„Unser Mund ist zu euch aufgetan… unser Herz ist weit geworden. Ihr seid nicht verengt in uns, sondern ihr seid verengt in eurem Innern. Zur gleichen Vergeltung aber (ich rede als zu Kindern) werdet auch ihr weit.“ (2.Kor.7:11-13)
Bremen, den 30.10.2019
Lieber Bruder Nadim,
die Gnade und der Friede unseres Gottes und HErrn Jesus Christus seien mit Dir,
unser Telefonat vom letzten Freitag beschäftigt mich noch immer. Du bist noch ein junger Bruder mit Deinen 24 Jahren und ließest Dir vor zwei Jahren noch etwas von mir sagen. Aber nun hat der Bruder Shah Amiri Dich dermaßen beeinflusst und „bezaubert“ (Gal.3:1), dass auch Du glaubst, dass ich aufgrund von 2.Joh.7-11 kein echter Christ sei, weil ich nach Auffassung von Bruder Shah nicht „die Lehre des Christus“ hätte, und zwar nur, weil ich seiner Deutung von Psalm 2:7 nicht zustimme. Ich habe dem Bruder Shah vorgestern eine Widerlegung seiner Lehre zugesandt, die ich in Kopie auch diesem Brief beifüge.
Nun wäre das eigentlich belanglos, ob Bruder Shah und ich genau die gleiche Ansicht und Erkenntnis über das Wesen unseres HErrn Jesus haben, denn unsere Erkenntnis ist stückweise (1.Kor.13:9+12) und wachstümlich (2.Petr.3:18). Aber es heißt auch: „Die Erkenntnis bläht auf, die Liebe erbaut“ (1.Kor.8:1). In unserer menschlichen Natur liegt nämlich die Neigung, dass wir unsere eigene Erkenntnis für absolut und unfehlbar halten, auch wenn wir dies ungern zugeben, und daraus dann Konsequenzen ziehen, die im Ergebnis zum Hochmut und damit zur Sünde führen. Wer seine eigene Erkenntnis zum Maßstab nimmt für Wahrheit und nicht mehr bereit ist, sich von anderen Brüdern korrigieren zu lassen, ist nach der Heiligen Schrift ein sektiererischer Mensch, der durch die Verabsolutierung seiner eigensinnigen Sichtweise die Schüler des HErrn „abzieht hinter sich her“ (Tit.3:10, Apg.20:30). Ein sektiererischer Mensch sagt: „Ich kann mit Dir keine Gemeinschaft haben, weil Du der Schrift nicht gehorchst!“ Wenn er aufrichtig wäre müsste er sagen: „Ich will mit Dir keine Gemeinschaft haben, weil Du meinem Schriftverständnis nicht gehorchst!“ Das wäre wenigstens ehrlich. Er verwechselt also seine eigene Erkenntnis mit der Heiligen Schrift. Selbst in der Wissenschaft gilt der Grundsatz, dass Daten nie für sich sprechen, sondern interpretiert werden müssen. Und wenn es bei einer bestimmten Bibelstelle mindestens zwei Deutungsmöglichkeiten gibt, kann sie schon nicht mehr „EINDEUTIG“ sein. Für einen sektiererischen Menschen ist seine eigene Sichtweise immer „eindeutig“, und er ist nicht offen für eine alternative Sichtweise, weil er in seinem Herzen verengt ist.
