„Die Nacht ist weit vorgerückt, und der Tag ist nahe.
Laßt uns nun die Werke der Finsternis ablegen
und die Waffen des Lichts anziehen.“

(Röm.13:12)

– „Such, wer da will, ein ander Ziel“  Teil 4

 

April bis Juni 2016

Redet Gott heute noch zu Menschen?

Durch den Rauswurf aus der Freien Evangelischen Gemeinde standen wir nun seit zwei Monaten ohne Gemeinde da, was sich unbedingt ändern musste. Wir beteten, dass der HErr uns leiten möge, in welche Gemeinde wir nun gehen könnten. Da fiel mir ein, dass es in Rollinghausen bei Bassum, etwa 25 km südlich von Bremen, eine bibeltreue Gemeinde gab, die von Bruder Carsten geleitet wurde. Jahre zuvor, als ich noch ungläubig war, brachte ich Ruth und Rebekka mal dorthin, da dort auch Ruths Freundin Raquel hinging. Bei der Begrüßung sagte ein kleiner Junge auf dem Flur zu Rebekka: „Wenn Mädchen Hosen tragen, dann freut sich der Teufel.“ Carsten wohnte mit seiner Frau und seinen vielen Kindern auf einem ehemaligen Gehöft, das seine Mutter vor Jahren mal erworben hatte. Unten gab es einen großen Versammlungsraum mit Auslagen von christlichen Schriften. Viele bekannte Prediger waren hier schon über Jahre ein- und ausgegangen und hielten Bibeltagungen ab. Sofort sah man, dass der HErr den Carsten reich gesegnet hatte.

Nachdem ich mich mit Bruder Carsten aufs Sofa gesetzt und ihm kurz von meinem Werdegang erzählt hatte, erklärte er mir, dass er sich gar nicht sicher sei, ob er seinen Dienst überhaupt noch länger ausüben könne. Ich war sehr überrascht, das zu hören und fragte ihn, was denn passiert sei. Und dann erzählte er mir, dass seine Frau Judith ihn gerade verlassen habe, da sie sich in einen anderen Mann verliebt habe. Selbstkritisch bemerkte er, dass er sich in den letzten Jahren viel zu sehr mit christlichen Projekten beschäftigt habe und sich seine Frau dabei wohl vernachlässigt fühlte. Zuletzt sei er auch noch regelmäßig nach Indien gereist, um dort Spendengelder an die Ärmsten der Armen zu verteilen. Als er gerade von seiner letzten Indienreise zurückkehrte, fand er einen Abschiedsbrief von seiner Frau auf dem Tisch. Obwohl sie andere Gründe vorgab, vermutete er, dass sie sich in den Vater des Verlobten seiner Tochter verliebt hatte. Sollte sich dies bewahrheiten, würde er die Scheidung einreichen, könne dann aber auch nicht mehr dem HErrn dienen, da ein Gemeindeleiter ja gemäß 1.Tim.3:2+5 zwingend verheiratet sein müsse.

Carsten tat mir sehr leid, und ich versprach ihm, für ihn zu beten, dass seine Frau doch zu ihm zurückkehren möge. Am darauffolgenden Sonntag fuhren Ruth und ich zum Gottesdienst nach Rollinghausen. Man spürte eine gedrückte Stimmung bei den Brüdern wie auf einer Beerdigung. Mir fiel auf, dass bei den kurzen Predigten und Gebeten kein einziges Wort der Buße fiel, sondern man die entstandene Situation wie ein zufälliges Unglück betrachtete, auf dass sie keinen Einfluss hatten. Dann bat mich Carsten, ein Zeugnis zu geben, wie ich 20 Jahre zuvor meinen Glauben verlor und der HErr mich dann wieder zurückholte. Ich nutzte die Gelegenheit, um anhand von Offb.3:14-20 vor der Selbstgerechtigkeit zu warnen und die Notwendigkeit der Buße zu betonen.

Nach dem Gottesdienst war gemeinsames Grillen angesagt, und wir setzen uns mit unseren Tellern an einen der Tische auf der großen Wiese hinterm Haus. Auf einmal setzte sich einer der Brüder mit seinem Teller uns gegenüber an den Tisch und sagte: „Hör mal, was Du da vorhin gesagt hast in Deinem Zeugnis, ist aber eine Irrlehre!“ – „Was genau meinst Du?“ fragte ich. „Na, Du hattest gesagt, dass Du vor zwei Jahren im Gebet die Stimme Gottes gehört hättest.“ – „Ja, und?“ – „Das ist gar nicht möglich, denn Gott redet heute gar nicht mehr zu Menschen, sondern nur noch durch Sein Wort, die Bibel.“ Ich war überrascht: „Und was ist mit Joh.10:27, wo der HErr Jesus sagt: ‚Meine Schafe hören meine Stimme…‘?“ Der Bruder war für einen Moment verunsichert und wusste nicht, was er erwidern sollte. Doch dann sprach er: „Der HErr meint damit kein akustisches Reden, sondern nur ein geistliches, indem Er durch die Bibel zu uns redet.“ – „Woher willst Du das wissen?“ fragte ich. „Denn Gott HAT ja durch Seinen Geist zu mir geredet, und ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass es nicht so war.“ – „Aber vielleicht war dies ein fremder Geist?“ – „Warum sollte ein fremder Geist mich zur Bekehrung führen? Das KANN doch nur der Geist Gottes gewesen sein, denn erst danach kam mir die volle Erkenntnis Seines Willens.“ Die Skepsis des Bruders – so schien mir – lag wohl offensichtlich darin begründet, dass er selbst dieses Reden des Geistes schon lange nicht mehr erfahren hatte (wenn überhaupt je) und deshalb schloss er von sich auf andere. Überdeutlich war auch eine völlige Ablehnung der Charismatik bei ihm spürbar, durch die er dem anderen Extrem verfallen war.

Seine eigene Denkweise als alleingültigen Maßstab anzusehen, anstatt sich gemäß Jak.3:17 auch mal wohlwollend etwas Neues zeigen zu lassen mit einer grundsätzlichen Bereitschaft zur Korrektur – dieses Phänomen beobachtete ich zu jener Zeit auch im Austausch mit Bruder Helmut (80) aus Siegen, der uns Mitte April mit seiner Schwester besuchen kam. Helmut betreibt seit 35 Jahren eine sog. Heimschule, durch welche er gläubige Eltern mit Rat und Tat zur Seite steht, die ihre Kinder aus Glaubensgründen nicht in staatliche Schulen schicken wollen. Wir hatten uns bereits 25 Jahre zuvor mal kennengelernt bei den Brüdern Hans-Jürgen und Eberhard aus Plech, als es um die Frage der Prophetie ging. Denn Helmut ist ein sog. Antimillenialist, d.h. er glaubt nicht an eine wörtliche Auslegung der biblischen Prophetie, sondern vergeistlicht alles, indem er die Ereignisse nur bildlich verstanden haben möchte. Das Malzeichen des Tieres deutete er z.B. als dreidimensionale Vergöttlichung des Menschen, der in seinem Wunsch nach Vervollkommnung nicht mehr nach Seinem Schöpfer fragt, sondern sich selbst zum autonomen Maßstab aller Dinge erklärt. Dass es über die durchaus zutreffende Bedeutung aber auch noch ein buchstäbliches Malzeichen gibt, das von außen erkennbar und dadurch überprüfbar wird (wie damals der Hitlergruß), um alle Verweigerer wie in Daniel 3 verfolgen zu können, daran glaubt er nicht.

