„Die Nacht ist weit vorgerückt, und der Tag ist nahe.
Laßt uns nun die Werke der Finsternis ablegen
und die Waffen des Lichts anziehen.“

(Röm.13:12)

– Der Streit über die Erbsünde, die Vorbestimmung und der Freie Wille – Was lehrt die Bibel?

 

Wir, die wir zuvorbestimmt sind nach dem Vorsatz dessen, der alles wirkt nach dem Ratschluss Seines Willens“ (Eph. 1:11)

 

Kürzlich ist ein Streit ausgebrochen zwischen den beiden Bibellehrern Roger Liebi und Dirk Noll über die Frage der Auserwählung und des Freien Willens, zu dem ich im Folgenden Stellung nehmen möchte. Doch zunächst möchte ich betonen, dass ich in dieser Frage kein Experte bin, der schon einige hundert Abhandlungen zu diesem Thema gelesen hätte, die in den letzten 1900 Jahren bereits zu dieser Frage verfasst wurden. Tatsächlich bin ich bloß ein theologischer Laie bzw. Dilettant, der sich nur am Rande mit dieser Streitfrage befasst hat, da ich regelmäßig in der Bibel lese. Übrigens bedeutet das Wort „Dilettant“ nicht etwa – wie viele glauben – dass ich in völliger Unkenntnis des Sachverhalts einfach nur mal meinen Senf dazu geben will nach dem Motto „Es ist schon alles gesagt, nur eben noch nicht von allen“ (Karl Valentin), sondern dass ich aus Liebe zum Wort Gottes Freude daran habe, mich mit biblischen Themen zu beschäftigen (von ital. „dilettare“ = sich erfreuen, Spaß haben an etwas, vergl. engl. „to delight“ = sich ergötzen). Es ist also in Wirklichkeit keine Schande, ein Dilettant zu sein.

Was bedeutet „Erbsünde“?

Da es sich hier um einen rein theologischen Begriff handelt, der nicht in der Bibel vorkommt, gibt es unterschiedliche Definitionen des Wortes, die sich mit der Bibel weder belegen noch widerlegen lassen. Der Kirchenvater Augustinus (354 – 430 n.Chr.) lehrte, dass in Adam alle Menschen zu Sündern wurden von Geburt an, obwohl in Röm.5:12 lediglich gesagt wird, dass durch Adam die Sünde in die Welt hineinkam, „WEIL alle gesündigt haben“. Sein Zeitgenosse Pelagius (354 – 418) vertrat indessen die These, dass der Mensch nicht von Natur aus böse und unfähig sei zum Guten, sondern dass er erst durch seinen freien Willen zum Sünder werde. Er kritisierte Augustinus, der in seinen Augen Gott zum Urheber des Bösen mache, da Er den Menschen für etwas verurteilen würde, was angeblich in seiner Natur angelegt und unvermeidlich wäre. Stattdessen betonte Pelagius, dass der Mensch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sei und daher auch für seine Fehlentscheidungen von Gott zur Rechenschaft gezogen werden könne. Augustinus hingegen betonte, dass Gott allein den Willen des Menschen beherrsche und Er nach Seinem Belieben ihn begnadigen oder verwerfen könne, indem Er ihn seiner natürlichen Bosheit überließe.

Aus biblischer Sicht lässt es sich wohl kaum leugnen, dass der Mensch durch seine Lüste von Geburt an zur Sünde befähigt wurde, so wie David schreibt: „Siehe, in Ungerechtigkeit bin ich geboren, und in Sünde hat mich empfangen meine Mutter“ (Ps.51:5). Trotzdem rechnet Gott dem Menschen die Sünde nicht als Schuld zu, solange er sich dieser gar nicht bewusst ist (Joh.9:41, Röm.5:13). Deshalb sagt Gott in 1.Mo.8:21, dass das „Dichten des menschlichen Herzens böse ist von seiner Jugend an“. Deshalb gibt es auch in der Gesetzgebung eine Strafmündigkeit erst ab dem 14. Lebensjahr (§19 StGB), weil man davon ausgeht, dass ein Kind zwar schon Straftaten begehen kann, aber erst als Jugendlicher ein Bewusstsein für dessen Folgen entwickelt hat (vergl. Röm.7:9-10). Der „Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen“ steht symbolisch für das Gesetz Gottes, weshalb Adam und Eva plötzlich ihre Blöße vor Gott erkannten. Pelagius irrte jedoch, als er lehrte, dass der Mensch auch ein sündloses Leben führen könne, denn faktisch ist der natürliche Mensch dazu gar nicht in der Lage, was uns nicht nur das Wort Gottes sagt (Psalm 14 und 53), sondern unsere alltägliche Erfahrung (Pred.7:20). Aber auch Augustinus irrte, als er annahm, dass die Menschen schon von Geburt an vor Gott schuldig seien durch die Sünde Adams und dass Gott die Menschen nach Seiner Willkür zum ewigen Heil oder zur ewigen Verdammnis bestimmt habe (Prädestinationslehre). Denn zum einen wird Gott die Menschen nach ihren eigenen Werken richten (Offb.20:12), und zum anderen handelt Gott nicht willkürlich, sondern „nach Vorsatz“, d.h. nach klaren und fairen Regeln (Röm.9:11).