So verhält es sich auch mit der neuartigen Sonderlehre von Bruder Shah Amiri über 2.Joh.7-11: Aus der „Lehre des Christus“ hat er eine „Lehre über Christus“ gemacht und hat dadurch die stückweise und wachstümliche Erkenntnis über das Wesen des Sohnes Gottes zu einem Prüfmaßstab für echtes Christsein gemacht. Und damit ist keineswegs die biblisch „gesicherte“ Erkenntnis gemeint, die den Glauben eines echten Christen ausmacht, sondern eine spezielle Sondersichtweise, wie sie nur Shah Amiri und ein paar andere Christen sonst noch vertreten, aber keineswegs die große Mehrheit der Gläubigen! Und aus Ermangelung alternativer Deutungen glaubst Du der Deutung von Shah Amiri blindlinks und bist damit seine „Beute“ geworden (Kol.2:8). Aus dieser geistigen Gefangenschaft wirst Du erst befreit werden, wenn Du Dein Herz weit machst gem. 2.Kor.7:11-13 und bereit bist, alternative Deutungen zu prüfen, wonach Du gemäß 1.Thes.5:21 auch verpflichtet bist. Deshalb möchte ich Dir im Folgenden mal vier unterschiedliche Auslegungen von 2.Joh.7-11 darstellen, damit Du sehen kannst, dass die Sichtweise von Bruder Shah keineswegs die einzig mögliche ist:
Möglichkeit 1: „Die Lehre des Christus“ beziehe sich nach Ansicht der Exklusiven Brüdergemeinden (auch „Alte Versammlung“ genannt) und einigen anderen Sekten auf alle möglichen Positionen aus der Schrift, wie sie von diesen gesehen wird, ohne Ausnahme. Wer also in irgendeiner Sichtweise – und sei sie auch noch so speziell – abweicht von der Meinung des Führers (z.B. John N. Darby), der ist „weiter gegangen und nicht geblieben in der Lehre des Christus“ und hat folglich „Gott nicht“. Darby störte sich z.B. daran, dass in der Gemeinde seines Bruders Irving eine Stufe im Fußboden des Versammlungsraums den predigenden Bruder „abhob“ von den anderen Geschwistern, die um diese eine Stufe niedriger als er saßen. Dadurch sei nach Ansicht von Darby das klerikale Denken aus der anglikanischen Kirche übernommen worden und Irving müsse sich unverzüglich einen anderen Versammlungsraum suchen. Da Irving dies aber verständlicherweise für albern hielt und sich dem Wunsch von Darby nicht fügen wollte, wurde die Irving-Gemeinde ausgeschlossen und mit ihnen auch all jene Gemeinden, die noch mit einzelnen Geschwistern aus der Irving-Gemeinde Kontakt pflegten. Dadurch wurde ein völlig unbedeutendes Randthema zum Ausschlusskriterium für Gemeinschaft erhoben, da die anderen Geschwister nach Ansicht von Darby ja nicht in „der Lehre des Christus geblieben“ waren. Man dürfe ja schließlich keinen „Sauerteig“ in der Gemeinde des HErrn dulden. Man machte also keinen Unterschied mehr zwischen wesentlichen und unwesentlichen Inhalten des Glaubens, sondern erklärte alles für wesentlich. Kein Wunder, dass es in der Folgezeit immer wieder zu weiteren Spaltungen innerhalb der Exklusiven kam. Als Begründung für die geringe Anhängerschaft jeder einzelnen Splittergruppe wird dann immer wieder die Stelle bemüht, wo der HErr von einer „Kleinen Herde“ sprach, die errettet werden wird (Luk.12:32).
Möglichkeit 2: „Die Lehre des Christus“ sei allgemein das, was die Apostel und die Gemeindeväter zu den Grundlagen des christlichen Glaubens zählten. Diese Grundthesen wurden im 5.Jahrhundert im sog. „Apostolischen Glaubensbekenntnis“ (Apostolikum) dargelegt. Wer die darin formulierten Grundwahrheiten ganz oder teilweise nicht glaubt oder anders sieht, konnte schon aus Sicht der Apostel und Kirchenväter nicht mehr als Christ betrachtet werden.
Möglichkeit 3: „Die Lehre des Christus“ beschränke sich lediglich auf das Evangelium Jesu Christi als solches (vergl. Gal.1:8-9). Nur wer also eine andere Heilsbotschaft verkündet, der sei kein Christ. Wenn er aber z.B. die Jungfrauengeburt leugnet oder die Inspiration der Heiligen Schrift allgemein in Frage stellt, dann könne man ihn trotzdem noch als Christen bezeichnen, da er ja immer noch an das Heil in Christus glaube.
Möglichkeit 4: „Die Lehre des Christus“ beziehe sich ausschließlich auf die in Vers 7 genannte Lehre, dass der HErr Jesus nicht „im Fleische kommend“ sei, d.h. sowohl, dass Er nicht im Fleische gekommen sei als auch, dass Er nicht im Fleische wiederkommen wird. Demnach wären nur die Zeugen Jehovas und einige Präteristen gemeint unter jenen, die man „nicht ins Haus aufnehmen“ dürfe.