Wegen dieser Einseitigkeit war Helmut bereits vor Jahren aus der Brüdergemeinde ausgeschlossen worden und war deshalb auf diese auch nicht gut zu sprechen. Er schenkte mir eines seiner Bücher, in welchem er das ganze Buch der Offenbarung allegorisch auslegte, um dadurch die Schrecknisse der Apokalypse umzudeuten, die er als absurd und viel zu grausam empfand, um sie dem Gott der Bibel zuzuschreiben. Als ich ihm daraufhin bekannte, dass ich ebenfalls von den meisten Gläubigen abgelehnt werde, da ich an die in Kol.1:20 bezeugte Versöhnung Gottes mit Seinen Geschöpfen glaube, lehnte auch Helmut meine Überzeugung ab, obwohl eine unendliche Qual im Feuersee doch weitaus absurder und grausamer wäre als die irdische Bestrafung Gottes in der Apokalypse. Ich hatte eigentlich gehofft, dass Helmut, der ja auch wie ich ein Verstoßener war, Verständnis hatte für die Notwendigkeit gegenseitiger Toleranz und dem demütigen Eingeständnis eigener Fehlbarkeit in der Erkenntnis. Stattdessen glaubte er, dass ich nach meiner Rück-Bekehrung „einen anderen Geist“ bekommen hätte, der mich und andere betrügen würde.


Geschlossene Brüder

Nachdem ich vor zwei Jahren wieder zurückgekehrt war zum HErrn Jesus, hatte ich auch meine gläubige Pflegemutter Hedi (82) informiert und mehrere Male besucht. Sie war hoch erfreut über meine Rückbekehrung und berichtete mir, wie ihr Mann, Bruder Edgard, sechs Jahre zuvor mit 84 Jahren durch eine schwere Gallenblasenentzündung heimgegangen war. Und obwohl Hedi selbst auch an Leukämie litt, war sie sehr tapfer und ertrug ihre Einsamkeit durch viel Gebet und tägliche Hausarbeit. Mir fiel auf, dass sie sehr ängstlich geworden war, indem sie jede Tür im Haus immer abgeschlossen hielt, da sie panische Angst vor Einbrechern hatte. Gelegentlich bekam sie noch Besuch von der sog. „Alten Versammlung“ (exklusiven Brüdergemeinde), in die sie zuletzt ging. Die Brüder rieten ihr, das Haus in Bremen-Blumenthal zu verkaufen und den Erlös für das Werk des HErrn zu spenden. Sie boten ihr einen Platz in einem christlichen Pflegeheim an, doch Hedi war der Ansicht, dass man „einen alten Baum nicht verpflanzen dürfe“. Hedi schwärmte von den Predigten der Brüder und schenkte mir eine ganze Menge Predigt-Kassetten. Da sie in der Ernsthaftigkeit sehr der Belehrung des alten Bruders Daniel ähnelten, kam mir die Idee, dass dies unsere neue Gemeinde werden sollte.

Als ich dann am darauffolgenden Sonntag den Gemeinderaum der „Christlichen Versammlung“ in der Haferwende 10a in Bremen-Horn betrat, hatte ich das Gefühl, dass viele Augen misstrauisch auf mich blickten (später erfuhr ich, dass einige mich kannten und sich fragten, was ich als „Atheist“ in ihrer Gemeinde wolle). Männer und Frauen saßen getrennt voneinander, und zwar die Frauen im hinteren Teil des Gemeinderaums. Die älteren Brüder saßen um einen langen Tisch herum, während die jüngeren oder unbedeutenderen (wie ich) in zweiter oder dritter Reihe hinter ihnen saßen. Alles war im Grunde wie früher Anfang der 90er, als ich mit Ruth zusammen häufig die Brüdergemeinde besuchte. Wie damals hatten sie noch immer den Brauch, dass man während der Lieder, dem Gebet und der Predigt immer lange Pausen machte von bis zu 5 Minuten, bis dann einer der Brüder aufstand und mit ernster Stimme sagte: „Lasst uns beten!“ Dieses andächtige Warten hatte wahrscheinlich mal seinen Ursprung in dem Wunsch, möglichst nicht aus einem menschlichen oder traditionellen Motiv heraus zu handeln, sondern sich stattdessen vom Heiligen Geist stimulieren zu lassen. Deshalb war es auch „verboten“, sich für die Predigt vorzubereiten, sondern jede Handlung sollte möglichst spontan vom Geist Gottes gewirkt sein. Während dieser langen Unterbrechungen kamen mir jedoch immer wieder Zweifel, ob diese angebliche Geistleitung nicht einfach nur eine gewohnte Inszenierung sei, denn warum sollte der Heilige Geist jedes Mal so eine gleich lange Pause machen wollen, bis Er einen der Brüder zum Reden animiert?

Nach dem Gottesdienst kam ein Bruder namens Günther auf mich zu und fragte mich nach meiner Herkunft und meinem Glaubensstand. Ich erklärte ihm, dass ich schon mal Christ war, aber dann Atheist wurde und jetzt erst seit kurzem wieder gläubig sei. Wir sprachen dann allgemein über die Frage, ob man überhaupt sein Heil wieder verlieren könne (was nach ihrem Verständnis unmöglich war). Am darauffolgenden Sonntag nahm ich Ruth mit, die ebenso wie ich einen positiven Eindruck hatte. Sie wunderte sich nur, dass es außerhalb des Gebäudes eine Raucherecke gab, wo hauptsächlich die jüngeren Gläubigen zusammenstanden und rauchten. Ruth fragte sich, wie man es überhaupt dulden könne, dass einzelne Gemeindeglieder noch rauchten, was doch nur in der Welt üblich sei. Sie wusste nicht, dass auch der deutsche Gründer der Brüderbewegung, Carl Brockhaus (1822-1899), ein Raucher war. Mich persönlich störte dies nicht so sehr, da wir ja alle unsere Schwächen haben. Was ich viel problematischer fand, war, dass die Predigten zwar alle sehr informativ waren, aber ganz häufig keinen Bezug zum eigenen Leben hatten. Ich tat mich schwer damit, sie als geistlich zu bezeichnen, da sie eher der deutschen Verkopftheit Rechnung trugen. Ich erinnere mich noch, wie einmal einer über Apg.18 sprach, indem er einfach nur mit vielen eigenen Worten das wiederholte, was dort ohnehin stand und es mich nur langweilte. Auch verstand ich nicht, warum ich (noch) nicht am Abendmahl teilnehmen durfte, obwohl ich doch schließlich ein Kind Gottes war und die Bedeutung des Abendmahls längst verstanden hatte.

Einer der Brüder mit Namen Ralf (48) bot mir an, mich einmal in der Woche besuchen zu kommen, um mit mir über biblische Fragen zu diskutieren. Zunächst dachte ich in naiver Weise, dass es dem Ralf einfach nur darum ging, mit mir als einem Gleichaltrigen und ebenbürtig biblisch Bewanderten locker und unkompliziert über schwierige Themen der Bibel zu plaudern. Erst nach vielen Wochen, in denen er mich von nun an regelmäßig besuchte, wurde mir klar, dass es ihm eigentlich gar nicht um einen freundschaftlichen und unbeschwerten Austausch mit mir ging, sondern darum, mich von meinen aus seiner Sicht falschen Ansichten zu befreien, um mich dadurch auf Linie zu bringen. Mir aber gaben diese wöchentlichen Treffen bei mir im Wohnzimmer die Gelegenheit, die Ansichten der Brüderbewegung immer detaillierter kennenzulernen, ohne dass ich die Notwendigkeit sah, sie mir zu eigen zu machen. Merkwürdig fand ich, dass mich Ralf nie zu sich nach Haus einlud, um auch mal seine Frau kennenzulernen. Überhaupt ließ sich Ralf nie auf persönliche Gespräche ein, sondern verhielt sich mir gegenüber eher wie ein Nachhilfelehrer, der mir nichts mehr beibringen konnte, es aber trotzdem immer wieder beharrlich versuchte.


