„Die Nacht ist weit vorgerückt, und der Tag ist nahe.
Laßt uns nun die Werke der Finsternis ablegen
und die Waffen des Lichts anziehen.“

(Röm.13:12)

– „Einmal auf dem Schoß Gottes sitzen“ Teil 16, 2006

Januar bis Juni 2006

Mehr Schein als Sein

Anfang Januar rief mich die Ausbildungsberaterin der Handwerkskammer, Frau Schierenbeck, an und fragte mich, ob ich Interesse an einer ehrenamtlichen Tätigkeit hätte als sog. „Ausbildungs-Mentor“, d.h. als Berater für Jugendliche, denen ich erklären könnte, auf was es bei der Bewerbung und beim Vorstellungsgespräch ankäme und auf was die Chefs besonders achten würden usw. Zu diesem Zweck wollte sie mit mir in verschiedene Schulen gehen, wo ich im Rahmen des Faches „Arbeitslehre“ an den jeweiligen Tagen 2 – 3 Stunden mit ihr eine Art Vortrag halten solle vor Schulklassen der 10. Real- oder Hauptschulklasse. Hintergrund war ja, dass ich 2004 eine Auszeichnung erhalten hatte, zum angeblich „besten Ausbilder Deutschlands“. Diesen Titel hatte ich mir ja bisher nicht wirklich verdient, deshalb dachte ich, dass ich es auf diesem Wege vielleicht nachholen könnte (oder es zumindest versuchen könnte) und willigte ein, unter der Voraussetzung, dass diese Schuleinsätze möglichst in den Wintermonaten stattfinden mögen, wenn bei uns Bauhandwerkern „Saure-Gurken-Zeit“ ist. So rief mich Frau Schierenbeck Anfang Januar an und gab mir gleich mehrere Termine für die Zeit von Januar bis März, die sie mit den Schulen vereinbart hatte.

.Doch schon bald merkte ich, dass Gabys Vorstellungen von Pädagogik noch aus den 60er Jahren stammten, denn die Tipps die Frau Schierenbeck den Jugendlichen gab, waren für mich zum Fremdschämen. So wiederholte sie z.B. bei jedem Einsatz die Stereotype, dass die Jugendlichen nicht mit Kaugummi im Mund und auch nicht mit Händen in der Hose zum Vorstellungsgespräch gehen mögen – als ob je ein Jugendlicher auf so eine Idee kommen würde! Man merkte, dass sie einfach keinerlei Ahnung von der Lebenswirklichkeit der heutigen Jugendlichen hatte. Da wir aber beide im Team auftraten, durfte ich ihr natürlich nicht widersprechen. Stattdessen beschränkte ich mich darauf, den Schülern zu erzählen, auf was ich selbst bei Bewerbungen und Vorstellungsgesprächen achte und machte dabei öfter mal eine scherzhafte Bemerkung, um die Schüler zum Lachen zu bringen, damit sie nicht den Eindruck hätten, dass wir langweilige Spießer seien. Einmal sorgte ich dann bei den halb schläfrigen Jugendlichen für helles Aufsehen, indem ich ihnen etwas sagte, dass sie so schnell nicht wieder vergessen würden: Nachdem – wie üblich – jeder einzelne der etwa 30 Schüler sich vorgestellt hatte, wie er heiße und welchen Berufswunsch er habe, gab mir Frau Schierenbeck das Wort:

Liebe Schüler, ich weiß, wie langweilig die Schule für viele von Euch ist, denn es ist noch gar nicht so lange her, da habe ich selbst noch die Schulbank gedrückt. Es hat auch bei mir erst sehr spät ‚Klick‘ gemacht, bis ich verstand, dass ich nicht für die Schule, sondern für mich selbst lernen sollte, und als ich das begriff, da habe ich mich auf einmal für alles interessiert, von dem ich mir einen Nutzen versprochen habe. Auf einmal entdeckte ich bei mir, dass ich mir viel besser etwas behalten kann, wenn ich es nicht aus Zwang, sondern aus eigenem Willen lernen will. Und das werde ich Euch jetzt mal demonstrieren: Ihr habt vorhin alle Eure Namen genannt, und ich werde Euch jetzt mal beweisen, dass ich mir die alle gemerkt habe…“ Und dann ging’s los, dass ich von all den 30 Schülern nacheinander die Namen wiederholte. Plötzlich waren alle hellwach und begeistert, nicht nur, weil das für sie sehr unterhaltsam war, sondern weil sie auf einmal das Gefühl hatten, dass jemand sich für sie interessiert hatte. Alle fieberten mit mir mit, während ich meine grauen Hirnzellen für die z.T. schwer auszusprechenden Namen bemühte: „Tunay … Larissa … Oleg … Aschmed – ach nee… Eschmad?“ Der Schüler korrigierte: „Esmatullah!“ Die Lehrerin und Frau Schierenbeck ließen mich gewähren, auch wenn diese kleine Showeinlage nichts mit Berufsberatung zu tun hatte, denn so aufmerksam waren sie schon lange nicht mehr.

Doch während ich nach außen den anständigen Malermeister und Saubermann vorgab, ließ ich im Frühjahr oftmals einige meiner Mitarbeiter schwarz arbeiten. Das ging so: Nach dem Rahmentarifvertrag durfte ich meine Mitarbeiter zum Winter hin ohne Kündigungsfrist entlassen aufgrund des „schlechteren Wetters“ („Schlechtwetterkündigung“), unter der Voraussetzung, dass ich sie nach dem Winter wieder einstelle, spätestens nach 3 Monaten. Oftmals fingen die Mitarbeiter aber schon in Februar oder März bei mir an, während ich sie erst im April wieder offiziell einstellte. Dadurch haben sie aber Jahr für Jahr immer ein oder zwei Monate bei mir schwarzgearbeitet, wobei ich ihnen Brutto für Netto auszahlte, so dass wir uns die eingesparten Sozialabgaben teilten. Was ich jedoch damals nicht durchblickte, war, dass ich durch diesen Abgabenbetrug mich auch selber massiv schädigte, und zwar auf zweierlei Weise: Zum einen flossen die eingesparten Kosten ja als Gewinne in meine Firma hinein, so dass ich viel höhere Einkommenssteuern zahlen musste ohne diese Personalkosten als Kosten geltend machen zu können. Und zum anderen litt meine Firma unter permanentem Liquiditätsmangel, denn ich musste ja ständig den Arbeitern das Geld bar auf die Hand geben; da ich aber auf der anderen Seite keine schwarzen Bareinnahmen hatte, musste ich die Gelder immer wieder vom Firmenkonto abbuchen, obwohl es für diese Barabhebungen aufgrund mangelnder Barbelege überhaupt keinen Sachgrund gab. Irgendwann sprach mich meine Buchhalterin Frau Sander darauf an und sagte: „Herr Poppe, Sie haben vom Vorjahr ein Minus von 16.000,- € in der Kasse! Was machen Sie mit soviel Geld zuhause? Horten Sie das etwa für schlechtere Zeiten?“ Ich verstand damals überhaupt nicht, was sie meinte und fragte nach. Sie erklärte mir, dass die Kasse zum Jahresende immer ausgeglichen sein müsse und ich nicht mehr aus der Kasse nehmen könne, als ich auch wieder hineintue durch Barbelege. „Herr Poppe, ich muss Sie warnen, denn wenn das Finanzamt ihre Steuererklärung in die Hand bekommt, dann sehen die sofort, was los ist, dass sie nämlich Schwarzarbeit machen! Wenn Sie dabei erwischt werden, dann können Sie ins Gefängnis kommen, und Sie haben eine Familie zu versorgen!

