„Die Nacht ist weit vorgerückt, und der Tag ist nahe.
Laßt uns nun die Werke der Finsternis ablegen
und die Waffen des Lichts anziehen.“

(Röm.13:12)

– „Such, wer da will, ein ander Ziel“ Teil 15

Oktober bis Dezember 2019

Ist der HErr nur für die Gesunden gekommen?

Mittlerweile gingen Ruth und ich schon ein Jahr regelmäßig in die St.-Martini-Gemeinde zu Bruder Olaf Latzel und hatten zuhause unseren Hauskreis mit Geschwistern aus dieser Gemeinde.  Was mir an Olaf besonders gefiel, war, dass er trotz seines hohen Ansehens bei den Gläubigen deutschlandweit dennoch sehr demütig und nahbar war. Er wollte für uns einfach nur „der Olli“ sein und lud jeden, der wollte, zu sich in die Seelsorge ein. Im Oktober lud Olaf die Ehepaare in der Gemeinde dann zu einem mehrtägigen Eheseminar ein, an dem wir jedoch nicht teilnahmen. Später sollte dieses Eheseminar unseren Olli jedoch noch in Teufels Küche bringen und eine Strafanzeige wegen Volksverhetzung zur Folge haben.

Während wir also sehr glücklich und dem HErrn dankbar waren für dieses geistliche Zuhause, rief mich eines Abends mein Bruder Patrick an und klagte darüber, dass er sich in seiner FeG-Gemeinde in Vechta überhaupt nicht mehr wohl fühle. Der Prediger der Gemeinde, Dieter Schulte, mit dem Patrick die Gemeinde einige Jahre zuvor gegründet hatte, lehnte nämlich Patricks Frau Daniela ab, nachdem ihm diese schon einmal mit den Worten beschimpft hatte: „Was bist Du eigentlich für ein komischer Pastor!“. Patrick hatte ihm von Anfang an in einem seelsorgerlichen Gespräch bekannt, dass Daniela wegen einer bipolaren Störung gelegentlich etwas verhaltensauffällig sei und hatte deshalb um Nachsicht gebeten. Dieter kam jedoch mit Danielas psychischen Auffälligkeiten nicht klar und setzte im Gemeinderat ein Hausverbot für sie durch. Für Patrick war dies allein schon unerträglich, denn damit waren all seine Bemühungen, Daniela für den Glauben zu gewinnen, auf einen Schlag sabotiert worden. Als Patrick dann Anfang Mai mit Daniela zu einem verabredeten Gemeindeausflug mit dem Rad erschien, verlangte Dieter, dass Daniela nicht teilnehmen dürfe, was für Patrick das Fass zum Überlaufen brachte und er die Gemeinde verließ.

Doch obwohl Patrick inzwischen eine neue Gemeinde gefunden hatte, kränkte es ihn noch immer, dass Dieter ihn mit solch einer Gleichgültigkeit einfach gehen ließ, ohne auch nur einmal auf all die Emails von ihm einzugehen, in welchen er Dieter sein unchristliches Verhalten vorwarf. Patrick fragte sich, ob er es dem HErrn und Seiner Gemeinde nicht schuldig sei, die Treulosigkeit von Dieter gemäß Matth.18: 15-17 und 1.Tim.5:20 öffentlich zu verurteilen. Doch zunächst bat er mich als Zeugen, ob ich nicht auch mal einen Brief an Dieter schreiben könne, um ihn zur Buße und Umkehr zu bewegen. Dies tat ich dann auch, erhielt aber ebenso keinerlei Antwort von ihm, weshalb wir den Brief dann auf meiner Seite veröffentlichten (https://derhahnenschrei.de/offene-briefe-an-irrende-brueder/sollte-man-psychisch-gestoerte-menschen-aus-der-gemeinde-ausschliessen/). Als Daniela jedoch dann von dem Brief erfuhr, geriet sie mal wieder außer sich vor Wut, weil ich sie als psychisch gestört ansah. Während ich mit Patrick auf der Terrasse ein Bier trank, nahm sie die Flasche und kippte mir das Bier über den Kopf, während ich es über mich ergehen ließ: „Siehst Du, Daniela: Du beweist doch jetzt gerade selbst wieder, dass Du nicht ganz normal bist.“ Darauf schrie sie mich an, dass ich sofort ihr Haus verlassen solle, was ich dann auch tat. Als ich zum Auto ging und sie mich noch immer anbrüllte, versuchte ich einen Exorzismus, der jedoch nichts bewirkte, sondern sie nur noch mehr auf die Palme brachte.

Patrick war jedoch dankbar für meine Hilfe und empfand es als Genugtuung, dass Dieters unbiblisches Verhalten jetzt öffentlich bekannt gemacht wurde. Viel zu selten geschieht es ja heute, dass die vielen Missstände unter Gottes Volk und deren verantwortliche Täter auch mal beim Namen genannt werden. So sah Patrick z.B. zu jener Zeit mit Sorge, wie auch ein anderer Pastor seiner damaligen Gemeinde in Bremen sich ständig auf Facebook beklatschen ließ von seinen Anhängern, was ihm Anlass gab, ihn dafür mal zu ermahnen. So schrieb er unter einem seiner FB-Artikel folgenden Kommentar: „Lieber Ingo, … mir fällt schon seit langem auf, dass Du Dich auf Facebook immerzu nur feiern lässt… Du nutzt FB als Bühne… Aber wie kann man das eigene Handeln hinterfragen, wenn einem alle nur zujubeln und sagen: Toll gemacht!‘ Ich mag Dich, deshalb habe ich acht auf Dich. Fühle Dich bitte nicht angegriffen. Ich möchte nicht in einer Gemeinde sein, wo es nicht mehr möglich ist, kritisch zu hinterfragen. In den letzten 30 Jahren meines Christseins haben mich jene Brüder vorangebracht, die mir Korrektur boten.“ Daraufhin bekam Patrick Schmähungen von allen Seiten. Einer schrieb ihm z.B.: „Dummheit und Stolz sind geschnitzt aus demselben Holz! Gute Besserung!“ Der Pastor rief ihn abends um 22.30 Uhr an und kritisierte Patrick scharf, dass er ihn öffentlich bloßgestellt habe. Patrick fragte ihn daraufhin: „Wenn Du die öffentliche Lobhudelei von all Deinen 2.599 Anhängern erlaubst, dann solltest Du doch auch mal die eine kritische Stimme hören und nicht so beleidigt reagieren.“

Zu meiner Überraschung hatte Patrick sich nun einer russlanddeutschen Pfingstgemeinde angeschlossen, bei der er sich pudelwohl und überglücklich fühlte. Scheinbar hatte Gott die Enttäuschung mit dem Dieter dazu benutzt, damit Patrick endlich diese laue Freikirche verließ und sich einer strengeren, bibeltreuen Gemeinde anschloss. Durch seine fröhliche und offenherzige Art gewann Patrick schon bald die Herzen der Russlanddeutschen und er wurde sogleich ihr Techniker und Filmer (z.B. bei Feierlichkeiten oder Großtaufen), da er sich gut mit dem Internet auskannte. Doch als Patrick eines Tages einen Mitgliedsantrag stellte, erklärten die Ältesten der Gemeinde ihm, dass er nur aufgenommen werden könne, wenn er auch die Geistestaufe empfange und in Zungen sprechen könne. Patrick erklärte, dass er nach seinem Bibelverständnis die Geistestaufe für die Wiedergeburt halte, die er ja bereits erfahren habe und dass nicht alle Gläubigen zwangsläufig die Gabe der Zungenrede haben müssen („Reden etwa alle in Zungen?“ 1.Kor. 12:30). Der führende Bischof der Bruderschaft entgegnete, dass diese Bedingungen aber bei ihnen eine unverhandelbare Voraussetzung seien für eine Mitgliedschaft. Patrick erklärte: „Bruder Alexander, wenn Du mich nicht in die Gemeinde aufnehmen willst, dann verstößt Du gegen Römer 15:7 („Nehmt einander an, gleichwie Christus euch angenommen hat“) und wirst es einmal vor Gott verantworten müssen“. Nun meldeten sich auf einmal die Alten in der Gemeinde zu Wort, die Patrick durch seine Heiterkeit in ihr Herz geschlossen hatten und bestanden darauf, dass er unbedingt aufgenommen werden müsse, da er zum Leib Jesu gehöre und er eine absolute Bereicherung für die gemeinde sei. Schließlich gab der Vorstand nach und drückten bei Patrick ausnahmsweise mal ein Auge zu. Patrick war überglücklich, und die ganze Gemeinde freute sich, dass er nun voll und ganz zu ihnen gehörte.