Was bedeutet „Vorherbestimmung“?

Die meisten Evangelikalen tun sich heute schwer mit dem Wort „Vorherbestimmung“ und meiden deshalb diesen Begriff, obwohl er mehrfach in der Bibel vorkommt (Apg.4:28, Röm.8:29-30, 1.Kor.2:7, Eph.1:5+11). Stattdessen wird lieber von einer „Entscheidung für Jesus“ gesprochen, die jedoch nirgends in der Bibel steht. Der Grund ist klar: Wenn der Mensch selbst sein Schicksal wählen kann, dann kann man Gott später dafür auch nicht verantwortlich machen, wenn der Sünder verloren geht, denn er hat ja selbst schuld daran, weil er zu Lebzeiten nicht das Heilsangebot in Christus angenommen hat. Diese Lehre vom freien Willen geht zurück auf den holländischen Theologen Jacob Hermann (1560–1609), der unter der latinisierten Form seines Namens Jacobus Arminius bekannt war und dessen Lehre deshalb auch Arminianismus genannt wurde. Im Unterschied zu Pelagius leugnete Arminius nicht die Verdorbenheit der menschlichen Natur, hielt den Menschen jedoch auch nicht für so verdorben, dass er nicht aus eigenen Stücken in der Lage wäre, das Heilsangebot Gottes anzunehmen oder abzulehnen. Die biblische Lehre von der Auserwählung Gottes integrierte er, indem er diese abhängig machte vom freien Willen der Menschen: Gott wusste in Seinem Vorherwissen, wer auf Seine Gnade mit Glauben antworten würde und erwählte diesen Menschen daraufhin. Im Gegensatz zu Augustinus betonte Arminius, dass das Heilsangebot für alle Menschen gelte, also prinzipiell alle gerettet werden könnten, wenn sie nur glauben wollen würden. Entsprechend hänge aber auch die Treue des Gläubigen von ihm selbst ab, so dass er später genauso gut wieder sein Heil verlieren könne, wenn er nicht im Glauben bleibe. Gott zwinge den Menschen also zu nichts, mache ihn aber für seine Entscheidungen voll umfänglich verantwortlich. Dadurch blieben Gottes Gerechtigkeit und Liebe gewahrt. Von einer echten Vorherbestimmung und Auserwählung Gottes kann aber nicht mehr die Rede sein, denn Gott wird dabei ja lediglich zum Erfüllungsgehilfen des Menschen, der sein Schicksal selbst in die Hand nimmt und sich sein Heil durch seine positive Entscheidung verdient. Im Gegensatz dazu stellt Paulus klar, dass unsere Errettung nicht von unserem Wollen und Mühen abhängt, sondern von Gott, der unseren Willen lenkt (Röm.9:16, Phil.2:13).

