Oktober bis Dezember 2016
Der mafiose Pfingstler
Noch immer gingen Ruth und ich in den Hauskreis zu Bruder Jens Kellner, der nach der Bibelstunde regelmäßig ein üppiges Abendessen servierte, bei welchem wir oft noch bis spät abends in geselliger Runde beisammensaßen. Eines Abends war eine polnische Schwester in der Bibelstunde namens Maria (ca. 63) mit ihrem italienischen Freund Salvatore. Beide waren Pfingstler, unterstützten mich jedoch in meiner Überzeugung, dass der HErr jene „Täter der Gesetzlosigkeit“ aus Mat.7:23 durchaus kannte, sie jedoch verleumdete, da sie Ihm immer wieder verleumdet hatten durch ihre Werke. Diese Ansicht hatte einen Streit ausgelöst, bei welchem sich auf einmal alle anderen im Hauskreis gegen mich wandten, dass ich „gesetzlich“ sei und dass es schlicht unmöglich sei, ein Leben ohne Sünde zu führen. Die Wut der anderen auf mich hatte sich schon lange angestaut, so dass es nun zum Eklat kam. Als wir uns spät in der Nacht verabschiedeten, sagte mir Schwester Maria auf der Straße, dass sich heute Abend die Geister voneinander geschieden hätten und sie nicht mehr zu solch lauen Christen hingehen wolle, die ständig die Sünde verharmlosen oder rechtfertigen würden. Ich stimmte ihr zu und bot ihr an, dass wir doch bei uns zuhause einen neuen Hauskreis eröffnen könnten mit Gottes Hilfe. Sie war darüber hoch erfreut und wir verblieben so, dass sie ab nächsten Mittwoch zu uns kommen könnten.
Daraufhin machte ich Flyer und verteilte sie am Wochenende im Süden Bremens, um zu unserem neuen Hauskreis einzuladen. Tatsächlich meldete sich u.a. ein gläubiges Ehepaar aus Sri Lanka, das fortan zu uns kommen wollte. Ich lud auch meine gläubigen Mitarbeiter zum Hauskreis ein, d.h. Matthias, Bartosz, Jörg, Simeon und Jakob, die daraufhin z.T. kamen und eine Weile blieben. Marcus wiederum kam mit seiner Frau Christine, die wir nun endlich persönlich kennenlernten und lud noch zwei Brüder namens Daniel Pyka und Sergej Borgardt ein, die er noch von früher kannte. Sogar meine Schwester Diana kam mehrere Wochen lang regelmäßig, sodass unser Wohnzimmer manches Mal richtig voll war. Bei unserem ersten Treffen Anfang Oktober schlug ich vor, dass wir gemeinsam jedes Mal ein Kapitel aus dem Römerbrief behandeln sollten, womit alle einverstanden waren. Als wir dann aufstanden, um gemeinsam zu beten, blieben Marcus und Christine zu unserer Überraschung sitzen. Nachdem Gebet wollte ich anfangen, aus Kapitel 1 vorzulesen, aber Marcus unterbrach mich: „Simon, ich würde den Anwesenden nur einmal kurz den Grund nennen, warum wir eben gerade sitzen geblieben sind. Denn ich und Christine sind der Meinung, dass es sich bei dem Aufstehen zum Gebet um ein religiöses Ritual handelt, das uns nirgendwo in der Bibel geboten wird. Wir wollen uns aber nicht an religiösen Übungen und Traditionen orientieren, sondern allein auf das, was geschrieben steht.“ Ich entgegnete: „Eigentlich sollte man sich vor Gott hinknien zum Gebet, aber auch das Stehen zum Gebet wird bezeugt. Nirgendwo aber haben Gläubige in der Bibel beim Gebet gesessen.“ – „Ja, der Pharisäer hat beim Gebet gestanden“ sagte Marcus, „aber wir haben nirgends ein Gebot, dass wir uns beim Gebet hinknien sollen!“ – „Das brauchen wir auch nicht, weil uns die Ehrfurcht vor Gott dazu drängt, nicht einfach sitzen zu bleiben vor der höchsten Majestät…“ Marcus unterbrach mich, aber ich ließ es nicht zu: „Lass uns bitte jetzt nicht weiter darüber diskutieren, sondern jetzt gemeinsam den Bibeltext lesen!“
Leider geschahen solcherlei Einwände von Marcus fortan regelmäßig, und jedes Mal hielt Marcus einen sehr langen Vortrag, ohne mal einen Punkt zu machen, so dass ich ihm zwangsweise ins Wort fallen musste, um solche Abschweifungen zu vermeiden. Mal war es die Frage, ob die Gebote des Alten Bundes noch Gültigkeit haben, dann war es die Frage, ob es heute noch Zungenrede geben konnte – ständig widersprach mir Marcus und hielt seine langen Vorträge, die jedes Mal in einem Streit zwischen mir und ihm endeten, so dass einige neue Geschwister schon nicht mehr kommen wollten. Deshalb kam der Tag, an dem ich sagte: „Marcus, es tut mir leid, aber so kann das nicht weitergehen. Du und ich vertragen uns einfach nicht, da wir einfach völlig entgegengesetzte Standpunkte vertreten. Ich respektiere, dass Du die Dinge anders siehst, aber Du weißt auch, dass wir nach der Schrift Streitigkeiten vermeiden sollen. Deshalb mache ich Dir einen Vorschlag: Geh du mit Christine zur Rechten, dann gehe ich zur Linken. Und wenn Du zur Linken gehst, dann gehe ich zur Rechten, – so wie Abram zu Lot sagte in 1.Mose 13:9.“ Daraufhin standen Marcus und Christine auf und verließen das Wohnzimmer.
Doch leider war damit noch keine Ruhe eingekehrt, sondern einige Wochen darauf begann noch ein viel dramatischer Angriff vom Feind: Schon lange war mir aufgefallen, dass Salvatore während des Gebets immer leise in Zungen redete und dabei in ekstatische Verzückung geriet. Jedes Mal, wenn wir das Thema Zungenrede ansprachen, versuchte Schwester Maria mich davon zu überzeugen, dass ich doch auch die „Geistestaufe“ bekommen müsse, damit mein Dienst noch gesegneter sei. Eines Abends nach dem Hauskreis wandte sich Schwester Maria an mich und sagte: „Lieber Simon, Du denkst vielleicht, dass Salvatore und ich verheiratet sind, weil wir jedes Mal zusammen zum Hauskreis kommen. Aber in Wirklichkeit sind wir nur befreundet, haben aber vor, noch in diesem Jahr zu heiraten. Wir möchten aber, dass Du weißt, dass wir beide schon einmal verheiratet waren, aber jetzt geschieden sind. Deshalb möchten wir wissen, wie Du darüber denkst.“ Ich fragte sie, ob sie unfreiwillig geschieden wurden oder ob sie sich auf eigenen Wunsch haben scheiden lassen. Maria erklärte mir, dass ihr erster Mann ein Trinker war, der sie immer wieder betrogen hatte und sie schließlich endgültig für eine andere Frau verließ. Salvatore hingegen, der früher für die sizilianische Mafia gearbeitet hatte, war zuletzt mit einer gläubigen Ehefrau verheiratet, die ihn immer wieder kritisiert hatte wegen seines schlechten Benehmens. Als ihm die Schimpferei eines Tages zu viel war, ließ er sich von seiner Frau scheiden – gegen ihren Willen und ist seither mit Maria zusammen. Für mich war der Fall daraufhin klar: „Theoretisch dürftest Du, liebe Maria, noch einmal heiraten, jedoch nicht den Salvatore, weil er ja selbst die Ehe gebrochen hat und deshalb verpflichtet ist, sich mit seiner Frau zu versöhnen.“ Daraufhin gestikulierte Salvatore vor mir aufgeregt mit seinen Armen und sagte laut: „Mi dispiace, aber das kannst du vergesse! Isch werde auf jede Fall die Maria heirate, che ti piaccia o no – ob du willst oder nich! Ich kann ohne diese Frau nicht mehr lebe!” – “Es geht ja nicht darum, was ICH will, sondern was die Schrift sagt!” erwiderte ich. Maria schlug vor: “Deswegen lass uns doch gemeinsam dafür beten, dass der HErr es mir zeigen möge, Simon. Und wenn der HErr mich nicht daran hindert, dann werde ich den Salvatore noch in diesem Jahr heiraten.” – “Nein, das geht nicht” sagte ich, “denn dann würdest Du den HErrn versuchen. Er hat ja ganz klar in Seinem Wort geboten, dass man einen Ehebrecher nicht heiraten darf, und wenn Du es doch tust, dann versündigst Du Dich. Außerdem bringst Du mich dadurch in ein echtes Dilemma, denn eigentlich dürfte ich Euch dann auch nicht mehr ins Haus aufnehmen, da Ihr beide in Sünde lebt.” „Du kanns sage, was Du wills, Simon eh! Abe isch werde die Maria heirate!“ rief Salvatore.