Mit Butterbroten das Brot des Lebens verkündigen

Wie jedes Jahr wollten Ruth und ich auch diesmal wieder in Peru überwintern. Da die letzten Besuche in missionarischer Hinsicht reich gesegnet waren, hatte auch Ruth diesmal den Wunsch, mich bei den evangelistischen Einsätzen zu unterstützen. Wegen der großen Armut hatte sie die Idee, Wasserflaschen und Butterbrote an die Armen zu verteilen, denen ich das Evangelium Jesu Christi verkündigte. In Peru muss ja niemand wirklich verhungern, aber viele Peruaner hungern und dürsten nach Gerechtigkeit (Mt.5:6). Die Kommunisten im Land rufen ständig zum Aufruhr gegen die Regierung auf, und wir Christen müssen den Leuten sagen, dass ihr Hunger nach Gerechtigkeit und Vergeltung nur durch den HErrn Jesus gesättigt werden kann, wenn Er bald wiederkommt (Jes.40:10), wobei man jedoch zu Ihm gehören muss.

In den ersten Tagen nach unserer Ankunft hatten wir jedoch zunächst eine schwere Erkältung, so dass ich tagsüber mit Schüttelfrost im Bett blieb und las. Leider wurde es nachts dann noch schlimmer, denn ich hatte Fieber, Hals- und Kopfschmerzen und musste ständig ins Taschentuch schnäuzen, weshalb mir der Schlaf abhandenkam. „Ich werde des Umherwerfens satt bis zur Dämmerung“ sagte Hiob (Hi.7:4). Zudem kam, dass man in unserer Hochbausiedlung bis weit in die Morgenstunden laute Musik hörte, da immer irgendwelche Nachbarn gerade am Feiern waren. Ich dachte: Vielleicht sollte ich mal aufstehen, hingehen und sie im Geiste der Sanftmut ermahnen, dass sie doch mehr Rücksicht nehmen sollten auf die große Mehrheit, die schlafen wollte. Am Morgen lasen wir 2.Könige 4, wo es um Wohltaten ging, die Gläubige anderen tun, und zwar solchen, die zuvor auch selbst bereit waren zum Gutestun, weil Gott sich nichts schenken lässt. Elisa erkannte, dass die völlig verarmte Frau wenigstens etwas noch besaß, dass sich vermehren ließ, nämlich Öl. „Wer hat, dem wird gegeben werden und er wird auch noch übrighaben“ (Mt.13:12). Man kann sich natürlich fragen, warum die Hilfe Gottes oftmals erst sehr spät kommt. Meistens greift der HErr erst dann ein, wenn eine Lage aussichtslos erscheint, um uns zu zeigen, dass wir dennoch „nicht ohne Ausweg“ sind (2.Kor.4:8). „Gefäße“ sind Menschen, die offen sind für das Evangelium. Das erinnert mich an eine Begebenheit, als mein Schwiegervater damals in den 60er Jahren alleine im Gebirge mit dem Evangelium unterwegs war und auf einmal kein Geld und somit nichts mehr zu Essen hatte. Er hatte gebetet und den HErrn daran erinnert, dass Er doch versprochen hatte, dass Er Seine treuen Knechte nie Hunger leiden lassen würde (Ps.37:25). Doch als der Abend kam, ergriff ihn die Verzweiflung. Er hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen, hatte keine Übernachtungsmöglichkeit und fror in der Kälte. Er flehte unter Tränen zum HErrn, dass Er ihm doch jetzt Hilfe senden möge, da er doch schließlich mit dem Evangelium unterwegs sei. Als er gerade „Amen“ gesagt hatte, kam eine Frau vorbei namens Irma Bendezú und sprach ihn an: „Entschuldigen Sie, Sie sind doch der Prediger, der heute Vormittag auf dem Markt gepredigt hatte. Sagen Sie, haben Sie vielleicht Hunger? Ich lade Sie gerne zu uns nach Hause ein. Sie können auch bei uns übernachten.“ Luis dankte Gott und erzählte der Frau, dass dies kein Zufall sei, dass sie ihm begegnet sei, sondern von Gott so geführt. Beim Abendessen erklärte Luis der ganzen Familie das Evangelium, und nach einander bekehrte sich die ganze Familie. Er konnte sozusagen alle Gefäße mit Öl füllen, weil er völlig auf Gott vertraute.

Als es mir nach drei Tagen wieder besser ging, schmierte ich etwa 30 Butterbrote mit Wurst, Marmelade oder Karamell-Creme, um sie zusammen mit Bruder Ricardo am Nachmittag zu verteilen. Da klopfte es an der Tür und zwei ältere Damen stellten sich als Zeuginnen Jehovas vor. Ich erklärte ihnen, dass auch ich ein Zeuge Jehovas sei, aber kein Sklave der Wachturm-Gesellschaft. Sie fingen dann an, mir zu erklären, dass Gott einen Namen habe, bestritten jedoch dann meinen Einwand, dass Gott sogar viele Namen habe. Dann sagte ich: „Bevor wir weiterreden, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass ich als Christ an das Gebot in 1.Tim2:12 gebunden bin, dass eine Frau nicht lehren darf und ich als Mann dies deshalb auch nicht zulassen kann. Wenn Sie jedoch Fragen an mich haben, kann ich Ihnen diese gerne beantworten.“ Hier widersprach mir die eine der beiden „Es steht aber auch geschrieben: ‚Der Siegesbotinnen ist eine große Schar‘ (Ps.68:11). Wir lehren hier ja nicht von der Kanzel, sondern verbreiten das Evangelium!“ Ich dachte: Na, die kennt sich aber aus! „Sie brauchen mir aber gar nicht mehr das Evangelium zu verkünden, denn ich bin ja selber längst Christ. Aber wenn wir jetzt ein Lehrgespräch führen wollen, dann soll ich als Mann lehren nach der Schrift und Sie sollen lernen.“ Dazu waren sie jedoch nicht bereit und gingen wieder.

Gegen 15:30 Uhr kam dann Ricardo zu mir, und wir machten uns mit Traktaten und den geschmierten Sandwichbroten auf den Weg in die Innenstadt. Ich hatte mir zuvor extra mein T-Shirt mit dem aufgedruckten Bibelspruch in Spanisch angezogen: „Tut Buße, denn das Reich er Himmel ist nahe gekommen!“ Wir gingen in den Stadtpark, um unsere Butterbrote gezielt zu ärmlich aussehenden Parkbesucher zu verteilen. Ich sagte jedes Mal: „Entschuldigen Sie, ich habe ein kleines Geschenk für Sie...“ dann holte ich ein oder zwei Butterbrote aus dem Kasten und übergab sie mit den Worten: „Der HErr Jesus Christus ist das Brot des Lebens und hat sich für uns gegeben; wenn Sie Ihn haben, werden Sie nicht mehr hungern…“ Ricardo hat dann immer meine Worte ergänzt: „Aber Sie müssen erst Buße tun von Ihren Sünden und Jesus Christus um Vergebung bitten und nicht Maria oder irgend ein anderer Heiliger, denn nur Jesus ist der wahre Retter!“ Die Leute haben sich immer ganz herzlich bedankt und beteuert, dass sie auch an Jesus glauben und auch immer beten würden. Dann gab ich ihnen noch ein Traktat mit und wir gingen weiter.

