitwillig sein, sich überzeugen zu lassen?

Bernd hatte sich verrannt – das stand für mich fest. Und es sollte nicht der einzige Zankapfel sein, der in den nächsten Jahren unsere Freundschaft zueinander auf die Probe stellen sollte. Aber die Chancen zu einer Versöhnung standen gut, denn wir wollten ja beide den Frieden. Aber es sollte noch ein ganzes Jahr dauern, bis wir endlich zu einem Kompromiss fanden in der Frage der Wiederheirat, indem wir uns in der Mitte trafen. Um einmal sämtliche Streitpunkte gemeinsam auszuräumen nach dem Vorbild von Apg. 15, verabredete ich mich für Ende März mit Friedemann bei Bernd in Ludwigsstadt, um übers Wochenende unser eigenes, kleines „Konzil“ abzuhalten. Dieses hatte jedoch am Ende noch nicht die erhoffte Übereinstimmung gebracht, aber immerhin die Einsicht, dass wir schon relativ nah beieinander liegen.


Ruth ist schon wieder in Todesgefahr

Ruths Rückflug nach Deutschland sollte diesmal erst zwei Wochen nach meiner Rückkehr erfolgen. Doch kurz vor ihrer Rückreise rief sie mich morgens um 4:00 Uhr aus Peru an und berichtete mir, dass sie zehn Stunden zuvor wegen starker Bauchschmerzen ins Krankenhaus musste und man bei ihr einen schweren Darmverschluss festgestellt habe. Da ihre Darmperistaltik schon seit mehr als 24 Stunden nicht mehr funktionierte, hatte man sie gewarnt, dass nach spätestens 48 Stunden die Darmwand platzen und es zu einer lebensbedrohlichen Blutvergiftung kommen würde. Man hatte ihr bereits jede Menge Medikamente und Abführmittel verabreicht und ihren Darm den ganzen Tag mehrfach mit Ultraschall beobachtet, aber der Darm reagierte nicht. Ruth war wegen ihrer Blinddarm-OP im Vorjahr ohnehin eine Risikopatientin und hatte schon häufig Probleme mit Verstopfung, weil sie so viele Schmerzmittel nahm, die unter anderem auch die Darmbeweglichkeit verlangsamten. Aber diesmal war der Darm völlig gelähmt und die Ärzte sahen jetzt nur noch den Ausweg durch eine OP. Diese würde allerdings 25.000 Soles kosten, umgerechnet etwa 7.700,- Euro, und so viel Geld hatten wir gerade gar nicht. Ich versprach, dass ich mit Gottes Hilfe das Geld schon noch irgendwie auftreiben würde, aber Ruth sagte: „Lass mal, Simon, ich will auf Gott vertrauen, dass Er wieder ein Wunder tut so wie letztes Jahr, als ich im letzten Moment am Blinddarm operiert wurde. Aber ist das nicht merkwürdig, dass ich jetzt schon das dritte Mal in Todesgefahr bin? Denn schon vor zwei Jahren hatte der HErr mich ja bei diesem Unfall auf der Autobahn gerettet. Mir scheint, als würde ein Todesengel ständig versuchen, mir das Leben zu nehmen…“

Inzwischen war es in Lima 22:30 Uhr, und Ruth entschied sich gegen den ausdrücklichen Rat der Ärzte dafür, das Krankenhaus zu verlassen. Sie ging durch die menschenleere Straße der Avenida Arequipa und weinte, wobei sie ununterbrochen betete. Sie fragte Gott, warum Er dies zugelassen habe und was Er ihr damit sagen wolle. Sie erklärte sich einverstanden, wenn Gott sie jetzt in die Ewigkeit abberufen würde, fürchtete sich jedoch, noch nicht ausreichend zubereitet zu sein. Aber hatte sie sich wegen ihrer ständigen Schmerzen durch die Fibromyalgie nicht schon immer gewünscht, dass der HErr sie abberufen möge? Vielleicht hatte Gott jetzt dem Teufel erlaubt, sie zu töten, damit sie von ihrem Leidensjoch erlöst werde? Während sie so darüber grübelte, gelangte sie an die Straßenkreuzung der Calle Emilio Althaus, und da fiel ihr ein, dass hier ja ihr Tierarztkollege und Glaubensbruder Francisco Lopez wohnte. Sie ging zu dem Haus und klopfte an die Tür. Da machte ihr Franciscos Frau Rocio die Tür auf und sagte, dass Francisco noch mal zu einem Hausbesuch unterwegs sei, aber gleich wiederkommen würde. Als Francisco dann kam, erzählte Ruth den beiden von ihrer Not, und Francisco entschied, dass sie gemeinsam für Ruth beten sollten. Er holte auch die Flasche Öl aus der Küche, um Ruth zu salben im Namen des HErrn. Dann legte das Ehepaar Ruth die Hände auf und beteten gemeinsam für ihre Heilung.

Als alle das Amen gesprochen hatten und von den Knien aufstanden, ging Francisco zum Telefon, um einen befreundeten Arzt um Rat zu fragen. Doch in dem Moment spürte Ruth ein leichtes Grummeln im Bauch und sie erbat, auf Toilette zu gehen. Und plötzlich geschah das Wunder, dass Ruth nach tagelanger Verstopfung ein kleines „Ei“ legte. Dann wurde es immer mehr, so dass feststand, dass ihr Darm wieder in Bewegung geraten war. Freudestrahlend kam Ruth aus der Toilette und berichtete es den beiden. Da gingen sie wieder auf die Knie und dankten Gott für dieses Heilungswunder.


Der iranische Mitarbeiter

Mitte Februar ging es wieder los mit meiner Firma. Neben meinem Gesellen Peter und meinen Lehrlingen Lukas und Basamba, stellte ich auch Mohammed, meinen früheren Lehrling, als Malerhelfer ein, nachdem er die Lehre aufgrund seiner Sprachdefizite abgebrochen hatte. Mohammed hatte mich gebeten, ob ich auch noch seinen marokkanischen Landsmann Najib einstellen könnte, was ich dann auch tat. Auf einmal meldete sich mein ehemaliger Lehrling Simeon bei mir, der im Sommer 2017 seine Lehre wegen einer Alkoholtherapie unterbrochen hatte. Er sagte, dass er jetzt ein halbes Jahr lang in einer christlichen Gefährdetenhilfe in Cloppenburg untergebracht war, die von russlanddeutschen Pfingstlern geleitet wurde und wo er auch das Schweißen gelernt habe. Er sei jetzt völlig geheilt von der Alkoholsucht und voller Tatendrang, um seine Lehre bei mir fortzusetzen. Ich vereinbarte mit ihm, dass er bis zum Beginn des dritten Lehrjahrs erstmal nur als Geringfügig Beschäftigter bei mir arbeiten sollte, damit er nicht gleich wieder überfordert wird. Als er den Arbeitsvertrag unterschrieben hatte und wir uns verabschieden wollten, sagte mir Simeon lächelnd: „Ich habe jetzt übrigens die Geistestaufe empfangen und kann in Zungen beten!“ Ich lächelte ihn an und sagte: „Das freut mich für Dich.“

An einem Abend rief mich der Pastor der iranischen Gemeinde in Bremen namens Ahmet an, in dessen Gemeinde ich im Jahr zuvor auch mal predigen durfte. Er erzählte mir, dass sein Schwiegersohn Mazyar mit seiner ganzen Familie nach Deutschland gekommen und auf Arbeitssuche sei. Mazyar Tabari (45) sei nicht nur gläubig, sondern auch Firmenchef eines Malereibetriebs auf Zypern gewesen, wo er die letzten Jahre gewohnt habe. Nun aber habe er durch eine Vision von Gott den Auftrag erhalten, die iranische Gemeinde in Bremen zu übernehmen und habe deshalb in den letzten Monaten Deutsch gelernt. Er müsse aber auch wieder als Maler arbeiten, um seine Familie zu ernähren. Als er hörte, dass ich auch gläubig sei, wollte er unbedingt bei mir anfangen, um auch geistliche Gemeinschaft miteinander zu haben. Ich sagte, dass ich ihn erstmal persönlich kennenlernen würde und Ahmet lud mich ein, am nächsten Tag mich mit Mazyar in Ahmets Wohnung zu treffen, wo sie alle untergebracht waren.

Als ich Ahmets Wohnung am nächsten Tag betrat, kamen mir alle fröhlich lächelnd entgegen mit einer überschwänglichen Herzlichkeit. Sie führten mich an einen reich gedeckten Tisch, an den alle Platz nahmen. Eigentlich war ich gar nicht darauf eingestellt, jetzt etwas zu essen, aber aus Höflichkeit wollte ich nicht Nein sagen. Nachdem wir gebetet hatten, bat ich Mazyar, doch mal zu erzählen, wie er zum Glauben kam. Er sagte, dass er bis vor 13 Jahren Muslim war und mit seiner Familie auf Zypern wohnte, nachdem sie 1979 aus dem Iran ausgewandert waren. Schon damals lebte er zusammen mit seinen Schwiegereltern Ahmet und Sofia in einem großen schönen Haus. Er litt damals ständig unter starken Rückenschmerzen und hatte immer häufiger Probleme, seine Arbeit zu verrichten. Eines Nachts hatte Sofia einen Traum. Sie träumte, dass ein Engel zu ihr sagte: „Es wird ein Mann in die Stadt kommen. Alles, was er euch sagen wird, sollt ihr tun.“ Sie war darüber aufgebracht und erzählte es ihrem Mann. Am nächsten Tag las ihre Tochter auf einem Plakat, dass am Wochenende ein „Heilungs-Gottesdienst“ in einer Freikirche stattfinden würde. Sie nahm das Plakat mit und zeigte es ihrer Mutter: „Mama, schau mal, da kommt ein Heiler in unsere Stadt. Das wäre doch eine Gelegenheit, dass ich mit Mazyar dort hingehe, damit er von seinen Rückenschmerzen geheilt werde!“ Die Mutter war skeptisch: „Das findet ja in einer christlichen Gemeinde statt. Da können wir aber nicht hingehen, denn wir sind Moslems und das sind Christen.“ Doch in jener Nacht erschien ihm wieder der Engel und sagte: „Höre auf deine Tochter und gehe mit deiner Familie dorthin in diesen Gottesdienst!“ Das erzählte sie am nächsten Tag ihrer Familie, und sie gingen an Wochenende zu dieser Veranstaltung zusammen mit Mazyar.

Doch als der Prediger aus den USA am Ende des Gottesdienstes dazu aufrief, dass alle nach vorne kommen sollen, die ihr Leben dem HErrn übergeben und von ihren Krankheiten geheilt werden wollten, weigerte sich Mazyar, nach vorne zu gehen und flüsterte seiner Frau zu: „Ich werde erst dann Christ, wenn ich vorher geheilt werde. Sonst nicht!“ Doch in jener Nacht erschien auf einmal Mazyar der Engel im Traum und sagte: „Du wirst erst geheilt werden, wenn du Christus als HErrn annehmen wirst.“ Daraufhin ging er am nächsten Tag wieder in den Abendgottesdient, nahm den HErrn an und wurde ein für alle Mal von seinen Rückenschmerzen geheilt. In der Folge kam dann auch seine ganze Familie zum Glauben.

Ich war sehr angetan von dem Zeugnis von Mazyar und deutete dies so, dass Gott offensichtlich bei den Muslimen viel häufiger durch Träume redet, wie es in Hiob 33 heißt. Mazyar erzählte mir noch, dass er eigentlich Reza heißt, aber er diesen Namen nicht mehr tragen wollte, weil dies ein muslimischer Name sei, während Mazyar der Name eines iranischen Nationalhelden ist, der die Araber bekämpft hatte und durch Verrat starb. Wir vereinbarten, dass ich ihn im März einstellen würde, sobald ich genug Aufträge hätte. Zudem luden wir seine Familie auch ein paar Wochen später bei uns zum Essen ein.

Drei Monate später bekam ich einen Auftrag von einer iranischen Großfamilie in Bremen-Borgfeld, und da passte es gut, dass ich vor allem Mazyar dort arbeiten ließ. Doch als ich nach einer Woche auf die Baustelle kam, sagte mir Mazyar: „Simon, heute morgen ist etwas vorgefallen: Ich kam auf die Baustelle und erzählte der 35-jährigen Tochter der Familie, dass ich jetzt Christ sei. Daraufhin erzählte sie es ihrer Mutter, und sie kam wütend zu mir und sagte, dass ich die Baustelle sofort verlassen solle, da sie keinen Verräter des Propheten in ihrem Haus haben wolle. Ich bat sie, dass sie mich doch wenigstens noch heute hier arbeiten lassen möge und sie willigte ein. Aber morgen musst du mich woanders hinschicken, denn ich darf hier nicht mehr arbeiten.“ Ich war schockiert über diese Nachricht und sagte sofort: „Das ist ja ungeheuerlich, was die da mit Dir machen! Da muss ich unbedingt mal mit denen reden, denn wir haben in Deutschland schließlich Religionsfreiheit.“ – „Nein, lass mal,“ sagte Mazyar, „für mich ist das kein Problem. Die Familie ist halt streng muslimisch, und da kann ich das schon verstehen. Behalt das einfach für Dich und schick morgen den Peter vorbei, um hier die Restarbeiten zu machen.“ Ich sagte: „Ach, Du Armer, Maziar, das tut mir ja so leid für Dich! Da leidest Du ja schon wirklich um des HErrn willen und nimmst es mit so viel Demut an! Möge der HErr Dir viel Kraft schenken und Dich segnen!

Dann schickte ich Mazyar auf Peters Baustelle und machte die Arbeiten im Hause selber weiter. Zu Feierabend kam die alte Mutter und die Tochter zu mir und lobten meine Arbeit. Da konnte ich es mir nicht verkneifen, ihnen in aller Höflichkeit zu sagen: „Ich war heute Vormittag ehrlich gesagt etwas traurig darüber, dass Sie meinen Mitarbeiter wegen seiner Konversion zum Christentum des Hauses verweisen wollten. Denn nach meiner Auffassung…“ Da unterbrachen mich beide: „Waaas?! Was erzählen Sie denn da! Das stimmt doch überhaupt nicht! Hat ihnen das etwa der Mazyar erzählt?“ – „Ja. Stimmt es etwa nicht?“ – „Nein, ganz und gar nicht!“ sagte die Mutter, „denn wir sind überhaupt nicht religiös! Mein Mann ist katholisch und unser Freundeskreis hier sind alles evangelische Christen.“ – „Aber warum hat er das dann behauptet?“ fragte ich entgeistert. „Ich weiß warum,“ sagte die Tochter; „Es war nämlich so: als er heute morgen kam, ging ich mit ihm durch das Haus und zeigte ihm Mängel an, wo er noch einmal nacharbeiten müsse. Er war jedoch sehr unwillig darüber und sagte zu mir auf Farsi: ‚Weißt du eigentlich, dass du im Iran als Frau gar nicht das Recht hättest, mich als Mann zu tadeln?‘ Da sagte ich zu ihm: ‚Das interessiert mich überhaupt nicht, was man im Iran tut, denn ich bin in Deutschland geboren und halte mich an die Deutsche Kultur. Außerdem habe ich Ihnen nicht erlaubt, mich zu duzen!‘“

Sie hatte es daraufhin ihrer Mutter erzählt, die daraufhin ins Haus ging und mit ihm schimpfte, dass er nicht mehr mit ihrer Tochter reden und erst recht nicht mit ihr flirten dürfe. „Er hat mit Ihnen geflirtet?“ fragte ich überrascht. „Nicht direkt. Aber er wollte sich ständig mit mir unterhalten und protzte mit seinem Reichtum, dass er ein Haus auf Zypern habe und darüber hinaus 200.000 Euro besitze. Er sagte: ‚Eigentlich bräuchte ich gar nicht für Simon arbeiten, sondern könnte mich sofort hier selbstständig machen. Warum erzählt er mir sowas?“  Ich dachte nur: Was für ein schlechtes Zeugnis und eine Schande für den Namen Christi, wenn wir Gläubigen – anstatt vom HErrn Jesus zu erzählen – mit unserem irdischen Reichtum prahlen! Und dann will er auch noch als Pastor arbeiten! Was will er seiner Gemeinde denn predigen, wenn er sich so verhält? Wenn er solche Lügen erzählt, muss er erstmal selber Buße tun.

Ich entschuldigte mich bei den Kunden für das Verhalten meines Mitarbeiters und verabschiedete mich in den Feierabend. Dann rief ich Mazyar an und fragte ihn, warum er mir solche Lügen erzählt und dafür auch noch den Namen des HErrn missbraucht hat. Er versuchte zuerst, sich rauszureden, aber dann gab er seine Lüge wenigstens zum Teil zu und entschuldigte sich bei mir. Ich ermahnte ihn, dass er vor allem Gott um Vergebung bitten müsse, weil er sogar in mehrfacher Hinsicht gesündigt habe, indem er den Namen des HErrn nicht nur missbraucht, sondern sogar in Verruf gebracht hatte. Dann fragte ich ihn: „Stimmt es, dass du 200.000 Euro angespart hast?“ Er sagte: „Simon, wenn ich so viel Geld hätte, dann würde ich doch nicht mehr bei dir als Maler arbeiten.“ – „Und warum erzählst du dann sowas gegenüber der Kundin?“ – „Das hab‘ ich nicht gesagt, da hat sie mich sicher falsch verstanden.“ Auf jeden Fall war das Vertrauensverhältnis zu Mazyar seither sehr erschüttert, und ich vereinbarte mit ihm, dass er nur noch bis Ende September bei mir arbeiten dürfe und sich dann unsere Wege trennen würden.

Weitere Abenteuer auf einer Deutschlandrundreise

Anfang Mai wollte ich anlässlich eines geplanten Besuchs bei einem Freund in Münster zum Katholischen Kirchentag eine weitere Besuchsreise durch Deutschland machen in der Woche davor. Also verabschiedete ich mich am Morgen des 03.05. von meiner Frau Ruth, nachdem wir zuvor zusammen gebetet hatten, und fuhr mit meinem 18 Jahre alten Malerauto, ein VW Polo, zunächst einmal 350 km zu Bruder Wolfgang Ruland nach Bad Hersfeld, der mir erzählt hatte, dass er einen Ohnmachtsanfall gehabt hatte und ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Was ich zu diesem Zeitpunkt nicht bemerkte, war, dass meine Vorderreifen jeweils von der hinteren Seite schon bis auf die Gewebeschicht runterradiert waren, da die Radspur und der Radsturz sich verzogen hatten. So fuhr ich also mit 140 km/h unter dem Schirm des Höchsten und kam gegen Mittag wohlbehalten im Klinikum Bad Hersfeld an, wo ich Bruder Wolfgang im Rollstuhl antraf. Wir zogen uns in die Krankenhauskapelle zurück zum Beten, und er berichtete mir über seinen Gesundheitszustand. Wohl infolge seiner asketischen Ernährung, die hauptsächlich nur aus Brot und Wasser bestand, hatte er einen Liter Flüssigkeit in die Lunge bekommen (Lungenödem) und war eine Woche zuvor von Geschwistern ins Krankenhaus gebracht worden. Wir beteten gemeinsam, und nach etwa 1 ½ Stunden verabschiedete ich mich, um weiter nach Ludwigsstadt (Bayern) zu fahren, wo ich um 18:00 Uhr von den Geschwistern Bernd und Brigitte erwartet wurde.

Doch schon kurz nachdem ich aus Bad Hersfeld herausfuhr, platzte einer meiner Vorderreifen. Zum Glück hatte ich einen Notreifen dabei, mit dem ich zum nächstgelegenen Reifenhändler fuhr. Erst gegen 17:00 Uhr hatte ich dann vorne zwei neue Reifen, so dass sich meine Weiterreise entsprechend verzögerte. Um pünktlich um 20:00 Uhr zur Bibelstunde zu kommen, fuhr ich gleich zu Bernds Schwestern nach Lichtentanne (Thüringen), wo etwa 7 Geschwister auf mich warteten. Am Samstag fuhren Bernd und ich dann nach Saalfeld zum Evangelisieren. Zu diesem Zweck hatte ich mir ein Brustschild mit Vorder- und Hinteransicht aus 6 Platten mit evangelistischen Bibelversen umgehängt, so dass die Leute schon von weit her sehen konnten, was wir verteilen. Doch schon nach etwa einer halben Stunde kam ein Mann vom Ordnungsamt und teilte uns mit, dass es angeblich nicht erlaubt sei, Passanten durch Traktate und Ansprachen zu „belästigen“. Dies fiel uns schwer zu glauben, denn nach Artikel 5 unseres Grundgesetzes hat jeder Deutsche das Recht, „seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten“. Bernd versicherte ihm, dass wir nur Zettel verteilen und dies auch nur zeitlich begrenzt, so dass er es uns schließlich erlaubte. Als Bernd dann später einen jungen Passanten fragte, ob er ihm ein Traktat geben dürfe, herrschte dieser ihn an: „Wer hat ihnen erlaubt, mich anzusprechen?!“ Was für ein antichristlicher Geist! Dabei hat er sich doch auch das gleiche Recht herausgenommen (Röm.2:1).

Montagvormittag brachte Bernd dann meinen Wagen zur Werkstatt, um die Spur zu korrigieren, während ich ihm bei seiner Internetseite half. Nach dem Mittag machte ich mich dann auf dem Weg nach Nürnberg, wo ich von Johannes und Ulrike Schabert erwartet wurde. Johannes ist in gewisser Weise auch ein relativ akribischer Schriftgelehrter, der überall im Haus unzählige Bücher zur Bibel hat. Er erklärte zum Beispiel, dass der Kirchenvater Eusebius aufgrund von Phil.4:3 davon ausging, dass Paulus am Ende seines Lebens angeblich doch noch mal geheiratet habe („…auch du, meine echte Jochgenossin,…), was aber wohl eher eine Missdeutung ist. Johannes hat auch eine sehr wertvolle Chronologie der Bibel geschrieben, die man gegen einen Selbstkostenpreis bei ihm beziehen kann. Er brachte mich auch auf die Idee, meine Artikel als Bücher in Rumänien drucken zu lassen, wie auch er es tat.

Dienstagvormittag machte ich mich früh auf in die Innenstadt von Fürth. Eigentlich wollte ich dort den Bruder Norbert Homuth (72) besuchen, mit dem ich schon lange befreundet war, aber er war noch nicht aufgestanden. Beim Verteilen von Traktaten trug ich wieder meinen Platten-Umwurf mit Bibelversen und hatte einige Gespräche mit Muslimen. Als ich gegen 11:00 Uhr wieder zum Auto ging, sprach mich eine gläubige Passantin an. Marie-Christine (35) war gerade erst gläubig geworden und hatte viele Fragen, weshalb ich sie mitnahm zu Bruder Norbert. Als ich ankam, fragte ich ihn, warum er zuletzt den Kontakt zu mir abgebrochen hatte und ob er gemäß Mt.5:23-24 etwas gegen mich habe. Er begründete seine Entscheidung damit, dass ich ihn schon zu oft kritisiert hatte und er der Meinung war, dass mir dies nicht zustünde, da ich ja erst vor 4 Jahren zum Glauben zurückgekehrt sei. Tatsächlich hatte ich ihn kritisiert, weil er u.a. behauptet hatte, dass jeder, der eine Internetseite betreibe, das Malzeichen des Tieres 666 = www angenommen habe. Als junger Bruder hätte ich mich erstmal zurückhalten müssen mit Kritik an einem Älteren. Ich gab ihm in diesem Punkt recht und wir versöhnten uns wieder.

Als ich wieder im Auto saß, erklärte ich Marie-Christine, dass ich eigentlich nun nach Augsburg fahren wolle, weil ich dort einen Bruder besuchen würde. Sie fragte mich, ob sie mitkommen dürfe, da sie ohnehin nichts vorhabe und gerne mehr über den Glauben erfahren wolle. Nachdem sie auch ihren Ehemann telefonisch um Erlaubnis gefragt hatte, fuhren wir los. Zunächst erzählte sie mir, dass sie als sog. „Aspergerin“ (Autistin) eine sehr schwere Kindheit gehabt hatte. Sie käme aus reichem Elternhaus, aber ihre Eltern haben ihr nur die materiellen Wünsche erfüllt, aber kaum Liebe gegeben. Ihre bisherigen Beziehungen waren Männer, die entweder drogenabhängig oder spielsüchtig waren und sie deshalb immer wieder seelisch und finanziell ausgebeutet haben. Vor einem halben Jahr hatten ihre Eltern sie deshalb vor die Tür gesetzt und wollten erst dann wieder etwas mit ihr zu tun haben, wenn sie selbst mal etwas erreicht habe im Leben. Infolge des totalen Bankrotts, den sie dann auf der Straße als Obdachlose erlebte, schrie sie eines Nachts auf den Knien zu Gott und nahm den HErrn Jesus im Glauben an.