Du siehst, dass es für all diese Positionen gute Gründe gibt, aber nicht alle halten einer näheren Prüfung stand:
Möglichkeit 1 scheidet aus, weil man unmöglich jemandem die Gotteskindschaft absprechen kann, nur weil er/sie nicht in allen denkbaren Fragen eine ganz bestimmte Meinung vertritt, die zufällig gerade der eigenen entspricht. Die „Einheit des Glaubens“ (Eph.4:13) ist nicht eine Bedingung für Gemeinschaft, sondern das Endziel von Gemeinschaft, das man nur durch Gemeinschaft erreichen kann und nicht durch Absonderung Andersdenkender. Bedingung ist vielmehr die „Einheit des Geistes“ (Eph.4:3), und damit ist in erster Linie gemeint, dass man den gleichen Heiligen Geist hat und damit auch die gleiche Gesinnung, die nach der Einheit des Leibes und des Geistes strebt (V. 4).
Möglichkeit 3 scheidet aus, denn einen echten Christen erkennt man nicht nur darin, dass er an das Evangelium glaubt, sondern dass er/sie auch allem gehorcht, was der HErr und Seine Apostel uns gelehrt haben (Mt.28:19, 1.Tim.6:3). Wir sollen nicht nur durch die enge Pforte (Bekehrung) gehen, sondern auch auf dem schmalen Pfad wandeln (Nachfolge/ Heiligung).
Möglichkeit 4 scheidet ebenso aus, denn warum sollte sich die „Lehre des Christus“ allein auf einen bestimmten Teil der Prophetie beschränken, die Johannes ja nur als Beispiel anführt, um dem Einfluss gnostischer Lehren durch Aufklärung entgegenzuwirken? Denn sonst könnte ein ansonsten untreuer Christ sich ja darauf berufen, dass er/sie ja immerhin an die buchstäbliche Wiederkunft des HErrn glaube und schon allein deshalb als Christ anerkannt werden müsse.
Tatsächlich gibt allein das Bekenntnis zum Apostolischen Glauben (Möglichkeit 2) die ausreichende Sicherheit, dass es sich im Zweifelsfall um einen echten Christen handelt, selbst wenn ihm vielleicht noch viele andere Erkenntnisse fehlen mögen oder er/sie im Gehorsam zu den Geboten noch nicht ganz konsequent ist. Jemand der aber z.B. die Heilige Schrift nicht für das (alleinige) Wort Gottes hält, der wird die Lehren und Gebote des HErrn wohl auch kaum für verbindlich ansehen und folglich ihnen auch nicht Folge leisten, so dass er /sie unweigerlich verloren gehen wird. Ebenso wenig dürfen aber typische Streitfragen, die es in der Gemeinde des HErrn schon immer gegeben hat (z.B. Heilsverlierbarkeit, Auserwählung, Allversöhnung, Entrückungszeitpunkt oder Sabbatheiligung) heute zum Kriterium für Gemeinschaft erhoben werden, weil sie eben nicht Bestandteil des Apostolischen Glaubensbekenntnisses geworden sind. An diesem wurde über Jahrhunderte „gefeilt“ und beraten, wobei der Heilige Geist mitgewirkt hat, damit es auch über Jahrhunderte noch Bestand haben könne.
Erst in den letzten 150 Jahren wird der „Ratschluss der Alten“ zunehmend verworfen, weil man es wie bei Rehabeam besser zu wissen glaubt und lieber die Jüngeren konsultiert. Durch diese Laodizea-typische Besserwisserei werden die Väter nicht mehr geehrt (5. Gebot!), weil man sich selbst ja für schlauer hält und nur der eigenen Geistesleitung vertrauen will. Oftmals geht es noch nicht einmal darum, dass man reich (an Erkenntnis) zu sein glaubt und keiner Korrektur mehr bedarf (Offb.3:14), sondern es geht insgeheim um Machtprivilegien wie bei den Pharisäern, die man durch die Tolerierung andersdenkender Gläubiger gefährdet sieht. So steht z.B. an den Haustüren vieler Katholiken in Südamerika ein Schild, auf dem steht: „Wir sind Katholiken! Wir nehmen keine Evangelischen in unser Haus auf, denn es steht geschrieben: ‚Wenn jemand zu euch kommt und diese Lehre nicht bringt, den nehmet nicht ins Haus auf und grüßet auch nicht; denn wer ihn grüßt, hat Teil an seinem bösen Werk!“ Wenn also sogar schon die Katholiken diesen Vers zum Missbrauch verwenden, dann sollte einem doch klar werden, wie leicht man diese Worte missbrauchen kann für seine eigenen Zwecke!