Auf dem Plaza de San Martin begann ich nun zu Predigen und lud die Leute im Anschluss ein, Fragen zu stellen. Einer fragte, ob die katholische Kirche die Hure Babylon sei. Ich erklärte, dass es zwei katholische Kirchen gäbe, nämlich zum einen die „ganz Vollständige“ (griech. καθολικός), zu der alle Gläubigen aus allen Gemeinden aller Zeiten gehören, und zum anderen die Römisch-Katholische Kirche. In der Kirchengeschichte war die RKK über viele Jahrhunderte die alleinherrschende Staatskirche, zu der alle Christen gehören mussten, ob sie wollten oder nicht. Hier gab es also Überschneidungen des Begriffes „katholisch“. In dem Maße, wie die RKK sich des Staates bediente, um Andersgläubige auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen oder Kreuzzüge gegen Muslime zu führen, wurde sie zur Hure Babylon aus Offb.17+18, die den Glauben zur Durchsetzung gesetzloser Interessen missbrauchte. Einer der Zuhörer machte den Einwand, dass die wahre Kirche Jesu doch der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit sei (1.Tim.3:15) und der HErr doch verheißen habe, dass Seine Kirche nicht von den Pforten des Hades überwältigt werden wird. „Nach Ihrer Darstellung ist ja aus der Gemeinde des HErrn die Hure Babylon geworden, oder etwa nicht?“ – „Nein, so kann man das nicht sagen. Vielmehr ist es so geschehen, wie der HErr es im Gleichnis vom Acker beschrieb, dass der Teufel falsche Christen unter die echten streute, die die Aufgabe haben, falsche Lehren wie Sauerteig in das Feinmehl der gesunden Lehre hineinzumengen, bis die ganze Lehre durchsäuert ist, so wie der HErr es in einem anderen Gleichnis beschreibt. Es gibt viele falsche Dinge, die überhaupt nicht biblisch sind, z.B. die Marienverehrung, die Eucharistielehre, die Babytaufe, die Priester, der Vatikan, usw.“

Auf einmal erinnerte ich mich daran, dass wir von den 30 Butterbroten noch gut die Hälfte gar nicht verteilt hatten. Spontan bot ich den Zuhörern an, dass sie sich gerne bedienen dürften und sich jeder eine Stulle nehmen durfte. Im Nu war die Kiste leer. Dann fragten sie mich, zu welcher Gemeinde ich gehöre und ob sie mich mal besuchen kommen dürften. Ich gab ihnen meine Adresse und lud sie zu unserer Bibelstunde ein. Dann fiel mir ein, dass wir ja auch noch ein paar Schriften für Gläubige und Neue Testamente hatten. Als ich sie hervorholte, rissen sie mir diese förmlich aus der Hand. Um ein letztes Neues Testament gab es sogar noch ein Gezerre (Was für ein Unterschied zu Deutschland!).

Ein streitbarer Lehrer fiel unter die Räuber

Am Abend kamen Ricardo und seine Tochter Sara, sowie die Brüder Hugo und Edilberto zur Bibelstunde. Nach dem gemeinsamen Gebet, fing ich an, über die kirchengeschichtliche Bedeutung der Sendschreiben aus Offb.2 und 3 zu reden. Auf einmal klopfte es an der Tür und einer der Zuhörer vom Nachmittag trat ein, ein großer und sehr schlanker Mann mittleren Alters. Er stellte sich als Lehrer namens José-Jesus aus Piura vor, setzte sich und hörte unserer Unterredung still zu. Nach der Bibelstunde und Gebet gab Ruth ein Essen und Trinken an die Besucher. Auf einmal erzählte uns Bruder Edilberto (76), dass er sich morgen auf die Reise in den Urwald nach Pucallpa und Iquitos machen würde, um dort Traktate zu verteilen. Ich war ganz überrascht über diese Nachricht, denn das hatte ich gar nicht erwartet von diesem alten Bruder. Ruth sprang sofort auf, holte eine gewisse Summe von den Spendengeldern und ließ sie mich dem Bruder vertraulich übergeben. Wir beteten dann noch einmal besonders für diese Reise des Bruders und entsandten ihn mit dem Segen des HErrn. Als dann alle gegangen waren, fragte ich Jose-Jesus, ob er mal von sich erzählen wolle, wer er sei und woher er komme. Dann stand er flugs auf (wie ein Gefreiter beim Militär) und sagte mit ernster Stimme: „Mein Name ist Jose Jesus …, geboren bin ich am 11.09.1972 in einem Dorf … im Distrikt … als viertes von insgesamt sechs Kindern der Eheleute… usw.“ Ich dachte, dass ich das so genau eigentlich gar nicht wissen wollte und sagte: „Setz Dich doch wieder, José, und entspann Dich; wir sind doch hier unter uns und es reicht eigentlich, wenn Du nur kurz mal erzählst, wer Du bist und was Gott an Dir getan hat.“ Doch dann erzählte José anderthalb Stunden lang ohne Unterbrechung, was er alles in den letzten 20 Jahren seines Lebens erlebt hatte, und es war keineswegs langweilig…

Nach seinem Studium auf Lehramt wurde er vom Schulamt in den Nordosten des Landes entsandt in eine ländliche Region namens Ayabaca, wo er als Grundschullehrer arbeiten sollte. Dieser Landstrich war aber dafür bekannt und berüchtigt, dass er schon seit Jahrhunderten unter einer anarchistischen „Selbstverwaltung“ stand, auf die weder Polizei noch Militär Einfluss hatten, sondern mafiöse Familien-Clans nach Willkür und traditionellen Regeln herrschen, die von allen stillschweigend akzeptiert werden. Die Menschen leben dort in Endogamie, d.h. es gibt nur wenige Großfamilien, die alle miteinander verwandt sind, weil man immer nur untereinander heiratet. Die führende Familie, die hier hauptsächlich das Sagen habe, stamme von der Volksgruppe der Sarcos. Hierbei handelt es sich um sephardische Juden, die helle Hautfarbe, grüne Augen und z.T. sogar rotblonde Haare hätten. Sie stammen aus jener Vertreibung aus dem Jahre 1493, als Königin Isabel die Juden aus Spanien vertrieb. Diese hatten jedoch längst den katholischen Glauben angenommen, übten ihn jedoch mit einem eigenwilligen Götzendienst aus. Z.B. finden in den Kirchen keine Messen mehr statt, sondern stattdessen Hahnenkämpfe, bei denen sich die Einheimischen mit Zuckerrohrschnaps betrinken und sich häufig dann mit der Machete zum Spaß bekämpfen. Neben heidnischem Aberglauben und Schamanentum haben sie aber auch einen speziellen Götzendienst, indem sie ein riesiges Holzkreuz als eine Art Glücksbringer und Gottheit verehren und um dieses herumtanzten. Einmal im Jahr, zu einem bestimmten Fest, muss dann irgendein Mensch ermordet werden. Dieser Mord ist eine Art „Opfer“ und wird auch von niemandem geahndet.

Ich unterbrach José und wies ihn noch mal darauf hin, dass er es nicht zu ausführlich machen brauche, sondern mal auf den Punkt kommen möge. Er bat noch um etwas Geduld, denn diese lange Einführung sei wichtig gewesen, um zu verstehen, warum ihm alles Folgende passiert sei. Dann erklärte er, dass es in dieser bergigen Region jede Menge Lagunen gebe auf 2.800 m Höhe, wo die Leute Magie betrieben, und zwar wurde in bestimmten Lagunen weiße Magie und in anderen schwarze Magie betrieben. Wenn man sich also an einer Person rächen wolle, dann gab man den Hexern Geld, um diese Person durch eine Art Schaden-Zauber zu verwünschen. Und genau das sei ihm passiert, weil er es gewagt hatte, die örtliche Verwaltung wegen Korruption und Vetternwirtschaft zu verklagen, nachdem er seinen Lehrerjob 2003 plötzlich, unverschuldet und unrechtmäßig verlor zugunsten eines Familienmitglieds der Bürgermeisterin. In den darauffolgenden 10 Jahren führte er einen juristischen Krieg gegen die Behördenwillkür und musste plötzlich erleben, wie man ihn mehrfach sogar versucht hatte, umzubringen. Er wurde verleumdet, falsche Zeugen haben gegen ihn ausgesagt und Akten verschwanden plötzlich. Dennoch hatte er zwischendurch auch immer wieder Teilerfolge erzielt, so dass er seinen Glauben an die Justiz nicht aufgab.