Eine Woche später, nachdem wir viel gebetet haben, kam Maria schluchzend zu uns und bat uns um Vergebung, dass sie nicht gleich auf uns gehört habe. Sie berichtete, dass Salvatore häufig sehr aggressiv sei und sie und ihre Söhne sogar schon öfter mit dem Tod bedroht habe. Beim letzten Streit habe sie ihm dann gesagt, dass sie ihn nicht mehr heiraten wolle, und da habe er sie mit den Worten angebrüllt: „WENN DU MICH VERLÄSST, DANN NEHME ICH DEINEN KOPF UND SCHLAGE IHN AN DIE WAND!“ – „Das ist ja furchtbar!“ sagte Ruth, „aber dann ist er auch nie wirklich von neuem geboren worden, denn so redet kein echtes Kind Gottes.“ – „Ja, das habe ich manchmal auch schon gedacht“, sagte Maria, „aber er kann auch ganz liebevoll sein und geisterfüllt. Ich habe vermutet, weil er ja früher bei der Mafia war, dass er deshalb noch so eine ungehobelte Ausdrucksweise hat, aber wie kann er so reden, wenn er mich doch liebt?!“ – „Nein, Maria, das hat nichts mehr mit Liebe zu tun, geschweige denn mit Christsein.“ – „Ja, das glaube ich jetzt auch nicht mehr. Letztens haben meine beiden Söhne Martin und Emmanuel ihn aus dem Haus werfen wollen und da brüllte er sie an: ‚FASST MICH NICHT AN; SONST JAGE ICH EUCH EINE KUGEL IN DEN KOPF!‘“
Maria wollte sich jetzt endgültig von ihm trennen, hatte aber Angst um ihr Leben. Deshalb kam sie zu uns und bereute zutiefst, dass sie sich überhaupt auf ihn eingelassen hatte. Wir beschlossen, dass wir wegen dieser Morddrohungen nicht zur Polizei gehen wollten, sondern stattdessen Gott darum bitten, dass Er dem Satan erlauben möge, den Salvatore daran zu hindern, diese Sünde zu begehen, sei es durch eine schwere Krankheit oder durch Tod. Denn so schrieb es Paulus an die Korinther in einem ähnlichen Fall, dass man „einen solchen im Namen unseres HErrn Jesus dem Satan überliefern solle zum Verderben des Fleisches, damit der Geist gerettet wird am Tage des HErrn“ (1.Kor.5:5). So beteten wir zum HErrn und übergaben den Salvatore in Satans Hand, damit der HErr ihn dadurch richten möge. Dann erzählte uns Maria, dass sie jetzt nach Polen reisen würde, um sich dort vor ihm zu verstecken, dass sie ihm aber vorher einen Brief schicken wolle, um ihm zu sagen, dass es jetzt endgültig aus sei und sie nicht mehr zu ihm zurückkehren würde. Einige Wochen später erfuhren wir, dass Salvatore ihr geantwortet hatte, dass er die Trennung akzeptiere, zumal er inzwischen auch schon eine andere Frau gefunden habe.
Gibt es eine jüdisch-freimaurerische Weltverschwörung?
Seit dem Sommer 2016 ging es meiner Schwiegermutter Lucila (83) gesundheitlich zunehmend schlechter. Schon während ihres letzten Aufenthalts bei uns in Deutschland im Jahr 2015 spürte sie, dass dies ihr letzter sein würde, wollte aber nicht in Deutschland sterben, um uns nicht zur Last zu fallen, wie sie sagte. Da sie Pflege brauchte, konnte sie aber auch nicht mehr allein in ihrer Wohnung in Lima bleiben, sondern wurde von ihrem Sohn Israel zu sich nach Ica gebracht. Israels Adoptivtochter Rossana hatte jedoch den Eindruck, dass Israel mit der Pflege überfordert war, da Lucila inzwischen völlig abgemagert war. Ruth machte sich große Sorgen und wollte unbedingt den Winter über bei ihrer Mutter in Peru verbringen, um sie bis zu ihrem Tod zu pflegen. Und da Eva ohnehin wieder zurück nach Lima musste, flog Ruth im November 2016 gleich mit ihr hin. Wir vereinbarten, dass ich in Deutschland bleiben solle, um mich um das Haus und die Firma zu kümmern. Schon lange hatte ich vor, unser Haus mal wieder von Grund auf zu renovieren, und das wäre dann mal eine Gelegenheit.
Zu jener Zeit wurde ich auf YouTube zum ersten Mal auf einen christlichen YouTuber namens Markus Müller aufmerksam, der unter dem Pseudonym InfoKriegerMCM bzw. EndzeitreporterMCM ziemlich interessante Videos veröffentlichte über weltpolitische Ereignisse, die er anhand der Bibel kommentierte. Er stand zwar lehrmäßig den Judaisierern bzw. Armstrong-Anhängern („Klar und wahr“) nahe, aber das störte mich nicht, da ich nur an den Informationen interessiert war. Besonders reizte mich die Frage, ob es eigentlich wirklich eine jüdisch-freimaurerische Weltverschwörung gäbe. Denn der Umstand, dass diese Frage von nahezu allen Medien vehement verneint wurde, war für mich noch lange kein Beweis, dass es wirklich keine gab, da ja die Medien der Legende nach alle in der Hand der Verschwörer waren und entsprechend Einfluss auf die Berichterstattung hatten. Als ich dann auf die Videos des Historikers Wolfgang Eggert stieß, war ich mir sicher, dass die jüdische Verschwörung keine Fiktion war, sondern auf jede Menge historischer Fakten beruhte. Obwohl Eggert kein Christ war, glaubte er wie wir, dass demnächst ein antichristliches Reich entstehen und eine unaufhaltsame Apokalypse über die Welt hereinbrechen würde. Diese käme aber seiner Ansicht nach nicht von Gott, sondern würde von Kabbalisten inszeniert werden, um der Welt dann ihren Messias als Retter zu präsentieren, der die Welt vor dem Bösen schützen würde. Bei der Herbeiführung des totalen Chaos auf allen Ebenen seien aber nicht nur jüdische Kabbalisten, sondern auch christliche Freimaurer beteiligt.