Besonders erschrocken war ich über das, was mir Marie-Christine dann von ihrem Vater und ihrem Onkel erzählte, die beide Hochgradfreimaurer des Schottischen Ritus waren. Sie vermutete, dass sie Satanisten sind und besonders ihr Vater „ganz oben mitspielen“ würde, seine Aktivitäten jedoch vor der Familie verheimliche. Seit sie gläubig sei, würde ihr aber auf einmal nach und nach vieles klar. Ich erzählte ihr auch von meiner Vergangenheit und wie der HErr mir nach einer langen Zeit in der Finsternis noch einmal Gnade geschenkt hatte, indem Er mich 2014 wie einen Brandscheit aus dem Feuer geholt hatte, obwohl es kaum noch Hoffnung für mich gab (Sach.3:2). Ehe wir uns versahen, waren wir auf einmal  in Augsburg angekommen, wo Bruder Harald (60) gerade auf den Sprung war, eine Freundin zu besuchen, die ihn anrief, weil sie in großer Not war, da sie den Zug verpasst hatte, der sie nach Ingolstadt bringen sollte zu einem alles entscheidenden Gerichtstermin. Spontan entschied ich mich, mitzukommen.

Die verrückte Geschichte von Moni

Der HErr hatte Moni (28) vor 6 Jahren aus dem Drogenmilieu heraus errettet, und sie ging seither in eine charismatische Gemeinde, in die auch Harald geht. Sie ist die Tochter eines Rumäniendeutschen und einer Thailänderin. Da sie in den letzten zehn Jahren einen sehr ungestümen Lebenswandel geführt hatte mit verschiedenen Männern aus dem kriminellen Milieu, aus deren Beziehungen drei Kinder hervorgingen, hatte die buddhistische Mutter zuletzt das Sorgerecht für ihre 8-jährige Enkeltochter beantragt, da sie – wie sie sagte – diese für die Reinkarnation ihrer verstorbenen Schwester hielt. Vor dem Jugendamt gab sie hingegen als Begründung an, dass sie sich Sorgen mache, dass Moni als Mutter ungeeignet sei wegen ihrer Drogenvergangenheit, um die Kinder verantwortungsvoll zu erziehen. Moni wollte deshalb in der entscheidenden Verhandlung vor dem Familiengericht allen beweisen, dass ihr Glaube an den HErrn Jesus sie völlig verändert habe und sie nicht mehr so sei wie früher. Dies sollte zugleich die letzte Chance sein, um für ihre Tochter zu kämpfen, damit sie nicht der Oma zugesprochen und dadurch buddhistisch erzogen werden würde. Doch jetzt, wo sie den Zug verpasst hatte, war sie außer sich vor Sorge und Entsetzen.

Deshalb flehte mich Moni an, ob ich nicht sie und ihre dreijährige Tochter zum Familiengericht in das eine Stunde entfernte Neuburg bei Ingolstadt fahren könnte, damit sie noch eine Chance habe, einigermaßen pünktlich bei Gericht zu erscheinen. Ich hatte den Eindruck, dass der HErr dies so geführt hätte und willigte ein. So lud ich den Kinderwagen zunächst in den Kofferraum (zusammen mit meinen Malerutensilien) und ließ dann alle Platz nehmen in meinem farbverdreckten, alten VW Polo. Zuerst mussten wir nochmal kurz zu Moni fahren, um den Kindersitz rauszuholen, und dann gings los. Ich fragte Moni dann, wie sie zum Glauben an den HErrn Jesus gekommen sei, und sie erzählte uns dann eine Stunde lang ihre spannenden und zugleich haarsträubenden Erlebnisse mit Männern, die sie ständig nur geschlagen hatten. Einer ihrer drogenabhängigen Freunde hatte eines Tages, als er nach Haus kam, alle Türen und Fenster der Wohnung verschlossen, um sie unter dem Einfluss von Crystal-Meth mit dem Messer abzuschlachten. Er rannte auf sie zu, und sie flüchtete voll Panik durch die ganze Wohnung, um ihm zu entkommen. Doch dann stolperte sie, und er stürzte sich auf sie, wobei er zum Stich ausholte. In diesem Moment schrie Moni zum ersten Mal in ihrem Leben zum HErrn Jesus, dass Er sie jetzt in den Himmel aufnehmen möge. In dieser Sekunde hielt ihr Freund plötzlich inne und sagte: „Nein, diesen Gefallen tue ich dir nicht, du Schlampe!“ Dann schlug er sie noch, aber ließ am Ende von ihr ab. Das war Monis Bekehrungserlebnis.

Sie erzählte noch eine ganze Menge anderer Geschichten dieser Art in ihrer typischen Milieu-Sprache, so dass wir aus dem Staunen nicht mehr rauskamen. Doch als wir in Neuburg ankamen, mussten wir ganz schnell mit dem Kinderwagen um das Rathaus herumlaufen, denn wir waren schon 20 Minuten verspätet, und das Jugendamt befand sich auf der anderen Seite im Innenhof des Gebäudetraktes. Mit letzter Puste kamen wir im 2. Stock an, wo alle schon auf Moni warteten. Während wir draußen auf dem Flur blieben, ging es drinnen wohl heftig zur Sache. Erst nach 15 Minuten fiel Harald und mir ein, dass wir noch gar nicht für sie gebetet hatten. Wir gingen in einem leeren Warteraum auf die Knie und baten den HErrn, dass Er der Moni Weisheit geben möge, sich würdig zu verteidigen. Ich vertrieb mir danach die Zeit, indem ich mit den beiden Töchtern Lego spielte. Als Moni nach etwa einer halben Stunde Unterbrechung herauskam, erzählte sie uns, dass sie die Dezernentin vom Jugendamt scharf attackiert habe und ihr Parteilichkeit vorwarf, wobei sie leider auch persönlich wurde: „Haben Sie eigentlich eigene Kinder?!“ Wir ermahnten sie, demütig und höflich zu sein, damit der HErr ihr gnädig sein könne. Tatsächlich nahm die Verhandlung dann einen besseren Verlauf, wie Moni später sagte.

Nach etwa einer Stunde war alles vorbei. Wir gingen die Treppen runter und verabschiedeten uns von Marie-Christine, die ich beim Bahnhof rausließ, um nach Fürth zurückzufahren. Wir fuhren indes wieder zurück nach Augsburg, wo mich Harald und Moni zu ihrer Bibelstunde einluden. Zunächst lud Moni uns alle erstmal zum Essen ein in ein chinesisches Restaurant, da wir noch gar nicht zu Mittag gegessen hatten. In der Bibelstunde durfte ich dann eine Wortbetrachtung halten über die Wiederkunft des HErrn Jesus. Diese geriet zum Ende hin aber ziemlich aus den Fugen, da der unter ADHS-leidende Harald sich vehement gegen die Vorstellung zur Wehr setzte, dass wir Christen noch in die große Drangsal hineinkämen. Dabei ging es ihm weniger um biblische Gegenargumente, als vielmehr um die Angst, dieser Verfolgung und möglicher Folterungen selbst nicht gewachsen zu sein. Immer wieder betonte er, dass er keine Schmerzen ertragen könne und deshalb unter Foltererpressung sogar fähig sei, den HErrn zu verleugnen, und schon allein deshalb würde der HErr das nicht zulassen, dass er mit Folterqualen bedroht werde. Wir versuchten alle, ihn zu beruhigen und erinnerten ihn an die Verheißung, dass der HErr uns nie mehr auferlegen würde, als wir zu tragen überhaupt imstande sind (1.Kor.10:13). Doch Harald war regelrecht hysterisch geworden bei der Vorstellung, dass ein IS-Terrorist ihm mit stumpfer Klinge den Hals abschneiden könnte.

Am nächsten Morgen fühlte ich mich ziemlich müde und schlapp. Harald und ich beteten gemeinsam, aber auch nach dem Frühstück fehlte mir der Antrieb, um in die Fußgängerzone zu gehen, was ich eigentlich vorhatte. Mit Kreislaufproblemen habe ich sehr häufig zu kämpfen, aber nach ein wenig Ruhe geht es meist schon wieder. Harald erzählte mir vom Transhumanismus und künstlicher Intelligenz und wollte mir unbedingt diesbezüglich anbieten, gemeinsam einen Kinofilm auf DVD zu diesem Thema zu schauen, was wir dann auch taten. Doch ein plötzlicher Anruf von Bruder Hans-Udo (79) aus Hechingen machte mir bewusst, dass „die Philister über mir gekommen“ waren (Richt.16:20) und ich wurde schnell wieder nüchtern. Hans-Udo fragte mich, ob ich denn pünktlich wie vereinbart um 13:00 Uhr zum Mittagessen kommen würde, und ich stellte mit Erschrecken fest, dass es schon fast 13:00 Uhr war. Da es aber mindestens noch zwei Stunden bis nach Hechingen brauchen würde, kündigte ich meine Ankunft zum Kaffeetrinken an und machte mich schnurstracks auf den Weg.

„Ich glaube nicht an Sola Scriptura“

Nachdem ich dann später bei Kaffee und Kuchen mit Hans-Udo und Elsbeth geplaudert hatte, gingen wir rüber zu ihrer Tochter Esther ins Nachbarhaus, wo ich eine kleine Malerarbeit an der Kellertreppe erledigte und später noch eine Ausbesserung an der Fassade vom Hans-Udo. Am Abend redeten wir noch über den Kinderheim-Verein und die ehrenamtlichen Mitarbeiter in Pakistan und Rumänien, die dringend unsere Gebete benötigten, da der Feind gerade von allen Seiten angriff.

Am darauffolgenden Himmelfahrts-Donnerstag fuhr ich dann nach dem Frühstück ins sechs Stunden entfernte Münster, wo ich am Nachmittag von Tobias Hachmann (30) erwartet wurde, der mir eine Übernachtungsmöglichkeit in seiner kleinen Studentenwohnung im Stadtzentrum angeboten hatte. Tobias ist ein gläubiger Katholik, den ich durch Facebook kennengelernt hatte und der zur Legio Mariae gehört, einer katholischen Laienorganisation, vergleichbar mit der Heilsarmee. Da mir als Bremer die Katholiken ziemlich fremd sind, nahm ich den gerade begonnenen Katholikentag zum Anlass, dass mir Tobias mal den katholischen (Aber-)Glauben erklären könne. So gingen wir am Nachmittag zu den verschiedenen Veranstaltungsorten, wobei ich wieder meinen evangelistischen Umwurf anhatte, so dass ich gar keine Traktate mehr verteilen brauchte.

Parallel zum Kirchentag sollte diesmal auch ein sog. „Ketzertag“ sattfinden, d.h. eine Gegenveranstaltung der Freidenker und Atheisten, zu der ich unbedingt auch wollte. Tatsächlich fand dieses nur in einem kleinen Club in einer Nebenstraße statt. Vor der Tür standen drei oder vier schwarz verkleidete Leute. Eine Frau hatte sich zwei Teufelshörner auf dem Kopf gemacht. Tobias und ich gingen dorthin und sprachen über unseren Glauben. Im Nu war eine rege Diskussion im Gange über die Kirche und die Bibel. Ich gab Zeugnis, dass ich früher auch mal ein Agnostiker war, nun aber zur Erkenntnis Gottes durch Jesus Christus gelangt sei. Sie beäugten mich misstrauisch, wandten sich aber dann ab, weil die Veranstaltung drinnen losgehen sollte. Wir gingen weiter auf den großen Schlossplatz, wo es an die 100 Stände gab. Überall liefen Mönche mit mittelalterlichen Kutten herum, sowie Nonnen aus aller Herren Länder, um wie bei einer Messe Werbung zu machen für ihre Produkte. Nachdem wir schon über zwei Stunden mit den Leuten Gespräche über den Glauben geführt hatten, hatten wir großen Durst. Es gab aber an diesem Feiertag nur einen Bierausschank, so dass wir damit vorliebnahmen. Kurz darauf sprach mich ein Bruder aus Ostfriesland an, der auch evangelistisch unterwegs war. Leider roch er beim Gespräch meine Bierfahne und rügte mich: „Stell Dir mal vor, Du willst einem Sünder hier vom HErrn Jesus erzählen und riechst dabei aus dem Mund nach Bier. Schämen solltest Du Dich!“ Irgendwie erinnerte mich dieser Fall an die Begebenheit, als die Pharisäer darauf bestanden, dass Jesu Jünger nicht am Sabbat vom Getreide essen dürfen.

Als wir wieder auf seinem Zimmer waren, unterhielten Tobias und ich uns bis Mitternacht über die Lehren der Katholischen Kirche. Zunächst verlief das Gespräch gut und wir waren uns in Vielem einig. Doch mich störte der Altar mit der Marienfigur und dem Erzengel Michael, die er sich auf einem Podest aufgestellt hatte zusammen mit einem Öl- und Weihrauchgefäß. Ich sagte ihm, das ich befürchte, dass dies Götzendienst sei. Und dann kam der entscheidende Satz, der mir schließlich klarmachte, dass wir nie auf einen gemeinsamen Nenner kommen würden: „Ich glaube nicht an Sola Scriptura!“ (also daran, dass allein die Schrift das einzige Wort Gottes sei, um eine Sache zu beurteilen, sondern dass auch die kirchlichen Überlieferungen verbindlich seien). An diesem einen Satz ist die Diskussion dann steckengeblieben, da er trotz all meiner dringenden Warnungen keinen Millimeter mehr von seiner Position abrücken wollte. Für ihn war es gleichbedeutend, als würde ich ihm das Wort Gottes wegnehmen. Am Ende beteten wir noch, aber vom Altar abgewandt auf den Knien. Am nächsten Morgen rollte ich meinen Schlafsack zusammen und machte unter diesem großen Kruzifix meine Stille Zeit. Nach dem Frühstück verabschiedete ich mich von Tobias im Frieden und wollte dann meinen Bruder Marcus besuchen, der ebenso mit seiner Frau auf den Kirchentag gekommen war zum Evangelisieren. Aber nach über einer Woche sehnte ich mich wieder zurück nach meiner Gehilfin und fuhr dann direkt nach Bremen zurück.


Redefreiheit nur bei gleicher Meinung

An einem Abend brachte Schwester Maria einen neuen Bruder mit zu unserem Hauskreis, der aus der Martinigemeinde von Olaf Latzel kam. Florian (40) war von Beruf Lehrer in der Erwachsenenbildung und hatte bei sich zuhause selbst einen Hauskreis und wollte mal den unsrigen kennenlernen, weil Maria ihm von uns erzählt hatte. Er war wohl sehr beeindruckt von meinem Bibelwissen und hielt sich eher demütig zurück. Nach der Bibelstunde hatten wir noch lange ein Gespräch bis in die Nacht, und wir merkten beide, dass wir uns gut verstanden. Florian war wie ich ein eher emotionaler Mensch und konnte ausgesprochen herzlich sein. Da wir eines Sinnes waren, lud Florian mich in seinen Hauskreis und in seine Gemeinde ein und nahm auch meine Einladung an, um unsere russlanddeutsche Gemeinde kennenzulernen. Schon bald darauf fusionierten unsere beiden Hauskreise, so dass wir immer abwechseln uns Woche für Woche einmal bei mir und das nächste Mal bei Florian trafen. Und auch was die Gemeinden angeht hielten wir es so, dass Florian mittwochs um 18:00 Uhr erst zur Bibelstunde unserer Gemeinde mitkam und wir im Anschluss daran um 19:30 Uhr in die Bibelstunde der Martinigemeinde fuhren. Im Laufe der Zeit wurde mir dies aber immer beschwerlicher, weil wir uns neben dem Hauskreis am Freitagabend ja auch noch immer samstags in der spanischen Gemeinde trafen. Und nicht zuletzt gab es dann ja auch noch meine Facebook-Gemeinde, für die ich fast jeden Tag einen Beitrag schrieb und die inzwischen auf 4.500 Freunde angewachsen war. Ich musste unbedingt meine Aktivitäten reduzieren, denn es war einfach zu viel.

Da ich in meiner russlanddeutschen Gemeinde mich nur bei den Bibelstunden beteiligen durfte, nicht aber im Gottesdienst predigen durfte, fragte ich den Ältesten Alexander nach dem Grund. Er sagte, dass ich erstmal offizielles Gemeindemitglied werden müsse und dass darüber der Bruderschaftsrat entscheiden müsse, der auch aus anderen Gemeinden bestand. Weniger kompliziert war es hingegen, als ich den peruanischen Bruder Omar Llanos fragte, ob wir uns nicht den Predigtdienst teilen könnten, so dass er nicht immer alleine dies machen muss. Er war sofort einverstanden und dankbar für mein Angebot. So geschah es, dass ich im Sommer 2018 etwa 6 oder 7 Predigten halten durfte über z.T. etwas seltenere Themen wie etwa die Joseph-Jesus-Prophetie oder die Zehn-Stämme-Lehre. Dazu hatte ich mir extra ein Whiteboard gekauft, um durch Bilder und Graphiken die Predigt interessanter zu machen. Doch bei der letzten Predigt kam es plötzlich zum Eklat. Ganz beiläufig hatte ich nämlich am Ende der Predigt erwähnt, dass wir zwar grundsätzlich nicht lügen dürfen, aber dass es in Verfolgungszeiten wie bei David keine Sünde sei zu lügen, wenn es um die Rettung von Menschenleben gehe. In dem Moment stand auf einmal Blendi auf, ein albanischer Familienvater, widersprach meiner Aussage und forderte, dass diese unbedingt zurückgenommen werden müsse. Ich erklärte, dass es doch kaum zu leugnen sei, dass alle Männer Gottes schon in Situationen waren, wo sie lügen mussten, ob nun Abraham (1.Mo.12:13), Isaak (1.Mo.26:7), Jakob (1.Mo.27:19), David (1.Sam.21:2+8+13) und Elisa (2.Kön.8:10). In 1.Sam.16:2 macht Gott selbst sogar dem Samuel einen Vorschlag, wie er den Saul belügen soll, um nicht getötet zu werden. Und in 1.Sam.22:9 verübte Doeg sogar eine große Sünde dadurch, dass er die Wahrheit sagte.

Nun mischte sich auch Omar ein und sagte, dass die Bibel sich nicht widersprechen würde und wir grundsätzlich nie lügen dürfen, da die Lüge aus dem Teufel ist. Die Lüge Rahabs hielt er für eine Sünde, obwohl sie dadurch die Kundschafter rettete. Da die Diskussion aber kein Ende nehmen wollte, brach Omar schließlich den Gottesdienst ab und bat mich, zukünftig erstmal nicht mehr zu predigen, da ich die Geschwister durch meine Lehre zur Sünde verführen würde. Bald darauf sah ich dann aber auch keinen Sinn mehr, zum Spanischkreis zu kommen, zumal Omar jede Woche fast immer nur über die gleichen Themen sprach: Friede, Freude und Vergebung. Fast nie predigte er über ernste Themen, die die Gläubigen herausfordern oder durch die sie sich angegriffen fühlen könnten: „Denn ein eigensinniges Volk ist es. Meine Kinder wollen sie sein, aber sie sind Lügner, Kinder, die die Weisung des HERRN nicht hören wollen, die zu den Sehern sagen: Hört auf zu verkündigen! und zu den Propheten: Wir wollen die Wahrheit gar nicht hören! Sagt uns angenehme Dinge! Verhätschelt uns mit Illusionen!  Biegt doch die Wahrheit ein wenig zurecht! Oder lasst uns in Ruhe und verschont uns mit dem Heiligen Israels“ (Jes.30:9-11).

Aber auch in meiner eigenen, kleinen, russlanddeutschen Gemeinde war ich nicht mehr ganz so wohl gelitten wie am Anfang, ohne dass mir klar war, warum. Ich durfte mich zwar immer wieder in den Bibelstunden äußern und auch am Abendmahl teilnehmen, aber sie boten mir nie an, auch mal eine Predigt zu halten im Gottesdienst, was ich nach 1.Kor.14:26 als unbiblisch ansah. Es war trotz aller Liebe und Freundlichkeit immer irgendwie eine Distanz zwischen mir und ihnen. War es, weil ich einen Vollbart trug (der bei den Brüdern verpönt war)? Oder weil ich auf Facebook war, was mir Bruder Alexander verübelte? Oder war es einfach, weil ich kein Russlanddeutscher war wie sie? Dachten sie, dass ich sie nie verstehen würde, nur weil ich ihre Sprache nicht sprach und nie in Russland war? Trotzdem gab es aber einen Bruder namens Eduard (27), mit dem ich mich anfreundete und der mich regelmäßig besuchen kam. Auch im Hauskreis von Florian gab es einen jungen Deutschtürken namens Tunay (27), der mir von nun an wie eine Klette anhing. Es erinnerte mich ein wenig an meine Mutter, die ebenso immer eine ganze Schar von jungen Brüdern anzog und die sie baten, ob meine Mutter sie nicht als Söhne annehmen könne (Joh.19:26-27). Ich freute mich, dass der HErr mich würdig erachtete, diese jungen Brüder ein Stück auf ihren Lebensweg zu begleiten zu dürfen und sie wie ein Coach zu beraten (Ps.127:4-5, Mat.18:5).

Eines Tages schrieb mich überraschend Johannes (22) an, der jüngste Sohn aus der Sachsenheimer Oertelt-Familie, den ich zwei Jahre zuvor bei den Exklusiven Brüdern kennengelernt hatte. Er fragte mich, in welche Gemeinde ich eigentlich jetzt gehen würde, nachdem ich ja bei ihnen rausgeworfen wurde. Ich schrieb ihm zurück, dass ich jetzt in der russlanddeutschen Gemeinde („Bethaus“) im Steinweg 7 in Achim-Bierden gehen würde. Kurz darauf erschien auch Johannes auf einmal regelmäßig bei uns, und ich fragte mich, was wohl der Grund sei, dass er seine bisherige Gemeinde verlassen hatte. Doch so oft ich ihn auch ansprach, war er sehr kurzsilbig und vermied ein echtes Gespräch mit mir. Ich dachte, dass es ihm wohl unangenehm sei, darüber zu reden und ließ ihn fortan in Ruhe. Doch an einem Sonntag geschah es, dass plötzlich Johannes die Predigt halten sollte, der wie ich weder Gemeindemitglied noch Russlanddeutscher war und zudem viel jünger war als ich, sowohl an Alter als auch im Glauben. Warum erlaubten sie es ihm und nicht mir, der ich doch schon viel länger dabei bin? Was hatte das zu bedeuten?