Wenn man den Abschnitt von Römer 9:11-23 unvoreingenommen liest, dann könnte man daraus folgern, dass Gott Seine Auserwählten dazu bestimmt hat, errettet zu werden und die Ungläubigen dazu bestimmt hat, verlorenzugehen. Entsprechend war diese doppelte Prädestinationslehre das logische Fazit von Johannes Calvin (1509 – 1564), der wie Luther allein die Gnade ohne eigene Werke vertrat. Wenn man jedoch den Zusammenhang beachtet, so bezieht sich Paulus nicht auf alle Menschen, sondern speziell auf seine „Verwandten nach dem Fleische, welche Israeliten sind“ (9:3). Zudem erwehrt sich Paulus hier gegen das unausgesprochene Argument, dass ein gerechter Gott dazu verpflichtet sei, alle gleich zu behandeln, indem Er entweder alle errettet oder niemanden. Und dann ist es zwingend nötig und unerlässlich, die ganzen drei Kapitel 9 bis 11 bis zum Ende zu lesen, weil sich Gottes Heilsplan an eine strenge Reihenfolge hält. Denn zum Schluss wird ja deutlich, dass am Ende der Zeit „ganz Israel errettet werden wird“, nachdem die „Vollzahl der Nationen eingegangen“ sein wird (V. 25). Der Ruhm von Gottes Souveränität besteht also darin, dass Gott „ALLE zusammen in dem Unglauben eingeschlossen hat, damit Er sich aller erbarme“ (V. 32).

Wer hat denn nun recht?

In diesem Sinne haben weder Calvin und Arminius recht: Die Calvinisten irren sich, indem sie Gott Willkür und Ungerechtigkeit unterstellen durch die Behauptung, dass Gott den Nicht-Auserwählten angeblich von vornherein die Möglichkeit nehmen würde, auch noch errettet zu werden. Dadurch machen sie Gott zum Lügner, wenn doch geschrieben steht, dass Gott „alle Menschen erretten will und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ sollen (1.Tim.2:4). Zugleich aber erklären sie die Gläubigen für unmündig und entheben sie aller Verantwortung, da sie ja angeblich die Gnade Gottes für unwiderstehlich halten und die Gläubigen ganz automatisch wie eine Märklin-Eisenbahn immer auf Gottes Gleisen rollen, ohne abbiegen zu können. Die Arminianer hingegen tun so, als würden sie völlig frei und souverän eine gute Wahl getroffen haben, so als ob sie sich beim Autokauf für das bessere Modell entschieden hätten. Denn der unbiblische Begriff „Entscheidung“ untertreibt völlig die Dramatik und absolute Gefahr, in welcher sich jeder Mensch befindet und degradiert die lebensnotwendige Rettung durch den HErrn Jesus zu einer plumpen Wahl zwischen mehreren Offerten, die völlig frei und ohne Druck getroffen werden könnten. Dabei verkennen sie die Worte des HErrn in Joh.15:16 „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern Ich habe euch auserwählt“, sowie in Joh.6:44 „Niemand kann zu Mir kommen, es sei denn, dass der Vater ihn ziehe“. Wenn ich meine Errettung meiner eigenen Entscheidung für Jesus verdanken würde, dann raube ich Gott den Ruhm, der Ihm allein gebührt.

Die Auflösung dieses scheinbaren Widerspruchs zwischen Vorherbestimmung und Freiem Willen ergibt sich in dem Moment, wo wir Gläubigen unsere Verstockung und Denkfaulheit aufgeben, indem wir endlich „an alles glauben, was die Propheten geredet haben“ (Luk.24:25): Gott will wirklich alle Menschen erretten und zur Erkenntnis der Wahrheit führen, – jedoch nicht alle in diesem Zeitalter! Nirgendwo in der Heiligen Schrift finden wir auch nur einen einzigen Hinweis, dass die Möglichkeit zur Buße und Bekehrung mit dem jetzigen Leben verfällt und damit auch Gottes Möglichkeit, einen Sünder zu begnadigen. Im Gegenteil: In Joh.5:24-25, 1.Petr.3:19 und 4:6 lesen wir, dass auch den Gestorbenen das Evangelium verkündigt wird, die zwar dann noch gerichtet werden müssen, weil sie nicht zu Lebzeiten geglaubt haben, aber dennoch errettet werden. Der HErr Jesus ist gestorben und auferstanden, „damit Er HErr werde sowohl über Gestorbene wie über Lebende“ (Röm.14:9). Nur jene, die den Antichristen annehmen bzw sich selbst nach dem Tod nicht bekehren wollen und folglich auch nicht ins Buch des Lebens eingeschrieben werden, müssen noch in den Feuersee geworfen werden, um durch Gottes unmittelbares Einwirken mit Feuer und Schwefel zur Buße gebracht zu werden. Bei Menschen ist eine solche Umkehr undenkbar, aber bei Gott sind alle Dinge möglich, wenn Er Sein Endziel erreichen wird, einmal „alles in allen“ zu sein (Mt.19:26, 1.Kor.15:28).