An allen Wassern säen
(Jes.32:20)

Nicht nur durch Facebook, wo ich inzwischen über 1000 Freunde hatte, sondern auch durch das regelmäßige Evangelisieren an den Samstagen in der Bremer Innenstadt lernte ich im Lauf der Zeit immer wieder neue Gläubige kennen aus den unterschiedlichsten Richtungen. Da ich ja selbst in einer Sekte aufgewachsen war mit z.T. traumatischen Erinnerungen, versuchte ich nun mit Gottes Hilfe eine Liebe zu allen Heiligen zu üben, auch wenn sie noch so skurril und gewöhnungsbedürftig waren. So lernte ich eines Tages die Schwester Margret (30) aus Kamerun kennen, die zwar nur gebrochen Deutsch sprach, jedoch eine sehr eifrige und fast schon aufdringliche Evangelistin war, die keine Hemmungen hatte, jeden Menschen auf der Straße vom HErrn Jesus zu erzählen und ihn oder sie zu einem Übergabegebet zu drängen. Wir luden sie und andere Brüder aus ihrer schwarzen Gemeinde zu uns ein und spürten sofort eine ganz enge Vertrautheit. Sie wiederum luden mich zu ihren evangelistischen Veranstaltungen ein, wo Margret in ihrer traditionellen afrikanischen Kleidung das Evangelium predigte und englische Lieder sang. Sie brachte mich auch in Kontakt mit einer sehr jungen Evangelistentruppe, die sich „Werde-Licht-Mission“ nannte und hauptsächlich aus aramäischen Christen bestand. Einer von ihnen mit Namen Raymond (17) nahm mich in ihre WhatsApp-Gruppe auf, in welcher sie sich über biblische Fragen austauschten.

Bei einer dieser Evangelisationseinsätze marschierten wir mit Schildern und Traktaten durch die Bremer Innenstadt, während einer der Brüder mit Lautsprecher den Triumph Christi am Kreuz verkündigte. Während ich gerade einem Geschäftsmann am Straßenrand einen Flyer geben wollte, rief der Bruder laut durch das Megaphone: „EUER REICHTUM WIRD EUCH NICHTS NÜTZEN, DENN IHR WERDET IN DIE EWIGE VERDAMMNIS KOMMEN!“ Da fragte mich der Mann entgeistert: „Gehören Sie auch zu diesen Irren?“ – Ich weiß nicht mehr, was ich ihm antwortete, aber spürte in mir eine tiefe Verlegenheit. Haben wir überhaupt das Recht dazu, den Ungläubigen die Hölle heiß zu machen, indem wir sie bedrohen und einschüchtern? Wo bleibt denn hier der freie Wille, wenn man die Menschen mit unvorstellbar grausamen Folterqualen erpresst? Wirkt es nicht geradezu abstoßend, den Leuten von oben herab anzukündigen, dass sie einmal für alle Ewigkeit von Gott verstoßen werden?  Wie konnte ich überhaupt mich mit einer solchen Botschaft eins machen, wenn ich doch glaube, dass Gott wirklich alle Menschen erretten will und Sein Wille sich auch eines Tages erfüllen wird, indem der HErr ihnen einmal nahezu alle Schuld erlassen wird?

Als ich wieder zuhause war, schrieb ich am Abend in die WhatsApp-Gruppe: „Ich hab mal eine Frage an Euch alle, und zwar in gewisser Weise ein Gedankenexperiment: Stellt Euch mal vor, Gott würde Euch einmal am Gericht des Weißen Thrones als »Schöffen« zu Rate ziehen und Euch fragen, wie Er mit all den Ungläubigen der gesamten Menschheit verfahren solle, indem Ihr über das Strafmaß entscheiden sollt; und zwar entweder:

  1. alle zu begnadigen,
  2. alle zu einer zeitlich begrenzten Höllenstrafe zu verurteilen, oder
  3. alle zu einer nie mehr endenden Höllenstrafe zu verurteilen.

Ganz ehrlich: Wie würdet Ihr Euch entscheiden?“

Schon bald darauf kamen die Reaktionen. Der erste schrieb: „In aller Ehrfurcht hätte ich Nr. 2 genommen. Aber der ewige, vollkommene Gott ist gerecht mit Seiner ewigen Strafe. Eigentlich will ich mir das gar nicht vorstellen, denn ich fühle mich noch nicht einmal würdig, daran zu denken, dass Gott ausgerechnet mich um Rat fragt, denn das ist eine unglaublich große Verantwortung, die ich nie verdient hätte.“ Daraufhin fragte ich zurück: „Kann denn überhaupt meine Gerechtigkeit, Liebe und Barmherzigkeit größer sein, als die von Gott?“ Ein anderer entgegnete: „Solche Fragen dürfen wir uns gar nicht stellen, Bruder, denn es ist völlig irrelevant, wie wir uns entscheiden würden! Tatsache ist doch, dass Gott eine absolute Heiligkeit und Gerechtigkeit hat. Und es steht auch fest, dass die Unerretteten für alle Ewigkeit verloren sind. Andernfalls würden ja alle gerettet werden nach einer Zeit. Warum sollte Gott am Ende die belohnen, die nicht mit Ihm leben wollten?“ – „Aber wir wollten doch auch nicht mit Ihm leben und hatten uns das ewige Leben auch nicht als Belohnung verdient, sondern es war reine Gnade, dass Er uns den Glauben geschenkt hat. Warum denkst Du, dass Gott nicht auch ihre Herzen eines Tages noch gewinnen kann, wo Er doch alles vermag und Ihm nichts unmöglich ist?

Nun hatte einer von ihnen einen Verdacht: „Was sollen diese Fragen? Du redest schon wie ein Allversöhner. Bist Du etwa ein Allversöhner?“ Ich erklärte ihnen, dass ich gar kein Allversöhner sein kann, da nur Gott selbst in der Lage war, das All mit sich selbst zu versöhnen. Daraufhin hagelte es Kritik von allen Seiten: „Das ist der jetzige Zeitgeist, der uns eine falsche Art der Liebe Gottes in unsere Herzen pflanzen will, sodass wir entweder Gott ungerecht sehen oder Ihn uns zurechtbasteln.“ Als ich sie dann daran erinnerte, dass Gott doch alle Menschen erretten will und sie zur Erkenntnis der Wahrheit, bzw. des HErrn Jesus bringen will (1.Tim.2:4), schrieb einer: „Genauso fangen auch die Zeugen Jehovas an! Die meisten christlichen Sekten sind aus solchen Gründen entstanden, weil sie nach ihren menschlichen Maßstäben alles immer verstehen wollen. Manchmal müssen wir einfach wie Kinder das Wort so wie es ist annehmen, auch wenn es in unser eigenes Gerechtigkeitsverständnis nicht reinpasst. Aber Du musst wissen, dass Gott unseren freien Willen respektiert, und deshalb errettet Er nicht jeden, obwohl Er gerne wollte.“ Als ich dann immer mehr Bibelstellen ins Feld führte, schrieb einer von ihnen, dass die Allversöhnungslehre ein „süßes Gift“ sei und man sich vor mir hüten müsse, weil ich das Potential hätte, die Schwachen zu verführen. Sie baten Raymond als Gruppen-Admin, mich zu blockieren, was dieser dann tat.