Da sich diese dystopische Weltdiktatur nicht mehr verhindern ließe, empfahl Eggert, Deutschland zu verlassen und irgendwo im Ausland auf dem Land autark als Selbstversorger zu leben, bis irgendwann der Spuk vorbei sei. Ich war ganz erstaunt, wie sehr sich diese Prognose mit den Aussagen der Bibel deckte. Denn die biblische Prophetie spricht ja ebenso von einem Weltreich des Antichristen, durch welches die Gläubigen verfolgt werden und in die Wüste fliehen müssen (Offb.12). Wie war es aber möglich, dass selbst Ungläubige dies erkannten, während die Gläubigen nahezu gleichgültig waren oder schliefen? Aber auch Eggert war enttäuscht über das Desinteresse der Menschen und entschied sich, keine weiteren Bücher oder Videos mehr zu machen. Stattdessen übergab er sein Geheimwissen in die Hände seiner libertären Schüler Oliver Janich und Tilmann Knechtel, die auf ihren Video-Kanälen weitere verblüffende Fakten lieferten über den Einfluss einer geheimen, satanischen Oligarchie auf die Politik, aber auch auf die Medien und Musikbranche. Einige reiche Juden wie die Rothschilds und Rockefellers hatten scheinbar mit Satan einen Bund geschlossen, damit dieser ihnen die Herrschaft über die Welt gebe (Mt.4:8-9), wie geschrieben steht: „Wir haben einen Bund mit dem Tode geschlossen… die Lüge zu unserer Zuflucht gemacht und in der Falschheit uns geborgen“ (Jes.28:15). Deswegen nannte der HErr sie auch eine „Synagoge des Satans“ (Offb.2:9, 3:9). Dieser Verdacht hat nichts mit Antisemitismus (d.h. Hass auf alle Juden) zu tun, denn solch eine Vereinfachung wäre genauso naiv als würde man sagen, dass alle Deutschen Nazis sind, weil Hitler ein Nazi war.
Dass die Medien auch hierzulande keineswegs neutral und objektiv berichten, wurde im November 2016 besonders deutlich, als die Amerikaner vor die Wahl gestellt wurden, ob sie Donald Trump oder Hillary Clinton zum neuen Präsidenten der USA wählen sollten. Sowohl vor als auch nach den Wahlen taten die deutschen Medien so, als würde mit der Wahl Trumps die Welt untergehen. Dabei stellte sich am Ende heraus, dass Trump einer der friedlichsten und freiheitlichsten Präsidenten der USA werden sollte, der im Gegensatz zu seinen Vorgängern nicht einen einzigen Krieg gegen andere Länder führte, sondern sich sogar um Frieden mit Russland und Nordkorea, den Erzfeinden Amerikas, bemühte. Da schon Wochen vor der Wahl alle Gläubigen in Facebook auf einen Sieg Trumps hofften, fieberte auch ich in der Wahlnacht vom 08.11.16, wer wohl die Wahl gewinnen würde. Die deutschen Medien waren einhellig der Meinung, dass Clinton siegen würde, weshalb mich eine gewisse Schadenfreude beschlich, als ich sah, dass schließlich Trump das Rennen machte. Die Verschwörungstheoretiker-Szene, auch Truther oder „Wahrheitsbewegung“ genannt, jubelte – allerdings nur kurz. Denn zu einer weltweiten Revolution kam es am Ende nicht. Die Politiker des Establishments wurden nicht verhaftet und vor Gericht gestellt, die Pädophilennetzwerke („Pizzagate“) nicht ausgehoben und der von den US-Evangelikalen gewählte Trump bekannte sich in seiner Biographie zur jüdischen Kabbala, konnte in einem Interview nicht einen einzigen Lieblings-Bibelvers zitieren und erklärte, dass er Gott noch nie um Vergebung gebeten habe.
„Gott wollte, dass ich sterbe“
Nachdem Ruth und Eva nach Peru geflogen waren, sah ich die Gelegenheit, mein Haus für andere Brüder zu öffnen, und zwar zunächst für Jens aus Wittenberg und danach für Harald aus Augsburg. Harald (54), ein ehemaliger Missionar und Konditor, war schon einmal 2005 für mehrere Wochen bei uns, als er gerade seine Missionsarbeit in einem Kinderheim in Bolivien beendet hatte und eine neue Perspektive suchte. Er hatte zunächst versucht, bei mir zu arbeiten, fand aber dann Arbeit als Konditor. Als er aber dann immer wieder von seinen Kollegen gemobbt wurde, ließ er sich vorzeitig in Rente gehen lassen.
Seither sammelte er Hunderte an christlichen Filmen auf DVD in der Hoffnung, diese nach dem Anschauen an Gemeinden zu verleihen, fand aber so gut wie keine Interessenten dafür. Zudem sammelte er auf deutschen und amerikanischen Internetseiten unzählige Artikel und Videoclips über die antichristlichen Entwicklungen. Jedes Mal, wenn wir telefonierten, fragte ich ihn, für was er all diese Informationen sammeln würde. „Weil es immer noch viele Christen gibt, denen noch nicht klar ist, dass wir jetzt absolut in der Endzeit angekommen sind. Die Robotik ist z.B. schon so weit, dass es völlig menschliche Sexpuppen gibt, die sich mithilfe der künstlichen Intelligenz mit den Menschen unterhalten können, als wären sie echt. Durch den Transhumanismus ist man sogar schon so weit, dass man alle Gedanken und Informationen eines Menschen in die Cloud hochladen kann, wo die Daten nach dem Ableben des Menschen auf einen anderen übertragen werden können. Sogar das ewige Leben wird durch das Kopieren von Organen inzwischen eine realistische Option. Und bevor all diese Phantasien Wirklichkeit werden, wird Jesus wiederkommen und ihrem Irrwahn ein Ende setzen.“ – „Aber dass der HErr bald wiederkommt, das wissen wir doch längst aus der Heiligen Schrift und wird von kaum einem Gläubigen noch angezweifelt. Und warum sammelst Du denn auch all diese Hollywood-Filme, die überhaupt nichts mit dem christlichen Glauben zu tun haben, sondern reiner Schund sind?“ – „Weil die Eliten uns durch die Science-Fiction-Filme mitteilen wollen, was sie vorhaben und wie die Zukunft aussehen wird. Was glaubst Du wohl, warum es in letzter Zeit so viele Endzeitfilme gibt?“
Im Sommer 2016 entdeckte man bei Harald dann einen bösartigen Tumor im Magen und verordnete ihm eine Strahlen- und Chemotherapie. Als Charismatiker wollte Harald sich aber nicht nur auf die Errungenschaften der modernen Medizin verlassen, sondern hoffte darauf, dass ein nigerianischer Wunderheiler ihn durch Handauflegung sofort heilen würde. Als er erfuhr, dass jener Geistheiler T.B. Joshua mit seinem Team gerade im griechischen Thessaloniki war, fuhr er dorthin und ließ sich heilen, wie er sagte. Zurück in Deutschland, rief er mich freudestrahlend an und sagte mir: „Ich habe morgen den Termin bei meinem Onkologen, und dann wird er zur Ehre Gottes feststellen, dass ich vollkommen geheilt bin vom Krebs!“ Am nächsten Tag rief Harald mich dann an, um mir das Ergebnis mitzuteilen: „Simon ich bin hier gerade im Krankenhaus und der Arzt hat mich untersucht“ – „Und was hat er gesagt?“ – „Er sagte, dass die ersten zwei Chemotherapien ja doch ganz gut angeschlagen hätten, und dass er mir vorsichtshalber auf jeden Fall noch eine dritte Chemotherapie empfehlen würde. Und jetzt ist er gerade rausgegangen und kommt gleich wieder, damit ich mir in Ruhe Gedanken machen könne, ob ich das wolle. Deshalb wollte ich Dich fragen, was Du mir raten würdest.“ – Ich antwortete: „Also, ich verstehe Dich nicht, Harald. Du hast doch selbst gesagt, dass der HErr Dich geheilt habe. Warum zweifelst Du jetzt und willst Deine Therapie fortsetzen?“ – „Ich bin mir halt unsicher, denn er hat mir doch dringend eine Fortsetzung empfohlen…“ – „Ja, aber wenn Du doch bereits geheilt bist, wie Du sagst, warum willst Du dann trotzdem die Therapie fortsetzen?!“ – Harald musste das Gespräch beenden, weil der Arzt gerade reinkam. Und weil er sich unsicher fühlte, willigte in eine Fortsetzung der Therapie ein.