Für mich war diese Nachricht alarmierend. Aber anstatt völlig mit der Schwarzarbeit aufzuhören, beschloss ich, in Zukunft etwas vorsichtiger zu sein, indem ich mich bemühen wollte, meine illegalen Aktivitäten von nun an besser abzukoppeln von meinen legalen. Ich überlegte, mir ein zweites Konto einzurichten sowie ein neues Briefpapier mit der neuen Kontonummer, so dass ich einen Teil der Erlöse einfach abzweigen konnte, um meine Mitarbeiter für die Zeit ihrer Schwarzbeschäftigung mit Schwarzgeld bezahlen zu können. Doch am Ende fehlte mir dafür dann doch der Mut und die „kriminelle Energie“, zumal ich spätestens dann bei einem Erwischtwerden durch die Steuerfahndung mich nicht mehr damit rausreden könnte, dass es sich hier nur um ein Versehen handeln würde. Stattdessen machte ich weiter wie bisher, nur dass ich die Schwarzarbeit etwas reduzierte. Ganz aufgeben wollte ich sie nicht, da ich glaubte, ohne diese gar nicht mehr am Markt überleben zu können. Ich vertraute hingegen darauf, dass die Wahrscheinlichkeit einer Steuerprüfung doch sehr gering sei und die Behörden schon genug zu tun hätten mit all den Steuerflüchtlingen, die der damalige Finanzminister Peer Steinbrück von nun an „in Angst und Schrecken“ versetzen wollte. Dass es jedoch auch eine unsichtbare Welt gab, die meine Straftaten beobachtete und mich bereits längst vor Gott verklagt hatte, war mir damals gar nicht bewusst. Wenn Gott unsere Vergehen schon heute während unseres irdischen Lebens richtet und uns dafür bestraft, ist dies ein Zeichen Seiner Güte, denn viel schlimmer ergeht es jenen, die trotz ihrer schweren Sünden nur Wohlergehen auf Erden hatten, denn sie werden sogleich nach dem Tod höllische Qualen erleiden (Luk.16:19-31). Nach Gottes Gesetz bestraft Er uns immer mit genau dem gleichen Unrecht, das wir auch anderen angetan haben. So nahm es nicht wunder, dass schon bald darauf eine nicht enden zu scheinende Flut an Unrecht über mich hereinbrach in den Jahren 2006 – 2011, so dass mein Firmenschiff von nun an in stürmische See geriet und beinahe zu kentern drohte…

Der Fall Brenitzki

Bereits im Sommer 2005 hatte uns ein relativ junger Geschäftsmann namens Brenitzki (ca. 40) aus dem reichen Stadtteil Schwachhausen gebeten, seine Altbremer Villa in der Benquestraße zu sanieren, sowie ebenso das Nachbarhaus. Da das alte Haus viele Risse aufwies, haben wir es nicht nur vollflächig gespachtelt, sondern auch mit einer Gewebearmierung tapeziert. Als wir nach ca. 4 Wochen fertig waren und das Gerüst abgebaut war, schrieb ich ihm die Schlussrechnung. Von den Gesamtkosten über 6.834,34 € hatte ich ihm einen Preisnachlass von 405,79 € gewährt, also rund 6 %. Da er mir bereits einen Abschlag von 2.320,- € überwiesen hatte, verblieb also ein Restbetrag von 3.946,48 €. Doch statt mir diesen dringend benötigten Betrag endlich zu überweisen, schrieb mir Herr Brenitzki, der eine gewisse Ähnlichkeit zum FDP-Chef Christian Lindner hat, eine Liste von 11 Punkten, die er bemängelte, 5 davon betrafen angebliche Mängel in der Arbeit und 6 bezogen sich auf die Rechnungspositionen, die er anzweifelte. Er kündigte an, dass er den von ihm eigenmächtig und unberechtigt gekürzten Rechnungsbetrag erst zahlen werde, sobald alle die von ihm genannten Mängel beseitigt seien. Der Gipfel der Unverschämtheit war, dass er auch noch Schadenersatz von mir verlangte, weil er für die von uns geleistete Wärmedämmung an seinem Giebel wider Erwarten keine staatliche Förderung erhalten hatte, da die erforderliche Dämmstärke von mindestens 12 cm nicht eingehalten wurde. Da sein Dachüberstand eine solche jedoch nicht zuließ, hatten wir nur 10 cm verwendet, es aber auch so in die Rechnung hineingeschrieben. Er hatte zwar noch gebeten, einfach 12 cm einzutragen, doch das hatte ich am Ende vergessen, zu tun.

Das Problem war nun, dass sich der Winter im Frühjahr 2006 weit in den März erstreckte und es einfach zu kalt war, um die geforderten Nachbesserungen auszuführen. Überall in Deutschland lag wochenlang eine bis zu 1 m dicke Schneeschicht und die Temperaturen waren weit unter dem Gefrierpunkt. Dadurch schoben sich vereinbarte Fassaden-Termine immer weiter nach hinten und mein Konto lag zwei Monate bei 5.000,-€ im Minus, so dass ich einen neuen Kontokurrentrahmen vereinbaren musste. Als ich dann die gewünschten Nachbesserungen im April endlich erledigen konnte, zahlte mir Herr Brenitzki dennoch nur 2.000,-€, da er der Meinung war, dass der etwa 1,80 m hohe Haussockel immer noch nicht so glatt sei wie die Fassade darüber. Außerdem zweifelte er die Quadratmeterzahl der von uns lackierten Fenster an, die ich mit 23,00 m² errechnet hatte, während er nur auf knapp 16,00 m² gekommen sei. Ich fuhr also nochmal hin und glättete den Sockel noch ein drittes Mal vollflächig, damit er endlich Ruhe gäbe, und bot ihm an, die Fenster noch einmal gemeinsam zu messen. Stattdessen kam Herr Brenitzki mit immer neuen Vorwürfen und behauptete wahrheitswidrig, dass bisher auch nie eine wirkliche Abnahme erfolgt sei, so dass schon allein deshalb noch gar kein Zahlungsanspruch bestünde. Wer selbst einen Handwerksbetrieb hat, kennt diese Spielchen und Tricks, durch welche Kunden einen Betrieb über viele Monate hinhalten können, bis dieser irgendwann entnervt auf die Restzahlung verzichtet, weil er weiß, dass er vor Gericht immer den Kürzeren ziehen würde.

Ich aber wollte mich nicht so schnell geschlagen geben. An einem Abend, als ich in der Badewanne lag, beschloss ich, für mein Recht bis aufs Letzte zu kämpfen – schon allein um herauszufinden, ob es zukünftig überhaupt Sinn macht, vor Gericht zu gehen. Auch wenn nur noch 1.378,42 € offen waren, sollte dieser neureiche Schnösel nicht so einfach damit durchkommen. So reichte mein Anwalt Lindemann schließlich Klage ein und es kam zum Prozess. Da mir klar war, dass das Gericht wahrscheinlich wieder Herrn Harmsen als Sachverständigen bestellen würde, versuchte ich schon vor dem Prozess, diesen Gutachter auf meine Seite zu ziehen, indem ich ihn eines Abends anrief und ihn bat, doch einfach mal bei Gelegenheit an der Fassade vorbeizufahren, um mir anschließend seinen Eindruck zu schildern, ob der Sockel denn inzwischen schon glatt genug sei. Herr Harmsen tat mir diesen Gefallen und rief mich kurz darauf abends an: „Herr Poppe, machen sie sich keine Sorgen: der Sockel sieht astrein aus, da ist nichts dran zu bemängeln.“ Ich freute mich und sah mich bereits als Sieger des Gerichtsstreits. Ich ahnte jedoch nicht, dass Herr Brenitzki weitaus listiger war als ich…

Als dann am 05.06.07 endlich der Prozesstag war, bestellte der Richter erwartungsgemäß den Sachverständigen Harmsen und beschloss eine Entscheidung erst nach dessen gutachterlicher Stellungnahme. Herr Brenitzki erdreistete sich sogar zu behaupten, wir hätten den Sockel überhaupt nicht gespachtelt und auch nur einmal übergestrichen, statt wie angeboten zweimal. Ich dachte: „Na, dieser Rotzlöffel wird noch sein blaues Wunder erleben!“ Als dann aber die Besichtigung vor Ort mit Herrn Harmsen erfolgte, erlebte ich mein blaues Wunder. Denn statt den 1,80 m hohen Haussockel zu beanstanden, zeigte Herr Brenitzki auf die etwa 4 m² große Treppenwand, die vom Haus abging, auf die er mich bisher nie hingewiesen hatte, und erklärte dem Sachverständigen, dass ihm diese Wand nicht glatt genug sei. Tatsächlich hatten wir an dieser ziemlich maroden Treppe nur stellenweise gespachtelt und Rissbänder gesetzt und nicht den gleichen Aufwand betrieben wie an der eigentlichen Fassadenwand. Auf meinen Protest hin, dass von dieser Treppenwand doch bisher nie die Rede war, entgegnete Herr Brenitzki: „Gehört dieses Wandstück etwa nicht auch im weiteren Sinn zum Sockel? Außerdem muss ich Sie als Fachmann doch nicht auf jede einzelne Sache immer hinweisen, denn Sie sollten doch selbst wissen, was ein Kunde heute von Ihnen erwarten kann! Schauen Sie z.B. nur mal hier diesen 10 cm breiten Streifen unter der Kellerfensterbank, der am Erdboden entlang geht! Dort haben Sie überhaupt nicht gespachtelt, sondern nur gestrichen, obwohl dieser Streifen doch auch zur Fassade gehört.“ – Ich platzte fast vor Empörung: „Können Sie mir mal verraten, wie ich diesen schmalen Streifen hätte spachteln können?! Außerdem sieht man den doch gar nicht, weil er von der Fensterbank fast vollständig überdeckt wird!“ – „ICH sehe das aber, und ich habe auch für diesen Streifen bezahlt, also kann ich auch erwarten, dass der mitgemacht wird!“