Dass bei Gott „kein Ansehen der Person“ ist (Röm.2:11, Eph.6:9, 1.Petr.1:17), bedeutet nicht, dass Er allen Menschen die gleichen Vorteile geben muss und niemanden bevorzugen darf, sondern dass Er all Seinen Geschöpfen die gleichen Grundrechte gibt, zu denen auch die Möglichkeit der Errettung zählt. Dies lässt sich sehr gut am Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg erkennen (Matth.20:1-16): Alle bekamen am Ende das Gleiche und Vereinbarte, aber nicht alle mussten dafür dieselben Mühen aufwenden. Grund dafür ist, weil Gott auch Faktoren berücksichtigt, die wir in unserem begrenzten Urteilsvermögen leicht übersehen. Der HErr sagt z.B.: „Wem viel gegeben ist, von dem wird auch viel verlangt werden“ (Luk.12:48). Ein Auserwählter Gottes ist ein Mensch, der von Anfang an die besseren Startvoraussetzungen hatte, um nicht nur gläubig zu werden, sondern auch das Potential hat, außergewöhnlich viel Frucht zu bringen. Das bedeutet aber nicht, dass er diese Vorteile nicht auch vergeuden kann und am Ende sogar sein Heil wieder verliert. Die Gläubigen in Matth.7:22 hatten das Vorrecht, vom HErrn besonders begabt zu sein, aber sie lebten heimlich auch als Gesetzlose, was der HErr sah und weshalb Er sie verleugnete, weil Er nichts mehr mit ihnen zu tun haben wollte (Vers 23). Ebenso aber gibt es viele Nicht-Auserwählte, die von Anfang an weniger Chancen hatten, gläubig zu werden, aber bei denen die Errettung überraschenderweise dennoch vor der Zeit gelang, was selbst sogar den HErrn Jesus immer wieder in Staunen versetzte (z.B. bei der kanaanitischen Frau in Mt.15:21-28). Die Worte des römischen Hauptmanns in Mt.8:8-10 waren für den HErrn so ungewöhnlich, dass Er sogar die gewagte These hinzufügte, dass am Ende mehr Benachteiligte am Tisch des HErrn sitzen würden als die ursprünglich berufenen „Söhne des Reiches“ (Mt.8:11-12).

Wer also „zum ewigen Leben verordnet“ ist und wer nicht (Apg.13:48), das kann sich jederzeit ändern, weil auch bei Gott die Zukunft nicht bis ins Letzte geplant, sondern z.T. offen ist. Unsere Fürbitte für alle Menschen ist nicht bloß ein formelles Ritual, das nichts bewirkt, sondern trägt einen enormen Anteil dazu bei, wie sehr die Errettung eines Menschen in der unsichtbaren Welt betrieben wird. Dabei stehen Gott und den Engeln viele Möglichkeiten zur Verfügung wie etwa Träume. Diese schenkt Gott aber nicht maximal zwei oder dreimal, sondern MINDESTENSzwei oder dreimal“ (Hiob 33:15-30), und zwar nicht aus Alibigründen, sondern weil Er wirklich jeden Menschen erretten will. Wenn dieses Vorhaben jedoch auch nach vielen Versuchen nicht gelingt, tut Er diesen Menschen erstmal beiseite (weshalb in Röm.1:26+28 nicht von einem „Dahingegeben“, sondern von einem „Beiseitegegeben“ griech. PARÄDOoKÄN die Rede ist). So war ja auch das alttestamentliche Volk Gottes zunächst „missraten in seiner Hand“ (Jer.18:4), weshalb Gott es für zwei Jahrtausende beiseite getan hat und sich erst am Ende der Tage wieder den Söhnen Israels annehmen wird (Hose 3:4-5, 6:2-3). Dass Gott schon Jahrhunderte zuvor mit Gewissheit die Errettung Israels beschließen und ankündigen kann, liegt daran, weil Er nicht auf das Einverständnis der Juden angewiesen ist, sondern die Errettung allein Sein Werk ist. Deshalb sagt Paulus: „Als es aber Gott, der mich von meiner Mutter Leibe an abgesondert und durch Seine Gnade berufen hat, gefiel, Seinen Sohn in mir zu offenbaren, …“ (Gal. 1:15-16). Die Bekehrung von Paulus ist eigentlich ein Musterbeispiel, um zu erkennen, dass nicht der Mensch eine Entscheidung trifft zum Heil, sondern Gott allein, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist.

 

 

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