Kurz darauf war ein Gemeindefest nach dem Gottesdienst, und jetzt sah ich die Gelegenheit, mal richtig mit Johannes zu reden, was eigentlich los sei. Ich setzte mich mit meinem Teller neben ihm, als er auf einmal aufstand und sich woanders hinsetzte. Daraufhin stand auch ich wieder auf und setzte mich nun dorthin, wo Johannes jetzt saß. Ich fragte ihn: „Warum fliehst Du vor mir, Johannes? Hast Du etwas gegen mich?“ – „Das weißt Du ganz genau, Simon.“ – „Nein, das weiß ich nicht, sonst würde ich Dich ja nicht fragen“ erwiderte ich. „Weil Du an die Allversöhnung glaubst, will ich keinen Kontakt mit Dir.“ – „Und wie begründest Du das von der Bibel her? Denn schließlich glaubst Du doch auch nicht an die Verlierbarkeit des Heils, obwohl alle hier davon überzeugt sind. Trotzdem tolerieren Dich die Brüder und lassen Dich sogar am Wort dienen. Wo siehst Du da den Unterschied?“ – „Ich will nicht mit Dir reden, Simon. Bitte respektiere das.“ – „Aber unter solchen Bedingungen können wir nicht gemeinsam in dieser Gemeinde bleiben. Ich werde deshalb mal mit Bruder Alexander sprechen, was er dazu sagt.“

Johannes muss diesen Vorschlag von mir wohl als Drohung aufgefasst haben, denn in den darauf folgenden Wochen kam er plötzlich nicht mehr in die Gemeinde. Deshalb bat ich Alexander nach einem Gottesdienst um eine Aussprache: „Bruder, ich mache mir Sorgen“ sagte ich, „denn der Johannes kommt schon seit drei Wochen nicht mehr, nachdem ich mit ihm eine Auseinandersetzung hatte. Vielleicht kannst Du mal zwischen uns vermitteln.“ Alexander antwortete: „Johannes will nicht mehr kommen, weil wir Dich tolerieren, obwohl Du an die Allversöhnung glaubst.“ – „Ach, Du wusstet das die ganze Zeit?“ – „Ja, aber ich bin darüber keineswegs glücklich. Deshalb habe ich Dir bisher auch nicht erlaubt, dass Du am Wort dienst.“ – „Aber dem Johannes hast Du es erlaubt, obwohl er die Lehre der Unverlierbarkeit des Heils vertritt?!“ – „Das wusste ich nicht.“ – „Und wenn ich Dir verspreche, dass ich nie über diese Lehre reden würde, dürfte ich dann predigen?“ Alexander wurde merklich nervös: „Ich würde Dich sehr gerne predigen lassen, aber das habe ich ja nicht allein zu entscheiden, Simon, sondern das müsste der überregionale Bruderrat entscheiden. Wenn ich Dich jetzt aber einfach heimlich predigen lasse und die würden das irgendwann erfahren mit der Allversöhnung, dann würde ich sehr dicken Ärger bekommen.“ – „Das kann ich schon verstehen. Aber andererseits must Du auch verstehen, dass ich nicht die nächsten Jahre einfach nur als Zuhörer zum Gottesdienst kommen möchte, sondern gerne auch meine Gaben mit einbringen will. Wenn ich das aber nicht darf, dann versauere ich hier vor Langeweile und würde dann lieber in eine andere Gemeinde gehen, wo ich nicht immer so einen weiten Weg hätte.“ – „Das wäre sehr schade, aber wenn Du uns verlassen willst, können wir Dich nicht daran hindern.“ Ich gab ihm die Hand und sagte: „Es wäre schön, wenn Ihr dem Johannes sagt, dass er ab jetzt wieder kommen kann, denn ich verzichte gerne.“

Das war jetzt also schon die dritte Gemeinde, die mich aufgrund einer bestimmten, abweichenden Bibel-Erkenntnis vorsorglich mundtot machen wollte, obwohl ich meine Überzeugung aus Rücksicht nicht ein einziges Mal öffentlich vertreten hatte und man mir auch nie die Möglichkeit gab, mich wenigstens  wie Luther in Worms öffentlich verteidigen zu dürfen. Aber Dank dem HErrn waren wenigstens die Brüder aus unserem Hauskreis tolerant und ließen mich predigen, obwohl sie von meiner Überzeugung wussten. Durch den engen Kontakt, den Bruder Florian zu Pastor Latzel hatte, bekamen wir jetzt auch die Erlaubnis, uns jeden Dienstagabend zum Gebet in einem Kirchturmzimmer der Martinigemeinde zu treffen, so dass wir uns nun auch zweimal in der Woche sahen. Und jedes Mal waren diese Treffen äußerst herzlich mit Umarmung und gemeinsamen Liebesmahl, was immer sehr schön war. Ich überlegte, ob ich nicht sogar ganz zur Martinigemeinde wechseln sollte, auch wenn es im Grunde eine Staatskirche war, die zur BEK gehörte und mit der wir Gläubigen gemäß Offb.18:4 eigentlich nichts zu tun haben sollten. Aber Bruder Olaf war ja wirklich ein guter Prediger, durch dessen Wort auch gerade jene Gläubigen erreicht wurden, die in der Evangelischen Kirche aufgewachsen sind und deshalb nie in eine Freikirche gehen würden.

Im Sommer 2018 sollte unsere Tochter Rebekka im Rahmen ihres Studiums ein halbes Jahr in Costa Rica studieren und erhielt dafür ein Stipendium über 1.500,- Euro. Wir freuten uns sehr für unsere Tochter über diese Möglichkeit, dadurch noch besser Spanisch zu lernen und zugleich das Land kennenzulernen. Wir beteten für sie, um sie unter den Schutz und der Bewahrung des HErrn zu stellen. Rebekka hatte ja 2015 schon einmal ein paar Monate in Australien verbracht, so dass sie schon Auslandserfahrung hatte. Rebekkas Verlobter Dennis hatte inzwischen sein Grundstudium in der Medizin erfolgreich absolviert.

 

 

 

Wie konnte Jesus „drei Tage und drei Nächte“ unter der Erde sein?

 

Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte in dem Bauch des großen Fisches war, so wird der Sohn des Menschen drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein“ (Matth.12:40).

Ohne Frage ist das Wort des HErrn immer wahr, und zwar nicht nur in Seiner geistigen Bedeutung, sondern auch in Seiner buchstäblichen Aussage. Umso mehr stellt sich dann immer wieder die Frage, wie ein bestimmtes Wort zu verstehen ist, wenn es scheinbar im Widerspruch steht zu anderen Schriftstellen. So steht geschrieben, dass unser HErr „zur neunten Stunde“ einen letzten Aufschrei an den Vater richtete und dann verschied. Die neunte Stunde entsprach nach der damaligen Ausdrucksweise 15:00 Uhr, da man den Tag von der ersten Tageszeit um 6:00 Uhr an zählte (Joh.11:9). „Zur neunten Stunde“ umfasste den Zeitraum von 14:00 bis 15:00 Uhr. Demnach starb der HErr am Freitag etwa gegen 14:30 Uhr. Und dann wissen wir aus der Schrift, dass der HErr Jesus „in der Dämmerung des ersten Wochentages“ auferstand (Mt.28:1). Der Sabbath war vergangen, und es war „sehr früh am ersten Wochentage …, als die Sonne aufging“ (Mk.16:1-2), „ganz in der Frühe“ (Lk.24:1), „als es noch dunkel war“ (Joh.20:1). Da der Tag schon begonnen hatte, ist anzunehmen, dass es sich um den Zeitraum zwischen 6:00 – 7:00 Uhr handelte, denn in Jerusalem geht die Sonne etwa um 6:30 Uhr auf. Demnach war der HErr Jesus entsprechend 40 Stunden im Totenreich, nämlich 9,5 Stunden am Freitag, 24 Stunden am Samstag und 6,5 Stunden am Sonntag.

Würde man bei den „drei Tagen und drei Nächten“ von jeweils 24-Stunden-Tagen ausgehen, dann wäre der HErr nicht 40, sondern sogar 72 Stunden im Grabe gewesen. Demnach müsste man dann entweder annehmen, dass Er erst am Montag um 14:30 Uhr auferstanden ist oder aber schon am Freitag um 6:30 Uhr starb. Manche glauben ja tatsächlich, dass der Karfreitag als Todestag möglicherweise ein Irrtum sein müsse, weil man ja sonst nur auf knapp zwei Tage und zwei Nächte käme. Deshalb glauben sie, dass der HErr schon am Donnerstag oder am Mittwoch gekreuzigt wurde. Dies widerspricht aber dem Wort in Joh. 19:31, wo die Juden den Pilatus baten, den Tod der Gehängten zu beschleunigen, „damit die Leiber nicht am Sabbath am Kreuze blieben“, zumal es sich auch noch um einen besonderen Sabbat handelte. Demnach muss es der Freitag gewesen sein, da diese Eile an einem Donnerstag gar nicht nötig wäre.

Wir wissen heute, dass bei den Juden ein Tag schon dann als Tag mitgezählt wurde, wenn er auch nur angebrochen ist. Deshalb wird auch schon jener Wochentag mitgezählt, an welchem ein Zeitraum beginnt. Entsprechend wären dann die drei Tageszeiten Freitag (14:30 – 18:00 Uhr), Samstag (6:00 – 18:00 Uhr) und Sonntag (6:00 – 6:30 Uhr) völlig im Einklang mit Matth.12:40. Die alles entscheidende Frage aber lautet: Was hat es mit den „drei Nächten“ auf sich? Wo lassen sich diese unterbringen, weil ja de facto eigentlich nur zwei Nächte berechnet werden können, nämlich die Sabbatnacht von Freitag 18:00 Uhr bis Samstag 6:00 Uhr, sowie die Nacht von Samstag 18:00 Uhr bis Sonntag 6:00 Uhr. Die Antwort liegt u.a. in Amos 5:8, wo es heißt, dass Gott „den Tag zur Nacht zu verfinstern“ vermag, und genau das tat Gott ja auch am Tag der Kreuzigung: „Aber von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde“ (Mt.27:45, Mk.15:33, Luk.23:44). Diese Sonnenfinsternis dauerte also von 12:00 bis 15:00 Uhr, wodurch Gott selbst dem Karfreitag noch eine drei-stündige Nachtphase hinzugefügt hat, während der Sein geliebter Sohn starb. Auch wenn vom Eintritt des Todes um ca. 14:30 Uhr bis zum Ende der Verfinsterung um 15:00 Uhr nur eine halbe Stunde lag, zählt diese als erste „Nacht“, der dann ein kurzer Rest-Tag von drei Stunden folgte. Auch die kurze Dauer vom Sonntagmorgen 6:00 Uhr bis 6:30 Uhr können wir als Tag zählen, so dass wir zusammen mit den je 12 Stunden Tag- und Nachtzeit vom Samstag auf insgesamt drei Tage und drei Nächte kommen.

 

Kommen Christen eigentlich in den Himmel?

 

„Unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den HErrn Jesus Christus als Heiland erwarten.“  (Phil.3:20)

Man findet heute im Internet unzählige Predigten, die sich mit der Endzeit und der Wiederkunft Christi beschäftigen. Wir wissen heute mehr denn je zuvor, auf was wir genau achten müssen und wie wir uns verhalten müssen, wenn der Antichrist kommt. Viele Gläubige kennen sich nicht nur über die genaue zeitliche Abfolge der Ereignisse aus, sondern können sogar schon ziemlich sicher voraussagen, wann in etwa die siebenjährige Drangsal beginnen müsste. Daraus leiten einige von ihnen sogar Konsequenzen ab, wenn es um die Frage geht, ob sich z.B. bestimmte Investitionen noch lohnen oder nicht. Denn wenn erstmal der HErr gekommen ist und die Entrückung stattgefunden hat, dann spielen alle irdischen Belange ja ohnehin keine Rolle mehr, weil wir dann am Ziele sind. Aber: Wie geht es dann eigentlich weiter?


Kommen Christen eigentlich in den Himmel?

Die Formulierung „in den Himmel kommen“ ist heute so geläufig, dass man eigentlich davon ausgehen müsste, dass sie aus der Bibel ist. Tatsächlich steht aber an keiner einzigen Stelle in der Heiligen Schrift, dass wir Gläubigen „in den Himmel kommen“. Der HErr spricht zwar von einem „Eingehen ins Reich der Himmel“ (Mt.5:20, 7:21) oder ins „Reich Gottes“ (Mk.9:47, 10:23-25), aber zugleich betont Er, dass das Reich Gottes nicht an einem bestimmten Ort lokalisierbar ist, sondern dass es „mitten unter euch ist“ (Luk.17:21). Das bedeutet, immer dann, wenn Gläubige gemeinsam den Willen Gottes tun, verwirklichen sie das Reich Gottes. In Matthäus 13 z.B. beschreibt der HErr in sieben Gleichnissen das Reich der Himmel als einen Ort hier auf Erden, wo Gott am Wirken ist, aber wo der Feind u.a. immer wieder versucht, dieses Werk zu zerstören (Mt.13:24-33). Man könnte also sagen, dass das „Reich der Himmel“ alles und jeden umfasst, der sich mal bekehrt hat und dadurch in das Reich Gottes eingegangen ist.

Interessanterweise lesen wir auch von unserer Entrückung, dass diese nicht in den Himmel erfolgt, sondern „in Wolken dem HErrn entgegen in die Luft“ (1.Thes.4:17). In früheren Zeiten war es ein Ausdruck der Liebe und Ehrerbietung, wenn man einem König oder geliebten Besucher kurz vor seiner Ankunft schon einmal entgegenkam, um ihn das letzte Stück seiner Reise zu begleiten (1.Mo.18:2, 19:1, 24:65, 46:29, 2.Mo.18:7, 1.Sam.10:10, 13:10, 16:4, 21:1, 25:32 usw. Im NT: Apg.10:25, 28:15, Hebr.7:1). Ob und wenn ja wie lange sich dadurch die Ankunft des HErrn u.U. verzögert (z.B. eine halbe Stunde, laut Offb.8:1, um vorher noch die Hochzeit zu feiern?), wissen wir nicht, aber persönlich halte ich es eher für unwahrscheinlich, wenn diese Verzögerung die gesamten letzten 3 ½ Jahre andauern würde. Wir begegnen dem HErrn in der Luft und dann kommt Er mit uns und allen Heiligen auf die Erde (1.Th.3:13).

Nun spricht die Bibel aber auch von einem „himmlischen Jerusalem“, von „Wohnungen im Haus des Vaters“ und von „Hütten im Himmel“, in denen zu wohnen wir begehren (Joh.14:2-3, Offb.3:12, 13:6). Was hierbei jedoch zu beachten ist, ist, dass diese Wohnungen im Himmel derzeit nur „bereitet“ werden (Joh:3, Offb.21:2), aber erst dann bezugsfähig sind, wenn die Stadt Gottes aus dem Himmel auf die Erde kommt. Deshalb spricht Paulus von dieser „Behausung“ nicht im Himmel, sondern „aus dem Himmel“ (2.Kor.5:2). Unser Erbteil und unsere Hoffnung ist derzeit für uns nur „aufbewahrt“ und „aufgehoben in den Himmeln“ (Kol.1:5, 1.Petr.1:4). Von uns Gläubigen, die der HErr durch Sein Blut aus jedem Stamm, Sprache und Volk für Gott erkauft hat, lesen wir, dass wir als Könige und Priester „über die Erde herrschen werden“ (Offb.5:9). Dies stimmt auch mit den Worten des HErrn in Luk.19 überein, wo Er Seine Verwalter zur Belohnung die Herrschaft über bestimmte Städte überträgt (Luk.19:12-27). Von daher ist unser Erscheinen im Himmel nur vorübergehend, wenn wir als Gemeinde mit dem HErrn vermählt werden. Danach werden wir dann mit Ihm regieren auf der Erde während des 1000-jährigen Reiches.


Wie ist eigentlich der Himmel?

Da nur Derjenige, der aus dem Himmel herabgestiegen ist, wissen kann, wie es im Himmel ist (Joh.3:13), haben wir nur die Aussagen vom HErrn Jesus, sowie die Beschreibungen von Micha (1.Kön.22:19-23),  Jesaja (Jes.6:1-3), Hesekiel (Hes.1:4-28) und Johannes (Offb.4-22). Von Paulus wissen wir, dass es drei Himmel gibt (2.Kor.12:2), was erklären würde, warum von den „Himmeln“ häufig in der Mehrzahl gesprochen wird. Zu den Himmeln, die der HErr in 1.Mo.1:1 schuf, gehören auch alle Engelwesen. Der erste Himmel ist vermutlich der natürliche Luftraum, den man auf Englisch „sky“ nennt. Der zweite und dritte Himmel (engl. haeven) ist die unsichtbare Engel- und Geisterwelt sein, die Paulus im Epheserbrief mit „himmlische Örter“ bezeichnet (Eph.1:3+20, 2:6, 3:10, 6:12). Um eine blasse Vorstellung zu haben, wie diese unsichtbare Welt ist, hat die Bibel diese mit unserem Himmel verglichen, von dem man bis vor etwa 400 Jahren ebenso nichts wissen konnte, bis Galileo das Fernrohr erfand. Als der Sowjetrusse Juri Gagarin 1961 als erster Mensch ins All flog, soll er ja angeblich gesagt haben, dass er dort Gott nicht begegnet sei, – was sich später als Verleumdung der Sowjetpropaganda erwies, denn Juri hatte als überzeugter Christ genau das Gegenteil gesagt. Aber unabhängig davon glaubt außer den Mormonen heute niemand, dass sich Gott und die Engelwelt irgendwo an einem bestimmten Ort im Universum aufhalten. Heute wissen die Physiker, dass es nicht nur mehr als vier Dimensionen gibt, sondern auch die Quantenmechanik und die sog. „dunkle Materie“, die die Welt im Innersten zusammenhalten soll.

Nach der Auferstehung bekommen wir einen unsterblichen Leib geschenkt (1.Kor.15:53). Ob wir dann noch unser Geschlecht behalten, wissen wir nicht, sondern nur, dass es dann keine Ehen mehr gibt und folglich wohl auch keine Fortpflanzung (Luk.20:36-36). Wir werden dann die Herrlichkeit unseres HErrn sehen, wie Er es vom himmlischen Vater erbat (Joh.17:24), und diese Herrlichkeit ist nicht zu vergleichen mit den Leiden der Jetztzeit (Röm.8:18). Was wir aber dann für Aufgaben haben und wer wir überhaupt sein werden, das „ist noch nicht offenbar geworden“ (1.Joh.3:2). Die Vorstellung, dass wir dann den ganzen Tag im Himmel nur auf einer Harfe spielen, ist biblisch nicht belegbar, noch nicht einmal, ob wir uns dann immer nur im Himmel aufhalten. Denn dass wir laut Offb.7:15 einmal „vor dem Throne Gottes sind und Ihm Tag und Nacht in Seinem Tempel dienen“, ist sicherlich vor allem geistlich zu verstehen, indem wir Ihm geistliche Schlachtopfer darbringen durch das Tun Seines Willens – egal wo auch immer.


Was bedeutet es, dass unsere Namen „in den Himmeln angeschrieben sind“?

In Luk.10:20 erinnert uns der HErr daran, dass wir uns vor allem freuen sollen, dass unsere Namen in den Himmeln angeschrieben sind. Schon Mose wusste, dass Gott ein Buch geschrieben hat, aus dem all jene gelöscht werden, die gegen den HErrn gesündigt haben (2.Mo.32:32-33). Nach Psalm 69:28 sind in diesem Buch die „Gerechten“ eingetragen, und offenbar ist es jederzeit möglich, dass Menschen in dieses Buch eingetragen und auch wieder gelöscht werden können (Offb.3:5). Wir wissen aus Offb.20:12+15, dass am Ende das Eingetragensein eines Namens ins „Buch des Lebens“ abschließend darüber entscheidet, ob jemand in den Feuersee geworfen wird oder nicht. Da Gott aber grundsätzlich will, dass alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen, wird Er auch nach dem Tod eines bis dahin noch nicht gläubig Gewordenen Sein Vorhaben nicht einfach vorzeitig aufgeben, sondern dem Verlorenen weiter nachgehen, bis Er es findet (Luk.15:4). Deshalb finden seit dem ersten Predigen des HErrn im Totenreich Massenbekehrungen statt, die zwar ausreichend deutlich bezeugt sind in der Schrift, aber kaum beachtet werden von den heutigen Predigern: Joh.5:24-25, Röm.14:9, 1.Petr. 3:18-20, 4:6, Jes.21:11-12, Ps.107:10-16, Hes.16:53-63 u.a. Wenn also das Gericht am großen weißen Thron stattfinden wird, dann werden die allermeisten Menschen bereits im Buch des Lebens stehen.

Nun wird von einigen Predigern wie etwa Roger Liebi die Theorie vertreten, dass alle Menschen von Anfang an im Buch des Lebens stehen und dann bei ihrem Tod aufgrund mangelnder Bekehrung wieder gelöscht werden. Grund für diese Annahme ist wohl die falsche Prämisse, dass ein Gläubiger nicht mehr verloren gehen könne und dies ja aufgrund von Offb.3:5 doch noch möglich wäre, da der HErr Jesus ja dort von der Möglichkeit spricht, dass Gläubige noch aus dem Buch des Lebens gelöscht werden können. Dass diese Annahme aber äußerst fragwürdig ist, möchte ich an Hand von drei Bibelstellen belegen:

  1. Laut Luk.10:20 ist das Angeschriebensein eines Namens im Himmel ein Privileg, dass Anlass zur Freude geben soll. Wenn aber ohnehin alle Menschen im Buch des Lebens stünden, dann wäre das nichts Besonderes mehr, sondern eher etwas Banales, das keinen Anlass zur Freude gäbe.
  2. Laut Phil.4:3 spricht Paulus von seinen „übrigen Mitarbeitern, deren Namen im Buch des Lebens sind“. Wenn dieses Vorrecht aber für alle Menschen gilt, wären entweder alle Menschen seine Mitarbeiter oder er erwähnt ein Attribut seiner Mitarbeiter, das alle Menschen besitzen, so als würde er sagen: „die eine Nase im Gesicht haben“. Beides wäre gleichermaßen widersinnig.
  3. Laut Offb.13:8 werden alle Menschen das Tier anbeten, „deren Namen nicht geschrieben ist in dem Buch des Lebens des Lammes von Grundlegung der Welt an“. Wenn alle Namen der Menschen von Grundlegung der Welt an im Buch des Lebens stehen würden, dann würde demnach niemand das Tier anbeten können und der Satz würde keinen Sinn mehr ergeben.

 

Wenn der Irrsinn Methode hat – Eine kritische Betrachtung des Wokeismus

 

Ab November 2024 tritt in Deutschland das neue Selbstbestimmungsgesetz in Kraft, das den Menschen u.a. die Möglichkeit geben soll, ohne Prüfung das eigene Geschlecht zu ändern, wenn man das Gefühl hat, im falschen Körper zu leben. Sogar Kinder und Heranwachsende sollen von nun an die Erlaubnis erhalten, mit (oder ohne) Einverständnis ihrer Eltern ihr Geschlecht zu wechseln – bis zu einmal im Jahr – und sich entsprechend chirurgisch zu verstümmeln. Jeder, der das neu gewählte Geschlecht danach nicht anerkennt und die Person entsprechend falsch anspricht, muss künftig mit einem Bußgeld wegen Beleidigung rechnen. Hierbei spielt es im Zweifelsfall keine Rolle mehr, ob der Sprecher die Beleidigung beabsichtigt hat oder nicht, sondern allein, wie der Zuhörer das Wort interpretiert. Der Empfänger einer Botschaft sei mit seiner Wahrnehmung des Gesagten also immer (!) ernstzunehmen, egal wie realitätsfern diese auch sein mag.

Wir finden uns momentan in einer Gesellschaft wieder, die sich in den letzten 10-15 Jahren in rasendem Tempo verändert hat. Überall sieht man z.B. auf einmal Flaggen oder Busse in den Regenbogenfahnen, so als ob die Diskriminierung von sexuellen Minderheiten ein reales Problem darstellen würde und alle beweisen müssten, dass bei ihnen niemand benachteiligt werde. Auf Plakaten in Deutschland sieht man statt Weiße plötzlich nur noch Schwarze oder Braunhäutige. Da gibt es einen Norweger, der sich nicht nur als Transfrau sieht, sondern trotz körperlicher Gesundheit gerne ein Querschnittgelähmter sein will und sich deshalb nur noch im Rollstuhl fortbewegt. Oder es gibt Holländerinnen, die mit dem Islam nichts am Hut haben und sich trotzdem freiwillig bunte Burkas anziehen, indem sie behaupten, dass nicht etwa die Burka repressiv sei, sondern deren Verbot. Und dann sieht man auf Schwulenparaden immer häufiger junge Männer, die mit Hundemasken herumlaufen und das Recht einfordern, von der Gesellschaft als völlig normal angesehen zu werden. Man könnte diese Beispiele als den kindlichen Wunsch nach Verkleidung abtun, so wie etwa beim Karneval. In Wirklichkeit steckt dahinter eine totalitäre und völlig intolerante Ideologie, die den Menschen vorschreiben möchte, wie sie in Zukunft zu reden und zu denken haben. Im Folgenden werde ich die Ursprünge dieser neuen Erscheinungsform von Gesetzlosigkeit aufzeigen und eine jeweilige biblische Bewertung abgeben.