Es war ein absolutes Fiasko. Und als ob dies nicht schon genug Demütigungen waren, zeigte er dem Harmsen auch noch kleine Fehlstellen am Geländer und eine winzige Roststelle an einem Fenstergitter, die dann später sorgfältig dokumentiert wurde vom Gutachter. Allerdings hatte ich wenigstens bei der Ermittlung der Fensterflächen Recht gehabt. Trotzdem war ich allerdings ziemlich frustriert, denn ich hatte ja auf einen Totalsieg gehofft. Herr Brenitzki versuchte nach der Urteilsverkündigung noch durchzusetzen, dass mir die gesamten Kosten des Streits auferlegt würden, unterlag jedoch mit dieser Forderung, so dass die Kosten am Ende zu gleichen Teilen aufgeteilt wurden.

Im April und Mai nahm meine Auftragslage dermaßen zu, dass ich dringend mehr Leute brauchte. Über den Winter hatte ich ja noch meinen Vorarbeiter André Bindemann und den ungelernten Russen Andrey Tschernyaschuk behalten, sowie die Lehrlinge Fadi Shoushari, Peter Schönholz und Patrick Mücher. Patrick ging mir mit seiner ständigen Krankmacherei inzwischen so dermaßen auf die Nerven, dass ich nur hoffte, ihn im Sommer nach bestandener Prüfung endlich loszuwerden. Über den Spanischkreis hatte ich einen Glaubensbruder namens David Czygan (32) kennengelernt, der zwar eigentlich Maurer war, aber auf mich einen kompetenten Eindruck machte. Da er jung verheiratet war und hoch verschuldet, wollte ich ihm helfen und stellte ihn ein. Er erzählte mir, dass noch ein weiterer Christ aus seiner Pfingstgemeinde arbeitsuchend sei, nämlich Edwin Sama Dingha (32) aus dem Kamerun. Ich dachte: „Da die beiden gläubig sind, werde ich mit ihnen keinen Ärger haben, denn Christen sind immer gute Mitarbeiter!“ Doch ein Jahr später sollte ich auf brutale Weise feststellen, dass ich mich auch in dieser Meinung geirrt hatte. Neben diesen beiden stellte ich im Mai und Juni auch noch den russlanddeutschen Alexander Weber (21) und einen Christian Duhm (20) ein, die beide gerade ausgelernt hatten und für die ich von der Arbeitsagentur eine Förderung bekam. Auch mein Lehrling Fadi Shoushari (24) sollte im Juni seine Gesellenprüfung machen, aber ich war mir ziemlich sicher, dass er sie nicht bestehen würde; denn er hatte bei der Zwischenprüfung zwar in der Fachpraxis eine 2 bekommen, aber in der Fachtheorie eine 5. Um so überraschter war ich, als er bei der Gesellenprüfung in Theorie auf einmal eine 1 bekam. Ich sagte: „Fadi, erzähl mir doch nicht, dass Du Dich innerhalb eines Jahres so sehr verbessert hast! Du musst irgendwie geschummelt haben, gib‘ es zu!“ Fadi grinste nur und sagte nichts.

Der Fall Patrick Mücher

Während Anfang Juni die Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland begonnen hatte und Deutschland in einer fröhlichen Ausgelassenheit war, erhöhten sich zwischen Patrick und mir immer mehr die Spannungen, da er mit dem Herannahen seiner Gesellenprüfung immer häufiger krankmachte und sich teilweise noch nicht einmal die Mühe machte, sich einen „gelben Schein“ (Krankmeldung) zu holen, so dass er im Grunde unentschuldigt fehlte. Innerhalb von 6 Monaten hatte er von 110 Tagen insgesamt schon 41 Tage gefehlt, und zwar 26 Mal mit Krankmeldung und 15 Mal ohne Krankmeldung. Dies ließ ich mir jedoch nicht bieten, sondern kürzte ihm deshalb drastisch den Lohn. Da er aber wegen der bisherigen Lohnpfändungen (wegen des ausgebrannten Firmenwagens und wegen eines geliehenen Kredits von 180,-€) ohnehin schon eine entsprechend verminderte Ausbildungsvergütung erhielt, protestierte Patrick gegen die Lohnkürzungen und drohte mir, mich bei der Handwerkskammer und nötigenfalls beim Arbeitsgericht zu verklagen. Aus lauter Frust wollte Patrick bis zur Prüfung gar nicht mehr zur Arbeit kommen („Wenn Du mir so wenig Geld gibst, warum soll ich dann noch für dich arbeiten?!“). Ich nahm das gar nicht ernst, bis ich auf einmal mitten am Tag einen Anruf von der Handwerkskammer erhielt. Es war der Lehrlingswart Herr Bröker, der genauso wie Patrick in Bookholzberg wohnte und ihn deshalb vielleicht auch persönlich kannte.

Unvermittelt blaffte Herr Bröker mich an: „Herr Poppe, ihr Auszubildender Patrick Mücher sitzt gerade hier bei mir im Büro und hat mir gerade seine Lohnabrechnungen der letzten 10 Monate vorgelegt. Sie haben ihm ohne Erlaubnis jeden Monat bis zu 250,- € vom Lohn abgezogen. Das ist nicht nur illegal, sondern eine richtige Sauerei! Ich hab‘ das mal ausgerechnet, das sind insgesamt 2.477,32 €, und ich sage Ihnen eins: Das werden Sie ihm unverzüglich wieder zurücküberweisen, denn sonst sorge ich dafür, dass Sie richtig Ärger kriegen! Ich bin es langsam leid, dass ich immer wieder von allen Seiten Vorwürfe hören muss von Ihrer Firma! Sie stehen nicht über dem Gesetz und können nicht einfach machen, was Sie wollen! Andauernd höre ich nur Klagen über Ihre eigenwillige Personalführung! Wenn das so weitergeht, dann werde ich Ihnen die Ausbildungsberechtigung entziehen lassen!“ – „Entschuldigen Sie,“ unterbrach ich ihn, „darf ich vielleicht auch mal ´was dazu sagen. Die Abzüge geschahen ja gemäß einer Vereinbarung zwischen Patrick und mir und sind deshalb völlig rechtens…“ – „Haben Sie das schriftlich? Nein? Dann können Sie das vergessen, denn Patrick weiß nichts von irgendwelchen Vereinbarungen. Sie schreiben ja hier, dass es sich bei diesen Abzügen um ‚Pfändungen‘ handele, aber ohne einen gerichtlichen Pfändungsbeschluss haben Sie überhaupt nicht das Recht, ihn zu pfänden!“ – „Lassen Sie mich doch auch mal was sagen…“ ich schnappte nach Luft und fuhr fort: „Patrick wird Ihnen doch sicherlich erzählt haben, dass er meinen Firmenwagen letztes Jahr im Oktober in Brand gesetzt hat, nachdem er ihn ohne Erlaubnis am Wochenende mit nach Hause fuhr, obwohl er noch nicht einmal einen Führerschein hat!“ – „Ja, das hat er,“ sagte Herr Bröker, „aber er hat mir auch erzählt, dass Sie ihn immer wieder gezwungen haben, die Firmenwagen zu fahren, obwohl Sie genau wussten, dass er keinen Führerschein hatte. Das ist eine Straftat, Herr Poppe, wissen Sie das! Das ist Nötigung von Schutzbefohlenen! Aber wir brauchen jetzt auch gar nicht weiter diskutieren, denn all dies wird ohnehin demnächst bei einer gerichtlichen Anhörung zur Sprache kommen, und bis dahin können Sie sich ja noch was einfallen lassen, wie Sie sich rechtfertigen wollen!“