Das war’s also. Jetzt wussten sie mein Geheimnis. Schade, dass sie mir keine Chance geben wollten, meine Überzeugung näher zu begründen. Aber ich wollte diese Trennung aus Gottes Hand annehmen und weiter für sie beten.

Am darauffolgenden Samstag wollte ich wie immer in die Obernstraße gehen an den Büchertisch der Brüdergemeinde zum Traktate-Verteilen. Aber dann erfuhr ich, dass es an jenem Tag auch ein öffentliches Gemeindefest auf dem Ansgaritorplatz gab, wo ebenfalls auf einer Bühne gepredigt und musiziert wurde. Als ich dorthin kam, sah ich einen mir bekannten Pfingstler namens Ralf, den ich schon oft beim Evangelisieren getroffen hatte. Da er ein Mikrophon in der Hand hatte, ging ich zu ihm hin und fragte ihn, ob ich vor der Menge mal ein evangelistisches Zeugnis geben könne. Sofort gab mir Ralf sein Mikrophon und ich begann, laut darüber zu berichten, was Gott an mir getan hatte und wie man errettet werden könne. Auf einmal zog eine Demo von Muslimen die Obernstraße entlang, und ich nutzte die Gelegenheit, um zu erklären, dass Mohammed ein falscher Prophet sei und nur der HErr Jesus als Sohn Gottes der einzige Retter und Messias sei. Dann erklärte ich noch, dass auch die Evangelische und Katholische Kirche mit ihrer Säuglingstaufe verkehrt sei und die Menschen verführe. Auf einmal nahm ich links im Augenwinkel einen kleinen Mann war, der auf der Bühne zu mir kam, als ob er mir das Mikrophon wieder wegnehmen wollte. Ich beendete meinen Vortrag und überreichte ihm das Mikro. Daraufhin nahm er mich beiseite und sagte: „Schau mal bitte auf das Fahnenbanner hier oben! Was siehst Du dort? Welches Symbol erkennst Du?“ – Ich antwortete: „Das der Evangelischen Kirche?“ – „Ja, genau!“ sagte er. „Dies hier ist eine Veranstaltung der Bremischen Evangelischen Kirche, und ich bin ein Vorstandsmitglied und Leiter vom Lighthouse. Du kannst doch hier auf einer Veranstaltung der Evangelischen Kirche nicht gegen die Evangelische Kirche predigen! Wer bist du überhaupt?“ Noch bevor ich etwas sagen konnte, fuhr er im flüsternden Ton fort: „Ich kann Deine Kritik ja nachvollziehen und Dir in Teilen sogar recht geben. Aber stell Dir nur vor, wenn einer von der Synode Dich jetzt gehört hätte,- was ich dann für einen Ärger gekriegt hätte! Wir Evangelikalen wollen die Menschen doch mit einer positiven Botschaft gewinnen und nicht mit einer negativen abschrecken!“

Als nächstes sprach mich ein anderer an und erzählte mir irgendwas von einer Emerging Church, was ich aber nicht verstand. Wie im Taumel verließ ich sie und ging zum Büchertisch der Brüdergemeinde, der etwa 100 Meter entfernt war. Ich begrüßte die Geschwister und wollte gerade anfangen mit dem Traktate-Verteilen, da sprach mich von hinten auf einmal Schwester Margret an, die mir gefolgt war. In ihrem gebrochenen Deutsch bezeugte sie mir und den Brüdern, dass sie das ganz wichtig fand, was ich gerade gepredigt hatte und ermutigte mich zum Weitermachen. Als sie weg war, fragten mich die Brüder, wer diese schwarze Charismatikerin sei und wovon sie sprach. Ich erklärte ihnen, dass ich gerade auf der Veranstaltung der BEK war und eine Rede halten durfte. Daraufhin sagte einer der Brüder namens Tayfun: „Simon, ich verstehe nicht, warum Du Dich dort herumtreibst, wo Du doch eigentlich wissen solltest, dass dies eine rein kirchliche Veranstaltung ist, mit der wir nichts zu tun haben wollen. Als Christen müssen wir aus Babylon hinausgehen und dürfen uns nicht mit ihnen eins machen.“ Ich erklärte ihnen, dass wir das Evangelium an allen Wassern säen sollten, wo immer sich eine Gelegenheit biete. Tayfun war hingegen der Meinung, dass die Kirche böse sei und wir uns von allem Bösen fernhalten müssen.

Am nächsten Tag war Gottesdienst in der Brüdergemeinde und zu meiner Überraschung ging diesmal der kleine Bruder Tayfun nach vorne. Als er uns bat, wir mögen doch Ruth 2 aufschlagen, da wusste ich schon genau, was er predigen wollte, denn seine Botschaft bezog sich auf den Vorfall mit mir am Vortag: „Höre mir zu, meine Tochter! Geh nicht zum Auflesen auf ein anderes Feld, geh auch nicht von hier fort, sondern halte dich da zu meinen Mägden! Richte deine Augen auf das Feld, wo man schneidet, und geh hinter den Sammlerinnen her!“ Wie zu erwarten rügte Tayfun die Haltung mancher Christen, die sich auf fremden Feldern rumtrieben, anstatt sich nur dort aufzuhalten, wo der Tisch des HErrn sei und man sich allein zum Namen des HErrn Jesus versammeln würde. Als ich Bruder Tayfun Jahre später darauf ansprach, dass er diese Predigt auf mich gemünzt hatte, bestritt er dieses vehement, betonte jedoch: „Vielleicht wollte der Heilige Geist dadurch zu Dir sprechen…


Juli bis September 2016

Hochzeit in weißer Malerhose

Obwohl mein Zwillingsbruder Marcus schon seit 2005 mit einer charismatischen Schwester aus Hannover namens Viola (43) befreundet war, machte er ihr erst 2014 einen Heiratsantrag. Marcus hatte lange mit dieser Entscheidung gezögert, obgleich er jeden Abend mit Viola telefonierte, jedes Wochenende mit ihr in Hannover verbrachte und mit ihr zusammen jahrelang auf Bibelfreizeiten, evangelistischen Einsätzen und Kirchentagen ging. Da sie jedoch nicht bereit war, auf ihre Zungenrede zu verzichten, ihren Beruf aufzugeben und nach einer Hochzeit mit ihm in Bremen zu leben, hatte Marcus Zweifel, ob sie wirklich die Richtige für ihn war. Schließlich aber verzichtete Marcus auf einen Großteil seiner Bedingungen und bat Viola um ihre Hand.  Zu seiner großen Überraschung war es aber nun Viola, die zögerte und sich noch Bedenkzeit erbat. Zufällig lernte Marcus zu jener Zeit noch eine andere Schwester namens Christine (51) kennen, die wie er regelmäßig nach Rotenburg zur Hausgemeinde von Bruder Andreas fuhr. Da Marcus sie häufig im Auto mitnahm und sie ihm sagte, dass sie geschieden sei, erklärte Marcus ihr schon bei der ersten Begegnung, dass er niemals eine Geschiedene heiraten würde.

Doch im Verlauf des Jahres 2015 war Marcus diesbezüglich zu einem anderen Bibelverständnis gelangt, nämlich dass man eine unschuldig Geschiedene sehr wohl heiraten dürfe, wenn der erste Mann die Ehe gebrochen und eine andere Frau geheiratet hatte, da es ja in einem solchen Fall gar keine Möglichkeit mehr gab, dass die Gläubige sich mit ihrem Ex-Ehemann versöhnen könne. Dennoch wollte Marcus noch einen allerletzten Versuch starten und Viola noch ein weiteres Mal fragen, indem er sich vornahm, im Falle einer Ablehnung dann um Christines Hand anzuhalten. Da Viola auch diesmal noch zögerte, hatte Marcus endlich Gewissheit und machte am nächsten Tag Christine einen Heiratsantrag, den diese annahm. Als Marcus sich eine Woche später noch ein letztes Mal von Viola verabschieden wollte, gab Viola ihm grünes Licht. Aber es war zu spät.