Die Leugnung der Realität

Als sich im 18. und 19.Jh immer mehr Philosophen und Intellektuelle vom Christentum abwandten, stellte der russische Schriftsteller Dostojewski in seinem Roman „Schuld und Sühne“ zurecht die Frage, ob es denn ohne Gott und Seine Gebote überhaupt noch einen Bewertungsmaßstab bzw. die Notwendigkeit geben könne für ein moralisches Verhalten. Der Philosoph Friedrich Nietzsche verneinte dieses und forderte deshalb eine „Umwertung aller Werte“. Für ihn galten Habsucht, Selbstsucht und Wollust als die höchsten menschlichen Tugenden. Ihm war jedoch bewusst, dass er mit seinen Ideen noch lange kein Gehör finden werde, sondern diese erst 100 Jahre später auf fruchtbaren Boden fallen würden: „Ich bin zu früh und bin noch nicht an der Zeit“ (aus „Der tolle Mensch“). In den 50er und 60er Jahren gab es dann eine ganze Reihe an Philosophen, allen voran Jacques Derrida und Michel Foucault, die nicht nur die Beziehung von Begriffen auf die reale Welt in Frage stellten, sondern Wahrheit als Produkt eines Diskurses sahen, die immer wieder neu ausgehandelt werden müsse. Derrida bezeichnete seine Lehre als Dekonstruktion, was im Grunde Zerstörung bedeutet. Die Infragestellung und Ablehnung aller realen, gesellschaftlichen Gegebenheiten wie etwa Wissen, Vernunft, Moral, Sinnhaftigkeit oder Individualismus wurde später auch Postmodernismus genannt.

Der Postmodernismus leugnet die Existenz einer objektiven Wahrheit und unterstellt, dass allen menschlichen Taten ausschließlich Machtinteressen zugrunde liegen. Die Annahme dieser These bewirke wiederum ein angebliches Erwachtsein und eine damit verbundene Wachsamkeit, woraus das englische Wort Woke = Wachsein zum Namensgeber dieser neuen Ideologie geworden ist. Nach dieser Lehre dienen Normen und Werte nur dem Machterhalt einer unmoralischen, dominanten Unterdrücker-Gruppe, nämlich den weißen, heterosexuellen Männern westlicher Herkunft. Seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts wird diese Ideologie nun durch konkrete, gesellschaftspolitische Forderungen in die Tat umgesetzt, wobei man es besonders auf die Sprache als Motor der Unterdrückung abgesehen hat. Wer sich z.B. weigert, das Vorhandensein diverser sexueller Identitäten anzuerkennen und durch das Gendern (d.h. die Verwendung des Anhängseln -*Innen oder des Partizips wie Studierende) die fehlende Repräsentation bestimmter Identitäten zu berücksichtigen, wird entweder als homophob, rassistisch und transfeindlich diffamiert oder von vornherein gecancelt (d.h. mundtot gemacht, indem man ihn aus einer Debatte ausschließt). Dass diese Intoleranz ganz im Widerspruch zur eingeforderten Toleranz steht, wird dabei nicht bemerkt. Daher schrieb die Transgender-Kritikerin Helen Joyce trefflich in ihrem Buch „Trans“: „Wenn man glaubt, dass die Welt nur so funktioniert, ist es nicht nur sinnlos, sondern sogar schädlich, seinen Gegnern zuzuhören. Liberale Argumente für die freie Meinungsäußerung, z.B. dass man durch eine lebhafte Debatte auf Argumente stößt, die man bis dato nicht bedacht hatte, und die einem helfen, die eigene Argumentation zu schärfen, werden als irrelevant abgetan. Die Äußerungen der Gegner verstärken die Ungerechtigkeit, und sie zum Schweigen zu bringen, ist moralisch, selbst wenn dazu (die Androhung von) Gewalt nötig ist. Wer den Diskurs kontrolliert, kontrolliert auch die Realität!

Biblische Bewertung: Gott schuf den Menschen in Seinem Bilde als Mann und Frau, und Er gebot ihnen, sich zu mehren (1.Mo.1:27-28). Mann und Frau sollen Christus und die Versammlung darstellen (Eph.5:25-32). Deshalb hat der Teufel ein großes Interesse daran, diese Darstellung durch praktizierte Homosexualität oder Ehebruch zu zerstören, also durch Sünden, die Gott ausdrücklich verboten hat (3. Mo.18:22, 20:13, 5.Mo.5:18, Mal.2:16). Die heutige Menschheit glaubt aber mehrheitlich nicht mehr an Gott und an die Verbindlichkeit Seiner Gebote. Deswegen ist ihnen die Bevormundung durch die Christenheit ein Gräuel: „Lasset uns zerreißen ihre Bande, und von uns werfen ihre Seile!“ (Ps.2:3). Alle Errungenschaften des Christlichen Abendlandes stehen nun zur Debatte, alles wird in Frage gestellt, neu verhandelt und die bisherige Ordnung „dekonstruiert“. Die Welt möchte gerne zurückkehren in die ursprüngliche Barbarei – bevor das Christentum kam – und sich nicht mehr durch Religion, Wissenschaft und Moral bevormunden lassen. Im Grunde will der Mensch wieder ein Tier sein, und nicht zufällig wird der Antichrist aus der Offenbarung als „Tier“ bezeichnet. Gott hingegen möchte aus uns Menschen Engelwesen gestalten.

Da sie sich für weise hielten, sind sie zu Narren geworden“ (Röm.1:22). Wie die Pharisäer stellen die Woken ihre eigenen Gesetze auf, um die Leute unter ihre irrsinnige Ideologie zu versklaven (Gal.5:1). Dabei stört es sie nicht, dass sie ständig mit zweierlei Maß messen, indem sie z.B. von anderen eine Toleranz einfordern, die sie selbst nicht bereit sind, zu üben. Da es für sie keine unveränderlichen Normen und Regeln gibt, fühlen sie sich auch nicht an Tugenden wie Ehrlichkeit und Fairness gebunden, obwohl sogar schon der natürliche Menschenverstand einem sagt, dass man von anderen keine Akzeptanz und Gehör erwarten kann, wenn man selbst auch nicht bereit ist zuzuhören (Röm.2:1-4, Spr.21:28).

Dekolonialismus durch Verfälschung der Geschichte

Obwohl die Kolonialzeit eigentlich schon vor 100 Jahren endete und die meisten Kolonialmächte sich in den 60er Jahren aus ihren Kolonien zurückgezogen haben, existiert für die woken Postmodernisten die Unterdrückung der anderen Kulturen noch heute fort, nämlich in den Köpfen und in der Sprache. Und da nach ihrem Verständnis Wissen nur eine Konstruktion von Macht sei, halten sie es für völlig legitim, die Weltgeschichte umzuschreiben, da nach ihrer Auffassung ja auch die historischen Fakten von Europäern angeblich einseitig, tendenziös und z.T. fiktiv seien. Ihrer Überzeugung nach, müsse man „für immer auf den Gedanken verzichten, dass Wissen wertfrei produziert werden könne“, so Kehinde Andrews, Professor für Black Studies an der Universität Birmingham. Für die Dekolonialisten ist objektives Wissen, das unabhängig der eigenen Identität für jeden wahr ist, nicht erreichbar, weil Wissen für sie nichts weiter als ein innerkulturelles Narrativ ist, gleichgültig, wie verlässlich das Wissen produziert wurde. Da die objektive Realität für die woken Theoretiker sowieso nur eine untergeordnete Rolle spielt, kann mittlerweile jede noch so absurde Fantasie in ihre Geschichtsforschung eingeflochten werden.

So wurde beispielsweise die ptolemäische Königin Cleopatra in einer 2023 veröffentlichten Netflix-Serie fälschlich als Schwarze dargestellt, obwohl sie nachweislich eine weiße Europäerin war. Dagegen wehrten sich ausgerechnet die Ägypter, die nach der woken Ideologie ja eigentlich als „Unterdrückte“ galten, und forderten durch eine Petition, dass man die Geschichte nicht einfach durch einen „Afrozentrismus“ verfälschen dürfe. Den Vogel schoss indes der englische Fernsehsender BBC ab, als er den weißen König Richard III. aus dem 15.Jh. 2022 von einer schwarzen Schauspielerin spielen ließ. Nach Meinung der postkolonialen Theoretiker sei die weitverbreitete Unterdrückung der Frauen in islamistischen Ländern nicht etwa – wie die Islamisten selbst bezeugen – auf eine strenge Auslegung des Koran zurückzuführen, sondern angeblich eine Folge des westlichen Imperialismus, der jene Kulturen pervertiert und dadurch die Übergriffe erst ermöglicht habe. Diese Verfälschung historischer Fakten und die Umdichtung gemäß dem eigenen Wunschdenken könnte man als lächerlich abtun (wie Pipi Langstrumpf, die „sich die Welt machte, wie es ihr gefällt“). Je vergesslicher und gleichgültiger die Menschen jedoch werden, desto mehr entwickeln wir uns in eine Zeit wie die von George Orwell beschriebene im Buch „1984“, in welchem Winston Smiths tägliche Aufgabe im Wahrheitsministerium darin bestand, alte Pressemeldungen der Partei nach deren Vorgabe nachträglich abzuändern, damit niemand die Lügen der Regierung bemerkt.

Eines der bekanntesten „Forschungsergebnisse“ des woken Geschichtsrevisionismus ist die willkürliche Behauptung, dass aller Wohlstand der reichen Länder einzig auf ihrer kolonialen Vergangenheit beruhen würde und die heutigen Menschen westlicher Nationen deshalb auf Kosten der ehemaligen Kolonien leben würden. Deshalb seien die europäischen Länder geradezu verpflichtet, als Reparation sowohl Entwicklungsgelder an die teils hochgradig korrupten afrikanischen Staaten zu überweisen, als auch die Millionen an Armutsmigranten durch ihre Sozialkassen zu alimentieren. Zudem fordere man, die Lehrstellen an Hochschulen bevorzugt mit Personal aus ehemaligen Kolonien zu besetzen, für die weiße Lehrkräfte weichen müssen. Diese woken Dekolonialisten werden dann bevorzugt von den Öffentlichen Medien und Politikern als Experten befragt, wenn es um Fragen der Migration und Integration geht. Als sich in den USA zuletzt Supermarkt-Plünderungen von Schwarzen immer mehr häuften, entschieden diese Experten, dass man diese nicht strafrechtlich verfolgen dürfe aufgrund all der Benachteiligungen, die diese über Jahrhunderte erlitten hätten. Vielmehr wurde daraufhin das Supermarktpersonal verklagt, wenn es versucht hatte, die Diebe am Diebstahl zu hindern, da es als rassistische Diskriminierung galt. Ebenso wurde auch der US-Rapper Kayne West als Rassist beschimpft, als er den Slogan „Black lives matter“ auf seinem Pullover provokativ in „White lives matter“ umwandelte. Denn nach der Critical Race Theory gilt es als „Akt des Hasses“, wenn man auch weißes Leben als lebenswert verkündigen will.

Biblische Bewertung: Vom Antichristen lesen wir in Dan.7:25, dass „er darauf sinnen wird, Zeiten und Gesetz zu verändern“. Da Menschen ihre Entscheidungen auf Grundlage der Informationen treffen, die ihnen zur Verfügung gestellt werden, ist es besonders perfide, wenn man sie durch Hetze und Propaganda manipuliert und verführt (2.Mo.23:1-3). Die Behauptung, Geschichtsschreibung könne nicht objektiv sein, da sie von den Siegern geschrieben wurde, hat zwar einen wahren Kern; jedoch den gesamten Historikern zu unterstellen, sie seien nicht in der Lage, sich der geschichtlichen Wahrheit weitestgehend anzunähern, ist nichts weiter als ideologische Verblendung. Es ist zudem absurd, den weißen Menschen heute die Sklaverei der Schwarzen von vor 300 Jahren in Rechnung zu stellen, erst recht nicht durch die erzwungene Gewährung von Straftaten. Sklaverei hat es schon immer gegeben. Selbst Schwarze haben sich untereinander versklavt. Aber es war gerade der Verdienst eines weißen Politikers aus England, dass die Sklaverei in der ganzen Welt ab dem Jahr 1800 schrittweise abgeschafft wurde, nämlich des gläubigen Christen William Wilberforce, der über mehrere Jahre trotz massiver Widerstände dafür eintrat.

Die Kolonialisierung von unterentwickelten Ländern durch das christliche Europa hat zwar teilweise viel Unrecht verursacht, aber zugleich Milliarden Menschen aus der Steinzeit in die moderne Zivilisation geführt. Die Unterernährung weltweit ist zwar heute durch die Medien bei uns viel präsenter geworden; statistisch gesehen verringert sich diese aber schon seit Jahrzehnten, trotz Zunahme der Bevölkerung. Hierin erfüllte sich die Verheißung an Jakob, dass in ihm und seinen Nachkommen alle Geschlechter der Erde gesegnet werden würden (1.Mo.28:14). Der Teufel möchte diesen Segen heute als Fluch auslegen, indem er die Christen als Ursache für alles erdenklich Böse darstellt. Durch Transferleistungen an die illegalen Einwanderer beraubt er sie indirekt ihres hart erarbeiteten Geldes und Wohnraums. Statt aber dass die vielen Migrationsforscher nach Lösungen suchen, wie man mit technischem und sozialem Fortschritt in den Heimatländern die Ursachen für Migration bekämpfen kann, bewegen diese sich in einem vollkommen theoretischen und lebensfernen Denkrahmen, in welchem die echten Probleme gar nicht erkannt, geschweige denn beseitigt werden können.

Die „Queer-Theorie“ und das Verdrängen biologischer Tatsachen

Wenn man in früheren Zeiten sprichwörtlich nicht mehr weiß, „ob man Männlein oder Weiblein ist“, wollte man damit die Verwirrtheit und Desorientierung eines Menschen beschreiben. Heute scheint dieser Ausnahmezustand bei vielen jedoch zum Normalfall geworden zu sein, denn bekanntlich wissen besonders Jugendliche immer weniger, welchem von beiden Geschlechtern sie angehören. Anlass dafür ist eine beispiellose Medien-Kampagne in den letzten zehn Jahren, die angefangen in den Kindergärten über die Grundschulen und bis in die Universitäten, Kindern und Heranwachsenden suggeriert, dass ihr biologisches Geschlecht keinerlei Bedeutung habe und sie zwischen 60-70 möglichen Identitäten die passendste aussuchen können. Da Pubertierende aber ohnehin oft an Orientierungsschwierigkeiten leiden, ist es kein Wunder, dass gerade unter Jugendlichen die angebliche Zahl der „Transmenschen“, die sich im falschen Körper wähnen und deshalb ihr Geschlecht operativ ändern möchten, sprunghaft angestiegen ist. Auffällig analog ist auch die Selbstmordrate unter diesen um ein Vierfaches angestiegen. Das steht aber im Widerspruch zu der queeren Verheißung, dass Menschen in einer „befreiten“ und „bunten“ Gesellschaft, wie wir sie heute haben, glücklicher sein müssten durch ihre Selbstverwirklichung.

Von solchen Widersprüchen wollen die Vertreter der Queer-Theorie in der Regel nichts wissen. Sie halten schon die bloße Existenz von herkömmlichen Kategorien für Geschlecht, Geschlechtsidentität (engl. gender) und sexuelle Orientierung für repressiv. Biologische Kenntnisse interessieren sie nicht, da sie davon ausgehen, dass durch Kategorisierung automatisch Unterdrückung und Diskriminierung entsteht, und zwar immer dann, wenn die Sprache ein Gefühl dafür vermittle, was „normal“ sei. Jede Kategorie wird immer gleich mit Zwang und Unterdrückung in Verbindung gebracht, da man diese ja den Menschen gewaltsam „zuschreibe“. Dadurch werde der Einzelne gezwungen, sich einzuordnen und zu limitieren. All die Biologen und Psychologen, die teils unbestreitbar dargelegt haben, wie sich die Geschlechter biologisch und psychologisch unterscheiden, werden durch die Anhänger der Queer-Theorie im besten Fall missachtet und im schlimmsten Fall aufs übelste persönlich angegriffen. Sven Lehmann, der „Queer-Beauftragte“ der Bundesregierung, behauptet dreist: „Welches Geschlecht ein Mensch hat, kann kein Arzt von außen attestieren.“ Auffällig ist, dass er – wie auch die meisten Queer-Gläubigen – nicht in der Lage ist, die simple Frage zu beantworten, was denn eigentlich dann ein Mann und eine Frau sei. Sie können noch nicht einmal sagen, wie viele Geschlechtsidentitäten es nach ihrer Auffassung eigentlich gibt. Die Möglichkeiten für sog. „non-binäre“ Identitäten müssen per Definition unendlich sein, da sie auf keiner realen Grundlage beruhen, sondern reine Fantasie-Produkte sind.

Judith Butler, die wohl einflussreichste Vertreterin der Queer-Ideologie behauptet, dass die Gesellschaft den Kindern von klein auf ein Geschlecht aufbindet und sie wegen des enormen Sozialisationsdrucks und der Zwanghaftigkeit der Geschlechterrollen gar nicht anders können, als diese „richtig“ zu spielen, ganz so, als würden sie ein vorgeschriebenes Drehbuch verinnerlichen und als einzige Realität betrachten. Entsprechend wird eine Geschlechterrolle ihrer Überzeugung nach nur „aufgeführt“ und die normative Heterosexualität sei nur „erzwungen“. Ihr gehe es darum, jedes Gefühl von Normalität zu überwinden, um die Menschen von den Erwartungen, die durch herrschende Normen geweckt werden, zu „befreien“. Unsere links unterwanderten Medien sind von Beginn an dieser pseudowissenschaftlichen Ideologie gefolgt, indem sie wie selbstverständlich inzwischen das Wort „Mutter“ vermeiden und stattdessen von „entbindendender Person“ oder „gebärende Person“ sprechen. Als sich die Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling einmal über die Formulierung „people who menstruate“ amüsierte, wurde sie sofort von den Tugendwächtern der woken Inquisition geächtet und zum Boykott ihrer Bücher aufgerufen. Der irische Lehrer Enoch Burke, der sich aufgrund seines christlichen Glaubens weigerte, eine „Trans-Person“ mit neuem Pronomen anzusprechen, wurde nach der Ignorierung seiner Suspendierung vom Gericht sogar zu elf Tagen Haft verurteilt (Lehrer verweigert Anerkennung einer Trans-Person | kurier.at). Hier wurde also den fragwürdigen und gnadenlos konfrontativen Überzeugungen einer neuartigen Quasi-Religion mehr Vorrang und Rechte eingeräumt, als den christlichen Glaubensüberzeugungen.

Mehrere erfolglose Sportler haben inzwischen den Wechsel zum anderen Geschlecht als Chance erkannt, mit ihren körperlich überlegenen Muskeln in den Frauendisziplinen Olympia-Medaillen einzuheimsen, die nach der woken Lehre ja eigentlich den „systemisch unterdrückten Frauen“ zugestanden hätten. Die seit 2015 gesetzlich verpflichtende Frauen-Quote in Führungspositionen im Öffentlichen Dienst hat einigen weniger qualifizierten Männern, die sich als Frauen ausgaben, unmittelbar zu einem enormen Karrieresprung verholfen. Der grüne Politiker Markus Ganserer wäre z.B. heute nicht im Bundestag, wenn er sich 2021 nicht als Frau geoutet hätte und damit einen für Frauen reservierten Mandatsplatz besetzte. Seit es in den USA zu ersten sexuellen Übergriffen und sogar Vergewaltigungen in Frauengefängnissen und Umkleidekabinen durch angebliche Transfrauen (biologische Männer) gab, hat ein Umdenken begonnen. Damit Soldaten im Kriegsfall sich nicht mit Hilfe das Selbstbestimmungsgesetzes für Frauen erklären und dadurch den Kriegsdienst verweigern können, hat der Bundestag für diesen Fall schon mal eine Ausnahmeregelung ins Gesetz geschrieben.

Biblische Bewertung: Die Queer-Theorie ist selbstverständlich als durch und durch antichristlich zu bewerten – nicht nur weil sie sich über die biblischen und biologischen Fakten hinwegsetzt, sondern weil sie die Kinder heute in den Kindergärten und Schulen völlig verwirrt und als seelisch-orientierungslose Krüppel ins Verderben führt. Satan hat es schon immer auf die Kleinsten abgesehen: 2.Mo.1:16, Mat.2:13, Offb.12:4 – und wer die Kleinsten und Wehrlosesten verführt, dem wäre es besser, dass er mit einem Mühlstein im Meer versenkt werde (Mat.18:6). Die Queeren haben es aber auch auf die Erwachsenen abgesehen, indem sie durch Verleumdungen (z.B. „homophob“, „transfeindlich“), Stigmatisierung und Ausgrenzung (neudeutsch: „Cancel-Culture“) die Gesellschaft spalten und die Menschen gegeneinander aufhetzen. Natürlich darf sich jeder – solange es nur ihn selbst betrifft – fühlen und wahrnehmen, wie er möchte. Aber eine Wahrnehmung gleicht nicht zwangsläufig der Wahrheit. Wenn sich jemand z.B. früher für Napoleon hielt, wurde er in eine Nervenheilanstalt eingewiesen. Erst recht darf nicht erwartet werden, dass sich andere solch eine subjektive Meinung zu eigen machen müssen, denn jeder Mensch hat das Recht auf seine eigene Wahrnehmung. Es ist geradezu demokratiegefährdend, wenn sich eine kleine, fanatische Minderheit erdreistet, durch das Gendern wie eine Sprachpolizei den Leuten vorzuschreiben, wie sie zu reden und zu denken haben. „Werdet nicht der Menschen Sklaven“ (Gal.5:1).

Seit im Zuge der anwachsenden Gesetzlosigkeit das Phänomen der Homo-, Bi- und Transsexualität immer mehr zunahm, hat dieses nicht nur in der ohnehin schon völlig verdorbenen Evangelischen Kirche Einzug gehalten, sondern leider auch unter den Evangelikalen. Das biblische Verbot, dass Männer keine Frauenkleider tragen dürfen (5.Mo.22:5), wird aber noch weitestgehend eingehalten (wenn auch die meisten Glaubensschwestern das Verbot, Männerkleidung zu tragen, schon seit 50 Jahren missachten). Ein ausgesprochen bibeltreuer Christ vertraute mir einmal an, dass in ihm ein Mädchen wohne, weshalb er sich in seiner Jugend auch als Mädchen kleidete. Er räumte ein, dass dies dämonisch sei, fügte jedoch hinzu: „Was nützt mir das?“ Da der HErr nicht für die Gesunden, sondern für die Kranken gekommen ist, sollten auch wir mit Menschen milde und barmherzig sein, die diesem Irrwahn verfallen sind, sofern sie diesen als Sünde erkannt haben und Befreiung anstreben. Jemand sagte mal, dass die Gemeinde der barmherzigste Ort auf Erden sein sollte. Das denke ich auch.

Der gefährliche Siegeszug des Wokeismus

Der Wokeismus hat alle Bestandteile einer neuen Religion: Er hat z.B. einen Wahrheitsanspruch, der nicht hinterfragt werden darf und sich zwangsläufig einer wissenschaftlichen Prüfung entzieht. Dann gibt es sowohl „Gebote“ als auch einen eigenwillig zusammengestellten Sündenkatalog, der jedes Jahr erweitert wird. Es gibt ein Heilsversprechen und sogar eine Art Sündenablass (wenn man z.B. auf dem Firmen- oder Einkaufsmarktgelände im vorauseilenden Gehorsam die LGBTQ-Flagge hisst als Bekenntnis zum Antirassismus- und Antitransfeindlichkeit). Und dann gibt es natürlich auch Tugendwächter, die nötigenfalls auch bereit sind, Bannsprüche gegen Einzelpersonen zu verhängen oder sogar gleich einen medialen Religionskrieg zu erklären gegen andersdenkende Gruppen. Ich würde mich nicht wundern, wenn in naher Zukunft all jene, die sich weigern zu gendern oder die Geschlechtsumwandlung eines Menschen nicht beachten (engl. Deadnaming), sofort als Rechtsextreme oder Nazis verunglimpft werden. Abweichende Meinungen werden in der Regel nicht mehr toleriert; bestenfalls werden sie als Unvermögen angesehen, sich mit der woken Theorie richtig auseinanderzusetzen – geradeso, als müsse Auseinandersetzung notwendigerweise Übereinstimmung zur Folge haben. Wer nicht glaubt, hat den Text nicht richtig gelesen oder ist eben ein unbelehrbarer Sünder.