Doch 2013 überstürzten sich dann die Ereignisse: er besaß ein kleines, altes Haus in Ayabaca, der Provinzhauptstadt, hatte aber ein Jahr lang bei seiner krebskranken Mutter in Piura verbracht, um sie zu pflegen. Doch als er zurückkam, erlebte er den Schock seines Lebens: sein Haus war verschwunden; man hatte es in der Zwischenzeit ohne seine Erlaubnis abgerissen und dem Erdboden gleich gemacht. Er beschwerte sich bei den Behörden und erfuhr, dass dies auf Anordnung jener Bürgermeisterin geschah, weil es angeblich Risse im Haus gab, die das Haus hätten zum Einsturz bringen und dadurch die öffentliche Sicherheit gefährden können. Er verlangte sofort Schadenersatz und eine Herausgabe aller seiner Habe, die er sich mühselig in verschiedenen Lagerhallen zusammensuchen musste. Doch für einen Prozess fehlte ihm nun das Geld, um seinen Anwalt zu bezahlen, denn man hatte ihn inzwischen wegen angeblicher psychischer Instabilität die Lehrerlaubnis entzogen, so dass er kein Einkommen mehr hatte. Er machte daraufhin einen Sitzstreik vor seiner Schule, und musste plötzlich erleben, wie eine Gruppe von sechs Frauen ihn vor den Augen der traumatisierten Grundschüler so schwer mit Kabeln und Stöcken verprügelten, dass er ohne polizeilichen Schutz das Weite suchen und auf seiner Flucht auch noch von einem Hund gebissen wurde. Er zog nach Chimbote in ein billiges Hotel. Da er aber das Zimmer nicht mehr bezahlen konnte, wechselte man das Schloss und behielt sein restliches Hab und Gut als Pfand, inkl. seiner ganzen Papiere, bis er seine Schulden bezahlt hätte. Nun war ihm klar, dass er ein Opfer von Hexenmagie geworden war.

Er zog daraufhin 2014 nach Lima und erkrankte an der Tuberkulose. Doch 15 Tage, bevor seine Therapie beendet wäre, kündigte ihm dann auch noch die Privatkrankenversicherung. Schwerkrank mit einer hochansteckenden Infektionskrankheit musste er nun für die Fortsetzung seiner Therapie kämpfen, die ihm schließlich auch gewährt wurde. Er lebte inzwischen als Obdachloser auf der Straße und verdiente sich zwei Mahlzeiten am Tag durch das Sammeln von recycelbarem Müll, durch den er etwa 10 Soles pro Tag bekam. „Wenn ich aber nur 6 Soles verdiente, reichte es nur für eine Mahlzeit und ich musste hungern“. Dann erfuhr er plötzlich vom Tod seiner Mutter, was ihm völlig das Herz brach, denn sie war der einzige Mensch, der ihn liebte. Nun war ihm jeder Lebensmut entschwunden und er fragte sich, warum Gott dies alles zugelassen habe. Er weinte Tage und Wochen lang. Eines Abends im Juli 2019 fand ihn ein junges Ehepaar, wie er hungernd und frierend in einem Versteck kauerte. Die Eheleute waren evangelikale Christen. Sie nahmen ihn in ihr Haus auf, gaben ihm zu Essen, und er konnte sich duschen. Von nun an nahm er auch regelmäßig an den Gottesdiensten teil und wurde liebevoll wie ein Bruder behandelt. Da das Ehepaar ihn aber nicht länger bei sich wohnen lassen konnte, mietete der Bruder für ihn eine Ein-Zimmer-Wohnung an, die er selbst bezahlte. Er vermittelte ihm auch einen Job als Wärter für eine staatliche Gesundheitsbehörde, aber unter der Bedingung, dass er seine Schulden bei ihm nach und nach zurückzahlen müsse. Doch am 26.11.2019 wurde er in das Büro der Gebäudeverwaltung gerufen und man gab ihm eine Kündigung, da sich angeblich Besucher über ihn beschwert hätten, dass er unfreundlich gewesen sei.

Nun war er wieder arbeitslos und hatte Angst, dass er demnächst auch noch seine Wohnung wieder verlieren könnte, da er seine Schulden nicht bezahlen kann. Er traue sich schon gar nicht mehr, zur Gemeinde zu gehen, weil der Bruder dann erfahren würde, dass er seine Arbeit wieder verloren habe. Ich ging mit José-Jesus hinaus und wir setzten uns auf eine Parkbank: „Weißt Du, José, Du hast mir jetzt zwei Stunden lang Deine ganze Lebensgeschichte erzählt, und ich hätte nie gedacht, dass sie so traurig ist. Was ich allerdings vermisst habe, war, dass Du auch mal etwas über Deine Beziehung zu Gott sagst“. – „Wie meinst Du das?“ fragte er. „Naja, Du weißt ja, dass wir Christen sind, und deshalb versuchen wir immer, Gott in all unseren Überlegungen mit einzubeziehen, d.h. zum Beispiel zu fragen: Warum hat Gott das zugelassen? Was will Gott mir damit sagen? Glaubst Du eigentlich an Gott?“ – Zögernd antwortete er: „Natürlich glaube ich an Gott. Ich bin schon von Kind an gläubig.“ – „Du meinst katholisch gläubig?“ – „Ja, aber ich bin heute eher evangelisch gläubig, habe aber auch mein eigenes Bibelverständnis. Z.B. glaube ich nicht an die Dreieinigkeit und auch nicht an den Sonntag.“ – „Wann hast Du Dich denn bekehrt?“ – „Das kann ich eigentlich gar nicht sagen, ich habe ja schon immer geglaubt.“ Dann versuchte ich ihm behutsam zu erklären, dass es beim Glauben nicht allein um den Glauben an Gott geht, und erst recht nicht um bestimmte Lehrauffassungen, sondern darum, dass man durch den Glauben an das, was der HErr Jesus auf Golgatha für uns getan hat, eine Wiedergeburt erfährt und von Gott ein neues Herz bekommt. Ich erzählte ihm dann von mir, wie ich mich mit 16 J. bekehrt hatte, aber wie ich mich mit 46 Jahren noch einmal bekehren musste, weil ich zwischenzeitlich auch 18 Jahre lang ungläubig war.

Schließlich fragte ich ihn, ob er eigentlich in der Bibel lese. Er sagte, dass er eine ganze Weile darin gelesen habe, aber dass er in der letzten Zeit nicht mehr darin lese. Ich fragte ihn, warum nicht. Plötzlich sagte er mit stockender Stimme: „Mein Verhältnis zu Gott hat sich zuletzt sehr verschlechtert… Ich kann einfach nicht mehr an die Liebe Gottes glauben, – nach all dem, was passiert ist… Ich muss auch ständig an meine Feinde denken und an das, was sie mir angetan haben.“ Auf einmal fing er sehr stark an zu Heulen und zu Schluchzen. Ich nahm ihn in den Arm und redete tröstend zu ihm, dass Gott all dies erlaubt habe, damit er sich zu ihm bekehre und fortan all seine Hilfe beim HErrn suche. Er schluchzte unentwegt weiter und so blieben wir eine ganze Weile bis er sich beruhigt hatte. Dann fragte ich ihn, ob er bereit sei, jetzt sein Leben dem HErrn zu übergeben, damit Gott ihm ein neues Herz schenke. Er war dazu bereit, und wir beteten gemeinsam. Er betete, dass der HErr Jesus ihm doch all seine Schuld vergebe, dass er all die Jahre selber gekämpft habe, anstatt auf Gott zu vertrauen, und dass der HErr ihm doch endlich einen Neubeginn schenken möge durch Seinen Heiligen Geist. Wir sagten „Amen“ und umarmten uns. Ich fragte ihn, ob ich ihm eine Bibel schenken dürfe (zum Glück hatte ich diesmal wenigstens eine Verschenkbibel dabei). Ich ging in die Wohnung und holte sie. Dann gab ich ihm mal eine ausreichende Geldspende für die nächste Woche und erklärte ihm, dass wir uns nächste Woche wiedersehen würden zur Bibelstunde.