Viola gab sich jedoch nicht geschlagen, sondern war sich sicher, dass Marcus der Mann für ihr Leben sei. Deshalb betete sie jeden Tag, dass der HErr doch die Hochzeit mit ihrer Rivalin vereiteln möge. Sie rief auch mich an und bat mich, dass ich ihr am geplanten Hochzeitstag, den 28.07.2016, doch sofort nach dem Ja-Wort der beiden eine Bestätigung per SMS schicken möge, damit sie wisse, dass sie nicht weiter dagegen anbeten brauche. Marcus indes hatte die spontane Idee, dass er anlässlich seiner Standesamtlichen Hochzeit ganz in Weiß heiraten wolle, jedoch nicht im feinen Anzug, sondern in Malerkleidung, was wir alle sehr lustig fanden. Bis zuletzt war Viola jedoch felsenfest davon überzeugt, dass Gott den Marcus für sie bestimmt hatte. Als ich ihr dann die Nachricht mitteilte, dass sich die beiden das Ja-Wort gegeben hatten, brach Viola voller Trauer zusammen und brauchte mehrere Jahre, um sich von dieser Enttäuschung zu erholen.

Unterdessen hatte mein Vater Georg (75) mehr Glück in der Liebe: Bereits 2010 hatte er eine Dame kennengelernt namens Irmtraut (84), die schon eine leichte Demenz hatte, aber umso zutraulicher und unkomplizierter war. Ihr Sohn bot ihm an, ihm monatlich 350,- € zu zahlen, wenn er sie pflegen würde (mein Vater ist gelernter Krankenpfleger). Irmtraut vergaß zwar alles schon nach wenigen Minuten, aber war ansonsten körperlich noch topfit. Seither nahm mein Vater sie überall mit hin, mal nach Tunesien, mal auf seine Parzelle – sie lief ihm immer treu hinterher und beklagte sich nie – trotz zuweilen widriger Umstände – sondern war immer nur fröhlich lächelnd.

Auch unsere Tochter Rebekka (20) war sich inzwischen sicher, dass ihr Freund Dennis (19) die Liebe ihres Lebens war, und sie unternahmen immer häufiger Ausflüge zusammen. Da sie jedoch (noch) nicht verheiratet waren, erlaubten wir ihnen nicht, bei uns allein in Rebekkas Zimmer zu verbringen, sondern sie durften sich nur im Wohnzimmer aufhalten. Als Rebekka im Mai 2016 ihr Abitur bestanden hatte, entschied sie sich, Lehrerin zu werden und bewarb sich um einen Studienplatz für Germanistik und Spanisch. Um nebenbei etwas Geld zu verdienen, kellnerte sie zunächst in Restaurants, entschied sich jedoch

dann, auch als Fotomodel für verschiedene Modelagenturen zu arbeiten – was wir mit großer Sorge verfolgten. Als wir dann die ersten Fotos sahen, fiel uns die Kinnlade runter. Unsere Tochter war tatsächlich ausnehmend schön. Kein Wunder, dass sie nun überall Termine erhielt, um auf Foto-Shootings abgelichtet zu werden zusammen mit Schauspielern und Prominenten. Wir beteten nur, dass sie nicht auf die schiefe Bahn kommen möge.


Eva kommt nach Deutschland

Anfang August kam Ruths Cousine Eva (45) nach Deutschland. Wir luden auch bald darauf ihre Nichte Fanny zu uns ein, die ja in Bremen wohnte. Zu unserer Überraschung war das Gespräch zwischen Fanny und Eva ganz entspannt – trotz des Missbrauchsvorwurfs, der im Raum stand. Fanny gab sogar zu, dass sie sich ganz schwach erinnern könne, wie ihre Mutter Melania damals im Innenhof hinter ihrer Schwester hinterherrannte, um sie zu schlagen. Den Missbrauch ihres Vaters hielt sie für möglich bzw. konnte diesen zumindest nicht ausschließen. Dadurch fiel Eva ein Stein vom Herzen, denn das war das erste Mal, dass jemand von den Töchtern Melanias ihr glaubte. Fanny sagte auch, dass sie sich erinnern konnte, wie ihr Vater die Familie verlassen wollte und ihre Mutter die drei Töchter damals vorübergehend zu Verwandten brachte. Von dem Missbrauch selbst hatte sie nichts mitbekommen, da sie noch zu klein war.

Am darauffolgenden Samstag fuhr ich mit Eva in die Bremer Adventgemeinde, weil Eva als Adventistin unbedingt mal eine deutsche Adventgemeinde kennenlernen wollte. Nach dem Gottesdienst, der mir sehr gut gefiel, sprach uns ein bulgarischer Bruder an namens Jordan Stoimenov (44), der fließend Spanisch konnte, weil er als LKW-Fahrer viel Zeit hatte, um sich mehrere Sprachen beizubringen. Bruder Jordan hatte nie geheiratet und war ein fleißiger Evangelist, der sogar mal Präsident Gorbatschow bei einem Empfang eine russische Bibel schenkte, worüber die BILD-Zeitung einen ganzseitigen Artikel schrieb. Da Jordan sehr eifrig und sympathisch war, luden wir ihn zu uns in den Hauskreis ein, an dem er fortan regelmäßig teilnahm.

Im September fuhren wir dann mit Eva nach Ludwigsstadt zu meinem väterlichen Freund Bernd Fischer (77) und seiner Frau Brigitte (78), die für mich schon wie geistliche Eltern geworden waren. Als Eva ihnen noch einmal mit eigenen Worten alles berichtete, was ihr in ihrer Kindheit angetan wurde, brach sie immer wieder in Tränen aus, so dass die beiden innerlich sehr bewegt waren. Inzwischen hatte Bernd auch einen Brief von Florian und Yenny bekommen, in welchem sie die Untaten ihrer Eltern abstritten und die Glaubwürdigkeit von Eva infrage stellten. Bernd hielt es für nahezu ausgeschlossen, dass Eva sich diese ganze Geschichte nur ausgedacht hatte, zumal sie die Vorwürfe schon seit über 30 Jahren gleichlautend erhob, obgleich sie in ihrer Kindheit noch nicht einmal verstand, was Felix mit ihr angestellt hatte, da sie noch nicht aufgeklärt war. Florian hingegen berichtete von Melanias ältester Tochter Madeleine, dass Eva aus heiterem Himmel auf einmal eine unerklärliche Feindschaft gegen ihre 15 Jahre ältere Schwester Melania entwickelt habe, die in der Folge dann zu diesem Missbrauchsvorwurf führte. Warum aber sollte ein kleines Mädchen plötzlich ohne jeden Grund ihre Schwester hassen und ihr den Tod wünschen?