Es wird zukünftig auch vermehrt eine Diskriminierung von Weißen geben, da man diesen grundsätzlich Rassismus oder Sexismus unterstellt, selbst wenn sie diese Absichten oder Überzeugungen gar nicht wirklich haben. Das woke Weltbild problematisiert unablässig die Gesellschaft und findet keinen Aspekt unseres Lebens, der nicht mit Kritik überzogen werden kann (und sollte). Nur ein Tabu existiert: die Theorie der Woken darf niemals angezweifelt werden. Obwohl reale Akte von Rassismus immer seltener werden, gibt der Staat immer mehr Steuergelder an Spezialisten, die die die angebliche Ungerechtigkeit zwischen Privilegierten und den angeblich Unterdrückten in den noch so geringen Formulierungen ausfindig machen sollen, Wobei es noch immer mehrheitlich die Weißen sind, die diese Steuern durch echte Arbeit aufbringen müssen. Wir Deutschen werden also gezwungen, mit unserem eigenen Geld Verleumdungen und Vorurteile gegen uns selbst zu finanzieren. Das erinnert mich an den Roman „Die Zeitmaschine“ von H.G. Wells, wo in ferner Zukunft die Weißen als Sklaven unter der Erde alle Arbeit verrichten müssen für eine Minderheit, die über der Erde ein arbeits- und sorgenfreies Leben führen darf.

Da die Privilegierten angeblich verblendet seien, brauche man ihnen auch nicht mehr zuhören. Ihr Wissen bestehe ja nur aus dummen Vorurteilen, weshalb sie in ihren kognitiven Fähigkeiten degeneriert seien. Wenn sich jedoch mal ein Schwarzer („Unterdrückter“) zu Wort meldet und abstreitet, dass er unterdrückt werde, dann habe dieser angeblich seine Unterdrückung internalisiert (verinnerlicht) oder aber er hoffe unbewusst auf Anerkennung und Begünstigung durch das dominante System, indem er sich diesem unterwürfig anbiedert. Wer sich im Besitz der einzig gültigen Wahrheit dünkt, für den kann es keine Widersprüche und Anfechtungen geben. Daher wird auch gleich auf ergebnisoffene Debatten verzichtet und die Widersprechenden auch nicht zu Gesprächen eingeladen. Anstatt Brücken zu bauen, werden die Fronten zwischen unterschiedlichen ethnischen, geschlechtlichen oder sonstigen Gruppen verhärtet. Man verzichtet darauf, an gemeinsamen Lösungen zu arbeiten. Die Andersdenkenden werden zu einem unverbesserlichen Feind erklärt, mit dem es sinnlos ist, zu reden (z.B. Putin). Man will lieber nur unter sich bleiben und zieht sich zurück in die eigene Echokammer. Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung Sven Lehmann bezeichnet Kritik von einer „privilegierten“ Gruppe – und sei sie noch so richtig – ohne weitere Begründung als „Transfeindlichen Müll“, mit dem er sich gar nicht erst beschäftige.

Nachdem hauptsächlich den Weißen jahrzehntelang Rassen- und Völkerdenken, das im Grunde in der gesamten Menschheit normal und vorherrschend ist, aberzogen wurde, ist die nächste, oberflächlich widersprüchlich wirkende Stufe, es ihnen wieder anzuerziehen, Jedoch mit der festen Bedingung, dass sie  sich darin als bösartig anerkennen müssen. Das was Linke eigentlich immer der rechten Seite unterstellen, nämlich Gleichschaltung, Kollektivismus und Denkverbote, sind nun jene Methoden geworden, mit denen sie selbst Unterdrückung und moralischen Terror verbreiten. So passiert es immer häufiger, dass sich Regierungen und Großkonzerne weltweit dafür entschuldigen, dass sie angeblich diskriminierendes und vorurteilbehaftetes Verhalten verübt hätten, ohne dass es dafür überhaupt eine statistische Evidenz gäbe. Unter anderem war der Nationale Rat der Polizeichefs von Großbritannien dazu bereit, sich in einem Bericht über Diskriminierung und Voreingenommenheit in den eigenen Reihen zu „schämen“ und sich daraufhin zu verpflichten, „institutionell antirassistisch“ zu sein. Der Kniefall vor der woken Ideologie, ihren Vertretern und deren Forderungen wird mittlerweile selbst in den höchsten Institutionen öffentlichkeitswirksam durchgeführt. Was kommt wohl als nächstes?

Biblische Bewertung: Im Hinblick auf das angekündigte Kommen des Antichristen ist es fast irrelevant, mit welchen Mitteln dieser versucht, die Menschheit gleichzuschalten und durch totalitäre Forderungen zu unterjochen. Bei den alten Herrschern im Babylonischen, Persischen oder Römischen Weltreich war es die Forderung, allein den König oder Kaiser als göttlich zu verehren. Der Wokeismus hingegen kommt in Lammesgestalt daher, indem er sich das Einsetzen für Minderheitenrechte auf die Fahnen geschrieben hat. Er bedient sich eines biblischen Symbols, der Regenbogenfahne, und argumentiert mit Rücksicht und Toleranz – also im Prinzip auch biblische Tugenden. Aber in Wirklichkeit verbirgt sich hinter der frommen Fassade der Wokeness der feuerspeiende Drache aus Offb.13:11, der alles Normale und Gesunde verbrennen möchte, indem er es auf den Kopf stellt. Aber noch gibt es auch von Seiten konservativer Wissenschaftler vereinzelt Stimmen, die sich diesem Diktat und der Bevormundung entgegenstellen. Einer von ihnen schrieb in der NZZ: „Das Menschenrecht auf Meinungs- und Gewissensfreiheit darf nicht zugunsten der psychischen Bedürfnisse einer Minderheit ausgehebelt werden.“

So dient der Wokeismus im Grunde nur als Mittel zum Zweck, um die Menschheit zu Konditonieren und Abzurichten, damit sie möglichst unkritisch allem glauben und gehorchen sollen, was ihnen von der Obrigkeit als alternativloses Gebot der Stunde verkauft wird – so wie wir es ja gerade erst bei den Covid-Maßnahmen und in der Klimawandelhysterie gesehen haben. Interessant ist, dass Paulus in 1.Tim.3:1 für die „späteren Zeiten“ den Begriff „hysterisch“ (gr. hYSTÄROIS) verwendet. In der Tat leben wir heute in Zeiten übertriebener Emotionalität und übersteigerter Aufmerksamkeitssuche, was man besonders bei der Klimahysterie der „Letzten Generation“ sehen kann. Das Wort Hysterie kommt von dem griech. Wort hYSTÄRA = „Gebärmutter“, da man bis zum 19. Jh. annahm, dass dieser aufgeregte Eifer etwas mit einer Störung in der Gebärmutter zu tun haben müsste. Hysterie ist ein Zeichen geistiger Unreife. Wenn sie aber deshalb staatliche Organe erreicht, ist es um die Zukunft eines Landes schlecht bestellt: „Es gibt ein Übel, gleich einem Versehen, das vom Machthaber ausgeht: Die Torheit wird in große Würden eingesetzt, und Reiche sitzen in Niedrigkeit“ (Pred.10:5-6). Was aber sollen Christen tun, wenn diese Torheit in repressive Gesetze einfließt, die uns Gläubige immer mehr gängeln und schikanieren? Das lesen wir im Vers zuvor: „Wenn der Geist des Herrschers gegen dich aufsteigt, so verlass deinen Platz nicht! Denn Gelassenheit verhindert große Sünden“ (Pred.10:4).

– Was ist mit den anderen Religionen?

 

„Was geht es dich an?“ (Joh. 21:22).

 

Liebe Geschwister,

die Gnade und der Friede unseres Vaters und des HErrn Jesus Christus seien mit Euch!

Petrus wollte wissen, in welcher Beziehung Johannes zum Herrn steht. Die Rangordnung unter den Jüngern war für diese immer wieder ein Thema, obwohl der Herr Jesus zu ihnen gesagt hatte, dass sie besser nicht nach hohem Ansehen trachten sollten, sondern lieber einander dienen mögen. Auch uns interessiert es immer wieder, was mit den anderen ist. Wir haben aber keinen Einfluss auf sie, sondern unser einziges Interesse sollte unsere eigene Beziehung zu Gott sein. Auf dem schmalen Pfad können wir nicht nebeneinander gehen, sondern nur hintereinander. Jeder steht für sich allein vor Gott.

Folge DU mir nach!“ In einem weiteren Sinne könnte dieser Vorwurf – „was geht es dich an!?“-auch auf ganz andere Beziehungen anwendbar sein. Was ist zum Beispiel mit den Menschen aus anderen Religionen? Sind diese von vornherein ausgeschlossen von Gottes Gnade, weil sie nichts von Jesus wissen (wollen)? Werden wir – wie Jona – auch beleidigt reagieren, wenn sich Gott ihrer am Ende erbarmt, wenn sie Buße tun, gleichwie der Stadt Ninive? Ist Gott etwa nicht der „Gott der Götter“!? Kann er ernsthaft die Götter anderer Religionen als Rivalen betrachten, wo Er doch der einzige und absolute Gott ist? Ich glaube, dass Gott jedem Menschen eine Religion oder eine Weltanschauung zugeteilt hat (5.Mo.4:19), und wie Er zu ihnen spricht, ist nicht unsere Sache.

Und nicht nur die Menschen, sondern auch zu den Tieren oder Pflanzen steht Gott in irgendeiner Verbindung, die uns zwar faszinieren kann, aber die uns im engeren Sinne nichts angeht. Es geht ohnehin über unser Vorstellungsvermögen hinaus. Was für ein Leben führt zum Beispiel ein Maulwurf? Oder ein Tiefseefisch? Und welch eine Verbindung hatten die Dinosaurier zu Gott? Wir können das alles nicht fassen – aber es betrifft uns ja auch nicht. Gottes Licht scheint auch in die finsterste Dunkelheit hinein. Er vergisst keines seiner Kreaturen. Dies kann uns trösten, nützen tut es uns aber erst, wenn Gottes Licht uns selbst erreichen kann. Und dann verändert sich alles.

Petrus hatte zunächst das getan, was ihm gerade gut und sinnvoll erschien. Er sagte: „Ich gehe fischen!“ (Joh.21,3). Der HErr Jesus erklärte ihm später, dass er in seiner Unreife noch immer wieder nur das tun würde, was er selber will, dass aber Gott ihn eines Tages dort hinbringen würde, das zu tun, was er von seiner Natur nicht unbedingt getan hätte. Dabei spricht uns der HErr nicht unseren guten Willen ab, weshalb er dem Petrus auch nicht widersprechen wollte, als dieser ihn seine Liebesbereitschaft bezeugte.

Aber unser Wille ist schwach. Unsere menschliche Natur verleitet uns immer dazu, dass wir uns von unseren Liebeswillen zu Gott ablenken lassen und stattdessen anderen, für unser Leben ebenso wichtige Interessen den Vorrang geben. Petrus hatte den HErrn verraten, indem er aus Angst um sein Leben seine Zugehörigkeit zum HErrn verleugnet hatte. Und jedes Mal, wenn wir uns von der innigen Beziehung zu Gott ablenken lassen, dann stehen auch wir in größter Gefahr, unsere Liebe zu Gott zu verraten. Am Sonntag singen wir noch: „Großer Gott wir loben Dich“, und tags darauf jubeln wir über ein Tor unserer Nationalmannschaft und sind stolz auf einen Sieg, obwohl diese Begeisterung für diesen „Fuß-Baal“ überhaupt nicht zur Ehre Gottes dienen kann, sondern sogar zu Gottes Verleugnung.

Unsere Liebe zu Gott ist leider in der Regel nie völlig ungeteilt. Sie ist menschlich. Petrus drückt diese resignierende Einsicht in der Formulierung aus: „HErr, du weißt alles, du weißt auch, dass ich Dich gern habe (gr. „PhILOo“). Dem HErrn aber genügte dieses Bekenntnis, weil es ehrlich ist. “HErr, wer ist es, auf das ich an ihn glaube…“ (Joh.9:36), mit anderen Worten: „Ich will glauben – aber ich weiß nur nicht, an was bzw. an wen.“ „Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ waren die Worte eines anderen Geheilten. Wir können nur das geben, was Gott uns zuvor geschenkt hat, sowohl den Glauben als auch die Liebe zu Gott. Es ist wie ein Energiefluss, der von Gott kommt und wieder zu Gott hinführt. Und wir haben genug daran zu tun, wenn wir alle Hindernisse aus dem Weg räumen, um Gottes Liebe in unserem Leben fließen zu lassen – uns bleibt dabei keine Gelegenheit, dass wir uns fragen, was mit all den anderen ist, den Menschen, die z.B. anderen Religionen angehören. Woher sollen wir wissen können, dass Gott nicht auch irgendwie zu ihnen redet? Auf eine ganz andere Weise vielleicht…? Aber es geht uns nichts an. Und das ist der Punkt!

Wir haben schon genug zu tun, wenn wir uns völlig mit unserer eigenen Umgestaltung beschäftigen. Diese vollführen wir zwar nicht selbst, aber die Mitwirkung an unserer Seligkeit fordert unsere volle Aufmerksamkeit: „Folge du mir nach!“ Es ist ungefähr so, wie wenn man mit seinem Wagen abgeschleppt wird: Der gezogenen Fahrer muss immer darauf achten, dass das Abschleppseil unter Spannung bleibt da es sonst zu unangenehmen Ruckstößen kommt. Er muss darauf achten, wenn der Vordermann gleich abbremsen muss und ebenso schon voraussehen und bremsen. Dadurch entsteht ein wunderbarer Gleichklang, eine Synchronisation. Gott will uns dahin bringen, dass wir mit Seinen Gedanken denken. In den entscheidenden Anfechtungen des Lebens gilt es nämlich, dass wir SOFORT Gottes Willen erkennen und ausführen. Es bleibt in einem solchen Moment keine Zeit, Gottes Gedanken zu erforschen – dieser muss sofort abrufbereit sein, sonst fallen wir stattdessen in alte Verhaltensmuster.

Petrus hatte den HErrn dreimal verleumdet – wie konnte das passieren? Sein Wunsch, Ihn nicht zu verraten, war ehrlich gemeint, aber er genügte nicht. Jesus macht ihm aber keinen Vorwurf, sondern fragt ihn nach seiner Liebe: „HErr, du weißt, dass ich dich liebhabe. Natürlich weiß Er das, – aber ist sich auch Petrus bewusst, dass es nur die Liebe ist, die uns hilft, die Schwachheit unseres Fleisches zu überwinden? Die Liebe ist die einzige Motivation, die es schafft, sogar für jemanden zu leiden und zu sterben, nur, um diesen vor Leid und Tod zu beschützen. Der HErr hatte es ihnen ja vorgelebt. Er war diesen Weg vorausgegangenen und nun sollten Seine Jünger Ihm folgen. Aber war auch ihre Liebe stark genug? Und warum fragte der HErr nur Petrus? Er war ja der Führer unter den Jüngern. Aber als solcher hatte gerade er kläglich versagt. Der HErr gibt ihm hier aber Gelegenheit, es wiedergutzumachen. Jedes Mal, wenn er Ihm in seiner Antwort seine Liebe bezeugt, wird er dafür mit einem höheren Hirtenamt belohnt und geadelt.

Ein kleines Detail ist mir hier aufgefallen, dass eventuell Zufall ist, vielleicht jedoch von Bedeutung: Jesus nennt Petrus „Simon, Sohn Jonas“. War Petrus wirklich nur der Sohn eines Jona? Oder war es hier vielleicht auch eine Anspielung auf jenen Jona, der ähnlich wie Petrus zunächst in seiner Aufgabe versagt hatte, dann aber von Gott erneut berufen wurde, um seine Aufgabe zu erfüllen? Petrus sollte Menschen fischen und nicht länger nur bloß einfacher Fischer bleiben. Im Gegensatz zu den anderen hatte er aber gewisse Führungsqualitäten. Diese allein nützten aber nicht, wenn sie nicht verbunden sind mit eigener Ergebenheit zum HErrn. Aber der HErr kannte Simon in der Tat, sogar noch viel besser als dieser sich selbst kannte. Er wusste deshalb, dass Simons Treueschwüre allein nicht ausreichen würden, um in der Stunde der Versuchung Bestand zu behalten, – was sich ja auch bewahrheitet hatte. Aber er wusste auch, dass Simon Ihn im tiefsten Inneren aufrichtig liebte, weshalb Er ihn auch weiterhin in den Dienst stellen wollte.

Die eigentliche Besonderheit am Glauben ist es eben, dass es sich in Wirklichkeit um eine Liebesbeziehung handelt. Nur die Inbrunst einer echten und aufrichtigen Liebe zu einer Person vermag es schließlich, sich aus Liebe zu dieser selbst zu opfern, wenn es sein muss – ohne dabei durch Angstgefühle und Zweifel davor abgeschreckt zu werden.

Dies war insofern neu, als dass die Juden bisher davon ausgegangen waren, dass Gott ein zorniger Gott sei, den man durch Gehorsam und durch gute Taten besänftigen müsse. Der HErr Jesus zeigte den Jüngern, das es nunmehr nicht mehr um Strenge und Zucht geht – das war früher – sondern das von nun an nur noch die Liebe als einzige Motivationsquelle gelten solle. Aus Liebe hatte sich der HErr als guter Hirte stellvertretend für Seine Schafe geopfert, damit nicht auch sie grauenvoll hingerichtet werden würden, noch bevor sie freiwillig dazu bereit sein würden. Aber nicht erst durch Seinen Tod, sondern vor allem durch Sein Leben ist Er ihnen und uns ein Vorbild, indem Er vorgelebt hat, worin sich die wahre Liebe zeigt, nämlich im DIENEN. Sind auch wir schon bereit, unser Leben zu opfern (d.h. auf ein eigenes, von unseren eigenen Bedürfnissen geleitetes Leben zu verzichten)? Die Liebe zu Gott und vor allem Gottes Liebe zu uns vermag es, alle anderen Bedürfnisse zu ersetzen oder zumindest als unwesentlich erscheinen zu lassen. Und sie befähigt uns, dass wir auch unsere Mitmenschen so sehr lieben können, als wären es unsere engsten Freunde oder Verwandte.

Liebe Brüder und Schwestern, wie ich es Euch schon angekündigt hatte, reisen meine Frau Ruth und ich auch in diesem Winter wieder nach Peru, wo meine Frau herkommt, und zwar vom 10.01. bis 25.02,24, wenn Gott will. Deshalb wird es im nächsten Monat ausnahmsweise keinen Rundbrief geben, sondern erst wieder Anfang März. Wie Ihr wisst, werden wir auch diesmal wieder Spenden an die Bedürftigen verteilen. Wenn jemand von Euch auch etwas geben möchte, kann er/sie es auf folgendes Konto überweisen mit dem Hinweis „Spende für Peru“:

IBAN: DE09 2905 0101 0082 0657 56 bei der Sparkasse Bremen BIC: SBREDE22XXX

Ich will ich Euch dann gerne wieder im nächsten Rundbrief berichten, was wir dort mit dem HErrn erlebt haben.

Seid dem HErrn befohlen!

Simon

 

– „Such, wer da will, ein ander Ziel“  Teil 7

 


Juli bis Dezember 2017

Schicksalhafte Fügungen

Anfang Juli stieg ich eines Nachmittags nach einem Kundenbesuch in meinen Wagen und fuhr nach Hause, als mich auf einmal eine Architektin anrief, um mit mir über den weiteren Ablauf bei einem Dämmauftrag zu sprechen, der in der nächsten Woche beginnen sollte. Ich bog vom Sielwall auf den Osterdeich, als – von mir unbemerkt – eine Polizeistreife auf mich aufmerksam wurde, wie ich während des Autofahrens telefonierte. Sofort fuhren die beiden Polizisten hinter mir her und gaben mir mit einer Leuchtschrift über dem Autodach ein Stop-Signal. Ich war indes so vertieft in mein Gespräch, dass ich gar nicht in den Rückspiegel schaute, um die Halteaufforderung zu sehen. So wunderte sich die Polizei, dass ich den ganzen Osterdeich runterfuhr entlang der Weser, ohne die vielen Gelegenheiten zu nutzen, um rechts ranzufahren. Bei einer Ampel fuhr ich dann auf die Carl-Carstens-Brücke und beschleunigte, so dass die Polizisten dachten, ich wollte fliehen. Immer wieder blinkte die Halteanzeige, aber ich merkte nichts. Unten bei der Bekenntnisschule fuhr ich dann rechts auf die Habenhauser Landstraße und dann wieder rechts in die Fontanestraße, so dass die Polizisten dachten, ich hätte sie endlich bemerkt. Als ich gerade mein Telefonat beendet hatte, fuhr ich wie gewohnt links an der Verkehrsinsel herum, hielt den Wagen, schaute rechts in den Außenspiegel und setzte den Wagen zurück, um möglichst eng an der Bordsteinkante zu parken. Plötzlich machte es einen lauten Krach, und erst in dem Moment sah ich den Streifenwagen, der unmittelbar hinter mir gehalten hatte, weshalb ich ihn nun frontal gerammt hatte.

Wie abgebrüht ist denn dieser Kerl!? dachten sich die Polizisten und stiegen erschrocken aus, wobei sie vorsichtshalber die Hand schon mal an ihr Halfter legten. Als ich dann ebenso herzrasend aus dem Wagen stieg, riefen die Polizisten mir zu: „Wir haben alles aufgezeichnet auf der Dash-cam – Sie brauchen es also nicht zu leugnen, dass Sie es waren, der uns rückwärts gerammt hat!“ Voller Scham hob ich meine Hände und sagte ganz unterwürfig: „Entschuldigung, Entschuldigung! Das wollte ich nicht! Es tut mir so leid…“ – Irritiert fragte mich einer der beiden: „Wieso haben Sie eigentlich gar nicht angehalten? Wir verfolgen Sie schon seit zehn Minuten!“ – „Entschuldigen Sie bitte vielmals – ich war einfach so zerstreut durch das Telefongespräch, dass ich gar nicht in den Spiegel schaute.“ – „Allerdings! Den Eindruck hatten wir auch. Aber jetzt sind wir Unfallbeteiligte und können Ihre Fahrzeugpapiere nicht mehr einfordern, sondern müssen jetzt mal selbst eine Streife rufen, die den Fall aufnimmt.“ Einer von ihnen rief bei der Zentrale an, während ich mit dem anderen ein wenig plauderte. Ich weiß nicht mehr, über was wir sprachen, aber irgendwie musste ich wohl auf die beiden sympathisch gewirkt haben. Denn noch bevor der andere Polizeiwagen eintraf, sicherten mir die beiden zu, dass sie den Vorwurf des Handytelefonierens einfach unter den Tisch fallen lassen würden, so dass ich nur den Unfallschaden am Polizeiauto erstatten solle. Ich bedankte mich sehr und gelobte Besserung für die Zukunft. Durch dieses Erlebnis hatte mir Gott mal wieder vor Augen geführt, wo meine Schwächen sind und wie weit ich noch immer entfernt war von dem Vorbild, das ich als Christ eigentlich für andere sein sollte.

Kurz darauf erfuhren wir durch Ruths Bruder Israel, dass ihre Mutter Lucila in Peru heimgegangen war. Israel versicherte seiner Schwester, dass ihre Mutter nicht litt, sondern in der Nacht friedlich eingeschlafen war.  Trotzdem war Ruth dadurch natürlich emotional sehr aufgewühlt – vor allem, weil sie ihre Mutter nicht begleiten konnte. Aber letztlich hatte sie es auch erwartet und war froh, dass ihre Mutter jetzt nicht mehr leiden brauchte, sondern beim HErrn war. Wir erinnerten uns an die vielen schönen Erlebnisse, die wir gemeinsam mit ihr hatten, wie sie uns immer zum Lachen brachte und wir miteinander scherzten. Zugleich war sie aber für uns alle ein ganz großes Vorbild im Erdulden von Demütigung und Benachteiligung, da sie es als Analphabetin und Opfer häuslicher Gewalt nie leicht hatte im Leben. Sie war immer äußerst bescheiden und genügsam. Sie nahm wenig und gab so viel. Obwohl sie wegen ihres geringen IQs noch nicht mal sagen konnte, wie die vier Evangelienschreiber hießen, bestand für uns kein Zweifel, dass sie beim HErrn einen Ehrenplatz im Paradies erhalten würde.

Mitte Juli kam dann sogleich die nächste emotionale Veränderung in unserer Familie: Dennis, der Freund von Rebekka, kam uns eines Abends besuchen und bat uns nach einem Gespräch um die Hand unserer Tochter. Mir gefiel es sehr, dass er uns nicht vor vollendete Taten stellte, sondern uns respektvoll fragte, ob auch wir mit der Heirat einverstanden sind. Selbstverständlich waren wir das, obwohl Dennis nicht wirklich wiedergeboren war, sondern eher ein Mitläufer, was den Glauben angeht. Aber bei unserer Tochter war es ja auch nicht anders, sodass man nicht von einem „ungleichen Joch“ sprechen konnte (vergl.2.Kor.6:14). Wir waren ja schon froh, dass die beiden gelegentlich in eine Gemeinde gingen und zusammen abends beteten. Zudem hatten beide vorher noch nie eine Beziehung gehabt, weshalb sie füreinander jeweils die erste große Liebe waren. Am darauffolgenden Wochenende machte Dennis dann Rebekka einen Heiratsantrag.