Im Hintergrund hörte ich Patrick kichern und dachte: Das kann ja wohl nicht wahr sein! Ich nahm noch einen Anlauf: „Hören Sie bitte, Herr Bröker, Sie haben mir jetzt so viele Vorwürfe gemacht, aber mir kaum die Möglichkeit gegeben, dazu Stellung zu nehmen. Ich würde gerne erstmal ein persönliches Gespräch mit Ihnen führen, ohne dass Patrick dabei ist.“ – Herr Bröker antwortete: „Ja, das können Sie gerne tun, aber ich fahre nächste Woche für vier Wochen in den Urlaub, so dass wir uns erst in fünf Wochen treffen können. Die Anhörung im Ausschuss zur Beilegung von Lehrlingsstreitigkeiten wird aber schon am 11. Juli stattfinden wegen der Dringlichkeit der Sache. Sie bekommen dafür noch eine schriftliche Ladung. Und jetzt muss ich das Gespräch beenden, denn ich habe gleich noch einen Termin. Auf Wiederhören, Herr Poppe!“ Er legte auf und ich stand da wie perplex. Wie konnte er mich nur in Gegenwart von Patrick so herunterputzen und schulmeistern! Ich kam mir vor wie ein kleiner Junge, der sich gerade eine Moralpredigt anhören musste. Patrick würde jetzt wohl triumphierend nach Hause gehen und sich eins ins Fäustchen lachen, wie er’s mir gezeigt habe. Aber wie konnte man als Lehrlingswart nur so leichtgläubig und dilettantisch umgehen und sich von solchen Rotznasen so blenden lassen. Schließlich vertritt Bröker doch eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und kann sich dann doch nicht so naiv und parteiisch verhalten, weil er dadurch dem Ansehen der HWK schadet.

Ich schrieb ihm also einen Brief und beschwerte mich über sein mangelndes Fingerspitzengefühl. Auch verlangte ich von ihm konkrete Beispiele, was er damit meinen würde, wenn er behaupte, dass er „immer wieder“ oder „andauernd“ Vorwürfe über meine Firma vernehmen würde. Kurz darauf rief er mich an und entschuldigte sich bei mir, dass er so emotional reagiert und übersehen habe, dass Patrick beim Telefonat anwesend war. „Das war sicherlich pädagogisch nicht sehr klug und weise von mir, das tut mir aufrichtig leid!“ Dennoch konnte er keinen Einfluss mehr nehmen auf den Antrag von Patrick, den Streit vor dem juristischen Ausschuss der Handwerkskammer klären zu lassen. Bald darauf erhielt ich dann auch eine Aufforderung vom Justiziar der HWK, zu den Vorwürfen vorab schriftlich Stellung zu nehmen. So schrieb ich einen Brief an den Vorsitzenden Flathmann, in welchem ich den Fall noch einmal ausführlich darlegte und darauf hinwies, dass schon allein die Höhe der Rückzahlungsforderung falsch sei, da in den 2.477,30 € auch 1.585,00 € an regulären Vorschüssen (d.h. Barzahlungen an Patrick) enthalten sei, und somit der eigentliche Einbehalt sich nur auf 892,30 € belaufe. Auch habe ich nur deshalb auf einen Pfändungsbeschluss verzichtet, um die Sache möglichst unbürokratisch durchzuführen, da ich nicht damit gerechnet hatte, dass sich Patrick am Ende so undankbar und treulos verhalten würde.

Als dann der Ausschuss am 11.07.06 tagte, kam Patrick etwas verspätet in den Raum, und der Vorsitzende fragte ihn nach seinen Personalien (wie bei einer echten Gerichtsverhandlung). Als dann aber die Frage kam nach seinem derzeitigen Arbeitsverhältnis zu mir, teilte Patrick mit, dass er am Vortag die Gesellenprüfung bestanden habe und daher auch das Ausbildungsverhältnis beendet sei. Daraufhin erklärte Flathmann, dass unter dieser Voraussetzung die Zuständigkeit des Ausschusses für Lehrlingsstreitigkeiten gar nicht mehr gegeben sei und erklärte die Sitzung damit schon für beendet. „Wenn Herr Mücher weiter gegen den teilweisen Einbehalt der Ausbildungsvergütung klagen wolle, dann muss er dies jetzt vor dem Arbeitsgericht tun“. Wir gingen also schweigend aus dem Gebäude heraus. Danach hörte ich eine ganze Weile nichts mehr von Patrick. Doch dann bekam ich tatsächlich Post vom Gericht, allerdings nicht vom Arbeitsgericht, sondern vom Landgericht Oldenburg. Ich erhielt eine Ladung in der Strafsache Mücher wegen erneuten Fahrens ohne Führerschein im angetrunkenen Zustand, wodurch er auf der Autobahn einen schweren Unfall verursachte. Ich sollte als Zeuge vernommen werden in dieser mir völlig unbekannten Sache. Irritiert rief ich Patrick an, dass er mir mal erklären solle, was ich damit zu tun hätte. Er sagte, dass es ihm leidtäte, dass er mir mit einer Rückzahlung gedroht habe, dass er aber nun meine Hilfe bräuchte, da ihm eine hohe Haftstrafe drohe und er deshalb mich als Zeugen benannt hatte, um als sog. „Leumund“ ein gutes Wort für ihn einzulegen. Mir war schleierhaft, woher er die Zuversicht nahm, dass ich alles schon vergessen hätte.

Ich seufzte, aber dachte mir: Was soll’s – jeder braucht im Leben immer wieder eine neue Chance. Ich fuhr also zum Gerichtstermin und überlegte mir, was ich denn überhaupt noch Gutes von Patrick sagen konnte. Ich erinnerte mich, wie eine Kundin mich einmal abends anrief und sagte: „Herr Poppe, als ich heute Nachmittag von der Arbeit nach Hause kam, sah ich ihren Mitarbeiter auf dem Liegestuhl meiner Terrasse ein Nickerchen machen, anstatt zu arbeiten!“ … Oder ich erinnerte mich, wie ich einmal mit einer Kundin vom Keller nach oben ins Erdgeschoss die Treppe hochging, beladen mit mehreren Werkzeugen und Materialien unterm Arm, und wie wir an Patrick vorbeimussten, der gerade dort am Arbeiten war. Plötzlich habe ich versehentlich mit meinem farbgefüllten Pinsel Patricks Malerjacke gestreift, so dass ich darauf einen farbigen Strich hinterließ. Als Patrick das merkte, blaffte er mich in Gegenwart der Kundin laut an: „EY, SAG MAL: KANNST DU NICHT AUFPASSEN! JETZT IST MEINE JACKE EINGESAUT!“ Diese rotzfreche Kritik traf mich so unvorbereitet, dass ich, statt selbst laut zu werden, besonnen reagierte und mich bei ihm entschuldigte. Erst Sekunden später fiel mir ein, dass ich doch der Chef war und mich von meinem Lehrling nicht so anmotzen dürfe, erst recht nicht vor den Augen der Kundin. Diese verstand tatsächlich die Welt nicht mehr, dass ich mir das gefallen ließ.        Als ich dann beim Gericht ankam und vor der Tür des Saals mit anderen Zeugen wartete, wurden wir auf einmal alle hineingebeten, und es wurde uns mitgeteilt, dass die Sitzung vorzeitig beendet sei, da Herr Mücher unerwartet alles gestanden habe und zu einer zweijährigen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde. Wir bekamen unser Zeugengeld und durften unverrichteter Dinge wieder nach Haus fahren. Patrick ist übrigens inzwischen Vater und macht derzeit eine Fortbildung zum Malermeister.

Juli bis Dezember 2006

Christliche Vetternwirtschaft

Inzwischen wurde ich auch von Geschwistern in unserer Gemeinde angesprochen, ob ich Malerarbeiten für sie ausführen könnte, da sie mir als „Christen“ ja vertrauten. Außer dem Prediger Peter Groll wusste ja keiner, dass ich in Wirklichkeit gar kein Christ mehr war. Eines Tages sprach mich auch der Architekt und Baugutachter Walter Koch (67) an, der in der Gemeinde immer eine Reihe hinter uns saß. Obwohl er immer sehr zurückhaltend und bescheiden wirkte, hatte er in Bremen-Arsten eine ganze Siedlung bauen lassen von Mehrfamilienhäusern, in welchen im Laufe der Jahre durch gezielte Mund-zu-Mund-Propaganda unter den Christen von Bremen an die 100 gläubige Familien, Ehepaare oder Single-Christen eingezogen sind. Und sobald dort mal wieder eine Wohnung von Ungläubigen frei wurde, ist sie durch gezielte Absprache oft sofort mit einer gläubigen Person ersetzt worden, so dass meine Mutter diesen Straßenzug an der Kurt-Georg-Kiesinger-Allee immer scherzhaft das „fromme Ghetto“ nannte. Bruder Walter Koch erzählte mir, dass im Sommer das Lehrerzimmer der Ev. Bekenntnisschule, sowie ein Gebäudetrakt komplett renoviert werden solle, und dass er mir als seinem „Glaubensbruder“ für die anstehenden Malerarbeiten gerne den Auftrag erteilen wolle. Voraussetzung sei jedoch, dass ich bei der Ausschreibung etwas günstiger sei, als die anderen Bewerber, aber dabei würde er mir schon „helfen“. Wir trafen uns also kurz darauf in der Schule und ich gab ihm dann eine Woche später meinen Kostenvoranschlag. Einige Tage später nahm mich Walter Koch zur Seite und erklärte mir, dass mein Angebot zu hoch sei und dass ich es nochmal überarbeiten müsse, um den Zuschlag zu kriegen. Er verriet mir, wie viel der günstigste Bewerber verlangt und bat mich, meinen Kostenvoranschlag nochmal zu korrigieren, was ich dann auch tat. Wir vereinbarten, dass die Arbeiten dann gleich am ersten Sommerferientag losgehen sollten.