Bernd war der Überzeugung, dass der Missbrauchsvorwurf durch die Gemeinde in Lima aufgeklärt werden müsse, in welche die Eltern jetzt gingen, da sie ja nach Mat.18:15-17 auch trotz der Zeugen noch nicht Buße getan hätten. Dazu aber seien Zeugenaussagen der Eltern Melanias und Evas ebenso wertvoll wie die Zeugenaussage ihrer leiblichen Brüder Benigno, Santiago und Abad, sowie der von ihrer Tante Lucila, an die sie sich damals als Kind ja zuerst gewandt hatte. Wenn all diese Zeugen von damals den Missbrauchsvorwurf bestätigten, dann tendiere die Wahrscheinlichkeit einer frei erfundenen Verleumdung gegen Null. Umso wahrscheinlicher und nachvollziehbarer hingegen sei das Motiv der Täter, eine so schreckliche Tat abzustreiten und die Klägerin einfach als Lügnerin zu diffamieren. Wären sie aber wirklich unschuldig, würden sie die Taten nicht einfach nur abstreiten, sondern aus Liebe zur Wahrheit aktiv an der Selbstentlastung mitwirken. Durch ihre Verweigerung, mit uns zu sprechen, taten sie aber genau das Gegenteil – wohl in der Hoffnung, die Vorwürfe einfach aussitzen zu können, bis sie irgendwann einfach in Vergessenheit geraten.

Eva genoss die Liebe und das Vertrauen, das ihr von Bernd und Brigitte entgegengebracht wurde, und Bernd versprach ihr, sich für sie einzusetzen und durch Fürsprache eine Versöhnung zwischen ihr und ihren Nichten Yenny und Miriam herbeizuführen oder wenigstens anzustreben. Am nächsten Tag unternahmen wir einen Ausflug ins ehemalige Konzentrationslager Buchenwald, das sich in der Nähe der Stadt Weimar befand. Durch den Schrecken, dem wir dort in Bildern und Worten begegneten, wurde Eva wenigstens mal für einen Tag völlig von ihrem eigenen Leid abgelenkt. Nach drei Tagen fuhren wir dann weiter zu Johannes, Bernds Sohn, der mit seiner Frau Diana und ihren fünf Söhnen in der Nähe von Bautzen wohnte, da diese uns eingeladen hatten. Zusammen mit der Familie machten wir u.a. einen Ausflug in die sog. Sächsische Schweiz mit ihren berühmten Felsformationen.

Als wir wieder zuhause in Bremen waren, ereignete sich ein schwerer Unfall, der meiner Frau Ruth und der Eva beinahe das Leben gekostet hätte: In einer Nacht fuhren Ruth und Eva gerade von einem Besuch bei ihrer Freundin Raquel heim. Ruth fuhr mit etwa 110 Std/km auf der rechten Spur der A 27 als gegen 22:30 Uhr plötzlich ein Wagen mit sehr hoher Geschwindigkeit einem überholenden Fahrzeug auf der Überholspur ausweichen musste und dabei quer nach rechts auf Ruths Wagen stieß, indem er diesen wie eine Billardkugel von hinten rammte. Durch die enorme Wucht des Stoßes wurde ihr Wagen gegen die Mittelleitplanke geschleudert und drehte sich dabei mehrfach um die eigene Achse bis er auf der Überholspur rückwärts zum Stehen kam. Durch ein Wunder Gottes sind dann die nachfolgenden Autos trotz hoher Geschwindigkeit rechts an ihr vorbeigezogen, anstatt mit ihr frontal zusammenzuprallen. Zunächst ließen sich die Türen nicht öffnen, doch dann lief ein mutiger Türke zu ihnen und befreite sie aus dem Wagen. Ruth hielt diesen zunächst für den Unfallverursacher und schimpfte mit ihm. Dieser aber griff Ruth und Eva am Arm, rannte mit ihnen quer über die Autobahn und brachte sie hinter der Leitplanke in Sicherheit. Der Unfallverursacher lag indes schwer verletzt im Koma und wurde zusammen mit Ruth und Eva in eine nahe gelegene Klinik gebracht. Er war vermutlich auch gläubig, denn in seinem Wagen fanden sich zwei Bibeln und Notizen zu Bibelstellen. Als sich in der Folge nun ein Stau bildete, fuhr ein Transporter versehentlich in das Stauende und wurde daraufhin ebenso bewusstlos ins Krankenhaus gebracht. Trotz der gefährlichen Lage hatte der HErr aber nicht zugelassen, dass irgendjemand in der Nacht starb, und sogar Ruth hatte trotz ihrer angeschlagenen Gesundheit kein Schleudertrauma erlitten.


Mein Rauswurf aus der Exklusiven Brüdergemeinde

Bereits im Juli hatte ich bei den Ältesten der Gemeinde einen Antrag gestellt, dass ich gerne am Abendmahl teilnehmen würde. Da ich jedoch noch immer an die Verlierbarkeit des Heils glaubte, war es für die Brüder schwierig, meinem Antrag so ohne weiteres zuzustimmen.  Bruder Ralf, der mich noch immer jede Woche zum privaten Bibelaustausch besuchte, gab mir den Tipp, mich einfach nicht mehr zur Verlierbarkeit des Heils zu äußern, denn wenn ich sie für mich behielte, wäre ich ja noch kein Irrlehrer. „Würdest Du von etwas schweigen, wenn Du es von der Schrift her als Wahrheit erkannt hast?“ fragte ich ihn. „Das kommt darauf an. Wenn ich mit meiner Lehrmeinung in einer Gemeinde alleine bin, würde ich mich der Mehrheit unterstellen und solange um die richtige Erkenntnis beten, bis entweder ich oder die anderen von ihrem Irrtum überführt werden.“ – „Aber was ist so schlimm daran, wenn Brüder in Lehrfragen eine andere Erkenntnis haben?“ – „Das weißt Du genau, Simon, denn die Schrift spricht z.B. in 2.Johannesbrief vom lehrmäßig Bösem im Unterschied zum moralisch Bösem. Für beides darf beim Tisch des HErrn kein Platz sein.“ Ich wusste auf dieses Argument keine Erwiderung und bot dem Bruder Ralf an, dass ich in Zukunft einfach schweigen würde zu diesem Streitthema.

Inzwischen hatte ich mich jedoch auch schon auf meiner Hahnenschrei-Seite im Internet zu dieser Frage geäußert, ohne zu ahnen, dass einige der Brüder sie bereits untersucht hatten. Sie teilten mir mit, dass es zu einer „Anhörung“ komme (so als ob ich auf einmal ein bereits verhafteter Verbrecher sei). Als mich dann zwei ältere Brüder eines Abends besuchen kamen, war die Stimmung zunächst sehr freundlich und friedlich. Sie meinten jedoch, dass ich „durch die Leugnung der biblischen Lehre von der Unverlierbarkeit des Heils das vollkommene Werk unseres HErrn auf Golgatha schmälern“ würde. Ich entgegnete, dass der HErr gemäß Hesekiel 18 aufgrund Seiner Gerechtigkeit einem Christen, der vom Glauben abfällt, nicht bevorzugen würde gegenüber allen anderen Gesetzlosen, da Er nicht die Person ansehe (Röm.2:11). Eine Schmälerung des Opfers Christi sei es doch eher, wenn man auch jenen noch das Heil zugestehen würde, die durch ihre Werke den HErrn noch einmal kreuzigen und anspucken würden. Als wir uns verabschiedeten, fragte ich sie, ob ich denn nun am Abendmahl teilnehmen dürfe oder nicht. Sie sagten, dass sie das alleine nicht entscheiden dürften, sondern dass der Brüderrat darüber beraten und es dann anschließend entscheiden würde.