Matthias verlässt mich

Im August erfüllte sich unser peruanischer Bruder Ricardo Pineda (62), der uns 1988 schon einmal besucht hatte, einen jahrzehntelang gehegten Wunschtraum, nämlich noch ein einziges Mal nach Deutschland zurückzukehren, dem Land, mit dem er so viele schöne Erinnerungen verband. Er nahm seine Tochter Sara (26) mit und hatte einen sehr eng getakteten Zeitplan, um auf einer Rundreise durch Europa in relativ kurzer Zeit möglichst viel gesehen zu haben. Sein größter Wunsch – als er nach Bremen kam – war, noch einmal alle Geschwister des damaligen Hauskreises wiederzusehen. So fuhr ich mit ihm zunächst nach Blumenthal in das Haus bei den Böhnkes, wo wir uns damals versammelten. Bruder Edgard war ja inzwischen schon 2010 heimgerufen, aber Schwester Hedi (84) war noch da und freute sich sehr, den Ricardo nach 29 Jahren wiederzusehen. Dann fuhren wir zusammen nach Schwester Alice (77), die Ricardo damals ganz besonders ins Herz geschlossen hatte wegen seiner fröhlichen Art. Am zweiten Tag fuhren wir vormittags zunächst zum Valentinsbunker, wo die Nazis im Krieg mithilfe von Zwangsarbeitern einen riesigen U-Boot-Bunker bauen ließen. Dann machten wir einen Spaziergang durch die mittelalterliche Innenstadt Bremens, damit sie Fotos machen konnten. Am dritten Tag fuhren wir mit ihnen nach Hamburg, um ihnen den Hafen mit Elbphilharmonie, sowie die Innen- und Außenalster zu zeigen.

Nachdem mich in den letzten Jahren über die Hälfte meiner Mitarbeiter verlassen hatte, machte ich auch mit meiner relativ kleinen Mannschaft von vier Gesellen und vier Lehrlingen immer noch einen Jahresumsatz von rund 350.000,- €, wobei ich dem Matthias trotz seines Meistertitels noch immer nur einen Gesellenlohn zahlen konnte, wenn auch über Tarif. Da ich ihm blind vertraute, gab ich Matthias als meinen zukünftigen Nachfolger Einblick in alle Geschäftsgeheimnisse, z.B. in die Einheitspreise aller Leistungspositionen, damit er schon jetzt eigenständig Angebote und Rechnungen für mich schreiben konnte. Damit er mehr verdienen könne, empfahl ich ihm, dass er sich schon jetzt selbstständig machen sollte, um für mich statt als Geselle als Subunternehmer zu arbeiten, was er dann auch Anfang September tat. Was ich jedoch nicht ahnte, war, dass er schon seit Monaten hinter meinem Rücken schlecht über mich redete, sich aber nicht traute, über seine Kritik an mir persönlich mit mir zu sprechen. Mitte September musste ich aber dann einmal sehr mit ihm schimpfen, da er vor dem Tapezieren bei einem Kunden einfach ein langes Kabel aus der Wand hängen ließ, obwohl er dies eigentlich unter Putz legen sollte. Daraufhin erschien Matthias auf einmal vier Wochen nicht mehr zur Arbeit ohne jede Begründung und ging auch nicht mehr ans Handy, so dass ich mir Sorgen machte, ob ihm etwas zugestoßen sei.

Nach vier Wochen erhielt ich plötzlich eine sehr lange WhatsApp-Nachricht, in welcher er mir eine ganze Menge Vorwürfe machte. Vor allem missfiel ihm, dass ich ihn jetzt schon fast zwei Jahre mit dem Versprechen hingehalten hätte, dass ich ihm meine Firma geben würde, aber es noch immer nicht getan hatte. Deswegen sei er zuletzt immer frustrierter geworden, worunter die Qualität seiner Arbeit gelitten hätte. „Du bist schuld daran, dass ich schon längst nicht mehr die Leistung abrufen kann, die ich normalerweise bringen könnte“ schrieb er mir, „und je länger ich für Dich arbeite, desto schlechter werde ich, so dass ich mich selbst nicht mehr im Spiegel anschauen kann“. Er schrieb auch, dass er schon viele Male versucht hatte, mir seinen Frust von der Seele zu reden, aber dann immer wieder einknickte aus Furcht, ich würde ihn manipulativ zum Bleiben überreden. „Deine Art tut mir nicht gut“, folgerte er, weil ich zwar immer lieb und freundlich sei, aber am Ende doch immer nur meinen Willen durchsetzen würde. Dann zählte er noch viele kleine Beispiele auf aus den letzten Monaten, wo ich ihm seiner Ansicht nach Unrecht getan hatte und schloss mit dem Fazit, dass wir ab jetzt getrennte Wege gehen würden. Dieser unerwartete Schwall an Kritik war für mich etwas zu viel auf einmal, und ich hätte mir gewünscht, dass er doch lieber offen zu mir gewesen wäre, anstatt alles in sich hineinzufressen. Meine Mitarbeiter bezeugten, dass er schon seit vielen Monaten über mich abgelästert hatte und sie ihn immer wieder fragten, warum er dann nicht einfach gehe, wenn er es nicht ertragen würde. Für mich hingegen war dieser plötzliche Verlust von Matthias aber ein herber Rückschlag, denn ich stand auf einmal wieder ohne Nachfolger. Aber letztlich nahm ich es aus Gottes Hand und vertraute auf Seine Führung.

Und dann kam der 23.09.2017, der aus Sicht vieler Christen weltweit ein bedeutsamer Tag werden müsste (https://www.youtube.com/watch?v=BZ4fna0lbr4 ), da sich an diesem Tag eine Prophetie aus Offb.12:1 erfüllen sollte. Aber es passierte an jenem Tag nichts, absolut gar nichts. Es war ein Tag wie jeder andere. Kein himmlischer Posaunenklang (wie ein Jahr zuvor über Jerusalem: https://www.youtube.com/watch?v=o1CVB_swsvA), keine Entrückung und auch keine weltweite Belebung des Volkes Gottes. Es war der Tag vor der Bundestagswahl und entsprechend ging es in Deutschland vor allem um Wahlprognosen. Aber auch international gab es kein Ereignis, das in irgendeinem Zusammenhang mit der biblischen Prophetie zu deuten wäre. Von daher war die Sternenkonstellation zwar durchaus verblüffend übereinstimmend mit dem Wortlaut in Offb.12:1, aber hatte trotzdem nichts mit diesem zu tun. Da ich aber im Vorfeld vielen Gläubigen von diesem Zusammenhang erzählt hatte, nannte mich Bruder Richard scherzhaft einen „falschen Propheten“.


Der schwarzfahrende Schriftgelehrte

Anfang Oktober war ich eingeladen auf einer Straßenprediger-Konferenz in München (30.09.-05.10.17), die von den Brüdern Alan Haufe und Alois Böck in einer Offenen Brüdergemeinde abgehalten wurde. Neben Predigten und Workshops (evangelistischer Unterricht), gab es auch täglich Straßeneinsätze an verschiedenen Plätzen in München, was sich besonders gelohnt hat, weil gerade das Oktoberfest begonnen hatte. Dem HErrn sei Dank, dass auch ich viele gute Gespräche haben konnte und neue Geschwister kennengelernt habe. Übernachten durfte ich wieder im Haus von Jonathan und Carolyn Minko, die mir schon sehr ans Herz gewachsen waren. Die Redner auf dieser Konferenz, u.a. Arno Backhaus und Alois Böck, wirkten eher lässig, locker und humorvoll. Doch am dritten Tag ging ein junger Mann mit Anzug und Krawatte ans Rednerpult. Er war blass, trug eine altmodische Brille und Manschettenknöpfe. Er wirkte wie aus der Zeit gefallen, und ich befürchtete, dass er sich gleich ziemlich blamieren würde vor allen. Aber genau das Gegenteil war der Fall: Schon bei seinem Gebet spürte jeder im Raum, dass Peter Schild ein Mann Gottes war, der in engster Verbindung mit Seinem HErrn lebte. Und als er dann predigte, bekam ich regelrecht eine Gänsehaut durch seine kräftige, beschwörende und leicht weinerliche Stimme, die mich an Paul Washer bzw. an Paulus erinnerte, der jeden einzelnen Bruder in Ephesus unaufhörlich „Nacht und Tag mit Tränen ermahnte“ (Apg.20:31). Er predigte zwar etwas pathetisch, aber mit Vollmacht. Peter Schild – diesen Namen musste ich mir merken.

Im Anschluss an die Konferenz fuhr ich weiter nach Augsburg, wo ich von den Brüdern Harald und Nadim erwartet wurde, sowie auch von Bruder Friedemann, der zu diesem Zweck extra von Stuttgart aus angereist war, um Harald mal kennenzulernen. Am nächsten Tag besuchten wir zusammen einen Hausgemeindeleiter namens Shah AlSaifuddin (aus Afghanistan gebürtig), den ich durch seine aufklärenden Internet-Videos kennen- und schätzen gelernt habe. Wir verbrachten den ganzen Tag zusammen im Austausch über diverse Lehrfragen (Verlierbarkeit des Heils, Allversöhnung etc.). Er berichtete, dass er zum Hauskreisbesuch nach München früher immer schwarzgefahren sei, da im Zug so selten kontrolliert werde, dass es trotz eines gelegentlichen Bußgeldes wirtschaftlich gesehen günstiger sei, als jedes Mal ein Ticket zu kaufen. Ich sagte, dass ich das früher auch immer so gemacht hätte, aber ich damals auch noch nicht gläubig war. Als Christen sollten wir „jedem geben, was ihm gebührt“ (Röm.3:7), da es sonst Betrug und Diebstahl sei. Dann erzählte er uns, wie er mal einen Bruder, dem der Weg zur Hausgemeinde zu weit war, in eine Falle gelockt habe, indem er ihn von einer frei erfundenen Stellenausschreibung in seiner Nähe erzählte. Als dieser sich dann sofort bereit erklärte, seinen Wohnort für die Stelle zu wechseln, beschämte der Schah ihn mit den Worten: „Für eine Arbeitsstelle wärst du also dazu bereit gewesen, nicht aber, um regelmäßig mit uns Gemeinschaft zu haben!“ Auch hier korrigierte ich den Bruder, dass wir weder lügen sollen, noch einen Bruder hinterhältig bloßstellen dürfen. Sein ganzes Verhalten sei lieblos und selbstgerecht gewesen, weshalb er Buße tun sollte.

Ein paar Wochen später teilte mir Shah Alsaifuddin mit, dass er mich nicht mehr als Bruder betrachten könne, da ich angeblich nicht an die Göttlichkeit Jesu glauben würde. Ich fragte ihn, wie er darauf käme und erklärte ihm, dass ich selbstverständlich an die Dreieinigkeit glaube. Er sagte, dass ich ja die ewige Herkunft Jesu geleugnet hätte, indem ich den HErrn als geschaffenes Wesen betrachten würde. Ich korrigierte ihn, dass ich nicht „geschaffen“, sondern „gezeugt“ gesagt hatte, so wie es in Psalm 2:7 geschrieben stehe. Schah entgegnete, dass es egal sei, ob jemand gezeugt oder geschaffen sei, denn solange er einen Anfang in der Zeit habe, könne er nicht von Ewigkeit her existiert haben. Zudem sei es bei dieser geistlichen Zeugung in Psalm 2:7 um die Auferstehung Jesu gegangen, da Paulus diese in Apg.13:33 in diesen Zusammenhang brachte. Darauf erwiderte ich, dass der HErr Jesus gemäß 1.Kor.1:30 die „Weisheit von Gott“ sei und als diese gemäß Spr.8:22-31 die Welt geschaffen habe. Dort heißt es aber auch, dass Er „geboren“ wurde vor Urzeiten (V.24), was ja auch schon durch die Bezeichnung „eingeborener Sohn“ zum Ausdruck komme. Abgesehen davon werden nach Hebr.7:9-10 auch solche Geschöpfe als existent gesehen, wenn sie noch ungezeugt, aber schon „in der Lende des Vaters“ sind. In diesem Sinne ist der HErr Jesus von Ewigkeit her existent, und zwar in dem Vater (Joh.14:20). AlSaifuddin wollte diese Erklärung jedoch nicht gelten lassen, sondern behauptete auf einmal, dass ich schon aufgrund von Hebr.6:4-6 kein echter Christ mehr sein könne, da ich schon einmal vom Glauben abgefallen sei. Meine Entgegnung, dass es nur bei Menschenunmöglich“ war, mich zur Buße zu erneuern, aber dass es für Gott möglich war, wollte er nicht anerkennen, da er den Zusatz „bei Menschen“ als eine unerlaubte Hinzufügung zum Wort Gottes betrachtete (vergl. Luk.18:27).

Meine letzte Station auf dieser diesmal verkürzten Reise war dann bei meinem geistlichen Vater Bernd (78) und seiner Frau Brigitte in Ludwigsstadt. So wie er mir bisher immer half bei meinen Hahnenschrei-Ausgaben, indem er sie durchlas und korrigierte, bevor sie veröffentlicht werden, konnte auch ich ihm wieder helfen bei seinen PC-Problemen (er schrieb noch mit einem MS-DOS Betriebssystem). Da sein Arbeitsspeicher schon völlig überlastet war, kaufte ich einen Laptop für ihn in Saalfeld. Auf Spaziergängen in der malerischen Landschaft sprachen wir dann u.a. über die sog. Nachtwachenlehre von Arthur Muhl, und abends hatten wir wieder Wortbetrachtungen mit Bernds Schwestern im thüringischen Nachbardorf Lichtentanne.


Ruths lebensbedrohliche Bauchfellentzündung

Am Abend des 12.10. rief mich meine Frau Ruth an, die in jener Woche mal wieder ihren Chef als Tierärztin vertreten hatte: Sie klagte über starke Schmerzen im Unterleib, die sie schon seit drei Tagen hatte und immer schlimmer wurden. Wir beteten für sie und baten den HErrn um Linderung und Bewahrung. Nachdem ich am nächsten Tag nach Bremen zurückgefahren war, wollte sie am darauffolgenden Samstag vormittags noch ein letztes Mal ihren Chef in der Praxis vertreten und dann anschließend mit mir ins Krankenhaus fahren. Schließlich fuhren wir aber doch erst am Sonntagnachmittag in die Klinik. Man untersuchte sie und erkannte zunächst nur eine akute Blinddarmentzündung. Sie sollte aber noch am gleichen Nachmittag operiert werden. Dabei stellte sich heraus, dass sie eine lebensbedrohliche Infektion im gesamten Bauchraum hatte, weil ihr Blinddarm geplatzt war und Darminhalt entwich. Nach der OP sagte der Oberarzt zu meiner Frau: „Wenn Sie einen Tag später gekommen wären, dann wären sie jetzt nicht mehr auf der Erde…

Doch dann gab eine Krankenschwester der Ruth versehentlich ein viel zu schwaches Antibiotikum, so dass Ruth drei Tage nach der OP immer noch sehr starke Schmerzen im Bauch hatte, bis der Fehler endlich bemerkt wurde. Da sich inzwischen wieder sehr viel Eiter im Bauch angesammelt hatte, musste Ruth erneut operiert werden, um den Bauchraum zu reinigen. Doch dem HErrn sei Dank, dass Er die ganze Zeit auf meine Ruth achtgehabt hat! Nach zwei Wochen Krankenhaus-Aufenthalt konnte ich Ruth dann wieder nach Haus bringen, da es ihr inzwischen wieder besser ging. Wie dankbar dürfen wir sein, dass wir in einer Zeit leben, wo solche schweren Entzündungen nicht mehr ein Todesurteil sind wie noch in all den Jahrhunderten zuvor, sondern mittlerweile durch Antibiotika unzählige Menschenleben gerettet wurden. Auch das ist ja Gottes Güte, dass Er den Ärzten Weisheit geschenkt hat, dass sie dieses Heilmittel aus der Schöpfung entdeckt haben. Sonst wäre meine Frau abberufen worden wie zuvor ihre Mutter. Dort ist es zwar „weit besser“, aber ihr vorläufiges Bleiben auf Erden war ebenso wichtig, weil meine Tochter und ich sie noch brauchten und sie zudem ihren Lauf noch nicht vollendet hatte (Phil.1:23).

Anlässlich ihrer schmerzhaften Bauchfellentzündung und der damit verbundenen, gerade noch rechtzeitigen Verhinderung ihres Todes, stellte Ruth sich trotzdem die Frage, ob es vielleicht nicht doch das Beste gewesen wäre, wenn der HErr sie abberufen hätte. Denn sie litt ja noch immer jeden Tag an Schmerzen wegen ihrer Fibromyalgie und hatte tief im Inneren den Wunsch, dass Gott sie doch endlich sterben ließe, um ihr Leiden zu beenden. Vielleicht war jetzt der Zeitpunkt gekommen, dass Gott ihren Wunsch erhören wollte, und wir hatten durch diesen ärztlichen Eingriff die Entscheidung Gottes sabotiert. Aber war es überhaupt möglich, dass man Gottes Plan vereiteln konnte (Luk.7:30)? Oder lässt Gott einem die Freiheit wie bei Hiskia, den er auf seinen Wunsch hin von seiner Todeskrankheit wieder gesund machte und ihm weitere 15 Jahre Lebenszeit schenkte (Jes.38)? Ruth war indes fest entschlossen, dass sie nur noch weiterleben wollte, wenn es irgendwie eine Aussicht auf Heilung für sie gab. Wir waren ja schon bei vielen Ärzten und Schmerztherapeuten gewesen, aber sie konnten Ruth nicht helfen (Mk.5:26). Manche vermuteten sogar, dass Ruth sich die Schmerzen nur einbilden würde und empfahlen ihr eine Psychotherapie. Eine iranische Ärztin verordnete ihr viel Sport, und dass sie ihre Opiate einfach mal schrittweise absetzen sollte, ohne überhaupt sich vorstellen zu können, dass Ruth dazu gar nicht in der Lage war. Mit anderen Worten: Ruth fühlte sich von niemand mehr ernstgenommen. Wir beschlossen deshalb, dass ich ab jetzt möglichst nur noch vormittags arbeiten sollte, um wenigstens am Nachmittag für sie da zu sein und sie zu massieren. Statt nach Peru auszuwandern, wo man für die Schmerzmittel Woche für Woche viel Geld bezahlen müsste, wollten wir von nun an nur noch im Winter nach Peru reisen, wo es ihr seelisch besser geht und sie sogar als Tierärztin arbeiten könnte bei ihrem Kollegen und Glaubensbruder Francisco Lopez. Und so kauften wir uns Flugtickets nach Peru für den 10.01-09.02.2018, um dort auch unseren 25. Hochzeitstag zu feiern.


Der asketische Evangelist

Eines Tages bekam ich eine E-Mail von einem Bruder namens Wolfgang Ruland, der auf meine Internetseite aufmerksam wurde und mich gerne mal besuchen kommen wollte, um gemeinsam zu evangelisieren. Wolfgang trug einen Anzug, hatte schneeweiße Haare und dunkelbraune Haut. Als ich ihn vom Hauptbahnhof abholte, war ich sehr beeindruckt von seinen vielen Kästen mit Verteilmaterial, die alle mit Aufrufen zur Bekehrung beschriftet waren. Auf einem seiner selbstverfassten Traktate wurden sämtliche Sünden aufgelistet; unter diesen fand sich auch das Wort „Schwulitäten“. – „Meinst Du damit Homosexualität?“ fragte ich. „Ja, natürlich“ sagte Wolfgang, „also im Grunde alles, was unter schwule Taten fällt. Deswegen sagt man ja auch ‚Schwuli-täten‘“ – „Aber das Wort bedeutet ja eigentlich etwas ganz anderes, nämlich ‚Verlegenheit‘ oder ‚Stress‘. ‚Jemanden in Schwulitäten bringen‘ bedeutet, ihn in Bedrängnis zu bringen.“ – „Ja, das gibt es auch. Vielleicht habe ich mich da geirrt. Aber ich denke, dass das wohl trotzdem jeder versteht.“ Er bedankte sich herzlich dafür, dass ich ihn für ein paar Tage bei uns übernachten ließ und freute sich besonders darüber, dass er mit mir zusammen beten konnte.

Ja, Wolfgang war wirklich ein Beter, d.h. er verbrachte einen großen Teil seiner freien Zeit im Gebet. Wenn wir gemeinsam auf die Kniee gingen, dann konnte er problemlos über eine Stunde lang laut beten, so dass ich meine Arme abstützen musste, um keine Rückenschmerzen zu bekommen. In seinem Gebet sprang er immer von einer Bibelstelle zur nächsten, die er nach 50 Jahren im Glauben natürlich alle auswendig kannte. Mich wunderte nur, dass er eigentlich kaum eine Bitte an Gott richtete, sondern einfach nur von seiner Beziehung zu Gott erzählte. Wolfgang schenkte mir auch ein Buch von Ole Hallesby über das Beten, dass ihm sehr geholfen habe. Er litt jahrelang unter seiner sexuellen Neigung und habe durch sein streng asketisches Leben gelernt, diese zu unterdrücken. So ernährte er sich z.B. nur von Wasser und Brot, und zwar ein solches, das er selbst herstellte und das wirklich nur aus Mehl und Wasser bestand. Zu den Mahlzeiten bei uns aß er dieses morgens, mittags und abends. Auf meine Frage, ob das nicht ungesund sei, erwiderte er, dass Mehl etwa 10 % Eiweiß enthalte und dies zum Leben genüge. Er sagte, dass sein Brot ihm nach so vielen Jahren wie die leckerste Speise schmecke.

Am Samstag gingen wir zusammen in die Bremer Innenstadt an einer bestimmten Stelle in der Fußgängerzone, wo ich sonst immer predigte. Schon auf dem Weg dorthin, als ich mit Wolfgang an einer roten Ampel stand zusammen mit etwa 30 anderen Passanten, fing er auf einmal laut an, zu singen: „LOB UND DANK! LOB UND DANK! LOB UND DAHAHANK, GOTTES KINDER SAGEN IMMER LOB UND DANK!“ Die Leute drehten sich belustigt zu ihm um und sahen, wie er mit seinem zahnlückenreichen Mund eine Strophe nach der anderen sang, ganz ohne Scheu. Wolfgang ermutigte mich, mitzusingen, was ich dann auch mit etwas leiserer Stimme tat: „Jedes Weh wurde gut durch des Heilandes Blut. Sieg im Blut, Sieg im Blut, Sieg im Bluhuhut, Gottes Kinder haben immer Sieg im Blut. – Satan flieht, Satan flieht, Satan fliehihit, wenn er Gottes Kinder unterm Kreuze sieht…“ Als wir ankamen, beteten wir gemeinsam, dass der HErr doch die Menschen ziehen möge. Dann fing ich an und predigte etwa 15 Minuten, während Wolfgang Traktate verteilte.

Dann stieg Wolfgang auf sein Podest und sang zunächst ein mir unbekanntes Kirchenlied. Dann rief er die Menschen zur Buße auf und zählte alle möglichen Sünden auf, durch welche die Menschen vor Gott schuldig würden.  Plötzlich tauchte mein Bruder Marcus auf, der wohl gehört hatte, dass wir beide evangelisieren würden. Er hörte Wolfgang eine ganze Weile von ferne zu. Als dieser eine Pause machte, ging Marcus auf ihn zu und erklärte ihm, dass Wolfgang aus seiner Sicht kein Zeugnis sei durch sein Auftreten, sondern eher abschreckend wirke. Wolfgang schaute Marcus einfach nur starr an ohne etwas zu sagen. Als Marcus fertig war, sah er ihm in die Augen: „Sag doch mal was dazu!“ Noch immer blickte Wolfgang ihn einfach nur an, wobei er wohl innerlich betete. Dann sang er auf einmal laut: „Lob und Dank, Lob und Dank, Lob und Dahahank, Gottes Kinder sagen immer Lob und Dank. Alles Weh‘ wurde gut, durch des Heilandes Blut. Halleluja! Lob und Dank…“ Marcus wandte sich wütend von ihm ab und sagte zu mir: „Der ist ja völlig irre! Der nimmt mich überhaupt nicht ernst.“ – „Vielleicht will er aber auch einfach nicht mit Dir diskutieren“ entgegnete ich, „denn es ist doch gerade wirklich kein geeigneter Moment, um sich vor den Leuten zu streiten.“ Marcus ging frustriert weg, und wir machten munter weiter.