Ich machte mir Sorgen um Harald, weil er noch immer den ganzen Tag vor dem PC saß und sich nach wie vor nur mit dem Antichristen beschäftigte, anstatt mit Christus. Deshalb kam mir die Idee, ihn einzuladen, um mir im Dezember bei den Renovierungsarbeiten im Haus zu helfen. Doch leider funktionierte das überhaupt nicht, denn während ich in der Küche, auf dem Flur und im Schlafzimmer am Tapezieren war, schaute Harald den ganzen Tag Reportagen auf dem iPad an und berichtete mir von seinen neuesten Erkenntnissen. Irgendwann platzte mir der Kragen und ich schimpfte mit Harald: „Du vertrödelst den ganzen Tag mit diesem Schund, anstatt mal etwas wirklich Sinnvolles zu tun. Du siehst doch, dass ich den ganzen Tag arbeite, aber kommst nicht auf die Idee, mir mal zu helfen! Wenn du wenigstens die Bibel lesen würdest, dann könnten wir uns darüber sinnvoll austauschen. Aber statt dessen schaust du immer nur auf die endzeitlichen Entwicklungen!“ – „Ja, Du hast recht,“ räumte Harald deprimiert ein. „Aber DU musst verstehen, dass ich einfach zu schlapp bin nach diesen Chemotherapien. Ich weiß auch überhaupt nicht mehr, was ich noch auf der Erde soll. Vielleicht war es ein Riesenfehler, dass ich mich habe heilen lassen, denn Gott wollte wohlmöglich, dass ich jetzt sterbe, weil meine Zeit gekommen war. Ich hatte ein gutes und erfülltes Leben gehabt und genug Lohn eingesammelt für die Ewigkeit. Aber jetzt weiß ich einfach nichts mehr mit meiner Zeit anzufangen.“ –
Diese Einschätzung schockierte mich und machte mich sehr traurig: „Ja, das kann gut sein, dass du recht hast. Aber wenn du das wirklich so erkannt hast, dann solltest du dich nicht damit abfinden, sondern umso mehr versuchen, Gutes zu tun.“ – „Aber wie denn? ich bin einfach zu schlapp. Früher war ich immer so aktiv, weil ich ADHS hatte, aber seit meiner Krebstherapie bin ich völlig antriebslos. Das einzige, was ich noch tue, ist, auf meine Tochter Steffi aufzupassen, damit sie nicht auf die Schiefe Bahn gerät. Aber seit sie volljährig ist, macht sie was sie will und steht kurz davor, ihre Wohnung zu verlieren, weil sie ihre Miete nicht regelmäßig zahlen kann. Sie hat gerade erst ihren Ausbildungsplatz verloren, weil sie ständig nur mit diesen arabischen Migranten rumhängt, die einen schlechten Einfluss auf sie haben. Ich weiß nicht mehr, was ich noch machen soll und fühle mich wie ein totaler Versager.“ – Harald tat mir sehr leid, und ich merkte, dass ich mich um ihn kümmern sollte, anstatt ihn nur zu kritisieren.
Kalter Entzug
Über die Weihnachtstage wollte ich wieder eine Besuchsreise machen zu Bernd (Ludwigsstadt), Johannes (Bautzen), Hans-Udo (Berlin) und Jens (Wittenberg) – also im Grunde einmal durch die neuen Bundesländer. Da kam mir die Idee, dass mich der junge Bruder Michael, der sich gerade erst bekehrt hatte, auf der Reise begleiten könnte, damit er etwas von der Bibel hört und auch mal andere Gläubige kennenlernt. Michael war sofort begeistert von der Idee und sagte zu. Als ich es im Hauskreis erzählte, fragte mich Bruder Dennis, ob ich vielleicht auch bei Schwester Brunhilde (55) in Asmushausen vorbeifahren könnte, um ihn bis dorthin mitzunehmen, denn er würde gerne ein paar Tage dort verbringen. Es lag zwar nicht genau auf meiner Strecke, aber ich war einverstanden. Als wir dann einen Tag vor Weihnachten zu Dritt losgefahren waren, bekannte mir Dennis, dass er in der dörflichen Abgeschiedenheit von Asmushausen einen sog. Kalten Entzug versuchen wolle, um von seiner Heroin-Abhängigkeit frei zu werden. Er hatte früh morgens vor Fahrtbeginn sich noch ein allerletztes Mal die Nadel gegeben und wolle jetzt über Weihnachten endlich frei werden von der Droge. Ich fand diesen Entschluss sehr gut, und wir beteten für ihn.
Als wir nach 4 Stunden ankamen, sahen wir zufällig Schwester Brunhilde, die gerade von einem Hauspflege-Einsatz nach Hause ging. Sie wohnte ganz allein mit ihren Katzen in einem abrissreifen Fachwerkhaus. Als sie uns sah, war sie sehr überrascht, denn Dennis hatte ihr scheinbar noch gar nichts von seinem Vorhaben erzählt. Sie führte uns zu einem leeren Bauernhaus, dass man „Einbecker“ nannte und zeigte ihm das Zimmer. Doch dann nahm sie mich zur Seite und vertraute mir an, dass es ihr eigentlich nicht recht sei, wenn Dennis als Drogenabhängiger hier übernachten würde, da es ein schlechtes Zeugnis für die Nachbarn sei, und bat mich, ihn wieder mitzunehmen. Wir überredeten daher Dennis, dass er lieber mit uns weiterfahren möge, da Brunhilde mit seinem Entzugswunsch überfordert sei und er besser bei Bruder Bernd aufgehoben sei. So fuhren wir weiter nach Ludwigsstadt, wo wir am Abend nach etwa 3,5 Stunden ankamen. Zum Glück hatten Bernd und Brigitte in ihrer kleinen Wohnung ein Gästezimmer mit zwei Etagenbetten, so dass wir drei ohne Probleme übernachten konnten – dem HErrn sei Dank für die Gastfreundschaft der Geschwister!