Eine christliche Kommune in Cajamarca

Für die neue Woche hatten wir eine Reise ins Hochgebirge geplant, und zwar nach Cajamarka (gesprochen Cachamarca), einer Ortschaft in einem Andental in 2.750 m Höhe. Die Stadt erlangte im Jahr 1532 Bekanntheit, weil dort der Inkakönig Atahualpa und der Marquis Don Francisco Pizarro zum ersten Mal auf einander stießen. Durch einen Überraschungsangriff töteten die Spanier auf einen Schlag 3.000 Indianer und nahmen Atahualpa gefangen. Man bot ihm die Freiheit an, wenn er es schaffen würde, dass seine Leute einen Raum von etwa 50 qm (1,5 Wohnzimmer) bis an die Decke mit Gold und Silber füllen würden. Der Inkakönig erfüllte sein Versprechen, doch die Spanier ließen ihn dennoch nicht frei. Knapp ein halbes Jahr später im Jahr 1533 wurde er von den Spaniern mit der Garrotte erwürgt.

Die Umgebung von Cajamarca ist sehr fruchtbar, ein Ort wo buchstäblich Milch und Honig fließen in solchen Mengen, dass er berühmt geworden ist für seinen Käse. Am nächsten Morgen stand der Besuch bei einer christlichen Kooperative auf dem Programm. Strenggläubige Christen hatten dort in der Nähe vor 35 Jahren ein Dorf nach dem Muster der Urgemeinde gegründet namens Porcón. Später eröffneten sie noch einen Zoo mit Wildtieren aus Peru, die dort in ihrem natürlichen Habitat leben. Als ich dies hörte, war ich natürlich sehr neugierig, weniger auf die Tiere als auf die Glaubensgeschwister. Nach 1,5 Stunden fuhr unser Kleinbus durch ein Tor in einen Wald hinein, in welchem alle 50 m ein großer Bibelvers auf etwa 1 qm großen Plakaten hing. Von einer Anhöhe aus konnte man dann die hügelige Landschaft sehen voll mit Tannen, die es hier in Peru eigentlich gar nicht gibt (im Gebirge gibt es nur Eukalyptusbäume). Der Touristenführer Miguel erklärte uns, dass dieses Grundstück von 12.000 ha ursprünglich vor 35 Jahren eine baumlose Ödnis war, die mit Hilfe von Spendengeldern aufgeforstet wurde, indem man 13 Millionen Nadelholz-Setzlinge einpflanzte, die aus Chile und Kanada geliefert wurden. Heute verdiene die Kooperative mit der Verarbeitung und dem Verkauf des Holzes, aber neuerdings auch durch den Tourismus.

Wir stiegen aus auf dem Dorfplatz, wo ebenfalls an jedem Haus Bibelverse hingen, meist aus den Psalmen, die z.T. ungewöhnlich und auch hochemotional waren, wie z.B.: „Nicht Menschen hast du belogen, sondern Gott“. Ich ahnte schon, dass die christliche Kommunität wohl auch sehr sittenstreng ist. Als nächstes fiel mir auf, dass die Bewohner alle Indios waren in ihrer traditionellen Tracht; ich sah keinen einzigen Weißen. Man sah Indiofrauen, die Kleider strickten bzw. aus einem Wollknäuel am Stab einen Wollfaden sponnen. Sie trugen ihre typisch indianische Kleidung, und in ihrem Laden verkauften sie Kunsthandwerk, das sie offensichtlich selber hergestellt hatten. Dann ging’s los; wir stiegen auf einen Hügel und sahen zunächst eine kleine Herde Vicuñas in unmittelbarer Nähe. Diese Lama-Art ist sehr selten, aber auch sehr scheu und zierlich. Ihr extrem weiches Fell gehört zu dem Teuersten, was es auf dem Textilmarkt zu kaufen gibt. In freier Natur bekommt man sie fast nie zu Gesicht. Dann gingen wir von einem Gehege zum nächsten und sahen Hirsche, einen Kondor, Rebhühner, Vicachas, Andenfüchse, Emus, jede Menge Greifvögel, Wildschweine, Löwen, Jaguars, Affen, Brillenbären und Papageien. Dann gingen wir zum Mittagessen in das dorfeigene Restaurant mit Blick auf die Küche, wo die Indiofrauen bei offenem Feuer das Essen zubereiteten. Es gab Alpakafleisch mit Reis und einem Maiskolben, aber ich hatte keinen Hunger, weshalb nur Ruth aß und mich probieren ließ. Ich wollte mehr über die Bruderschaft erfahren und sprach einen jungen Indio an. Er sei hier geboren und auch zur Schule gegangen, denn sie haben ihre eigene Grundschule und eine „Segundaria“. „Wie konnte sich die Kooperative eigentlich dieses riesige Grundstück leisten, da sie doch nur aus besitzlosen Landarbeitern bestand?“ wollte ich von ihm wissen. „Ursprünglich hatten es Amerikaner gekauft; aber dann wurde das Grundstück Anfang der 70er Jahre im Zuge der Bodenreform enteignet unter der Militärdiktatur von Präsident Velasco Alverado. Eine Gruppe von gläubigen Bauern unter Führung von Bruder Alejandro übernahmen dann das Grundstück, wurde aber später von Gläubigen aus den USA und Belgien unterstützt.“ – „Welcher christlichen Benennung gehört ihr an?“ fragte ich ihn. „Keiner. Wir sind einfach nur Christen und leben nach der Bibel“. – „Habt ihr Fernsehen?“ – „Die meisten nicht, aber es wäre nicht verboten.“ – „Und habt Ihr Internet?“ – „Ja natürlich.“ sagte er.

Als wir später wieder im Bus saßen, las ich in einem Heft näheres über die Entstehungsgeschichte von Granja Porcón: Ihr Gründer Alejandro Quispe Chilón (71) wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf dem Land auf und hatte auch nie eine Schule besucht. Zusammen mit seinem Bruder Felipe gründete er dort 1975 eine Landarbeiter-Kooperative und bekam zusammen mit anderen Kooperativen das 12.881 qm große Grundstück vom Staat überschrieben. Da sie jedoch kein Geld hatten und der Anbau von Gemüse viel zu wenig abwarf, lebten die Einheimischen zunächst weiter in bitterer Armut. Doch dann hatte Alejandro eine Vision: In Jes.41:19-20 las er: „Ich werde Zedern setzen in der Ödnis, … Zypressen, Tannen und Kiefern allzumal, damit sie sehen und erkennen und zu Herzen nehmen und verstehen, dass die Hand des HErrn dies gemacht hat, und der Heilige Israels es schuf“. Ausgehend von dieser Verheißung machte Alejandro in der Ratsversammlung der Kooperativen-Delegierten den Vorschlag, dass das hügelige Grundstück mit Tannen und Zedern aufgeforstet werden sollte. Die anderen Gesellschafter hielten ihn für verrückt und lehnten seinen Vorschlag ab. „Sollen wir etwa Holz essen?“ Er erwiderte: „Wir werden kein Holz essen, aber wir machen uns Essen mit dem Holz und verkaufen es weiter.“ Die Gesellschafter fragten skeptisch: „Wie viele Jahre werden wir warten müssen, bis die Bäume groß genug sind, um sie fällen zu können?“ Er sagte: „20 Jahre.“ Sie reagierten empört und sagten: „Wir brauchen heute etwas zu Essen und nicht erst in 20 Jahren!“ Daraufhin stiegen die allermeisten (im doppelten Sinne) „Ungläubigen“ aus diesem Projekt aus und zogen mit ihren Familien nach Lima in der trügerischen Hoffnung, dort Arbeit zu finden. Diejenigen aber, die Gott vertrauten, blieben zurück und ließen sich mithilfe ausländischer Bürgschaften und Kredite Baumsetzlinge liefern, so dass Granja Porcón heute die größte künstliche Bewaldung in Peru ist und weltweit zu den erfolgreichsten Entwicklungshilfe-Projekten zählt.