Doch kurz vor Beginn erhielt ich dann eines Abends auf einmal einen Anruf auf dem Handy, als ich gerade mit meiner Familie das Auto bestiegen hatte, um heimzufahren:

W. Koch: „Hallo Simon, sag mal, was machst Du bloß für Sachen! Ich habe gerade eben erfahren, dass Du gar kein Christ mehr bist. Stimmt das?“

Ich: „Walter, das kann ich Dir jetzt nicht einfach zwischen Tür und Angel erklären. Lass uns doch…“

Walter: „Du brauchst mir das auch gar nicht mehr erklären, denn ich habe es hier schwarz auf weiß. Ein Bruder hat einen Text von Dir im Internet gefunden und mir ausgedruckt, in welchem Du über den Gott Hiobs aufs Übelste schreibst, dass er sich gegen Hiob versündigt habe und aus lauter Scham für seine Verbrechen seinen Sohn gesandt habe, um von seiner eigenen Schuld abzulenken. Simon, das ist Gotteslästerung! Du gehst seit anderthalb Jahren in unsere Gemeinde und tust so, als ob Du Christ bist, aber in Wirklichkeit schreibst Du solche abscheulichen Dinge über den Gott, an den wir glauben!“

Ich: „Lieber Walter, ich kann jetzt nicht so gut sprechen, denn ich bin hier gerade im Auto mit Ruth…“

Walter: „Das Thema ist für mich ohnehin erledigt. Es tut mir leid Simon, aber unsere Schule wirst Du nicht mehr streichen. Das hat der Vorstand inzwischen einstimmig entschieden.“

Ich (herzkopfend): „Ja, das kann ich verstehen…“

Walter: „Um so besser. Dann sind wir uns ja einig geworden. Lebe wohl und auf Wiederhören!“

Nachdem er aufgelegt hatte, fragte Ruth, was Walter denn gewollt habe. Doch ich war völlig durcheinander und konzentrierte mich, so gut ich konnte, mir gar nichts anmerken zu lassen. Stotternd tat ich so, als ob es nur eine Belanglosigkeit wäre, die etwas mit dem anstehenden Großauftrag zu tun habe. Ich konnte Ruth ja nicht die Wahrheit sagen, weil Rebekka mit im Auto saß.

Am nächsten Tag erhielt ich ein Einschreiben vom Dipl.-Ing. Architekt und Baugutachter Walter Koch:

Sehr geehrter Herr Poppe,

wie bereits telefonisch besprochen, storniere ich im Auftrag der Freien Ev. Bekenntnisschule den am 26.05.06 erteilten Auftrag für Malerarbeiten im Lehrerzimmer.

Grundlage der Freien Ev. Bekenntnisschule ist der christliche Glaube mit dem biblischen Menschenbild. Durch Ihre Veröffentlichungen im Internet leugnen Sie die Bibel als Wort Gottes. Wir haben Ihnen den Auftrag erteilt – obwohl günstigere Angebote vorlagen – weil wir glaubten, dass Sie die Belange der Schule mittragen. Da Sie sich seit kurzem von der Bibel distanzieren und den christlichen Glauben als Wunschvorstellungen infrage stellen, können wir mit Ihnen nicht mehr zusammenarbeiten.

Im gestrigen Telefonat zeigten Sie Verständnis für unsere Haltung und akzeptierten die Kündigung, so dass gegenseitig keine Forderungen mehr geltend gemacht werden.

Mit freundlichem Gruß

Nach einer Woche schrieb ich jedoch einen Widerspruch gegen diese Entscheidung:

Lieber Walter,

bevor ich zu Deinem Brief vom 26.06.06 Stellung nehme, möchte ich um Verständnis bitten, dass ich Dich vorerst weiterhin duze, da wir uns bisher immer geduzt haben. Wenn Du dies fortan nicht mehr wünschst, werde ich Dich natürlich dann ebenfalls siezen.

Dein Anruf vor einer Woche kam für mich völlig überraschend und unvermittelt. Da meine Frau neben mir war, fiel meine Reaktion entsprechend besonnen aus, aber innerlich hat mich Deine Mitteilung völlig aufgewühlt und aus der Bahn geworfen. Wenn ich gesagt hatte, dass ich ‚Verständnis‘ habe, dann meine ich damit, dass ich Eure Position aus Eurer Sicht in gewissem Maße emotional verstehen kann, wie etwa wenn man den Wutausbruch eines Amokläufers ‚versteht‘, aber selbstverständlich kann ich Eure Entscheidung keineswegs nachvollziehen, geschweige denn akzeptieren. Sie ist für mich in mehrfacher Hinsicht unerträglich, eine schlichtweg skandalöse Überreaktion!

Ich kann ‚verstehen‘, dass auch Du schockiert warst, als Du durch das Internet erfuhrst, dass ich gar nicht mehr gläubig bin. Aber verstehe doch auch Du meine Situation: ich bin nach wie vor mit einer gläubigen Frau verheiratet und habe eine kleine Tochter, die einen berechtigten Anspruch darauf hat, im christlichen Glauben aufzuwachsen. Deshalb spiele ich seit nunmehr 10 Jahren die Rolle eines gläubigen Familienoberhauptes und gehe sogar regelmäßig in eine christliche Gemeinde. Ich bringe also ein Höchstmaß an Toleranz auf, alles aus Liebe zu meiner Familie, damit sie nicht zerbricht.

Aber kann denn ich etwas dafür, dass ich nicht mehr glauben kann? Glaubst Du nicht selbst, dass der Glaube eine ‚Gabe Gottes‘ ist? Der Glaube ist etwas sehr Persönliches. Man kann den Glauben nicht einfordern und auch niemanden dafür bestrafen, wenn er nicht glauben kann. Aber genau darin besteht ja die Botschaft des Evangeliums: Wer nicht glaubt, soll bestraft werden (Mark.16:16). Kannst Du es mir wirklich verdenken, wenn ich an dieser biblischen Idee Zweifel hege?

Ich habe Euch nicht täuschen wollen, als ich Euch ein Angebot für die Malerarbeiten in der FeBB gemacht habe. Ihr habt mir die ‚Gretchenfrage‘ ja nie gestellt: ‚Wie hältst Du es mit der Religion?‘ und ich konnte auch unmöglich davon ausgehen, dass Ihr den christlichen Glauben zur Bedingung macht, um für Euch tätig zu werden. Davon war nie die Rede gewesen im Bauvertrag. Und was haben Malerarbeiten mit der Bibel zu tun? Glaubst Du etwa, dass es mit mir Scherereien geben könnte, weil ich mich nicht mehr zwangsläufig auf biblische Gebote verpflichten lasse? Wenn ich in der Schule Unterricht erteilen wollte, könnte ich es ja noch verstehen, aber wir werden doch bloß für 3 Wochen Malerarbeiten durchführen und dann sind wir wieder weg! Ist die Schule etwa ein heiliger Ort, der durch meine Anwesenheit entweiht werden könnte? Hat nicht selbst der heidnische Hiram-Abif als Baumeister den Auftrag erhalten, den Tempel Salomos zu bauen?