Nach dem Abendessen zog sich Dennis sofort zurück, während Bernd noch lange die Fragen beantwortete, die Michael ihm stellte. Dabei war es amüsant, dass ich zwischen den beiden immer „übersetzen“ musste, denn Michael redete immer mit einer Art Gossensprache, die Bernd nicht verstand, während Bernd sich immer so akademisch ausdrückte, dass ich es für Michael in eine einfache Ausdrucksweise erklären musste. Zum Beispiel erklärte ihm Bernd, dass Jakob kein Betrüger gewesen sei, wie es viele glauben, denn er hatte sich ja – wenn auch mit List – nur jenen Segen von seinem Vater erschlichen, der ihm durch den Verkauf des Erstgeburtsrechts eigentlich mit Fug und Recht zugestanden hatte und den sich stattdessen Esau durch Verschweigen ergaunern wollte. Als ich dann spät am Abend mit Bernd alleine saß, erklärte er mir die Bedeutung der Sendschreiben als Analogie der verschiedenen Epochen der Kirchengeschichte mit ihren jeweiligen Gemeindeausprägungen. Dieses sei eine wesentliche Erklärung zum Verständnis, wie der HErr die Gemeinde in ihren unterschiedlichen Haltungen beurteilt – nämlich ganz anders, als wir es vermuten würden. So schneidet die katholische Kirche des Mittelalters (Thyatira) z.B. im Vergleich zu den heutigen Evangelikalen (Laodizäa) deutlich besser ab, obwohl wir uns doch immer dünken, schon viel fortschrittlicher zu sein als jene. Bernd rügte mich in diesem Zusammenhang auch, weil ich in einem Aufsatz mal scharfe Kritik an Luther geübt hatte, der als Verursacher der Reformationszeit (Sardes) in einer viel raueren Zeit lebte, die wir humanistisch geprägten Christen von heute nicht nachvollziehen aber deshalb auch nicht beurteilen können. Vielmehr wird es die Aufgabe Elias sein, dass er gemäß Maleachi 4:5-6 in der bevorstehenden Drangsalzeit die Herzen der (Gemeinde-)Väter wieder zu uns „Söhnen“ und unsere Herzen wieder zu ihnen lenken werde, damit der HErr „nicht komme und das Land mit dem Banne schlage“. Ein Herz für die Väter zu haben, bedeute nicht nur, sich für ihre Schriften zu interessieren, sondern auch, ihre Blöße nicht unnötigerweise aufzudecken (1.Mo.9:22).
Am nächsten Tag machten Bernd, Michael und ich einen Spaziergang durch die traumhaft schöne Landschaft des Frankenwaldes und unterhielten uns weiter über das Wort Gottes. Als wir kurz vor Mittag zurückkamen, sahen wir, wie Dennis völlig blass, zitternd und schweißgebadet in der Stube fast liegend auf einem Stuhl saß und über einen Kopfhörer Musik hörte, um sich abzulenken. Er hatte inzwischen seit über 24 Stunden kein Heroin mehr gespritzt und war mitten im kalten Entzug. Wir fragten ihn, ob wir vielleicht einen Arzt anrufen sollten, aber er sagte, dass wir uns keine Sorgen machen brauchen, denn er habe das alles schon einmal so durchgemacht. Als wir uns aber nach dem Mittag kurz etwas hinlegen wollten, machte sich Dennis allein auf einen Spaziergang, von dem er selbst nach drei Stunden nicht zurückkehrte, so dass wir uns Sorgen machten. Gegen 17:00 Uhr rief uns Dennis an und erzählte, dass er auf dem Weg einen Schwächeanfall erlitten und daraufhin mit dem Krankenwagen in eine Klinik in der Nähe von Lichtenfels, südlich von Kronach gebracht wurde. Daraufhin machten wir uns auf den Weg, um ihn dort zu besuchen. Als wir ankamen erklärte uns Dennis, dass er noch länger bleiben müsse und der Arzt ihm jetzt zur Umstellung Methadon gegeben habe.
Hallodris und Traumtänzer
Da die Familie von Bernds Sohn Johannes gerade stark erkältet war und deshalb keinen Besuch empfangen konnte, änderte ich meinen Plan und fuhr am nächsten Tag mit Michael direkt nach Berlin weiter, um Bruder Hans-Udo zu besuchen. Auf halber Strecke sagte mir Michael, dass ich ihn in Berlin lassen könne, da er ohnehin vorhatte, dort eine Bekannte zu besuchen. Beiläufig fragte ich ihn, wer das denn sei. „Eine Freundin“ sagte er. „Und woher kennst Du sie?“ – „Wir ham‘ uns jetzt gerade erst kennengelernt durch´s Internet“ – „Ist sie denn gläubig?“ – „Nein, leider nich.“ – „Und was…“ – Doch bevor ich die Frage stellte, fiel bei mir der Groschen: „Sag mal, Michael, kann es sein, dass Du sie deshalb besuchen willst, um mit ihr intim zu sein?“ – Michael zögerte etwas: „Wenn ich ehrlich bin… ja.“ – Daraufhin setzte ich den Blinker, verlangsamte und fuhr auf einen Parkplatz. „Das ist wirklich schade, Michael. Denn Du solltest wissen, dass das eine Sünde ist“. – Michael senkte seinen Kopf: „Ja, ich weiß.“ – „Du weißt es und tust es trotzdem. Ist Dir eigentlich klar, dass Du mich damit jetzt selbst in ein Dilemma bringst? Denn wenn ich Dich jetzt weiter nach Berlin fahre, dann unterstütze ich das im Grunde. Warum hast Du mir das nicht gleich gesagt?“ – „Tut mir leid, Simon. Aber was soll ich denn machen? Ich hab´ ihr doch versprochen, dass ich jetzt komm´.“ – „Du kannst sie anrufen und ihr absagen, weil Du jetzt Christ bist und nicht mehr in Hurerei leben willst.“ – „Aber das schaff ich nicht. Ich hab´ mich so drauf gefreut.“ – „Du musst Dich entscheiden, was Dir wichtiger ist: Jesus oder das Mädchen; das Reich Gottes oder die alte Welt, die ins Verderben führt.“ – „Ich will ja Jesus folgen, aber ich bin noch nicht so weit.“ – „Dann kann ich Dich nicht mehr mitnehmen nach Berlin. Ich werde Dich in Potsdam rauslassen.“
Wir fuhren eine ganze Weile ohne ein Wort zu wechseln. Nach etwa 20 Minuten sagte Michael: „Oah, Simon, ich merke gerade, wie der Teufel mich richtig in Versuchung gebracht hat…“ – „Ja, das kann ich mir vorstellen. Rein menschlich betrachtet, verstehe ich Dich auch. Aber als Kind Gottes musst Du Dich jetzt auf die Seite Jesu stellen und solltest Dein Erstgeburtsrecht nicht für eine Linsensuppe verkaufen.“ – „Und wenn ich danach gleich sofort wieder Buße tu?“ – „So einfach ist das nicht, denn das hat immer Konsequenzen. Wer Hurerei betreibt, der verunreinigt ja den Leib, also den Tempel Gottes, und das wird Gott nicht ungestraft lassen, zumal Du genau weißt, dass es Sünde ist. Wir dürfen niemals mit Vorsatz sündigen, weil die Strafe dann besonders hart ist. Wenn Du sie liebst, dann erzähle ihr doch vom HErrn und lade sie ein, gläubig zu werden. Und wenn sie sich bekehrt hat, mach ihr doch einen Heiratsantrag und warte mit dem Sex bis zur Hochzeit. Gott wird Dich dafür reich belohnen.“ – „Glaubst du, dass ich wieder verloren gehe, wenn ich diese Sünde begehe?“ fragte Michael. „Damit musst Du rechnen, deshalb würde ich es nicht drauf ankommen lassen. Du spielst mit dem Feuer. Wenn Du Dich aber für diesen Weg entscheiden solltest, dann trennen sich auch unsere Wege, so leid es mir tut, und ich werde Dich auch nicht mehr als Lehrling nehmen.“ Trotz all meines Zuredens gelang es mir jedoch nicht, den Michael von seinem Vorhaben abzubringen. Als wir in Potsdam ankamen, nahm er seine Tasche aus dem Wagen und verabschiedete sich von mir.