In Granja Porcón leben derzeit ca. 1.200 Christen. Niemand besitzt ein eigenes Grundstück mit Haus, sondern alles gehört allen. Die Männer arbeiten zusammen auf den Feldern und in der Forstwirtschaft, während die Frauen sich gemeinsam um die häuslichen Arbeiten und die Auferziehung der Kinder kümmern. Auf 400 ha leben etwa 700 Kühe, Schafe und Lamas. Sie haben ein eigenes Sägewerk und stellen selber Möbel her. Zudem haben sie Becken, wo sie Forellen züchten und auch eine Imkerei. Sie leben also nahezu autark, was in der bevorstehenden Drangsalszeit sehr nützlich sein würde. Ich hatte den jungen Mann gefragt, ob auch eine ausländische Familie aufgenommen werden könnte. Er sagte: „Selbstverständlich, denn wir haben in unseren Statuten nur die Bedingung, dass man gläubig sein muss, ansonsten zählen weder Rasse noch Hautfarbe oder Sprache. Allerdings kann sich hier niemand ein Grundstück kaufen, sondern muss mit dem Prinzip der Gütergemeinschaft einverstanden sein.“ Na, das hört sich doch gut an!

Gesund an Körper und Geist

In der Berglandschaft von Cajamarca gab es sehr viele Sehenswürdigkeiten, z.B. Höhlen mit Petroglyphen aus der Prä-Inka-Zeit und auch jede Menge Aquädukte (Wasserkanäle), die schnurgerade in den Felsen gemeißelt waren wie bei den alten Römern. Nachdem wir eine ganze Woche lang Wanderungen in der Natur gemacht hatten, gingen wir am Samstag mal aus Neugier in eine Gemeinde der Siebenten-Tags-Adventisten. Um 9:30 Uhr begann dort zunächst die sog. „Sabbatschule“, bei welcher sich die Gläubigen in mehreren Stuhlkreisen zusammensetzen, um über die täglichen Lektionen aus einem Sabbatschulheft zu sprechen. Thema war diesmal Nehemia 13. Ein älteres Ehepaar bat uns jedoch, dass wir uns als Gäste einmal kurz vorstellen sollten. Als sie erfuhren, dass wir aus Deutschland kamen, sagten sie, dass sie ebenso aus Deutschland seien und gerade zu Besuch wären bei ihrer Tochter, die mit ihrem peruanischen Ehemann in Cajamarca wohne. Nach der Bibelstunde wurden die Stühle wieder in Reihen zurechtgerückt, und der eigentliche Gottesdienst begann. Nachdem wir ein paar Lieder gesungen und gebetet hatten, kündigte der Pastor die Taufe eines 11-jährigen Mädchens an. Dabei musste das Mädchen vor der Gemeinde mehrere Fragen des Pastors mit den Worten: „Ich verspreche es!“ beantworten, was mich sehr stark an den Alten Bund erinnerte in 2.Mo.19, wo das Volk dem Mose ebenso ein Versprechen ablegte, dass sie eigentlich gar nicht zu halten imstande waren. Ist ein 11-jähriges Mädchen eigentlich überhaupt schon mündig bzw. „geschäftstüchtig“, um in einen Bund mit Gott einzutreten? fragte ich mich. Na ja…

Irgendwie konnte ich es nicht für einen Zufall halten, hier im peruanischen Hochgebirge Deutsche anzutreffen, denn man sah in dieser Region so gut wie nie Weiße. Ihnen aber ging es wohl genauso, weshalb uns das Ehepaar beim Hinausgehen ansprach, ob wir noch etwas Zeit hätten; wir setzten uns zunächst noch einmal hin und unterhielten uns. Roland und Delmira kamen aus Bad Fallingbostel und waren so wie wir erst seit zwei Wochen in Peru. Sie luden uns ein zu einem gemeinsamen Mittagessen bei ihrer Tochter, die in der Nähe des Flughafens wohne. Wir bedankten uns für das Angebot und nahmen es gerne an. Dass wir keine Adventisten sind, schien sie nicht zu stören, und ich vermied es, mit ihnen über den Sabbat zu diskutieren. Stattdessen kamen wir irgendwie auf das Thema Abendmahl, und Roland hielt einen ausführlichen Vortrag darüber, dass der HErr Jesus unmöglich „vergorenen Wein“ verwendet haben konnte, sondern nur unvergorenen Traubensaft, den er gemäß Joh. 2 als „guten Wein“ bezeichnete. Warum die Pharisäer den HErrn Jesus als „Trinker“ beschimpften oder die Korinther beim Abendmahl „betrunken“ waren, konnte er mir nicht erklären; stattdessen wusste er aber, wie man Traubensaft in der Hitze des Orients haltbar machen könne, und zwar indem man ihn luftdicht verschloss. Das hatte meine Frau übrigens auch mal gemacht, als sie fürs Abendmahl im Spanischkreis selbstgemachten Traubensaft mitbrachte; aber als ich die Flasche öffnete, spritzte der halbe Flascheninhalt sofort an die Decke. Da ich ihm aber nicht widersprechen wollte, behielt ich diese Erfahrung für mich.

Zum Mittag gab es zunächst einen Blattsalat mit Tomaten und Olivenöl und als Hauptgang einen Eintopf mit Gemüsesorten aus der Region. Vom Thema Alkohol kamen wir als nächstes auf das Thema Tabletten bzw. Medizin im Allgemeinen, und da erklärte Roland, dass er ein Arzt im Ruhestand sei. Diese Gelegenheit wollte ich nutzen, um ihn mal zu den Themen Bluttransfusion, Organspende und Impfen zu befragen. Zum Glück sah er es genauso wie ich, dass uns diese medizinischen Möglichkeiten von der Schrift her nicht untersagt sind, zweifelte jedoch, ob Impfstoffe oder Bluttransfusionen wirklich immer den Nutzen bringen würden, den man von ihnen erhoffe, sondern sah vor allem die Gefahr des Missbrauchs durch Profitgier. Dann kamen wir auf die rheumaähnliche Erkrankung meiner Frau zu sprechen. Er erklärte uns, dass Studien ergeben hätten, dass Menschen aus dem afrikanischen und asiatischen Raum (zu dem auch jene der indigenen Rasse zählen, da sie ja über Alaska den amerikanischen Kontinent bevölkert haben) keine Milchprodukte vertragen würden, da sie auf diese meist empfindlich mit entzündlichen Erkrankungen reagieren würden wie Rheuma oder Gicht. Überhaupt sei Milch normalerweise nur für den sofortigen Konsum bestimmt und ursprünglich bei einer gesunden Kuh auch nur in geringen Mengen verfügbar (4-5 Liter/Tag), während die Kuh ihr Kalb stillt. Die heutigen Kühe sind jedoch so hochgezüchtet, dass sie Jahr für Jahr bis zu 40 Liter Milch am Tag produzieren müssen.

Um das Wachstum von Nutztieren zur Schlachtreife zu beschleunigen, gibt man den Tieren vier verschiedene Antibiotika, die die selbstregulierende Wirkung von Darmbakterien unterbinden sollen, so dass die Tiere schnell dick werden. Diese Antibiotika nehmen wir aber durch den Fleisch- und Fischkonsum in uns auf, so dass sie auch bei uns das Übergewicht fördern und damit auch all die bekannten Zivilisationskrankheiten. Selbst wenn wir also von der Bibel her alles essen dürften, sei durch die moderne Massentierhaltung inzwischen fraglich geworden, ob Fleisch und Milchprodukte überhaupt noch „nützlich“ seien für den Körper. Die vegane Ernährung würde bei Schmerzpatienten wie Ruth zwar nicht zur völligen Heilung führen, aber sie würde die Krankheitsschübe ähnlich wie bei MS-Kranken deutlich reduzieren und den degenerativen Prozess der Erkrankung zum Erliegen bringen. Das hörte sich alles sehr überzeugend an, und wir beschlossen in dem Moment, dass wir von nun an zusammen eine vegane Ernährung anstreben möchte – nicht nur zum Schutz der Tiere, sondern auch zur Gesundmachung und Gesunderhaltung. Der HErr hatte also dieses Ehepaar dazu benutzt, um Ruth und mir hierin die Augen zu öffnen.