Eine Woche später standen wir wieder an der gleichen Stelle und wechselten uns mit dem Predigen ab. Diesmal war auch Bruder Daniel Pyka mitgekommen, der ganz wunderbar predigen konnte. Auf einmal kam ein schwarzer Afrikaner zu mir und fragte mich, um was es denn ginge. Ich erklärte ihm die Evangeliumsbotschaft und fragte ihn, ob er den HErrn Jesus aufnehmen wolle. Er sagte, dass er Muslim sei, aber auch an Jesus glaube. Er heiße Alpha Diallo und komme aus Guinea. Es hatte angefangen, zu schneien und mir fiel auf, dass er viel zu dünn angezogen war, so dass ihm die Zähne klapperten. Deshalb fragte ich ihn, ob er nicht zu uns in das Auto steigen wolle, um sich aufzuwärmen, – was er dankbar annahm. Im Wagen erklärten Daniel und ich ihm noch einmal ganz ausführlich die Botschaft des Heils in Christus und beantworteten seine Fragen. Dann fragten wir ihm, ob er jetzt zusammen mit uns beten wolle, um Buße zu tun und den Heiligen Geist zu empfangen. Er willigte ein, und wir beteten reihum, wobei wir auch Gott dankten. Mir wurde bewusst, dass dies das erste Mal war in den letzten zwei Jahren, dass sich auch mal jemand in Bremen bekehrte. Mein Lehrling Basamba aus Gambia stand zwar auch schon einmal kurz davor, aber im letzten Moment hatte er gekniffen und sagte flehentlich zu mir: „Ich kann nicht, denn meine ganze Familie würde mich verwerfen…“


Der Streit um die Wiederheirat

Eines Abends nach der Bibelstunde setzte ich mich noch einmal mit Bruder Wolfgang in die Küche, weil ich ihn zu einer bestimmten Aussage von ihm mal befragen wollte. Er hatte nämlich gesagt, dass gläubige Männer nach der Bibel zwar nach der Bekehrung eine gläubige Frau heiraten dürfen, auch wenn sie früher als Ungläubige schon in Hurerei mit anderen Frauen gelebt hatten; eine Frau die gläubig wird, muss hingegen warten, bis jener junge Mann, mit dem sie einmal vorehelichen Verkehr hatte, sich bekehrt oder aber stirbt, um dann zu heiraten; denn eine andere Möglichkeit zu heiraten habe sie sonst nicht. Wie er auf diese Idee kam, war mir völlig schleierhaft. Er brachte Stellen aus dem Alten Testament und erklärte, dass eine Frau, die ihre Jungfräulichkeit verliert, sozusagen entsiegelt ist und dadurch nicht mehr das Recht hat, einen anderen Mann zu nehmen, außer dass ihr erster Mann stirbt. Ich fragte ihn, wie das in unserer heutigen Zeit praktisch gehen soll, wo Beziehungen doch schon nach kurzer Zeit enden können und man manchmal noch nicht einmal eine Adresse hat. Außerdem sei es doch völlig lebensfern, dass der erste Sexpartner auf einmal in eine Ehe einwilligt. Wolfgang bestand jedoch darauf, dass eine verlassene Frau sich nach Röm.7:1-6 und 1.Kor.7:10-11 + 39 nur dann neu verheiraten dürfe, wenn der vorige Mann sich wieder mit ihr versöhnt oder stirbt.

Ich hatte mich bis dahin der Lehrauffassung von Bruder Bernd angeschlossen, dass einer, der gegen seinen Willen von seiner Frau geschieden wurde, grundsätzlich nicht sündigt, wenn er erneut heiratet, auch wenn Paulus dies in 1.Kor.7:27-28 nicht empfiehlt. Wolfgang erwiderte, dass mit dieser Auslegung der Vers 39 für ungültig erklärt werde, wo Paulus doch ausdrücklich erklärt, dass eine Frau sich nur durch den Tod neu verheiraten dürfe. Hier war ich tatsächlich dann etwas aus der Bahn geworfen, denn ich hatte mir über diese Stelle bisher noch gar nicht so viel Gedanken gemacht. „Mir fällt auf, dass Paulus hier ja nur von den Frauen spricht, nicht aber von gläubigen Männern. Dies würde ja dann Deine These bestätigen, dass Männer mehr Rechte haben vor Gott als Frauen…“ – „Nein,“ entgegnete Wolfgang, „die gläubigen Männer dürfen nach einer Scheidung erst recht nicht nochmal heiraten, denn das lehrt der HErr Jesus ja an vielen Stellen, z.B. in Luk.16: 18, wo der HErr sagt, dass JEDER die Ehe bricht, wenn er sich nach einer Scheidung neu verheiratet oder wenn er eine Geschiedene heiratet!“ – „Aber was ist mit der Ausnahme in Matth.5:32, wo der HErr sagt, dass bei nachgewiesener Hurerei eine Wiederheirat möglich ist?“ – „So sagt Er das ja gar nicht, sondern nur, dass man eine Entjungferte nicht heiraten braucht, sondern die Ehe annullieren darf. Dies kann der Verlobte wie Joseph feststellen, wenn seine Verlobte auf einmal schwanger wird oder aber spätestens in der Hochzeitsnacht.“

Irgendwie klang mir die Auslegung von Wolfgang sehr schlüssig und widerspruchslos. Da fiel mir ein, dass ich gerade vor fünf Monaten in Meiner „Hahnenschrei“-Ausgabe vom August begründet hatte, welche Ausnahmen es gibt zum Thema Wiederheirat. Wenn ich mich nun geirrt hatte, dann könnte ich theoretisch schon Gläubige zum Ehebruch verführt haben! Sofort machte ich mich daran, meinen Aufsatz auf meiner Internetseite abzuändern, indem ich für ein ausnahmsloses Wiederheiratsverbot plädierte. Als ich meinen Sinneswandel jedoch meinem Lehrer Bernd bekannte, geriet dieser außer sich und schrieb mir einen 16 Seiten langen Brief, in welchem er mir u.a. vorwarf, dass ich mich durch Wolfgang zu einer „dämonischen Irrlehre“ habe verleiten lassen, von einem Mann, der aus Erbarmungslosigkeit und Heuchelei „sein Gewissen wie mit einem Brenneisen gehärtet habe, indem er verbietet zu heiraten“ (1.Tim.4:2-3), obwohl es doch solche gäbe, die nicht die Gabe der Ehelosigkeit hätten und deshalb dazu verleitet werden, in Hurerei oder Pornographie zu verfallen (1.Kor.7:2+7-9). Auch das leuchtete mir ein, weshalb ich meinen Artikel ein wenig abänderte, um ihn um diesen Aspekt zu ergänzen. Bernd reichte dies aber noch immer nicht und verlangte von mir, dass ich diese falsche Lehre ersatzlos streichen möge, da ich andernfalls das endgültige Verderben über die laue Christenheit bringen würde, indem ich ihnen eine Last auferlege, der sie zu tragen gar nicht imstande sind.

Nun geriet ich immer mehr in einen inneren Konflikt, denn ich hatte Angst, dass es vielleicht mein geliebter Bruder Bernd sei, der mich zur Lauheit und falschen Kompromissen verleiten könnte. Immer wieder telefonierte ich mit ihm, manchmal über zwei Stunden, um mir Klarheit in dieser Frage zu verschaffen. Zum Beispiel leuchtete mir nicht ein, warum der HErr angeblich Rücksicht nehmen würde auf die Schwäche von ungewollt Geschiedenen, wenn doch auch der schuldige Partner nach einer Scheidung in Gefahr steht, in Hurerei zu fallen. Und was war mit all den Homosexuellen? Oder was ist mit den Pädophilen? Mussten nicht auch diese nach der Schrift auf eine erfüllte Sexualität verzichten? Der Konflikt sollte Bernd und mich noch Monate beschäftigen.

– „Stich-Worte“ Teil 6

 

  1. Zorn

„Zürnet, und sündiget nicht. Die Sonne gehe nicht unter über eurem Zorn und gebet nicht Raum dem Teufel (Eph.4:26-27)

Das Komma zwischen den Worten „Zürnet“ und „und“ war mir viele Jahre nie aufgefallen. Ich ging immer davon aus, dass wir Menschen grundsätzlich nie das Recht haben, zu zürnen, zumal es ja auch heißt: „Eines Mannes Zorn wirkt nicht Gottes Gerechtigkeit“ (Jak.1:20). Mit dem Komma erscheint das Wort „Zürnet“ aber eher als Aufforderung, die jedoch durch die Warnung „sündiget nicht“ dann doch mehr als Zugeständnis wirkt: Ihr dürft zwar gelegentlich zürnen, aber habt acht darauf, dass ihr dadurch nicht in Sünde fallt.

Wenn der Zorn selbst schon eine Sünde wäre, dann wäre theoretisch auch der Zorn Gottes eine Sünde, was natürlich nicht möglich ist. Das griechische Wort ORGÉ meint einen Erregungszustand (vergl. Orgasmus oder Orgie), bei dem sich angestaute Energie kontrolliert entlädt. Verständlich wird uns dies in der Offenbarung, wo die Menschen den über Jahrhunderte angestauten Zorn Gottes auf einmal zu spüren bekommen, so als ob ein Staudamm brechen würde und sich ins Tal ergießt. Zorn ist also ein entlastendes Ventil, damit die Langmut (engl longsuffering = „langes Leiden“) nicht überstrapaziert wird. Zu Gottes Wesen gehört es ja bekannterweise, dass Er „langsam zum Zorn“ ist (diese Formulierung kommt übrigens zehn Mal in der Bibel vor: 2.Mos.34:6, 4.Mo.14:18, Neh.9:17, Ps.86:15, 103:8, 145:8, Joel 2:13, Jona 4:2, Nah. 1:3, Jak.1:19).

Wer seinen Unmut und Unwillen zurückhält, d.h. einem natürlichen Drang/Trieb keinen Raum gibt, sammelt im Grunde eine Handlungsenergie an, die er bei gegebener Zeit dann zielgerichtet einsetzen kann, um Missstände abzuschaffen und Fehler zu korrigieren. Dies wird deutlich in den Worten von Paulus in 2.Kor.7:11 „Seht doch, wie vieles dieser gottgewollte Schmerz bei euch ausgelöst hat: eifriges Bemühen (um Wiedergutmachung), Erklärung (eures damaligen Verhaltens), Empörung (über das was geschehen war), Furcht (vor Gottes Zorn), Sehnsucht (nach einem Wiedersehen mit mir), leidenschaftlicher Einsatz (für mich) und schließlich sogar Bestrafung (des Schuldigen)“ (NeÜ). Wenn sich jemand empört, dann hebt er sich empor, d.h. er hat vorher willen- und tatenlos auf dem Boden gelegen.

Aus unserer täglichen Erfahrung wissen wir jedoch, dass es uns selbst sehr schwerfällt, Kränkungen zu ertragen und Wut über jemanden zurückzuhalten. Hier sehen wir übrigens den Unterschied zwischen Zorn und Wut: die Wut ist immer unkontrolliert und kann deshalb sehr zerstörerische Folgen haben. Zorn hingegen ist ein Ärger, der bestrebt ist, einen ungerechten oder unhaltbaren Zustand zu beseitigen, indem der Zornige sich und andere zur aktiven Veränderung drängt (siehe der HErr Jesus, als Er im Tempel die Wechsler herauswarf).

Allerdings löst der Zorn anderer bei fleischlichen oder unreifen Menschen bekanntlich selbst Wut und Empörung hervor, weil sie aufgrund von Projektionen ihrer eigenen Befindlichkeit dem anderen keine positiven Motive zu unterstellen vermögen. Deshalb lesen wir in Spr. 17:14 „Der Anfang eines Zankes ist, wie wenn einer Wasser entfesselt; so lass den Streit, ehe er heftig wird.“ Provokation und Streitlust lassen sich zwar leicht mit frommen und sogar biblischen Motiven verbrämen, haben aber psychologisch betrachtet in der Regel ihren Urgrund in dem fleischlichen Geltungstrieb, dem anderen die eigene Überlegenheit zu beweisen. Das griech. Wort PhILO’NÄIKOS in 1.Kor.11:16 bedeutet wörtlich „sieg-liebend“, d.h. man möchte unbedingt in einem Streit als Sieger hervorgehen. Diesen „Brauch“, wie er in der Welt üblich ist, sollten aber auch wir nicht mehr haben.

Wenn wir selbst wissen, wie leicht wir uns durch andere provozieren und zum Zorn reizen lassen können, sollten wir auch selbst auf Provokationen, Kränkungen und Überlegenheitsdemonstrationen verzichten, sondern den anderen durch Sanftmut und Demut beschämen. Dies ist aber leichter gesagt als getan. Das Wort Gottes ist aber diesbezüglich klar: „Sag dich los vom Zorn, leg deine Wut ab! Lass dich von deiner Entrüstung nicht beherrschen; es führt nur zum Bösen“ (Ps.37:8). Sogar im eingangs erwähnten Epheserkapitel 4 schreibt Paulus weiter: „Bitterkeit, Aufbrausen, Zorn, wütendes Geschrei und verleumderisches Reden haben bei euch nichts verloren, genauso wenig wie irgendeine andere Form von Bosheit. Geht vielmehr freundlich miteinander um, seid mitfühlend und vergebt einander, so wie auch Gott euch durch Christus vergeben hat“ (V.31-32).

Wer wütend oder zornig ist, dem ist der „Duldungs-Akku“ ausgegangen und er verfügt nicht mehr über weitere Ressourcen, um der Situation Herr zu werden. Die Bibel spricht deshalb immer wieder von der Zornesglut, die entbrennt, d.h. außer Kontrolle gerät. Wir kennen das alle zu Genüge. Aber was können wir vorbeugend tun, damit wir nicht in diesen Kontrollverlust geraten? Ich möchte im Folgenden mal eine Reihenfolge an Maßnahmen vorschlagen, die vielleicht helfen können:

    1. Erkenne an, dass Dein Zorn in der Regel zwar gerechtfertigt sein mag in Deinen Augen, aber noch lange nicht gerecht und fruchtbar ist. Ruben und Simeon z.B. waren davon überzeugt, dass sie allen Grund dazu hatten, Rache an Hemor und Sichem zu üben wegen ihrer Schwester. Aber ihr Vater Jakob sagte später: „Verflucht sei ihr Zorn, denn er war gewalttätig, und ihr Grimm, denn er war grausam“ (1.Mo.49:7). Wenn Du auch noch so aufgebracht bist, lass dich vom HErrn fragen: „Ist es recht, dass du zürnest?“ (Jon.4:4).
    2. Erkenne, dass Dein Zorn immer auch etwas Mörderisches an sich hat, denn in dem Moment, wenn Du Dich über das Verhalten einer Person empörst und ihr „die Leviten liest“, neigst Du dazu, diese Person innerlich abzuschreiben und willst mit ihr nichts mehr zu tun haben. Damit aber hast Du sie nach den Worten Jesu aus Deinem Leben verbannt und de facto getötet. Der HErr unterscheidet hier jedoch noch nach einem Intensitätsgrad der Verwerfung: ein bloßes Zürnen kann u.U. noch völlig gerechtfertigt sein und soll deshalb gerichtlich untersucht und beurteilt werden. Wer seinen Bruder z.B. als „Nichtsnutz“ (RAKA) abqualifiziert, hat ihm damit einen persönlichen Nutzen abgesprochen und kommt deshalb einmal vor den „Hohen Rat“ (SYN’hÄDRION); wer ihn jedoch sinngemäß als MORä’H bezeichnet, d.h. als „Schädling der Menschheit“ (w: „Widerspenstiger“), der hat ihm jeglichen Wert abgesprochen und sieht in ihm nur noch ein lästiges Ungeziefer, das es zu vertilgen gilt. So in etwa hatten die Nazis über die Juden gedacht. Wenn aber ein Gläubiger in dieser Weise über seinen Bruder denkt und darüber keine Buße tut, dann kommt er eines Tages mit 100%-iger Sicherheit in die Gehenna des Feuers, ohne vorher auch nur angehört zu werden (Mt.5:21-22).
    3. Meide den Umgang mit Menschen, die sich bei jeder Gelegenheit erzürnen, also jähzornig sind, denn sie verleiten Dich und andere zur Sünde. David z.B. sah eine Gefahr in den Söhnen der Zeruja und sprach: „Ich aber bin heute schwach, obschon zum König gesalbt; und diese Männer, die Söhne der Zeruja, sind zu hart für mich. Der HErr vergelte dem, der das Böse tut, nach seiner Bosheit!“ (2.Sam.13:39). Immer wieder sagte er sich und ihnen, dass er nichts mit ihnen zu schaffen habe, denn sie wurden ihm zu „Widersachern“ (2.Sam.19:22).
    4. Zieh Dich ganz zurück aus den „Streitigkeiten des Volkes“ (Ps.18:43), z.B. auf Facebook, wo es letztlich oft nur noch um sinnlose Besserwisserei geht, denn im Grunde sind sie nicht nützlich für die Zuhörer, sondern sogar „zum Verderben“ (2.Tim.2:14), weil sie dadurch zwar Bibelwissen, aber keine göttliche Weisheit lernen.
    5. Tanke jeden Tag neue Kraft auf, indem Du Dich an Jesu Brust lehnst und völlig in Seine Ruhe eingehst. Am Ende wirst dann auch Du sagen: „Ich habe meine Seele besänftigt und beruhigt? Wie ein gestilltes Kind an der Brust seiner Mutter, so zufrieden ist meine Seele bei Dir“ (Ps.131:2). Selbst wenn Dir noch so ein schlimmes Unrecht angetan wurde, kannst Du es dennoch getrost Gott überlassen, dass Er Dir eines Tages Recht schafft.
    6.  Nutze die durch die Vermeidung von Streit eingesparte Energie, um sie zum Heil des anderen zu verwenden. Dies kann z.B. dadurch geschehen, indem Du durch Demut und Sanftmut genau das Gegenteil tust von dem, was Dein Feind von Dir erwartet und Du ihn dadurch beschämst (Mich.7:8, Röm.12:20).
  • Lenke die Aufmerksamkeit Deines zornigen Gegenübers auf den HErrn Jesus, indem Du ihm von Seiner Liebe, Barmherzigkeit und Weisheit erzählst, ohne ihn zu beschämen und zu demütigen. Er wird dann schon von ganz allein darauf kommen, wie weit er von dem Wesen Gottes entfernt ist und zur Besinnung kommen. Und selbst wenn dies nicht sofort geschieht, so kann Gott ihn durch ein Lebensschicksal in einen Zustand bringen, dass ihm jeder Halt entschwindet, er all seine Klugheit infrage stellt und seinen völligen Bankrott vor Gott erklären muss. Dann wird er sich an Dich erinnern.

 

 

  1. Zweifel

Erbarmt euch derer, die zweifeln; rettet sie, indem ihr sie aus dem Feuer reißt… (Jud.22-23)

Zweifel haben tatsächlich etwas Verzehrendes wie das Feuer, weshalb man ja auch von Ver-zweifeln spricht, wenn jemand keinen Ausweg mehr sieht. Das Feuer vernichtet alles Unbeständige, was ja gewissermaßen auch etwas Gutes ist, um sich vor haltlosen Illusionen und Enttäuschungen zu schützen (1.Kor.3:13.15). Deswegen wird der Zweifel heute als etwas Positives gesehen in unserer modernen Welt, weil er den Menschen vor Betrug bewahrt oder ihn dazu drängt, sich nicht mit Annahmen zufrieden zu geben, sondern sich Gewissheit zu verschaffen. Für einen zweifelnden Christen kann dieser Zustand der Unsicherheit und Angst jedoch unerträglich werden, da dieser ihn nicht nur lähmt, sondern ihm sogar der Grundfesten seines Denkens beraubt: „Wenn die Grundpfeiler umgerissen werden, was tut dann der Gerechte?“ (Ps.11:3). Zusätzlich zu seinem inneren Leid und der Unordnung in seinem Kopf, traut er sich oft nicht, seine Schwachheit vor anderen Gläubigen zu bekennen, da er fürchten muss, auf Unverständnis und mangelndes Erbarmen zu stoßen: „Dem Verzagten gebührt Milde von seinem Freunde, sonst wird er die Furcht des Allmächtigen verlassen … Erbarmet euch meiner! erbarmet euch, ihr meine Freunde! denn die Hand Gottes hat mich angetastet“ (Hiob 6:14, 19:21).

Da es für einen Gläubigen ganz unterschiedliche Ursachen von Zweifeln gibt, macht es Sinn, sie einmal nach folgenden Kategorien und Intensitäten zu klassifizieren:

  1. Zweifel aus Angst vor dem Scheitern

Die zehn Kundschafter zweifelten daran, dass sie genug Kraft haben würden, das verheißene Land einzunehmen und vertrauten nicht auf Gottes Beistand, dass Er ihnen Gelingen schenken würde (4.Mos.13:31-33). Genauso ergeht es aber auch uns, wenn wir mit dem Anspruch Gottes konfrontiert werden, ein Leben in vollkommener Heiligkeit und ohne Sünde zu führen (Mt.5:48, Hebr. 12:14). Da wir die Sündlosigkeit bisher noch nie geschafft haben, sagt uns der Verstand: „Das wirst du auch niemals schaffen, es wird sich nie etwas ändern, denn du bist nun mal ein unvollkommener Mensch. Aber Gott macht sich nichts daraus. Dieser Frömmigkeitsanspruch führt letztlich immer nur zu Frust. Es reicht doch völlig, dass wir durch das Blut Christi gerecht gesprochen sind.“

Diese scheinbar biblisch klingende Beschwichtigung ist in Wirklichkeit eine teuflische Lüge, welche die Macht Gottes in Frage stellt. Denn tatsächlich belehrt uns Gott doch schon durch die Natur, dass wir überhaupt gar nichts von Anfang an vermochten, weder gehen, noch Fahrradfahren, noch Autofahren, und dennoch konnten wir alles erlernen. Derselbe Gott, der uns schon in der Natur die Fähigkeiten zum Erlernen einer Sache mitgegeben hat, dem dürfen wir auch glauben, wenn Er uns die Vollkommenheit versprochen hat (1.Petr.5:10).

  1. Zweifel aus Angst vorm Verstoßensein

Die Angst, dass man die Geduld Gottes inzwischen schon Überstrapaziert habe, führt über kurz oder lang jeden Gläubigen zu der bangen Frage, ob man nicht vielleicht schon von Gott verstoßen bzw. aus dem Mund ausgespuckt wurde (1.Sam.15:23+26, Offb.3:16). Es gibt wohl nichts Schlimmeres als zu glauben, dass man von Gott verworfen wurde! Dabei vergisst man leicht, dass „Gott darauf sinnt, dass der Verstoßene nicht (dauerhaft) von Ihm weg verstoßen bleibe“ (2.Sam.14:14).

Wir blicken zwar „voll Beugung und Staunen hinein in das Meer Seiner Gnad‘“ – wie es in einem Lied heißt, aber wenn es nicht mehr um die Bekehrung sondern um die Nachfolge geht, dann stellen sich viele Gläubige vor, als wenn Gott sich inzwischen in einen unerbittlichen Schuldeneintreiber verwandelt hat, den man schon zu oft enttäuscht habe, als dass Er noch ein weiteres Mal vergeben könnte. Heißt es nicht auch entsprechend in Luk.13:7 und Joh.15:2+6, dass der HErr mit den Seinen nicht unendlich geduldig ist, sondern einen Christen, der keine Frucht bringt, beizeiten verwirft? Und heißt es etwa nicht im Hebräerbrief, dass ein Land, das nur noch „Dornen und Disteln hervorbringt, unbewährt ist und dem Fluche nahe, und sein Ende ist die Verbrennung“ (6:8)? Und ist es nicht so, dass „wenn wir mit Willen sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, kein Schlachtopfer für Sünde mehr übrig bleibt“ (Hebr.10:26), und damit keine Vergebung?