Als ich wieder losgefahren war, wurde ich sehr traurig und betete: „HErr, ich weiß, dass auch mein Fleisch genauso schwach ist wie das von Michael und dass auch ich zu allem fähig bin. Deshalb bitte ich Dich um Gnade für ihn, dass Du ihm doch nachgehest und ihn wieder zurückbringst durch Reue und Buße. Amen.“ Kurz darauf kam ich in Berlin-Rudow bei den Geschwistern Hans-Udo und Elsbeth an, die mich herzlich aufnahmen und mich bei sich übernachten ließen. Wir hatten schöne Gespräche miteinander, und am nächsten Tag verabschiedete ich mich, um meine Reise fortzusetzen. Mein nächster Besuch sollte in der Lutherstadt Wittenberg sein bei Bruder Jens, der mich eingeladen hatte. Wir hatten uns beim Hauptbahnhof verabredet, weil Jens mir erstmal die Altstadt zeigen wollte. So sah ich jene berühmte Kirchentür an der Schlosskirche, an welcher Luther 500 Jahre zuvor seine 95 Thesen angeschlagen hatte. Anlässlich der Feierlichkeiten zum 500. Jubiläum, die im Sommer stattfinden sollten, hatte sich Jens etwas überlegt, wie man die vielen Besucher einladen könnte, um sie für die Evangeliumsbotschaft zu interessieren. Er führte mich in der Innenstadt zu einer Baulücke zwischen den alten Häusern der Fußgängerzone, die völlig verwildert war und sagte:
„Schau mal, Simon, dieses Grundstück geht bis hinten zur Umgehungsstraße und eignet sich eigentlich phantastisch, um daraus einen Bibelpark zu machen. Ich habe so überlegt, dass hier vorne der Eingang ist und die Touristen dann auf einem Schlengelweg durch die Büsche von einer Erklärungstafel zur anderen gehen, um dann hier hinten auf die Schaukästen mit alten Papyrusrollen zu stoßen. Und hier in dieser Ecke gründen wir dann ein Bibelmuseum, wo wir ganz unterschiedliche Bibeln aus verschiedenen Jahrhunderten ausstellen. Du hast ja z.B. bei dir zuhause diese Lutherbibel von 1693 – die könnten wir ja schon mal nehmen. Und dann müssen wir uns noch einige Bibeln überall her besorgen, die besonders alt und interessant sind. Und dann habe ich überlegt, dass wir…“ – „Stopp mal bitte!“ unterbrach ich ihn. „Dieses Grundstück gehört uns doch gar nicht. Da können wir uns doch nicht einfach einen Bibelpark draus machen.“ – „Ich weiß. Wir müssen es uns natürlich erstmal kaufen.“ – „Und woher sollen wir das Geld herbekommen?“ –
„Das ist ja genau der Punkt, weshalb ich mit dir reden wollte. Ich habe gedacht, Du könntest doch einen Kredit aufnehmen und Dein Haus als Sicherheit geben. Durch die Einnahmen könntest Du dann nach und nach den Kredit abbezahlen. Wir müssen uns jetzt aber schnell beeilen damit, denn uns bleiben nur noch vier Monaten dann kommen die Besucher aus der ganzen Welt hierher, und bis dahin müssen wir den Bibelpark fertig haben.“ – „Du sprichst die ganze Zeit immer von ‚wir‘. Wen meinst Du denn damit? Hast Du hier eine Gemeinde, die das Projekt unterstützen würde?“ – „Das nicht,“ sagte Jens, „aber es gibt hier noch drei Geschwister, die mir dabei helfen würden.“ – „Und könnten die etwas finanziell dazu beisteuern?“ – „Nein, denn die leben alle von Harz4. Aber die können mit anpacken, außer vielleicht Heinz, weil der schon zu alt ist. Und Paul hat leider ein Alkoholproblem, ist aber ansonsten ganz willig. Und dann gibt es noch die Gabi, die sehr nett ist und früher mal in einer Bäckerei gearbeitet hat. Mit ihr könnten wir z.B. auch eine Teestube gründen, um die Besucher anschließend zu Gesprächen einzuladen.“ – „Also, lieber Jens, das hört sich ja alles ganz fantastisch an, aber ich halte das für absolut unrealistisch. Sowas wäre vielleicht eine Idee für eine große Gemeinde, wo alle etwas beisteuern, aber doch nicht für eine kleine Chaotentruppe. Und selbst dann bräuchte es mindestens 3 Jahre Planungs- und Vorbereitungszeit mit unzähligen Gesprächen mit der Stadtverwaltung. Denn die müssten das ja erstmal genehmigen mit entsprechenden Auflagen.“
„Simon, Dein Problem ist, dass du keinen Glauben hast. Noah hat in kürzester Zeit die Arche gebaut, obwohl weit und breit kein Wasser zu sehen war. Und Gedeon hat ein ganzes Heer von Feinden verjagen können, obwohl er kaum Leute hatte. Du musst einfach mehr auf Gott vertrauen, der alles vermag, was Er will.“ – „Ja, da magst Du recht haben, dass es mir an Glauben fehlt. Es kann aber auch sein, dass Du einfach nur ein Träumer bist, der ständig neue Ideen hat, die er aber selbst nicht konsequent umsetzt, sondern dafür lieber andere einspannen will, die für ihn die Arbeit machen.“ – „Da irrst du dich gewaltig. Denn ich wandle immer im Glauben und lass mich von Gott leiten. Letztes Jahr hatte ich z.B. den Ruf, eine Zeltevangelisation auf die Beine zu stellen, und das habe ich ganz allein hingekriegt mit Gottes Hilfe. Wenn du also keinen Glauben hast, dann wird der HErr sich andere suchen, die Sein Werk vollbringen. Aber ich bin mir sicher, dass der HErr dich am Ende beschämen wird. Du wirst es sehen!“ Ich wünschte Jens Gottes Segen bei seinem Vorhaben und verabschiedete mich.
Januar bis März 2017
„Wenn ich etwas esse, dann bin ich verheiratet“
Da Ruth noch immer in Peru war, hatte ich im Winter, als die Auftragslage sehr niedrig war, viel Zeit, um auf Facebook Debatten zu verschiedenen Lehrfragen zu führen. Von den ca 3.000 „Freunden“, die ich inzwischen hatte, waren nur etwa 100 wirklich aktiv. Viele waren aus der Brüdergemeinde, manche aber auch Pfingstler oder Adventisten. Obwohl ich als „Allversöhner“ bei vielen mit einem Makel behaftet war, freute ich mich darüber, dass ich dennoch bei allen sehr beliebt war. Immer wieder erhielt ich Komplimente wegen meines Bibelwissens und meiner „freundlichen Art“. Zu einigen von diesen Geschwistern bestand eine so große Sympathie, dass wir regelmäßig miteinander telefonierten und sogar vereinbarten, dass wir uns nächstes Jahr mal besuchen kommen sollten, um uns persönlich kennenzulernen.
Einer der Facebookfreunde wohnte sogar in Bremen. Er hieß Max (25) und ging zur Martinigemeinde bei Pastor Olaf Latzel. Max rief mich eines Abends an und hatte viele interessante Fragen, die ich ihm von der Schrift her beantworten sollte, z.B. ob gläubige Männer ein Toupet tragen dürfen oder ob dieses eventuell als verbotene Kopfbedeckung galt gemäß 1.Kor.11:4. Er berichtete mir, dass er eine gläubige Freundin habe, mit der er vor kurzem zusammengezogen sei. Sie wolle ihn unbedingt heiraten, er aber fürchtete sich vor einer dauerhaften Bindung, da er unter Zwangsgedanken leide und seiner Freundin nicht zur Last fallen wolle. Er war auch schon bei Pastor Latzel in der Seelsorge, aber dieser habe ihm Angst gemacht mit der Aussage, dass Mann und Frau durch den Geschlechtsakt ein Fleisch geworden seien und deshalb vor Gott als verheiratet gelten würden, auch wenn sie es formal noch nicht seien. Deshalb habe sich Max bisher jedes Mal geweigert mit seiner Freundin zu schlafen, da er auf keinen Fall verheiratet sein wolle.