Du schreibst: ‚Wir haben Ihnen den Auftrag erteilt – obwohl günstigere Angebote vorlagen – weil wir glaubten, dass Sie die Belange der Schule mittragen‘. Dazu muss ich sagen:

  1. Du hast mir die Preise der Mitbewerber verraten und mich gebeten, mein Angebot zu überarbeiten, damit meine Preise denen der angeblich günstigeren Mitbewerber entsprechen. Du hättest mir – wie Du selbst gesagt hast – anders den Auftrag nie erteilt, wenn ich mich auf diese Bedingung nicht eingelassen hätte. Als Gutachter weißt Du aber ganz genau, dass eine solche Preisabsprache nach der VOB Teil A unzulässig und unmoralisch ist. Was soll also diese Heuchelei, von wegen: ‚Wir haben uns nicht für das günstigere Angebot entschieden, weil wir lieber einen christlichen Malerbetrieb wollten.‘ Das ist schlichtweg eine Lüge, und das weißt Du genau. Du hast mich um mehrere Tausend Euro runtergehandelt.

  2. Wenn ich die ‚Belange der Schule‘ nicht mittragen würde, dann würde ich doch wohl kaum jeden Monat 130,00 € an die Schule zahlen, nur damit meine Tochter dort unterrichtet wird.

  3. Wie könnt Ihr überhaupt über meine geistliche Einstellung urteilen, wenn ihr mich vorher nie gefragt habt (Das Einschreiben hattest Du ja VOR Deinem Anruf an mich gestern verschickt).

  4. Habt Ihr auch all die anderen Handwerksbetriebe daraufhin überprüft, ob sie ‚die Belange der Schule mittragen‘? Das wäre doch konsequent. Wenn nicht, warum fordert Ihr dann von mir, dass ich mich zur Bibel bekenne? […].“

Zum Schluss bat ich Walter, sich diese Entscheidung doch noch einmal zu überlegen, denn dadurch würde mir ja nicht nur der Schaden entstehen, dass ich für die nächsten 3 Wochen keine Arbeit hätte für meine Leute, da der Auftrag ja fest eingeplant war, sondern er wirft auch ein sehr schlechtes Zeugnis auf einen Schulvorstand, der vorgibt, gläubig zu sein, wenn er Ungläubigen solche Schikanen zumutet.

Und tatsächlich gab der Schulvorstand nach und widerrief seine Stornierung wieder, so dass wir wie vereinbart die Arbeiten ausführen durften. Gott schenkte uns schließlich so viel Gnade in den Augen des Vorstands und der Lehrer, dass alle voll des Lobes waren über unsere Arbeit und wir in der Folgezeit jeden Sommer neue Aufträge für die Bekenntnisschule machen durften. Auch das Verhältnis zwischen mir und dem Architekten Walter Koch entwickelte sich von Mal zu Mal vertrauter, so dass er mir auch später beinahe väterlich mit Rat und Tat half, wenn ich mal ein Problem hatte, so dass am Ende wieder alles gut wurde.

Auf den Hund gekommen

Nachdem meine Frau Ruth inzwischen schon vier Jahre als Tierarzt-Assistentin bei ihrem Chef gearbeitet hatte, lief ihre Duldung durch die Tierärztekammer Bremen aus, und Ruth musste sich entscheiden, ob sie nun doch noch mal einen Anlauf unternimmt, um ihre Homologation (Gleichwertigkeit eines Bildungsabschlusses) an der Tierärztlichen Hochschule Hannover zu erlangen oder aber in Zukunft nicht mehr als Tierärztin zu arbeiten. Ruth entschied sich schließlich für eine Weiterbildung zur Tier-Physiotherapeutin für Hunde und Pferde und meldete sich dazu bei einer Schule in Kirchlengern an, in der Nähe von Bielefeld, etwa 2 Stunden von Bremen entfernt. Um dort hinzufahren, kauften wir für Ruth einen kleinen blauen Opel Agila, den sie liebevoll Tobi nannte. Der Unterricht fand einmal wöchentlich samstags statt. Um die zusätzliche Belastung zu verkraften, luden wir Ruths Mutter Lucila (73) wieder zu uns ein, die inzwischen schon das 3. Mal nach Deutschland kam. Diesmal sollte sie aber nicht nur für 3 Monate, sondern für 2 Jahre bei uns bleiben. Denn im Sommer 2006 ging mein Schwiegervater Luis (86) heim, und da wollten wir Lucila nicht alleine in Lima lassen. Damit sie was zu tun hatte und sich nicht langweilt, habe ich Lucila immer mitgenommen, wenn ich in der kalten Jahreszeit Werbeflyer an die Briefkästen verteilte. Immer wenn wir in eine neue Straße gingen, dann machte Lucila die eine Seite und ich die andere. Sie war zwar immer etwas langsamer, aber trotz ihres hohen Alters hatte Lucila eine ungewöhnliche Kondition, so dass sie sogar nach 3 Stunden Fußmarsch immer noch fit war und zu mir sagte: „Wie? Jetzt schon abbrechen? Wir sind doch noch gar nicht ganz fertig mit dem Gebiet.“

Lucila kümmerte sich auch um unsere 4 Hunde, d.h. das Chihuahua-Pärchen Daisy und Charly, sowie deren Chihuahua-Tochter Chini, und unseren großen Mischlingshund Bobby. Letzterer wurde aber nun zunehmend zum Problem, denn obwohl wir ihm viel Liebe und Aufmerksamkeit gaben, verfiel er immer mehr in Schwermut, weil nun auch die Chihuahuas von uns liebkost wurden. Trotz seiner Eifersucht tat er seinen Hundegeschwistern aber nichts zuleide, dafür aber anderen kleinen Hunden, insbesondere der Nachbarhündin Maya, einer Lhasa-Apso-Hündin, die er buchstäblich „zum Fressen gern“ hatte. Wir kauften also einen Maulkorb und hielten Bobby stets an der Leine, weil er auch andere kleine Hunde ständig beißen wollte aus lauter Lebensüberdruss. Um Bobby bei Laune zu halten, machte ich mit ihm auf der großen Wiese am Deich immer sein Lieblingsspiel, nämlich den Tennisball wegwerfen, und er musste ihn dann holen. Leider war diese Wiese aber auch bei anderen Hundebesitzern sehr beliebt, und sobald Bobby einen anderen Hund sah – besonders wenn es ein Rüde war – flitzte er los, um sich mit dem Rivalen zu beißen. Dann hieß es immer sofort: „Sagen Sie mal! Können Sie ihren Hund nicht besser an der Leine führen, wie alle anderen auch!?“

Um uns nicht immer wieder Ärger einzuholen, hielten wir Bobby von nun an nur noch an der Leine, was allerdings für die zierliche Lucila zum Problem wurde, denn Bobby war sehr kräftig und konnte sie locker mal eben über die Straße ziehen, ohne dass sie ihn zurückhalten konnte. Um seinen Bewegungsdrang zu stillen, fuhr ich nun immer wieder Fahrrad mit Bobby, was auch nicht ganz einfach war, denn wenn er eine interessante Stelle zum Schnuppern fand, blieb er abrupt stehen, so dass er mich jedes Mal zum Halten zwang. Einmal fuhr ich mit der Familie mit dem Fahrrad einen Hügel hinunter, als sich plötzlich die Leine von Bobby bei hoher Geschwindigkeit mit meinem Vorderrad verwickelte, mein Rad plötzlich mit dem Hinterteil nach vorne überschlug und ich im hohen Bogen über den Lenker flog, wobei ich mit dem Gesicht auf den rauen Asphalt aufschlug. Der Krankenwagen kam, denn ich war blutüberströmt und erlitt kurz darauf auch einen Kreislaufzusammenbruch. Im Krankenhaus sprach ich dann zum ersten Mal Tacheles mit Ruth und Rebekka: „Wir müssen Bobby abgeben.“ Rebekka (11) war entsetzt: „Papa, ich hör wohl nicht richtig! Du willst doch wohl nicht meinen Bobby ins Tierheim bringen! Dann kannst Du ja auch gleich mich in ein Kinderheim abgeben!!!“ Darauf ich: „Rebekka, dann musst Du Dich auch viel mehr um Bobby kümmern, denn Du bist immer nur mit Deinen Freundinnen zusammen oder machst Deine Hobbys wie Tennisspielen oder Klavier, aber mit den Hunden lässt Du immer nur mich rausgehen. Das haut nicht hin!“ Rebekka gelobte Besserung.