Als wir uns dann drei Wochen später noch einmal verabredeten, geschah mir ein Missgeschick, denn ich musste noch letzte Aufräumarbeiten auf der Baustelle erledigen und konnte deshalb nicht pünktlich bei unserem Treffen sein. Die Brüder jedoch nutzten die Gelegenheit, um erst einmal Ruth zu befragen, um ihre Ansichten zu erfahren. Als ich dann eine halbe Stunde später Ruth anrief um ihr mitzuteilen, dass ich gleich käme, teilte sie mir mit, dass die Brüder irgendwie herausgefunden hätten, dass ich an die Allversöhnung glaube. Ich dachte nur: Okay, das war’s dann…  Als ich dann eintraf, war die Stimmung deutlich unterkühlt. Wie zu erwarten, fragten sie mich gerade heraus, ob ich an die Allversöhnung glaube. „Ja, natürlich! Denn sie steht ja klar geschrieben in Kolosser 1:20. Glaubt Ihr denn etwa nicht daran, dass Gott das All mit sich selbst versöhnt hat?“ Leider waren sie nicht bereit zu einem Gespräch über diese Aussage, sondern teilten mir mit, dass ich in ihren Augen „weitergegangen und nicht in der Lehre des Christus geblieben“ sei, da ich jetzt nicht nur an die Verlierbarkeit des Heils glaube, sondern auch noch an die Allversöhnung. „Aber Eure Lehre an die Unverlierbarkeit des Heils ist ja im Grunde auch eine Allversöhnungslehre, allerdings eine egoistische Variante, die sich nur auf diejenigen beschränkt, die sich einmal bekehrt haben. Außerdem sagt Ihr ja zugleich damit, dass ich ‚Gott nicht habe‘ und verleugnet dadurch all das, was Gott in mir gewirkt hat durch Seinen Geist in den letzten zwei Jahren.“ –

Das steht uns nicht zu, zu beurteilen“ antwortete der Bruder. „Aber Dir scheint nicht klar zu sein, wie ernst Gott über die Sünde denkt, und Du hast auch nicht verstanden, dass wir es verdient hatten, für immer aus der Gegenwart Gottes ausgeschlossen zu sein und Seinen ewigen Zorn und die ewige Pein zu erleiden.“ – Ich entgegnete: „Demnach ist der HErr Jesus Eurer Meinung nach gar nicht gekommen, um die Welt zu erretten, sondern um sie größtenteils zu verdammen? Und im Grunde schuf Gott die Menschheit dann auch nur deshalb, um sie später in alle Ewigkeit zu quälen und hat dies quasi dadurch moralisch rechtfertigen können, indem Sein Sohn starb, um einer winzigen Schar von Auserwählten gnädig zu sein? Du sagst, dass eine zeitliche Bestrafung eine Schmälerung des Werkes Christi sei, dabei ist es doch nüchtern betrachtet genau anders herum: Der HErr Jesus soll nach Eurer Vorstellung nicht den vollen Lohn bekommen für all Sein Leid am Kreuz von Golgatha, sondern sich schon mit einer mickrigen Schar von Erstlingen zufrieden geben. Wenn nicht die Menge an Erlösten wie der Sand, der am Ufer des Meeres ist, gilt, sondern die Verweildauer der Ungläubigen im Feuersee die Frucht wäre, an der sich der HErr Jesus ‚von der Mühsal Seiner Seele sättigen‘ wird, dann wäre der Sinn von Golgatha nicht die Errettung aller Menschen, sondern eine fragwürdige Rechtfertigung, die übrigen Menschen für ewig und ohne Gewissensbisse quälen zu dürfen.“ – Die Brüder standen nun auf, um zu gehen. Als sie auf dem Flur standen, sagte ich noch, dass es schade sei, dass sie nicht gewillt seien, andere Erkenntnisse zu prüfen oder wenigstens stehenzulassen. Ich machte die Haustür auf und reichte ihnen zur Verabschiedung die Hand. Aber sie wollten mir die Hand nicht geben, sondern gingen wortlos weg.


Merkwürdige Besucher

Ende September klingelte es eines Abends an der Tür. Vor mir stand ein sehr schlanker, junger Mann mit ernstem Gesicht. „Bist du Simon Poppe?“ – „Ja.  Was kann ich für dich tun?“ – „Ich muss mit dir sprechen!“ Und noch ehe ich ihn hereinbitten konnte, ging er mit ernster Miene an mir vorbei, so dass ich etwas stutzig war. Wir gingen die Treppe hoch in mein Zimmer, und er legte los: „Ich habe gehört, dass du wieder zu Jesus zurückgekehrt bist. Aber eigentlich ist das gar nicht möglich, denn in Hebr.6 steht, dass jemand, der einmal gläubig war und dann abgefallen ist, nicht mehr zur Buße erneuert werden kann. Erzähl mal, wie es dazu kam, dass du jetzt wieder Christ bist!“  Ich war ziemlich irritiert: „Wird das hier jetzt ein Verhör? Ich finde, du solltest dich doch erst einmal vorstellen, wer du eigentlich bist.“ – „Ach so, ´schuldigung, ich heiß Dennis, bin aus Ausmushausen. Dein Bruder Marcus kennt mich.“ – „Ach, du bist aus Asmushausen! Dann kennst du vielleicht Bruder Ralf Schiemann?“ fragte ich. „Ja, natürlich. Der ist ja mit seiner Frau Angelika nach Belize ausgewandert. Aber vor ein paar Monaten kam er zurück, weil er Darmkrebs hatte und sich hier in Deutschland behandeln wollte.“ – „Und konnte ihm geholfen werden?“ – „Nein, denn er verlangte von der Ärztin, dass er nur von einem Mann behandelt werden wolle, und weil sie es nicht ernst nahm, hat er das Krankenhaus sofort wieder verlassen.“ – „Und wie geht es ihm jetzt?“ – „Er ist inzwischen tot, lag zum Schluss nur noch mit Schmerzen auf dem Sofa.“ – Ich war bestürzt. „Ach, der Arme! Und wie hast du davon erfahren?“ – „Seine Frau Angelika rief den Thomas sofort an und bat ihn um Hilfe. Und weil sie kein Geld für eine Beerdigung hatte, sind wir dann zusammen zu ihr gefahren. Wir haben ihn in eine Decke gehüllt und ihn in Thomas´ Transporter gelegt.“ – „Und dann?“ – „Dann hat Thomas noch einen Spaten mitgenommen und wir sind zum Friedhof gefahren, um ihn zu begraben. Aber der Friedhofswärter meinte, dass das nicht so gehe, sondern er müsse sich erstmal vom Arzt einen Totenschein ausstellen lassen. Und die Leiche einfach so irgendwo verbuddeln, ginge auch nicht.“

Dann erzählte mir Dennis, dass er eigentlich aus Bremen sei und sich 2008 mit 20 Jahren bekehrt habe. Da er aber während seiner ganzen Jugendzeit magische Rituale praktiziert habe, griffen ihn plötzlich die Dämonen an, so dass er auf einmal nur noch Lästerstimmen in seinem Kopf hörte. Aus Verzweiflung wollte er sich das Leben nehmen. Er fuhr dann zu seinem drogenabhängigen Zwillingsbruder und ließ sich aus Frust und Gleichgültigkeit eine Spritze Heroin geben. Seither sei er schwer drogenabhängig. Es gelang ihm schon einmal mit Gottes Hilfe, für kurze Zeit vom Heroin frei zu kommen, aber jetzt hing er wieder voll an der Nadel. Er wollte wissen, ob Gott ihm noch einmal vergeben könne oder ihn völlig verworfen habe. Deshalb sei er zu mir gekommen, um Näheres von meiner Rück-Bekehrung zu erfahren. Als wir uns verabschieden wollten, fragte er mich, ob ich ihm etwas Geld leihen könne, um sich Essen zu kaufen. Ich ging nach unten und ließ mir von Ruth Geld geben. Ich rief ihn, er möge doch runterkommen. Dann gab ich ihm die Spende und verabschiedete ihn. Als ich danach wieder nach oben kam, sah ich, dass alle Schubladen im Büro und Schlafzimmer offenstanden. Dennis war tatsächlich schwer heroinabhängig.