Doch im Verlauf unserer Freundschaft hatte sich Max leider immer weiter in dieses Thema hineingesteigert. Auf einmal redete er sich ein, dass er allein schon durch die gedankliche Frage, ob er mit ihr verheiratet sei, in der unsichtbaren Welt als verheiratet gelten könne. An manchen Tagen ging er schon gar nicht mehr aus dem Haus, weil er befürchtete, dass er durch irgendeine unbedachte Handlung plötzlich verheiratet sei. Ich redete immer wieder auf ihn ein, dass diese Zwangsgedanken dämonisch seien und er doch faktisch erst durch die Hochzeit vor Gott und der Welt offiziell als verheiratet gelte. Er nahm meine Belehrung jedes Mal dankbar an, hatte sie aber beim nächsten Treffen schon wieder vergessen. Eines Abends rief er mich plötzlich an, nachdem wir schon mehrere Tage keinen Kontakt hatten, und sagte mir: „Simon, meine Freundin ist inzwischen ausgezogen, weil ich ihr zu anstrengend sei, und ich habe in den letzten drei Tagen gar nichts mehr gegessen, weil ich Angst habe, dass – in dem Moment, wenn ich etwas esse – ich dann verheiratet sei. Ich weiß, das klingt für dich vielleicht bekloppt, aber ich bin mir einfach nicht sicher und habe solch eine panische Angst, einen Fehler zu machen, dass ich vorsichtshalber lieber nichts esse. Aber ich frage mich, wie das nur weitergehen soll, denn wenn ich weiterhin nichts esse, dann werde ich vielleicht verhungern…“
Wieder erklärte ich dem Max, dass diese Wahnideen vom Teufel seien, der ihn als Durcheinanderwerfer (lat. Diabolos) nur durcheinanderbringen und ängstigen wolle, um ihn dadurch geistig zugrunde zu richten. Er müsse dringend in psychiatrische Behandlung, damit er sich in seinem Wahn keinen Schaden zufüge. Max wollte diesmal aber nicht auf mich hören, sondern sagte, dass meine Worte ihn „triggern“ würden und er trotz der vielen Bibelstellen jedes Mal noch ängstlicher sei nach einem Gespräch mit mir. Stattdessen bat er mich, dass ich ihn doch mal an einen Exorzisten weitervermitteln möge, falls ich einen kennen würde. Ich telefonierte daraufhin mit meinem Freund Bernd, der mir die Telefonnummer von einem gewissen Bruder Johannes S. gab, der selber einmal von dämonischer Besessenheit befreit wurde und Kontakt zu Exorzisten habe. Leider verlief dann auch dieses Vorhaben am Ende im Sande, und ich hörte nie wieder etwas vom Max.
Die Liebe glaubt alles
Um neben unserem wöchentlichen Hauskreis auch wieder sonntags regelmäßig in einen Gottesdienst zu gehen, besuchte ich zu jener Zeit die Russlanddeutsche Baptistengemeinde in Uphusen. Außer meinen ehemaligen Lehrling Roman kannte ich dort aber niemanden. Dennoch gefielen mir die Gottesdienste sehr gut, besonders wegen der schönen Chorgesänge in Moll, durch die man das Gefühl hatte, man sei in Russland. Doch an einem Sonntag kam Roman nach dem Gottesdienst zu mir uns sagte: „Simon, ich habe mir gestern mal deine Internetseite angeschaut, und da habe ich bemerkt, dass du scheinbar an die Allversöhnungslehre glaubst, ist das richtig?“ – „Ja“ sagte ich. „Dir ist klar, dass ich das bei den Ältesten melden muss.“ – „Nein, das musst du gar nicht. Niemand zwingt dich dazu.“ – „Doch, ich muss das, sonst mache ich mich schuldig, wenn ich das nicht anzeige.“ Er wollte gerade zu ihnen gehen, da rief ich: „Warte!“ Dann flüsterte ich ihm zu: „Hör mal, Roman, ich bin so froh, dass der HErr mir hier endlich eine gute Gemeinde geschenkt hat, wo ich ab jetzt immer hingehen kann, und deshalb will ich nicht, dass du das jetzt durch eine unbesonnene Denunzierung alles wieder kaputt machst. Ich will nicht schon wieder auf die Suche gehen müssen.“ – „Das tut mir leid, Simon, aber dann hättest du das nicht auf deiner Internetseite erwähnen dürfen. Jetzt bin ich dazu verpflichtet gegenüber meinen Brüdern.“ – „Dann mach ich dir einen Vorschlag: Ich spreche nach der nächsten Bibelstunde am Mittwoch selbst mit den Ältesten, d.h. mit Bruder David, und werde ihm die Situation aus meiner Sicht erklären. Wenn er sich dann entscheidet, mich auszuschließen, dann nehme ich es aus Gottes Hand an.“ – „Ja, ist gut. Wenn du aber nicht mit ihm sprichst, werde ich es ihm sagen!“ – „Einverstanden.“
Am darauffolgenden Mittwoch war ein Bruder namens Andreas Steinmeister zu Gast, der mal ein Buch über die Kopfbedeckung der gläubigen Frauen geschrieben hatte. Als die Stunde zu Ende war, setzte ich mich neben Bruder David und bekannte ihm, dass ich seit meiner Umkehr zum HErrn auch an die Allversöhnung glaube und deshalb wissen wolle, ob ich dennoch weiter zur Gemeinde kommen dürfe. Auf einmal setzte sich Bruder Andreas neben uns und hörte sich meine Erklärungen mit an. Doch statt das David antwortete, übernahm nun Andreas die Diskussion und erläuterte mir in völlig unaufgeregter und beinahe väterlicher Weise, warum er nicht an die Allversöhnung glaube. Als ich ihm dann Bibelstellen nannte, die aus meiner Sicht die Allversöhnung beweisen, hörte er mir zu, ohne mir ins Wort zu fallen. Und so verlief das Gespräch fast eine Stunde lang, bis David die Lichter ausschaltete und uns bat, draußen weiterzureden, da er das Haus abschließen wolle. Auf dem Parkplatz fragte mich Andreas, woher ich all dieses Bibelwissen hätte und wer mein Lehrer sei. Wir verblieben so, dass wir in Kontakt bleiben wollen und verabschiedeten uns. Als ich spät um Mitternacht zuhause ankam, schrieb ich dem David per WhatsApp, ob ich denn nun bleiben dürfe oder nicht. Er schrieb zurück: „Selbstverständlich kannst du bleiben, denn die Liebe glaubt alles.“
Schmerzliche Wahrheit
Ende Januar war Ruth aus Peru zurückgekehrt. Sie berichtete, dass Eva inzwischen ihre Eltern im Gebirge besucht hatte und ihnen vorwarf, warum sie damals zugelassen hatten, dass sie von ihrer Schwester und ihrem Schwager als Sexsklavin entführt wurde und warum auch ihre Eltern in die Vertuschung dieses Verbrechens eingewilligt hatten. Ihr Vater Braulio entschuldigte sich bei Eva und versprach ihr, in dem Streit zwischen Eva und ihrer Schwester zu vermitteln. Dazu schrieb er einen Brief an Eva und Felix, in welchem er diese bat, dass sie seine Tochter um Vergebung bitten mögen, zumal sie andernfalls in der Gefahr stünden, für immer verloren zu gehen. Er sei ein alter Mann und wolle Frieden in seiner Familie. Mit einer Kopie dieses Briefes ging Eva dann zu ihren Brüdern Abad, Benigno und Santago mit der Bitte, dass auch sie als Zeugen einen Brief schreiben mögen, in welchem sie Melania und Felix zur Buße aufriefen – was diese dann auch taten. Als letzte diktierte nun auch die schon fast todkranke Lucila, die Mutter von Ruth und Tante von Eva einen Brief, in welchem sie die Untaten von Felix bezeugte und mit ihrem Fingerabdruck unterschrieb. Ruth bat mich nun, diese Briefe zu übersetzen und zusammen mit den Originalen an die Töchter Melanias in Deutschland zu verschicken.