Doch dann kam der Tag, der das Fass zum Überlaufen brachte: An einem Samstagvormittag hatte an der Tür geklingelt, der Postbote, und als ich aufmachte, rannte mir Bobby durch den Türspalt nach draußen, ohne dass ich ihn noch aufhalten konnte, rannte auf die Hündin Maya zu und wollte gerade zubeißen als die Nachbarin ihre Pekinesin-artige Hündin an der Leine von Bobby wegriss in die Luft und sie schnell auffing, um sie sicher festzuhalten. Und dann ging das Geschrei los: „HERR POPPE, MIR REICHT ES JETZT MIT IHREM KÖTER!!! WENN SIE NICHT DAFÜR SORGEN KÖNNEN, DASS DER STÄNDIG MEINE MAYA ANGREIFT, DANN MÜSSEN SIE IHN EBEN EINSCHLÄFERN, SO LEID ES MIR TUT!!! ICH SCHAU MIR DAS NICHT MEHR LÄNGER MIT AN!!!“ Ich entschuldigte mich und versprach ihr, eine Lösung zu finden. Sie schimpfte mir noch hinterher, während ich mir Bobby am Halsband schnappte und ihn ins Haus zerrte. Drinnen auf dem Flur rief ich dann Rebekka und Ruth und sagte wutentbrannt: „Das war jetzt das letzte Mal, dass Bobby meine Nerven strapaziert! Ich will, dass wir ihn wegschaffen, egal ob ins Tierheim oder zu einer anderen Familie! Ich halt das nicht mehr aus, dass die ganzen Nachbarn über mich schimpfen wegen Bobby! Und von Euch habe ich kaum Unterstützung bekommen, erst recht nicht von Dir, Rebekka! Du willst immer nur alles haben, aber wenn Du es hast, kümmerst Du Dich nicht darum. ICH bin immer der, der mit Bobby rausging! Deswegen ist es jetzt auch meine Entscheidung, dass wir ihn einer anderen Familie schenken“ Während ich laut brüllte, schauten mich Ruth und Rebekka nur eingeschüchtert an; doch am Ende meiner Rede brach ich auf einmal in Tränen aus und verbarg mein Gesicht in den Händen. Rebekka sagte mir später, dass sie mich noch nie hatte weinen sehen, außer bei diesem einen Mal.

Wir inserierten also in der Zeitung, und es meldete sich ein Mann, der mit seiner Familie auf dem Land wohnte. Wir verabredeten uns am Hauptbahnhof, und ich übergab Bobby dem Mann und seinen Kindern, die ihn sofort streichelten, mitsamt allem Zubehör von Bobby. Wir verabschiedeten uns und hörten seitdem nie mehr etwas von Bobby.

Der Kriminal-Fall Kronschnabel  (Teil 1)

Obwohl ich schon 4 Gesellen, 3 Aushilfen und 2 Lehrlinge beschäftigt hatte, stellte ich im Herbst noch zwei weitere ein, nämlich Marko Krull (21) als Lehrling und Bartosz Lukaszewski (19) als EQJ-Praktikant. Wir hatten jede Woche 5 bis 6 Baustellen gleichzeitig, so dass ich selbst gar nicht mehr Zeit fand, mitzuarbeiten, weil ich alle Hände voll zu tun hatte, um die Baustellen logistisch zu betreuen. Anfang Dezember ging allerdings die Auftragslage stark zurück, und ich überlegte, wen ich diesmal für drei Monate entlassen könnte im Rahmen der tariflich geregelten Schlechtwetterkündigung. Da rief mich auf einmal ein Kunde namens Manuel Kronschnabel (35 J.) an, der mir einen Großauftrag anbot. Er sei Computerspezialist und arbeite als Subunternehmer für Siemens. Da er sich zum 01.01.2007 in Bremen niederlassen wolle, habe er im Parallelweg 30 (Walle) im 2.OG eine ganze Büroetage von 125 qm gemietet, wo er sich mit seiner Firma reetrex-Bremen GmbH i.G. niederlassen wolle. Doch diese Etage musste erst einmal von Grund auf renoviert werden, d.h. Tapetenentfernen, vollflächiges Spachteln der Wände, grundieren, Glasgewebetapete in allen Büroräumen tapezieren, Decken mit Schallschluckplatten versehen, Türzargen lackieren, Auslegeware in allen Räumen und Fliesen-Neuverlegung in den WCs. Herr Kronschnabel suchte für diese Arbeiten einen Generalunternehmer, der die Arbeiten nicht nur als Komplettpaket anbiete, sondern auch überwache. Bedingung für die Auftragsvergabe sei allerdings, dass die Arbeiten alle am Freitag, den 22.12.2006 abgeschlossen sein müssen, da er danach über Weihnachten die Büromöbel aufbauen lassen wolle.

Wir hatten also genau zwei Wochen Zeit, und da ich im Dezember noch kaum etwas geplant hatte, kam mir der Auftrag recht gelegen. Ich machte Herrn Kronschnabel ein attraktives Angebot über knapp 13.000, – €, und er handelte es schließlich noch auf 10.818,11 € herunter. Wir begannen fröhlich und kamen aufgrund der Vielzahl an Arbeitern schon in den ersten Tagen recht weit voran. Als die erste Woche herum war, gab ich Herrn Kronschnabel am Donnerstag eine Abschlagsrechnung über 5.941, – € mit der Bitte, mir diese am Montagmorgen bar zu bezahlen. Er lehnte dies jedoch zu meiner Überraschung ab und verwies darauf, dass alle Überweisungen übers Konto laufen müssten, damit alles offiziell seine Richtigkeit habe. „Aber wo ist das Problem, wenn Sie mir das Geld in bar geben, schließlich quittiere ich Ihnen doch den Betrag?“ fragte ich. „Nein,“ sagte Herr Kronschnabel, „das geht auf keinen Fall, aber ich kann Ihnen den Betrag sofort am Montag überweisen, dann haben Sie ihn spätestens Mittwoch auf dem Konto.“ – „Das ist mir zu unsicher“ sagte ich, „Sie müssen bedenken, dass wir uns gar nicht kennen, und dass es sich hier um eine recht hohe Summe handelt, da möchte ich kein Risiko eingehen.“ – „Ich mache Ihnen einen Vorschlag,“ sagte er. „Ich gebe Ihnen am Montag eigenhändig meinen Überweisungsschein und Sie bringen den selbst zur Bank. Was halten Sie davon?“ – „Ja, das wäre eine Möglichkeit; das können wir gerne so machen. Entschuldigen Sie bitte mein Misstrauen, aber das hat wirklich nichts mit Ihnen zu tun, sondern das gilt prinzipiell, dass man bei Neukunden immer ein bisschen vorsichtiger ist.“ – „Ja, kein Problem, das verstehe ich schon“ beschwichtigte er mich.

So warf ich den Überweisungsschein von ihm am Dienstag in den Briefkasten bei der Postbank ein, ohne zu bemerken, dass er von den 10 Ziffern der Kontonummer nur 7 ausgefüllt hatte. Doch am Mittwoch war noch immer nichts auf meinem Konto, was mich etwas beunruhigte. Als auch am Donnerstag immer noch kein Geld auf dem Konto war, bat ich Herrn Kronschnabel, mal zu überprüfen, was da los sei, was er mir dann auch zusagte. Am letzten Freitag wurden wir dann pünktlich fertig mit allen Arbeiten und fuhren anschließend als gesamte Firma in ein Restaurant, um zum Abschied gemeinsam eine kleine Weihnachtsfeier zu machen. Während wir beim Essen fröhlich scherzten, erzählte ich den Mitarbeitern, dass ich immer noch kein Geld von Herrn Kronschnabel erhalten hätte. „Stell Dir mal vor, Simon,“ sagte Andreas, „wenn das jetzt ein Betrüger wäre, der gar nicht vorhat, Dich zu bezahlen!“ – „Na, das wäre aber was! Aber das halte ich für ziemlich ausgeschlossen, denn schließlich will er sich dort ja mit seiner Firma niederlassen und wird nach all dem Aufwand jetzt wohl kaum einfach abhauen.“ – „Das sagst Du so. Aber rein theoretisch wäre das doch denkbar, denn er hat die Etage ja nur gemietet!“ – „Aber was hat er denn davon gehabt, dass er eine Büroetage renovieren lässt, die ihm gar nicht gehört?“

Als aber selbst am Freitagabend noch immer nichts auf dem Konto war, schrieb ich eine sehr eindringliche Email an Kronschnabel und setzte ihm eine Frist bis Mittwoch, den 27.12.06.