Der Heilige Geist hat möglicherweise mit Absicht nicht alle Erkenntnisse ein und demselben Bruder geschenkt, sondern bewusst auf verschiedene Brüder verteilt, damit sie genötigt werden, sich zusammenzusetzen zum gemeinsamen Austausch (Mal.3:16).
Zum Schluss sei noch erwähnt, dass es geradezu eine Unverschämtheit und Sturheit ist, überhaupt die Erkenntnis eines Gläubigen über das Wesen des HErrn Jesus zum einzigen Kriterium für echtes Christsein zu erheben und dabei alle anderen Faktoren einfach unter den Tisch fallen zu lassen. Zu den Kennzeichen der Wiedergeburt zählen nach dem Johannesbrief, dass jemand 1. „glaubt, dass Jesus der Christus ist“ (1.Joh.5:1), 2. dass er/sie „die Gerechtigkeit tut“ (1.Joh.2:29), und 3. „jeder, der liebt“ (1.Joh.4:7). Interessanterweise bezieht sich keines dieser Kriterien auf das, was jemand erkannt hat oder bekennt. Der HErr will keine Bekenner, sondern Täter des Wortes. Sich mit einem bestimmten Bekenntnis oder gar nur einer Formulierung zufrieden zu geben, spiegelt in typischer Weise die Haltung der Pharisäer wieder, als sie z.B. sagten: „Wer da schwört bei dem Altar, das ist nichts; wer aber schwört bei dem Opfer, das darauf ist, der ist’s schuldig“ (Mt.23:18). So sagt ja quasi auch der Schah: „Wer Jesus für gezeugt hält vor Grundlegung der Welt, das ist nichts, wer Ihn aber als ewig existent bekennt, der ist ein echter Christ!“ Meine theologisch völlig ungebildete Schwiegermutter Lucila, die als Analphabetin im Gebirge von Peru aufgewachsen ist, wäre an dieser spitzfindigen Messlatte wahrscheinlich schon gescheitert, denn sie konnte noch nicht einmal die vier Evangelienschreiber namentlich benennen. Tatsächlich ist es aber für unser Seelenheil völlig unerheblich, welche christologische Erkenntnis wir vertreten oder was genau wir von Seinem Wesen am Ende verstanden haben. Der faule Knecht in Luk.19:21-22 glaubte z.B., dass der HErr Jesus ein „strenger Mann sei, der nimmt, was er nicht hingelegt, und ernte, was er nicht gesät habe“. Doch obwohl diese Ansicht völlig irrig war, weil der HErr ja auch der Säemann ist, der aussät, hat der HErr ihn mit keinem Wort darüber getadelt, sondern nur dafür, dass er faul und böse war. Denn unsere Erkenntnisse werden im Gericht keine Rolle spielen, sondern nur das, was wir aufgrund unserer Erkenntnis GETAN haben.
Deshalb möchte ich Dich und den Bruder Schah ermahnen und zugleich ermutigen, lieber Nadim, dass Ihr Euch nicht länger durch Eure vermeintlich richtige Erkenntnis definiert und abgrenzt von anderen, sondern bestrebt seid, vor allem gute Werke zu tun. Wir haben heute schon genug Besserwisser und Pharisäer, und es wäre schade, wenn all die guten Gespräche und die Freundschaft, die wir einmal hatten, nun der Sektiererei und dem modernen Pharisäertum zum Opfer gefallen ist. Du hattest ja im Gespräch durchblicken lassen, dass Du und die anderen aus Eurem Kreis in Augsburg grundsätzlich Interesse hättet an einem brüderlichen Austausch mit mir. Wenn ich Dich deshalb beim Wort nehmen darf, dann würde ich Euch im Frühjahr gerne besuchen kommen auf meiner nächsten Deutschland-Rundreise und mich mit Euch treffen. Einen genauen Termin müssen wir dann noch gemeinsam abstimmen. Da Ihr mich wegen Eurer (falschen) Erkenntnis nicht übernachten lassen wollt, muss ich mir dann eine andere Herberge suchen, aber der HErr wird mir schon eine geöffnete Tür schenken.
Sei der Gnade unseres HErrn Jesus Christus anbefohlen!
In Liebe Dein Bruder
Simon