Daraufhin rief mich Florian aus Hannover an und wir vereinbarten eine Aussprache bei ihm, um eine einvernehmliche Lösung zu finden. Er und seine Frau Yenny nahmen mich zunächst freundlich auf in ihre Wohnung, und wir sprachen erstmal gelassen über unsere Familien, zumal wir uns über ein Jahr lang nicht gesehen hatten. Doch dann kam ich auf den eigentlichen Grund meines Besuches zu sprechen, und es entstand eine spürbare Spannung im Raum. Yenny erklärte, dass die Anklageschrift von Eva so dermaßen schrecklich sei, dass es für sie kaum erträglich war, die Details zu lesen. „Das kann unmöglich die Wahrheit sein, denn meine Mutter ist ein Engel. Sie würde so etwas niemals tun. Das traue ich ihr nicht zu.“ Ich erwiderte: „Ich kann gut verstehe, dass du deine Mutter in Schutz nimmst und all dieses nicht glauben willst. Aber frag dich doch mal, warum deine Tante Eva all dies erfunden haben sollte und schon seit 35 Jahren die gleichlautenden Vorwürfe erhebt. Warum sollte sie das tun?“
Florian gab zur Antwort: „Weil Melania sie damals oft geschlagen hat und sie zudem eifersüchtig ist auf den Erfolg ihrer Schwester!“ – „Das leuchtet mir nicht ein“ sagte ich, „denn es gibt unzählige Geschwister auf der Welt, die sich nicht mögen oder aufeinander eifersüchtig sind, aber sie gehen sich dann einfach aus dem Weg und denken sich nicht solche detaillierten Geschichten aus. Das würde keinen Sinn machen.“ Und an Yenny gewandt, fuhr ich fort: „Versuch dich doch mal zu erinnern, was damals war. Deine Schwester Fanny hat erzählt, dass du damals sehr wütend warst auf deinen Vater, weil er euch zu Pflegefamilien brachte und du laut geschrien hast. Weißt du das noch?“ – Yenny wollte mir etwas sagen, aber Florian spürte offenbar, dass seine Frau drauf und dran war, weich zu werden, weshalb er einwarf: „Was hat das jetzt damit zu tun? Bleib bitte sachlich und hör auf, Yenny zu manipulieren!“ – „Ich rede doch gerade mit Yenny. Lass sie doch selbst antworten.“ – Florian stand nun auf: „Nein, Simon, wir brechen das jetzt hier ab, denn das hat doch keinen Sinn. Hier steht Aussage gegen Aussage, und niemand kann mit letzter Wahrscheinlichkeit sagen, was damals geschah.“ – „Es geht hier aber um das Seelenheil von Deinen Schwiegereltern, selbst wenn du das nicht glauben kannst. Wenn nämlich Yenny und ihre Schwestern ihren Eltern signalisieren würden, dass sie bereit wären, ihnen dies zu vergeben, dann wären sie wahrscheinlich viel eher bereit, ihr Verbrechen zu bekennen, anstatt es immer noch zu leugnen. Oder stört es dich nicht, wenn sie verloren gehen?“ Nun sprach Florian ein Schimpfwort über mich aus und rief dann: „RAUS HIER AUS MEINER WOHNUNG!“ – Ich stand auf und zog meine Schuhe an. Yenny sagte nur: „Es ist alles so schrecklich. Warum kann nicht Frieden sein?“ – „Das liegt in deiner Hand“ sagte ich.
Was für eine Enttäuschung! dachte ich, als ich wieder zurückfuhr nach Bremen. Und dabei schien es mir, als wäre Yenny drauf und dran gewesen, um reinen Tisch zu machen. Denn im Gegensatz zu Florian war sie wirklich gläubig und wusste deshalb, dass man als Christ selbst die schlimmsten Untaten vergeben muss – und seien sie sogar von den eigenen Eltern begangen. Yenny spürte wohl auch, dass Florian kein echter Christ war, weshalb sie die ganze Wohnung mit evangelistischen Bibelversen vollgehängt hatte in der Hoffnung, dass sie dadurch den Florian für den HErrn gewinnen könnte. Dabei war auch Florian in seiner Jugend mal gläubig und hatte in seiner ersten Liebe sogar mal das gesamte Neue Testament von Hand abgeschrieben, um – wie er sagte – den Inhalt dadurch besser zu lernen. Aber als ich 1984 gläubig wurde, kehrte sich Florian allmählich immer weiter ab und wurde zum Skeptiker. Irgendwann las er mal die Werke des Theologen Paul Tillich (1886-1965), der einen rein philosophischen Zugang zu Gott hatte, als ob Gott nur ein Platzhalter für das Bedürfnis des Menschen nach Sinn sei. Florian sagte sich daraufhin: „Wenn Paul Tillich noch als Christ galt, dann würde ich mich auch wieder als Christ bezeichnen können.“ Als ich Florian einmal mit der Tatsache konfrontierte, dass er nach biblischer Sichtweise ungläubig sei, antwortete er mir: „Vielleicht habe ich sogar einen viel größeren Glauben als Du, Simon, denn ich glaube sogar, dass Gott mich trotz meines Unglaubens annimmt.“
Dies machte für mich keinen Sinn. Wie kann er denn glauben, dass Gott ihn annimmt, wenn Gott für ihn gar nicht existiert? fragte ich mich. Wenn jemand so kompliziert und verknotet ist im Kopf, dann wunderte es mich nicht, dass er auch Evas Leidensgeschichte nicht als echt erkennen wollte/konnte. Aber ich selbst hatte ja bis vor kurzem selbst so geredet. Auch ich war verfinstert am Verstand und entfremdet dem Leben Gottes, wie es in Epg.4:18 heißt. Als ich noch Gottesleugner war hatte ich ja sogar einen antichristlichen Büchertisch auf dem Kirchentag, mit einem großen Schild, auf dem stand: „Glaubst du noch oder lachst du schon?“ Und dann war da jenes Gemälde, auf dem ich den Feuersee gemalt hatte mit einer Kaimauer, auf der wie in Auschwitz Menschen aus Zügen geladen und in den Feuersee geworfen wurden, wodurch ich Gott mit Hitler gleichsetzte. Als ich 2014 zum Glauben kam, zerstörte ich dieses Bild sofort. Aber oben im Treppenhaus hingen noch immer viele andere abscheuliche Bilder, auf denen ich mich über die Religionen als Aberglaube lustig machte und religiöse Führer wie Osama bin Laden oder Papst Benedikt XIV verhöhnte. Auf einmal wurde mir klar, dass ich diese Gemälde, an denen ich mal viele Stunden gearbeitet hatte, nicht länger behalten durfte, sondern sie verbrennen musste. Deshalb fuhr ich mit Ruth am Samstag den 18.02.2017 nach Oyten auf die Parzelle meines Vaters und verbrannte dort alle diese Bilder zum Zeugnis vor der sichtbaren und unsichtbaren Welt (https://youtu.be/0wOhxqjiacM?si=lOkLU_7e_V5WPgHf).