„Wirst Du zu 100 % errettet sein, wenn Du heute Nacht stirbst?“

Als wir wieder zurück in Lima waren, kam mein Schwager Walter zu Besuch, der eigentlich Ruth sprechen wollte wegen einer fehlerhaften Stromabrechnung. Ich bot ihm ein Glas Lúcuma-Saft an und wir unterhielten uns eine Weile. Ich fragte ihn: „Sag mal Walter, die Freundin, die Dich am Sonntag begleitet hatte, um uns vom Flughafen abzuholen – ist das nur so eine Bekanntschaft oder bist Du mit ihr auch intim?“ – Er antwortete freimütig: „Ja, ich schlafe mit ihr auch gelegentlich, ist doch klar!“ – „Aber Du weißt, dass das Sünde ist, denn Ihr seid nicht verheiratet miteinander“. Er entgegnete: „Aber das ist doch ganz normal und jeder andere Mann würde das doch auch tun!“ – „Aber Du bekennst doch, Christ zu sein. Dann bist Du umso mehr verpflichtet, die Gebote Gottes einzuhalten. Die Bibel nennt das Hurerei was Ihr tut, und die Hurer kommen nicht in das Reich Gottes!“ – „Im Grunde hast Du ja recht, Simon, aber wenn Gott so streng wäre, dann würde am Ende doch sowieso keiner gerettet werden, denn fast alle Männer haben schon Hurerei getrieben.“ – „Also ich bin jungfräulich in die Ehe gegangen und habe meine Frau auch noch nie betrogen.“ – „Ja, das mag ja sein; vielleicht gibt es 5 % aller Männer, die das noch nicht getan haben.“ – „Das Problem ist, dass Du das Wort Gottes nicht ernst nimmst. Aber ich sage Dir, dass Du verloren gehen wirst, wenn Du nicht Buße tust und damit aufhörst.“ – „Ich habe auch vor, damit aufzuhören.“ – „Aber noch nicht sofort? Stell Dir mal vor, Du hast morgen einen Herzinfarkt und stehst dann vor dem HErrn Jesus. Was wirst Du Ihm dann sagen wollen, wenn Er dich fragt, warum Du nicht umgekehrt bist von dieser Sünde?“ Walter sagte nichts. Da lud ich ihn ein, am Abend an unserer Bibelstunde teilzunehmen.

Ruth hatte die Idee, auch mal unseren direkten Nachbarn Antonio zur Bibelstunde einzuladen, mit dem sie früher zur Jugendstunde ging. Er war damals noch gläubig, ging aber dann in die Welt zurück und wurde zum Hurer und Alkoholiker. Sie fragte ihn und er sagte prompt zu. Wir beteten und Ruth bot allen belegte Brötchen an und ein Glas Limonade sowie eine Tasse Fencheltee. Dann predigte ich an Hand von Psalm 50 über das Gericht, das am Hause Gottes anfange und über die Notwendigkeit, Gott zu fürchten und Ihm dankbar zu sein, denn Gottes Zorn wird sich ja gerade über jene ergießen, die sich für schlauer hielten und keine Notwendigkeit zur Buße und Umkehr sahen. Als wir dann zum Schluss kamen, sagte ich zu Walter und Antonio: „Ich freue mich, dass Ihr heute mal bereit wart, dabei zu sein, und ich möchte die Gelegenheit nutzen, um Euch einmal ganz ehrlich zu bekennen, dass Ihr Euch noch einmal zurückbekehren müsst zum HErrn, denn Ihr wisst, dass Ihr schon seit Jahren nicht mehr dem HErrn folgt. Wenn Ihr nicht umkehrt, dann werdet Ihr verloren gehen, denn Hurer und laue Christen wie Ihr werden nicht in das Reich Gottes eingehen, sagt die Heilige Schrift. Deshalb flehe ich Euch an, zum HErrn zurückzukehren, denn dies ist vielleicht die letzte Chance für Euch. Wenn Ihr morgen sterbt, dann müsst Ihr Euch 100 % sicher sein, dass Ihr dann beim HErrn seid…“ Ruth kniff mir in diesem Moment heimlich in die Seite, so als wollte sie mir sagen, dass ich nicht so hart reden sollte. Ich ließ mich jedoch nicht beirren, sondern fragte Walter direkt:

Glaubst Du, dass Du mit 100 %-iger Sicherheit errettet sein wirst, wenn Du heute Nacht stirbst?“ Zu meiner Überraschung sagte Walter: „Nein, sondern ich bin mir eher sicher, dass ich nicht errettet werde.“ – „Aber wenn Du das weißt, warum kehrst Du dann nicht heute noch zum HErrn um und bittest ihn wie der verlorene Sohn um Vergebung?“ fragte ich. „Weil ich nicht zu den Berufenen zähle. Mein Vater wollte ja, dass ich in seine Fußstapfen trete als Evangelist, aber am Ende hat Gott nur meinen Bruder Israel errettet, aber nicht mich, weil ich treulos war. Es ist in der heutigen Welt so schwer, ein frommes Leben zu führen, wie Du es beschreibst. Solche Christen wie Du sind ja ganz selten. Ich habe einfach nicht diese Gabe so wie Du und diesen Eifer. Ich kann das nicht und eigne mich nicht dafür. Aber ich hoffe, dass Gott mich trotzdem annimmt…“ – „Aber wir können ohnehin aus uns selbst nichts tun; wir sind von Gott abhängig. Aber genau darum geht es ja, dass wir uns von Gott verändern lassen,“ sagte ich. „Wir müssen einfach nur Gott gehorchen, so wie Schüler dem Lehrer gehorchen. Den Lernerfolg können wir ganz getrost Gott überlassen; wir dürfen nur nicht die Schule Gottes schwänzen, so wie Du es jetzt all die Jahre getan hast. Der HErr berücksichtigt auch, wenn wir irgendwelche geistigen oder charakterlichen Defizite haben. Es geht ja nicht darum, viel zu wissen, sondern darum, dass wir das Gelernte anwenden und umsetzen. Deine Mutter Lucila z.B. hatte nur eine sehr begrenzte Intelligenz, aber sie hat immer getan, was sie vermochte. Wem wenig gegeben ist, von dem verlangt der HErr auch nicht mehr, aber wir dürfen uns nicht dahinter verstecken, dass wir nicht genug begabt seien, um dann am Ende wie der faule Knecht mit leeren Händen da zustehen.“

Dann wand ich mich an Antonio und fragte ihn: „Und wie ist es mit Dir, Antonio? Ich habe gehört, dass Du mal einen guten Anfang genommen hattest mit dem HErrn, aber dann vom Wege abgekommen und wieder in die Welt gegangen bist. Heute ist die Gelegenheit, dass auch Du wieder zurückkehren kannst zum HErrn, indem auch Du Ihn im Gebet um Vergebung bittest und noch einmal ganz neu anfängst. Was meinst Du?“ Er sagte mit unterwürfiger Stimme: „Ja, es ist wahr, dass ich mich vom HErrn entfernt habe. Aber ich habe nie aufgehört, an Ihn zu denken...“ Dann hat er noch vieles weitere gesagt, aber ich habe ihn nicht gut verstanden, weil er sehr genuschelt hat. Ich schlug dann vor, gemeinsam zu beten, und dass jeder sich beteiligen möge, wenn er will. Als dann die Runde an Walter kam, betete er: „Gesegneter Vater, ich bitte Dich, dass Du mir meine Sünden vergibst, dass ich nicht dem HErrn Jesus gefolgt bin in den letzten Jahren. Ich bitte Dich, dass Du mich rettest, dass ich eines Tages auch in Dein himmlisches Reich komme. Bitte helfe mir, dass ich von jetzt an, Dir gehorche und Deinen Willen tu. Amen“. Nun betete Antonio und sagte: „Himmlischer Vater, auch ich bitte Dich, dass Du mich erneuern mögest, und dass … (unverständlich) … Amen“. Was für eine Freude, dass die beiden an diesem Abend Buße taten und ihren Wunsch äußerten, zum HErrn umzukehren! Möge der HErr in ihnen wirken, dass es doch nicht nur bei diesem Lippenbekenntnis bleiben möge, sondern auch noch echte Frucht entstehe! Wir standen auf und umarmten uns.