Wer diese Sorgen hat, zeigt damit, dass ihm sein Heil und damit sein Erstgeburtsrecht nicht egal ist wie Esau. Selbst wenn ein Christ sich in nichts von anderen Hurern unterscheidet, so erkennt der HErr in Seiner Weisheit doch das willige Herz wie König Salomo, als er zwischen den beiden Huren urteilen musste (1.Kön.3:25-28). Schon allein, wenn einem Gläubigen noch das schlechte Gewissen quält, zeigt er damit, dass ihm die Ehre Gottes ein Herzensanliegen ist und er noch nicht abgestumpt ist. Auch das bittere Weinen wie bei Petrus ist ein Zeichen aufrichtiger Reue, die dem HErrn bewusst macht, wie sehr wir Ihn trotz allem noch lieben. Vor allem müssen wir uns immer wieder vor Augen führen, dass wir Gott NIE ENTTÄUSCHEN können, denn das würde ja bedeuten, dass man Gott täuschen könnte. Gott hat stets unser Lebensziel im Blick und verlässt uns nicht einfach im Moment unseres Versagens. Vielmehr gebraucht Er unsere Verlorenheitsängste, um uns Seine Furcht beizubringen (Ps.34:11, 119:120).

  1. Zweifel am Wort Gottes

Es gibt wohl kaum etwas Unangenehmeres für ein Kind Gottes, wenn es Zweifel am Wort Gottes hat. Wenn es schon erschreckend ist, sich selbst diese einzugestehen, so kostet es umso mehr Überwindung, solche Zweifel vor anderen Gläubigen zu bekennen, weil man Angst hat, von ihnen verachtet zu werden. Dabei sollte die Gemeinde doch eigentlich der barmherzigste Ort auf Erden sein, wo man im Grunde all seine Not bekennen können sollte! Oft ist es aber gar nicht die Intoleranz der anderen, sondern der eigene Stolz, der einen Gläubigen daran hindert, über seine Glaubenszweifel offen zu reden.

Dabei gibt es jede Menge schwieriger Fragen, die Anlass geben können, an der Unfehlbarkeit der Heiligen Schrift zu zweifeln: Warum z.B. passt der Schöpfungsbericht nicht mit den Forschungsergebnissen der Wissenschaft überein? Warum hat Gott Adam und Eva der Gefahr ausgesetzt, vom Baum der Erkenntnis zu essen, anstatt diesen außerhalb ihrer Reichweite zu pflanzen? Warum gibt es homosexuell empfindende Menschen, wenn die Ausübung ihrer Neigung von Gott verboten wurde? Was soll an der Ermordung unschuldiger Kinder gerecht gewesen sein, die Gott bei der Eroberung Kanaans ja nicht nur erlaubt, sondern sogar ausdrücklich angeordnet hat? (z.B. 4.Mo.31:17-18, Jos.7:15+24-26). Warum hat Gott Seinem unschuldigen Knecht Hiob nie erklärt, warum er leiden sollte? Warum ist Gott nicht sichtbar oder hörbar für alle Menschen? Warum hat Gott den Glauben zur Bedingung gemacht, um errettet zu werden, wo dieser doch eine Gabe Gottes ist? Wieso will Gott, dass wir an Wunder glauben sollen? Und warum haben die einen ein gutes Leben und die anderen ein schlechtes? Und warum hat Gott Menschen geschaffen, von denen Er wusste, dass sie einmal im Feuersee landen werden?

Die Unfehlbarkeit der Bibel anzuzweifeln, nur weil man (noch) nicht alle Fragen beantwortet findet, ist sicherlich auch ein Zeichen von mangelnder Dankbarkeit, wo man doch so viele Beweise hat für die Zuverlässigkeit der Heiligen Schrift (man denke nur an all die erfüllten Prophezeiungen in Bezug auf Jesus Christus). Vielmehr sollten uns doch die Rätsel der Bibel Ansporn sein, um noch tiefer zu forschen, um eine Auflösung der scheinbaren Widersprüche zu finden. Sich frustriert abzuwenden vom fundamentalistischen Glauben, um Ausschau zu halten nach einem liberaleren Bibelverständnis, ist im Grunde wie ein Ehebruch, weil man nicht mehr an die Heilbarkeit und Beantwortbarkeit der ungelösten Fragen glaubt. Umso wichtiger ist es, sich an erfahrene und schriftkundige Brüder zu wenden, die einem jungen Bruder Hilfestellung geben können in ihrem Dilemma.

  1. Zweifel an Gottes Existenz

Der Umstand, dass Gott weder sichtbar noch akustisch hörbar, sondern nur durch den Glauben erfahrbar ist, führt einen rational denkenden Menschen oft an seine Grenzen des Denkens. Wie tröstend ist es umso mehr, wenn Gott hin und wieder durch ein einschneidendes Erlebnis Kontakt zu uns aufnimmt und das quälende Schweigen unterbricht. Wie sehr sehnen wir uns alle nach Gottes Eingreifen in unserem Leben! Besonders der Umstand, dass Gott offenbar unsere Gebete häufig nicht erhört, irritiert uns, da es scheinbar die Zusage des HErrn infrage stellt, dass Er all unsere Bitten erhören wird, die wir im Namen Jesu erbitten. Tatsächlich nennt die Schrift aber bestimmte Bedingungen, z.B. dass wir nicht in Sünde leben dürfen (Joh.9:31 „Wir wissen, dass Gott Sünder nicht hört“), dass wir nichts aus übler Lust erbitten sollen (Jak.4:3) oder dass wir unsere Ehefrauen ehren müssen, damit unsere Bitten nicht verhindert werden (1.Petr.3:7). Wenn aber alle diese Voraussetzungen erfüllt sind und wir trotzdem keine Gebetserhörung erfahren, gibt es noch die Möglichkeit, dass Gott uns wie in 2.Kor.12:8-9 eine Bitte zu unserem Wohl versagen muss. Aber tröstet uns das, wenn der HErr doch immer wieder verspricht, dass er uns doch nicht einen Stein geben wird, wenn wir Ihn um Brot bitten (Mt.7:9)?

Ein Hauptgrund für unerhörte Gebete mag auch an unserem Kleinglauben liegen, wie wir in Jak.1:6-8 lesen. Dort spricht Jakobus von den „Wankelmütigen“ (griech. DI-PsYCh´OS = „Doppelseeligen“, d.h.  sie haben eine geteilte Seele, haben zwei sich widersprechende Interessen, zwischen denen sie sich nicht entscheiden können). Auch in dem Wort „zweifeln“ DIA-KRI´Noo, wörtlich „(durch)-urteilen“ steckt das Wort „teilen“ bzw „geteilt sein“ drin. Der Zweifel entsteht nämlich nicht in der „Einfalt“ (2.Kor.11:3), sondern in der Vielfalt von Wünschen und Attraktionen, zwischen denen man sich entscheiden muss (Mt.6:24). Deshalb lautet der Rat an alle Zweifler: „Naht euch Gott, so wird Er sich euch nahen. Reinigt die Hände ihr Sünder und läutert entschieden) die Herzen, ihr Doppelseeligen“ (Jak.4:8).

 

 

  1. Engel

„Denn sie können auch nicht mehr sterben, denn sie sind Engeln gleich und sind Söhne Gottes, da sie Söhne der Auferstehung sind… (Luk.20:36)

In unserer modernen Welt sind die Engel heute nahezu völlig aus der Vorstellung und dem Interesse der Menschen verschwunden, aber leider oftmals auch aus dem Bewusstsein der Gläubigen. In früheren Zeiten hat man den HErrn immer wieder um den Schutz und die Bewahrung durch Engel gebeten (Psalm 91:11-12). Aber da sie ihrer Natur nach unsichtbar sind, ist es bei den Engeln wie mit allen Dingen: Aus dem Auge, aus dem Sinn. Möge Gott uns die Augen öffnen wie in 2.Kön.6:17, dass wir wieder der Gegenwart der Engel gewahr werden!

In vielen Kirchen hat man die Engel („Boten“) meist als Frauen oder gar Kinder mit Flügeln dargestellt, obwohl sie nach  der Bibel eigentlich eher wie Männer aussehen (vergl. 1.Mo.18:2 mit 19:1, 2.Mo.32:24 mit Hos.12:4, Ri.13:6-99) und sie haben auch keine Flügel – mit Ausnahme der Cherubim und Seraphim. Häufig sind Engel ja bewaffnet und führen sogar Kriege in der unsichtbaren Welt, wie wir es aus Dan.10:13-21 erfahren. Paulus spricht von „Thronen oder Herrschaften oder Fürstentümern oder Gewalten“ (Kol.1:16), die sich in der unsichtbaren Welt befinden (Eph.3:10). 270 Mal lesen wir von Gott als dem HErrn der „Heerscharen“, die im Himmel sind (Luk.2:13) bzw von „Zehntausende mal Zehntausende“ (Offb.5:11), wobei schon ein einziger Engel um ein Vielfaches stärker ist als ein Mensch (2.Petr.2:11).

Früher dachte ich immer, dass nur Kinder bis zu einem bestimmten Alter Schutzengel haben (Mt.18:10), bis mich ein Bruder auf Apg.12:15 aufmerksam machte, wo scheinbar auch jeder erwachsene Christ einen eigenen Engel hat. Von ihnen heißt es ja auch, dass sie „alle dienstbare Geister sind, ausgesandt zum Dienst um derer willen, welche die Seligkeit ererben sollen“ (Hebr.1: 14). So wie damals bei Jakob, steigen sie auch heute auf und nieder, um uns zur Seite zu stehen (1.Mo.28:11-13, Joh.1:51). Man stelle sich das nur mal vor: Gott stellt uns allen einen persönlichen Bodyguard zur Verfügung, und wir machen so gut wie keinen Gebrauch davon!

Als wir letztens in der Bibelstunde 1.Petr.1 betrachteten, sprach ein Bruder bei Vers 21 etwas despektierlich über die Engel, als hätten die „keine Ahnung“ und bekämen „nichts auf die Reihe“. Ich wies ihn darauf hin, dass wir aufgrund von 1.Petr.2:10 nicht herablassend über die Engel sprechen dürfen, sondern im Gegenteil wertschätzend und demütig, zumal sie unsere „Mitknechte“ sind (Offb.22:9). In der Heilsordnung habe Gott ja uns Menschen „ein wenig niedriger gemacht als die Engel“ (Ps.8:6), aber uns in Aussicht gestellt, dass auch wir einmal nach der Auferstehung „den Engeln gleich“ sein dürfen, da auch wir dann wie sie Söhne Gottes sind. Hier widersprach man mir: „Wo steht denn, dass die Engel Söhne Gottes sind?“ Ich wies auf Psalm 82 hin und erklärte, dass die Engel als „Söhne des Höchsten“ in Sünde fallen können und dann wie Menschen ihre Unsterblichkeit verlieren (Vers 7). Von daher sei jenes Lied von Carl Brockhaus fehlerhaft, wenn es in der 3.Strophe von den Engeln heißt: „doch Söhne sind sie nicht. Kein Tod hat sie gekettet, kein hoher Preis gerettet“ etc. Selbstverständlich können auch Engel sündigen (Hiob 4:18, 2.Petr.2:4) und dann durch Christus errettet werden (Luk.5:32, 1.Tim.2:5).

Hier erhob sich wieder starker Widerspruch von Seiten der Brüder, zumal sie diese Auslegung noch nie gehört hatten. Ich erinnerte sie daran, dass der HErr Jesus nicht nur für unsere Sünden gestorben sei, sondern auch für die des ganzen Kosmos (1. Joh.2:2), zu dem auch die Engel gehören (1.Kor.4:9). Ich erklärte dann noch, dass Hebr.2:16 ungenau übersetzt sei, da das griechische Wort ἐπιλαμβάνεται laut der Elb. Studienbibel eigentlich „jemanden ergreifen, anpacken“ i.S.v. von „verhaften“ bedeutet (Mt.14:31, Mk.8:23, Lk.9:37, 23:26, Apg.9:27). Die Engel brauchen nicht vom HErrn angepackt werden, um sie wie ein Schaf vor dem Sturz in den Abgrund zu erretten, denn sie sind allezeit vor Ihm, um Ihn um Vergebung zu bitten. Wie schrecklich wäre es ansonsten, wenn Gott zwar den Engeln die Fähigkeit zum Sündigen gab, aber angeblich keine Vorkehrung getroffen hätte, damit sie Vergebung und Errettung erlangen könnten.

Wir sollen die Engel als unsere Brüder lieben und respektvoll von ihnen reden, zumal sie sich ständig um uns bemühen. Als Gott sprach „Lasset uns Menschen (zurecht-)machen“ (1.Mo.1:27), sprach Er die Engel an. Denn mit der Erschaffung unseres Seins, das aus Geist, Seele und Leib besteht, waren wir noch längst nicht vollkommene Wesen, die Gott aus uns machen will. Die göttlichen Eigenschaften, die in Gal.5:22 als Frucht des Geistes aufgezählt werden, erlangen wir nicht durch die natürliche, sondern durch die geistige Geburt von oben. Und dann sind es die Engel, die durch verschiedene Eingriffe in unser Leben uns erziehen durch den Geist. Der HErr Jesus, der unser eigentlicher Schöpfer war, trat im Alten Testament immer nur verdeckt als „Engel des HErrn“ auf, obwohl Er die Worte Gottes immer wieder in der Ich-Form sagte (z.B. 2.Mo.3:2, Richt.2:1 usw.). Es ist nicht auszuschließen, dass auch wir schon manches Mal Engeln begegnet sind, die sich als Menschen ausgaben und denen wir ahnungslos halfen, indem wir sie z.B. beherbergt haben (Hebr.13:6). Ich bin auch schon mal einem jungen Bruder begegnet, zu dem ich sagte: „Du scheinst mir nicht von dieser Welt zu sein, denn Du bist einfach zu vollkommen!“ Auf der einen Seite freut es mich, wenn ich solchen heiligen Brüdern begegnen darf, aber auf der anderen Seit beschämt es mich, weil ich ja schon längst genauso ein heiliges Leben führen sollte.

 

  1.  Das Kreuz

„Wer nicht sein Kreuz aufnimmt und Mir nachfolgt, ist Meiner nicht würdig“ (Mt.10:38)

Das Wort „Kreuz“ erscheint in dieser Aussage des HErrn zum ersten Mal im Neuen Testament. Trotzdem waren die Jünger nicht verwundert, sondern es scheint damals schon eine bekannte Metapher gewesen zu sein für das bereitwillige Ertragen eines von Gott auferlegten Leids. Sein Kreuz zu tragen bedeutet, das von Gott Gebotene, aber der Seele Unangenehme zu tun und die daraus folgenden Konsequenzen auf sich zu nehmen. Wer nicht bereit ist, dem HErrn auch im Leiden zu folgen, ist des HErrn nicht würdig.

  1. Das Kreuz in Bildern des AT

Als Paulus den Korinthern seine gesamte Botschaft, die er in allen Gemeinden und Synagogen, sowohl Gläubigen als auch Ungläubigen, über die Errettung und über die Nachfolge, in einem einzigen Begriff zusammenfassen wollte, nannte er diesen „das Wort vom Kreuz“ (1.Kor.1:18). Bis heute hält die Welt unseren Glauben an die Erlösung von unseren Sünden durch das Sühneopfer Jesu für eine Torheit, so als hätten die Jünger nach Seiner unerwarteten Kreuzigung sich mal eben schnell eine Geschichte zurechtgelegt, nur um Seinen Tod noch irgendwie sinnvoll erscheinen zu lassen. In Wirklichkeit haben die Propheten im Alten Bund schon von jeher das Leiden, das Sterben und die Auferstehung des Messias vorausgesagt, insgesamt sollen es etwa 65 im AT sein (Luk.24:26). Hinzu kommen jede Menge symbolische Bilder, durch die das Stellvertreterwerk unseres HErrn veranschaulicht wird. Das fängt an bei den „Fellröcken“ in 1.Mo.1:21, mit denen Gott die Blöße von Adam und Eva bedeckte, indem ein Tier sterben musste.  Bekleidungsstücke stehen symbolisch immer für die Gerechtigkeit (Hi.29:14, Ps.132:9, Jes.61:10), die ja die Blöße eines Sünders bedecken soll. Als Jakob sich vor seinem Vater Isaak als Esau ausgab, waren es die Ziegenfelle, die ihn vor der Anklage seines Vaters schützten – gleichwie auch uns die Gerechtigkeit Jesu schützt vor dem kommenden Zorn Gottes (1.Thes.1:10, 1.Mo.27:23). Deutlicher als kaum ein anderes Bild von der Kreuzigung haben wir im AT die eherne Schlange, die Moses machen sollte, damit jeder, der zu dieser aufschaute, gerettet wurde (4.Mo.21:9). Der HErr bestätigt diese Bedeutung ja auch in Joh.3:14-15.

Eine eher weniger bekannte Allegorie zur Kreuzigung finden wir in 2.Kön.6:1-7. Der Jorden steht in der Bibel immer für den Tod, weshalb man ja auch sagt „über den Jordan gehen“ = sterben (Jos3:15). Deshalb hat Johannes der Täufer die Menschen im Jordan in den Tod getauft, wie damals Naeman (Mt. 3:5-16, 2.Kön.5:10, Röm.6:3). Das verlorengegangene Eisen des Beils steht für das Leben bzw. die Seele, die Gott uns anvertraut hat, die wir Ihm aber eines Tages zurückgeben müssen (Hes.18:4). Eisen hat als unedles Metall zwar einen vorübergehenden Nutzen, wird aber schnell rostig, wenn es nicht geläutert und veredelt wird.

Um die Seele nun aus der Tiefe der Sünde und des Todes herauszuholen und ans Licht zu bringen, musste der Prophet nun ein grünes Holz abschneiden. Das „grüne Holz“ erinnert uns an Luk.23:31. Der HErr Jesus war ja „abgeschnitten aus dem Lande der Lebendigen“ (Jes.53:8). In Dan.9:26 heißt es: „Der Messias abgeschnitten und nichts haben“. Das Holz musste sterben, damit der Sünder leben kann. Erst durch dieses Opfer kann die verlorene Seele jetzt wieder vereint werden, um ein nützliches Werkzeug in der Hand seines Herrn zu sein. „Er streckte Seine Hand aus von der Höhe, Er nahm mich, Er zog mich aus großen Wassern“ (Ps.18:16).

  1. Das Kreuz Jesu

Um einen Menschen nicht bloß hinzurichten, sondern sein Martyrium auch noch möglichst abschreckend für andere zur Schau zu stellen, wurde er im Altertum gekreuzigt. Kreuzigungen wurden aber nicht nur bei den Römern durchgeführt, sondern auch in Israel (5.Mo.21:22-23), in Ägypten (1.Mo.40:19) und in Persien (Ester 2:23). Was jedoch den meisten Christen nicht bewusst ist, ist die Tatsache, dass der HErr Jesus splitternackt gekreuzigt wurde. Denn es heißt ja in Joh.19:23-24, dass sie Ihm nicht nur Sein Gewandt raubten, sondern sogar auch Seine Unterwäsche, den Leib-rock. Aus Scham und Respekt hat man diese Tatsache auf den vielen Gemälden von der Kreuzigung nicht zeigen wollen. Wie furchtbar muss es für den HErrn gewesen sein, dass man sogar Seine Genitalien sah! „Der Hohn hat Mein Herz gebrochen, und Ich bin ganz elend…“ (Ps.69:20).

Nicht nur die Zeugen Jehovas, sondern auch einige Schriftkundige glauben, dass der HErr Jesus gar nicht gekreuzigt, sondern gepfählt wurde, denn das griechische Wort für Kreuz STAUROS bedeutet eigentlich „Pfahl“, und zwar nicht der Querbalken, sondern ein aufrecht stehender Pfahl, an dem der Verurteilte mit seinen Händen über dem Kopf angenagelt wurde. Tatsache ist, dass es in römischer Zeit beide Varianten gab und dass griechische Begriffe im Laufe der Zeit eine Bedeutungsanpassung erfahren können. Dass der HErr aber nicht mit den Händen überkreuzt an einem einzigen Nagel ans Holz angebracht wurde, geht aus Joh.20:25, wo der Thomas von dem Mal der Nägel in Seinen Händen spricht (Mehrzahl!). Zudem ist auf einer der frühesten Abbildungen der Kreuzigung aus dem Jahr 123 n.Chr. im sog. Paedagogium auf dem Palatin in Rom deutlich ein Kreuz zu sehen. Diese Ritz-Zeichnung hatte ein Mitschüler eines gewissen Alexamenos angefertigt, um diesen zu verspotten, indem er den HErrn Jesus mit Eselskopf zeichnete.

  1. Das Kreuz als Schmuckstück

Das eigene Kreuz zu tragen, wird heute von vielen Christen insofern missverstanden, indem sie es sich als Kettchen um den Hals hängen. Das Kreuz ist heute längst zum weltläufigen Mode-Accessoire verkommen. Es ist heutzutage noch nicht einmal mutig oder gar ein Bekenntnis, eine Kreuzkette zu tragen, da selbst Ungläubige dieses Schmuckstück für sich entdeckt haben. Vor allem ist das Kreuz als Massenware und Allerweltsartikel belanglos und billig geworden. Hierzu schrieb der Kommentator der Wuppertaler Studienbibel Werner de Boor einmal trefflich: „Es ist eine Frage bis hin zu den Bachschen Passionen, ob dieses Sterben mit Seinem Schrei der Gottverlassenheit überhaupt künstlerisch verklärt und damit verharmlost werden darf. Es ist zum Erschrecken, dass die Leidensgeschichte zum ästhetisch-musikalischen Genuss werden konnte.

In einem islamischen Land mag das Tragen eines Kreuzes sicherlich noch ein mutiges Bekenntnis zum christlichen Glauben sein. Wenn man sich hier in Deutschland jedoch zum Glauben bekennen will, sollte man lieber gleich einen Bibelvers wählen, um ihn z.B. aufs Auto zu kleben. Mein peruanischer Schwiegervater, durch den viele in den Anden zum Glauben fanden, sagte einmal ironisch: „Die Kreuze über einer Kirche zeigen nur, dass diese Kirchen tot sind.“ Die Atheisten fragen sich indes, warum die Christen sich ausgerechnet ein grausames Hinrichtungsinstrument als Symbol gewählt haben. Einer fragte mal spottend, ob die Christen auch eine Axt verehrt hätten, wenn ihr Herr mit einer solchen erschlagen worden wäre. Wie sehr ein ursprünglich von Gott gebotenes Symbol zu einem Götzen werden kann, lesen wir über die Eherne Schlange Nechustan in 2.Kön.18:4, Moses Schlange hatte ja längst ihre Aufgabe erfüllt in 4.Mose 21, aber danach wurde sie immer noch jahrhundertelang in abergläubischer Weise verehrt.

  1. Unser Kreuz

Immer wieder wird heutzutage gepredigt, dass der HErr Jesus für unsere Sünden gestorben ist; aber kaum ein Prediger traut sich, auch mal über die Konsequenzen zu sprechen, dass wir durch ein Überwinderleben zeigen, dass auch wirmit Ihm gekreuzigt“ sind (Röm.6:6), und dass wir „täglich“ unser eigenes Kreuz tragen sollen (Luk.9:23). Durch den Glauben hängen wir nämlich wie die Räuber geistlich mit dem HErrn am Kreuz, unfähig zum Sündigen und wartend auf die Erlösung unseres Leibes. Die Welt kann mit uns nichts mehr anfangen, weil wir ihr gekreuzigt sind (Gal.6:14). „Ich bin mit Christo gekreuzigt, und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal.2:20).

Praktisch sieht das nun so aus, dass wir bereitwillig alles geduldig tragen, was Er uns auferlegt hat. „Wer aber ausharrt (wörtl. unten bleibt) bis ans Ende, dieser wird errettet“ (Mt.24:12). Das griechische Wort EIS bedeutet hier „in Richtung auf“, nämlich auf die „Vollendigung“. Es geht hier also nicht um irgendein sinn- und zielloses Warten, sondern um ein aktives Mitwirken an unserer Vollendung, indem wir das Leid als ein Erziehungsmittel Gottes begreifen. Simon von Kyrene dachte wie viele Gläubige heute auch erst, dass die Christusnachfolge sich schon allein auf ein passives Zugucken beschränken würde, bis er zum Kreuztragen gezwungen wurde (Mt.27:32). Und dem anderen Simon kündigte der HErr an, dass er irgendwann nicht mehr auf eigenen Wegen wandeln, sondern durch den Geist Gottes dazu gebracht werde, seine Hände eines Tages bereitwillig auszubreiten, um ebenso gekreuzigt zu werden (Joh.21:18).

 

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