Am 26.12.2006 um 23:25 Uhr erhielt ich dann eine Email von Herrn Kronschnabel:

Sehr geehrter Herr Poppe,

mit Rücksicht auf die Feiertage beantworte ich Ihr Schreiben erst heute. Wir haben Ihr Schreiben zur Kenntnis genommen und können Ihren Unmut verstehen. Allerdings kündigen wir hiermit Ihren Werkvertrag fristlos, und werden so weit als möglich die Zahlungsanweisungen am 27.12.2006 stornieren. Weiter weisen wir Sie höflichst auf unsere AGB’s für Geschäftsbeziehungen hin, und werden Ihnen in den nächsten Tagen eine Reklamationsliste über die von Ihnen ausgeführten Arbeiten schriftlich zukommen lassen, sowie die entstehenden Kosten zur Beseitigung der Mängelliste. Vorsorglich erteilen wir Ihnen und Ihren Mitarbeitern Hausverbot, um einen ordentlichen Rechtsweg zu gewährleisten.

Wir hoffen auf Ihr Verständnis, dass wir nun zur Durchsetzung unserer Interessen und Beitreibung der doch nicht geringen Schadenersatzforderungen an Sie einen Anwalt beauftragen. Hierzu weisen wir Sie noch einmal auf unsere AGB’s hin, im Besonderen auf den Absatz über Weitergabe von Informationen aus Geschäftsbeziehungen […]

Mit freundlichem Gruß

Die Geschäftsleitung

——————————————————

Diese E-Mail enthält vertrauliche und/oder rechtlich geschützte Informationen, die nicht an Dritte weitergegeben dürfen. Gleichlautendes gilt für Informationen aus Geschäftsbeziehungen. Bei Zuwiderhandlung ist eine Konventionalstrafe in Höhe von mind. zwei Monatsumsätzen der reetrex-Bremen GmbH i.G (jedoch wenigstens 500.000 €) an die reetrex GmbH i.G zu entrichten.“

Mein Herz raste, und ich dachte: Das darf doch nicht wahr sein! Sofort griff ich zum Handy und rief ihn an, aber er hatte es ausgestellt. Dann schrieb ich ihm eine Email und verlangte sofort eine ausführliche Begründung. Trotzdem merkte ich, dass da irgendwie etwas oberfaul ist. Nicht nur dieser sachliche Fehler von der „Beseitigung der Mängelliste“ (richtig muss es heißen „Beseitigung der Mängel auf der Liste“), sondern auch seine Behauptung, er habe eine Zurückbuchung der bereits angewiesenen Überweisung veranlasst – so etwas geht doch gar nicht! Er lügt hier also wie gedruckt – aber WARUM? Er kann uns doch nicht den gesamten Rechnungsbetrag vorenthalten, selbst wenn dort noch Mängel wären. Und was soll das „Hausverbot“? Außerdem stand dort noch ein Teil unserer Materialien. Nein, die Sache stinkt zum Himmel! Aber es war Samstag und ich konnte meinen Anwalt nicht anrufen. Schrecklich! In meinem Frust rief ich meinen Zwillingsbruder Marco an, der die ganze Zeit dort ja auch mitgearbeitet hatte und sich dabei auch oft mit Herrn Kronschnabel unterhielt. Auch Marco war schockiert und erzählte mir dann von einem der Gespräche: „Ich erzählte ihm von meinen Einsätzen als Streetworker und dabei fiel der Name eines Glaubensbruders namens Jens Siewert, der auch als Gefängnisseelsorger in der JVA arbeitet. Er sagte: ‚Den kenne ich!‘ und dann erzählte er mir, dass er mal in der JVA Computer repariert habe, aber ‚selbstverständlich nicht als Insasse, sondern als selbständiger Dienstleister‘ sagte er. Aber stell Dir mal vor, wenn er in Wirklichkeit DOCH eingesessen hat! Ruf doch mal den Jens Siewert an und frag ihn, ob er einen Kronschnabel kennt. Denn das könnte doch sein…“

Ich wählte also die Nummer von Siewert und erzählte ihm von meinem Verdacht. „Ja, den Manuel Kronschnabel kenn ich gut! Der hat hier in der JVA schon mehrere Male eingesessen, seit vielen Jahren. Der ist ein notorischer Betrüger!“ Mir wurde fast ohnmächtig, als ich dies hörte und ich bedankte mich für diese entscheidende Auskunft. Sofort fuhr ich zur Polizei, um Anzeige zu erstatten. Nachdem ich auf der Wache nach dem Namen Manuel Kronschnabel fragte, duckte mir der Polizeibeamte ein 6-Seiten-langes Strafregister aus, das er mir jedoch nicht aushändigen durfte. Er überflog es und sagte, dass Herr Kronschnabel eigentlich sein halbes Leben im Knast verbracht habe und selbst dort Straftaten verübt habe. Mit dieser Information rief ich als nächstes den Vermieter von Kronschnabel an, Herrn Heins, und empfahl ihm, seinen Mieter sofort zu kündigen. Dann rief ich das Möbelunternehmen König aus Süddeutschland an, die Herrn Kronschnabel am Freitag Möbel im Wert von 30.000,- € geliefert hatten, und teilte Ihnen mit, dass sie auf einen Betrüger reingefallen seien. Noch am selben Nachmittag machten sich daraufhin ein leerer LKW auf den Weg nach Bremen, um alle Möbel wieder abzuholen, da sie noch nicht bezahlt waren.

Und erst dann ging ich unter dem Vorwand, meine restlichen Materialien abholen zu wollen, zu Herrn Kronschnabel in die Büroetage. Er war gerade dabei, die gelieferten Möbel eigenhändig zusammenzubauen. Ich trat vor ihm und sagte: „Sie brauchen die Möbel nicht weiter aufbauen.“ – Verdutzt schaute er mich an und fragte: „Wieso?“ Ich schaute ihm in die Augen und sagte nur: „Game Over!“ – „Was soll das heißen?“ fragte er irritiert. „Das Spiel ist aus, Herr Kronschnabel! Ich weiß inzwischen, dass sie ein notorischer Betrüger sind und überhaupt nicht vorhatten, mir je auch nur einen Cent zu bezahlen für all die Arbeit, die wir hier reingesteckt haben. Denn ich war eben gerade bei der Polizei und habe Anzeige gegen Sie erstattet. Dort hat man mir mitgeteilt, dass Sie ihr halbes Leben im Knast verbracht haben und gerade auf Bewährung draußen sind. Wahrscheinlich wollten Sie hier eine Büroetage auf Pump herrichten lassen, um andere Konzerne mit Ihren Lügengeschichten zu bluffen und diese um viele Millionen zu prellen. Aber das können Sie jetzt vergessen, denn morgen kommt die Möbelfirma und wird alle Möbel hier wieder mitnehmen!“ Herr Kronschnabel war aufgesprungen und sagte wütend: „VERLASSEN SIE SOFORT MEIN BÜRO!“ Ich blieb stehen und erwiderte: „IHR Büro? Das ist nicht mehr Ihr Büro, denn ich habe zuvor auch Ihren Vermieter angerufen und ihm alles erzählt. Da Sie noch keine Miete gezahlt haben, wird er Sie hier sofort wieder rausschmeißen.“ Er schupste mich und brüllte mich an: „LOS, RAUS HIER!“ Am Liebsten hätte ich ihm eine runtergehauen, aber ich ließ es lieber sein, denn er war sowieso am Ende.

Ich fuhr nach Hause und war innerlich sehr aufgewühlt. Einerseits freute ich mich, einem solchen Betrüger das Handwerk gelegt zu haben, aber andererseits würde ich die 10.818,- € nun nie wieder sehen. Wie konnte mir das nur passieren!? Ich hätte doch stutzig werden müssen, dass er immer nur mit einer billigen, schwarzen Steppjacke rumlief, und dass er und seine zwei Kumpel immer nur einen billigen Ford Fiesta fuhren! Aber andererseits hatte er doch mit mir hartnäckig um den Preis gefeilscht! Wie ausgekocht muss man sein, wenn man einen Preis drücken will, obwohl man ohnehin gar nicht vorhat, den Preis zu bezahlen! Jetzt aber würde er erstmal wieder für viele Jahre hinter Gittern kommen, dachte ich. Doch ich sollte mich täuschen: Nachdem ich Post von der Staatsanwaltschaft erhielt, erfuhr ich am Telefon, dass man Herrn Kronschnabel noch nicht festgenommen habe, da „keine Fluchtgefahr bestünde und er seine Bewährungsauflagen erfülle, indem er sich regelmäßig auf der Wache meldete“. Ich war stocksauer über so viel Naivität der Bremer Staatsanwaltschaft. Einige Wochen später erfuhr ich von dieser per Post, dass er geflohen sei mit unbekanntem Ziel. Doch es sollte alles noch viel schlimmer kommen, denn am Ende wurde Manuel Kronschnabel noch zum zweifachen Mörder! (Fortsetzung folgt…)

 

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