Das Schreien der Elenden vergisst Gott nicht  (Psalm 9:12)

Am nächsten Tag ging ich wieder in die Innenstadt von Lima. Da sah ich einen ärmlich gekleideten Venezolaner, den man sofort an seinen weichen Gesichtszügen erkannte. „Erlaubst Du mir, dass ich Dir ein wenig aus dem Wort Gottes erzählen darf?“ – „Ja, warum nicht.“ – „Weißt Du, was das Evangelium ist?“ – „Nein.“ sagte er. Dann erklärte ich ihm den Heilsplan Gottes und die Notwendigkeit einer persönlichen Gemeinschaft mit dem HErrn Jesus. Dann fragte ich ihn, ob er mal etwas von sich erzählen wolle, welche Erfahrung er bisher mit Gott gemacht habe. Juan-Carlos (26) kam vor einem Jahr nach Peru und hatte mittlerweile auch einen kleinen Aushilfsjob gefunden, durch den er sich über Wasser halten kann. Er fühlte sich jedoch sehr einsam, da er in Peru niemanden kenne und seine Familie noch in Venezuela blieb. „Juan-Carlos, ich glaube, dass es kein Zufall ist, dass ich Dich angesprochen habe, sondern ich soll Dir vom HErrn ausrichten, dass Er Dich retten will. Möchtest Du das?“ – Er zögerte und war sehr verunsichert. Mit leiser Stimme sagte er: „Ja“. Wir beteten gemeinsam, und er bekannte seine Schuld vor Gott und seine Bereitschaft, den HErrn Jesus aufzunehmen. Ich beglückwünschte ihn zu seiner Entscheidung, lud ihn zu unserer Bibelstunde ein und tauschte noch mit ihm unsere Adressen und Telefonnummern aus.

Dann stand ich auf und ging weiter über den Platz, wobei ich Ausschau hielt nach Personen, die möglichst tatenlos auf den Bänken saßen, um sie anzusprechen. Da sah ich einen anderen traurig an einer Wand gelehnt stehen. Ich fragte ihn: „Was hältst Du davon, wenn wir uns mal hinsetzen, um miteinander zu reden?“ Statt Verwunderung spürte ich eher eine Art Erleichterung bei ihm über meinen Vorschlag und wir setzten uns. Ich wiederholte noch einmal, warum der HErr Jesus in die Welt gekommen sei und warum jeder Mensch umkehren müsse von seinem bisherigen Weg. Dann bot ich ihm an, doch mal etwas von sich zu erzählen. Mario sagte mit leiser Stimme: „Mein Leben ist bisher ein einziges Desaster gewesen. Im Grunde begann mein ganzes Elend, als ich aus dem Gefängnis kam…“ Ich unterbrach ihn: „Vielleicht solltest Du noch etwas früher beginnen. Wieso warst Du denn im Gefängnis?“ – „Na, wegen Raub. Ich war 7 Jahre im Gefängnis. Aber danach habe ich nichts mehr verbrochen“. Dann berichtete er mir, wie er versehentlich von einem Haus runterfiel und sich dadurch einen komplizierten Trümmerbruch am rechten Arm zuzog, durch welchen er nur eingeschränkt arbeiten kann. Da er nicht genug Geld nach Hause brachte, habe der Vater ihn aus dem Haus geworfen, so dass er seit einem Jahr auf der Straße lebe. „Ich bin völlig verzweifelt, weil ich kaum zu Essen habe und Angst habe, krank zu werden, weil ich mir keinen Arzt leisten kann. Ich bin ja bereit, jede Arbeit zu machen, wenn ich nur etwas Geld bekäme, um zu leben…“

Ich erzählte Mario die Geschichte vom barmherzigen Samariter, dass dies der HErr Jesus sei, der gerade solchen Menschen aus der Not helfen will, die sich als „halbtot“ erkannt haben, um sie von ihren Sünden zu heilen und in eine Herberge zu bringen. „Der HErr Jesus hat schon alles für Dich getan. Auch an Dich hat Er vor 2000 Jahren gedacht, als Er am Kreuz für Dich starb und Dir damit ein Geschenk gemacht, das Du nur noch willig in Empfang nehmen musst durch den Glauben. Willst Du errettet werden?“ – „Ja. Was muss ich tun?“ – „Bekenne dem HErrn Deine Sünden und bitte Ihn um Gnade und Vergebung, dann wirst Du gerettet.“ Ich fing an zu beten und gab ihm danach ein Zeichen. Dann betete er, allerdings so leise, dass ich fast nichts verstand. Ich sah jedoch, dass Tränen aus seinem Gesicht auf die Erde tropften. Dann umarmte ich ihn und hieß ihn in der Familie Gottes willkommen. Wir standen auf und spazierten etwas über den Platz (weil es dort, wo wir saßen, stark nach Urin roch). Ich erklärte ihm, dass ich bereit sei, ihm aus seiner Not zu helfen, soweit ich es vermag, aber dass er auch der Buße würdige Früchte bringen müsse. Dies hieße, dass er sich als nächstes taufen lassen und regelmäßig zu den Versammlungen kommen sollte. Wir würden ihm auch eine Bibel schenken, falls er sich keine leisten könne. Er sagte: „Selbstverständlich will ich all dies jetzt tun. Meine Frage wäre nur, ob Sie mir vielleicht etwas zu Essen geben könnten…“ – „Ja, kein Problem. Ich lade Dich ein, mit mir was zu essen. Und morgen Abend kommst Du zu unserem Hauskreis, einverstanden?“ Wir gingen in ein nahegelegenes China-Restaurant, und er bestellte für sich einen Arroz Chaufa (Reis-Teller mit kleinen Gemüse- und Fleischstücken) für ca. 2,- €.

Da ich noch etwas Zeit hatte bis Ruth kam, hörte ich einer Rede zu von einem dieser Kommunisten. Als dieser mich sah, erkannte er mich wieder und lud mich zu einer weiteren Debatte ein. Wie beim letzten Mal vereinbarten wir, dass jeder von uns nun jeweils immer 5 Minuten Zeit habe, um etwas ins Mikrophon zu sagen zu der Zuhörerschaft. Ich sollte anfangen und nahm das Mikrophon: „Liebe Leute, ich bedanke mich, dass ich diese Gelegenheit hier bekomme, über meinen christlichen Glauben zu sprechen. Was die politischen Ansichten meines Vorredners betrifft, so kann ich seine Wut über die Korruption der Politiker gut nachvollziehen. Diese Welt ist wirklich voller Ungerechtigkeit, und es wird Zeit, dass die Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden. Aber in dieser Welt wird es nie eine vollkommene Gerechtigkeit geben können, weshalb Gott, der Schöpfer dieser Welt, einen Tag bestimmt hat, an dem Er alle Menschen gerecht richten wird, und zwar durch Seinen Sohn Jesus Christus. Gott will eine neue Welt schaffen, in der Gerechtigkeit wohnt. Aber dazu muss erst der Mensch selbst erneuert werden durch den Geist Gottes ...“

Nach 5 Minuten nahm Andrés das Mikrophon wieder in die Hand: „Die Natur lehrt uns, dass der Mensch für den Kommunismus geboren ist. Seht Euch die Sonne an: sie scheint für alle Menschen! Seht Euch die Natur an: sie bietet Nahrung für alle Menschen! Welche Farbe hat das Blut? Jawohl! es ist rot!“ Das Publikum lachte und klatschte. In dem Moment tippte mir Ruth von hinten auf den Rücken. Ich wandte mich zu den Veranstaltern und zeigte an, dass ich nun leider gehen müsse. Ich hörte ein großes Seufzen in der Menge, nahm Ruth an die Hand und ging weg ohne mich umzudrehen.

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