Ein paar Tage später bekamen wir auf einmal Besuch aus der Lutherstadt Wittenberg von einem unbekannten Bruder namens Jens. Er war rothaarig wie ich und hatte überall auf seinem Fahrrad und an seinem T-Shirt evangelistische Bibelverse, was ich sehr sympathisch fand. Er sagte, er sei auf der Durchreise und habe durch Dennis von mir gehört; er gehörte auch mal eine Zeitlang zur Hausgemeinde in Asmushausen. Dann fragte er mich, ob er ein paar Tage bleiben könne, um in Bremen zu evangelisieren, und ich sagte sofort Ja, aufgrund von 3. Joh.7-8, wo es heißt: „Wir nun sind schuldig, solche aufzunehmen, damit wir Mitarbeiter der Wahrheit werden“. Er blieb etwa eine Woche, und wir hatten viele Gespräche über den Glauben. Mir fiel auf, dass Jens immer einen sehr guten Appetit hatte und die Käsescheiben auch gerne ganz ohne Brot aß.

Am letzten Tag sagte Jens nach dem Abendessen auf einmal etwas völlig Überraschendes, womit Ruth und ich gar nicht gerechnet hatten: „Bevor ich gehe, möchte ich Euch etwas bekennen: Ihr ward immer sehr großzügig und gastfreundlich zu mir, aber dennoch bin ich doch etwas enttäuscht von Dir, Simon.“ Ich war etwas irritiert und fragte sofort: „Na sowas. Was habe ich denn falsch gemacht?“ Jens hatte es sich im Wohnzimmer bequem gemacht und sagte: „Weißt du, ich hatte insgeheim gehofft, dass du ein sehr geistlicher Bruder bist. Jetzt aber habe ich gesehen, dass du doch ziemlich fleischlich bist.“ Ruth verschlug es die Sprache, ich aber musste eher lächeln: „Ach, tatsächlich. Und woran machst du das fest?“ fragte ich. Er überlegte und sagte dann: „Du bist immer sehr nett, sanft und demütig, aber dir fehlt noch etwas ganz Wichtiges, nämlich der würdige Ernst.“ – „Kannst du mal ein Beispiel nennen?“ Doch bevor er antworten konnte, mischte sich Ruth in das Gespräch: „Ich finde das schon ganz schön dreist von dir, lieber Jens, dass du – trotz all unserer Gastfreundschaft – dich jetzt als den großen Richter aufspielst und…“ – Ich unterbrach Ruth und sagte: „Lass mal, denn er hat ja recht. Mir fehlt wirklich noch der würdige Ernst, von dem Paulus im 1.Timotheusbrief schreibt. Das hat Jens schon gut beobachtet. Tut mir leid, dass ich dich enttäuscht habe. Lass uns dafür beten, dass der HErr mir heiligen Ernst schenke!

Einige Zeit später klingelte es wieder an der Tür. Ein gewisser Michael (24) wollte sich eigentlich nur um einen Praktikumsplatz bei mir bewerben, erfuhr aber dann, dass auch ich Christ sei. Ich bat ihn herein, und er erzählte uns, dass er sich gerade vor zwei Monaten bekehrt habe und taufen ließ. „Das war so: Ich bin der jüngste Sohn von´ner polnischen Familie. Meine Eltern und Brüder leben alle von Hartz 4 und saufen den ganzen Tag Alkohol. Mich ham sie immer geschlagen und wie ´n Sklaven behandelt. Ich sollte immer die Wohnung sauber machen. Kam dann auch mal in Knast wegen Kartenbetrug. Das war die reinste Hölle! Als ich wieder rauskam, hab‘ ich mir gesagt, dass ich mein Leben ändern will und wollte mir eine Bibel zulegen. Ich fuhr also inne Stadt und ging in den Dom. Da war alles dunkel. Ich wollte eigentlich nur jemand fragen, wie man Christ wird. Dann ging ich wieder raus und sah von weiten, dass da welche einen Büchertisch hatten. Plötzlich fasste mich eine Frau an und fragte mich, ob ich Jesus kennenler‘n wolle. Da hab‘ ich total geheuelt und ihr schluchzend erzählt, dass ich genau deswegen inne Stadt gekommen bin, weil ich Gott suche. Sie hat mich dann umarmt und in ihre Gemeinde eingeladen. Kurz danach wurde ich dann in Soltau getauft. Sie haben mir auch eine Bibel geschenkt, in der ich jetzt immer lese.“

Ruth und ich waren hoch erfreut über dieses schöne Zeugnis. Michael strahlte über das ganze Gesicht. Wir sprachen dann über die Möglichkeit eines Praktikums in meiner Firma, und dass ich sehr froh sei, einen gläubigen Mitarbeiter zu haben. Und dann erklärte ich ihm, dass es nun sehr wichtig sei, dass er regelmäßig in eine Gemeinde gehe, um im Glauben zu wachsen und von anderen unterstützt zu werden. Ich bot ihm an, dass er auch gerne zu uns kommen könne in den Hauskreis, aber er sagte, dass man ihn schon immer regelmäßig mitnehme in eine Gemeinde in Delmenhorst, wo auch ein gewisser Raymond sei, der ihm von mir erzählt habe. „Ja, den Raymond kenne ich vom Evangelisieren. Übrigens, Michael, weil du sagtest, dass du schon mal im Knast warst: Ich habe mich gerade mit einem Herrn Kümmel in der Justizvollzugsanstalt Bremen-Oslebshausen verabredet, um dort Gefangene seelsorgerlich zu betreuen. Wenn du willst, lade ich dich ein mir dabei zu helfen.“ Michael war einverstanden und wir verabredeten uns. Dann standen wir auf und Michael sagte selbstbewusst: „Kommt, Geschwister, lasst uns mal zusammen beten!“ Nach dem Gebet umarmte uns Michael, und ich dachte: Na der hat aber Persönlichkeit!

Eine Woche später fuhr ich mit Michael zu jenem Gefängnis, wo auch er mal seine Strafe abgesessen hatte. Der Justizbeamte Kümmel erklärte mir, dass ich gerne regelmäßig Gefangene besuchen dürfe, jedoch vorher einen Vollzugshelfer-Kurs machen müsse. Michael hingegen dürfe aufgrund seiner Vorstrafe nicht daran teilnehmen. „Wissen Sie, Herr Poppe, die Inhaftierten sind immer sehr froh, wenn sie mal Besuch bekommen. Sie können mit ihnen auch gerne über ihren christlichen Glauben reden – das begrüßen wir ausdrücklich! Nur bei den Muslimen hat das keinen Sinn. Denn die verachten uns Deutsche. Wir haben hier einen ganzen Trakt, in welchem sich nur arabische Gefangene aus den Magreb-Staaten befinden. In ihren Ländern werden sie im Gefängnis geschlagen und gefoltert. Daher sehen sie uns als Weichlinge, weil wir sie zivilisiert behandeln.“

Vorheriger Beitrag
– Unwissenheit schützt vor Strafe
Nächster Beitrag
– „Lebenszeugnisse von Knechten Jesu Christi“ Teil 9

Inhaltsverzeichnis

Etwas nicht gefunden?

Neuste Beiträge

Gastbeiträge

„Der ist kein Narr, der aufgibt, was er nicht behalten kann, damit er gewinnt, was er nicht verlieren kann.“

(Jim Elliott)