Lebenszeugnisse von Knechten Jesu Christi Teil 22:
Anselm von Canterbury (1033-1109 n.Chr.)
Anselm wurde nicht in Canterbury/England geboren, wie man denken könnte, sondern in Aosta/Piemont (im heutigen Italien); seine Eltern waren adelig. Anselms Vater Gundulf neigte einerseits zu Verschwendung und weltlichen Vergnügungen, andererseits war er für Freigebigkeit und Wohltätigkeit bekannt. Dessen unbesorgter Umgang mit materiellen Gütern prägte Anselm in der Jugend. Anselm wuchs in einem religiösen Umfeld auf. Schon bald beschäftigte er sich mit Gott und dem Sinn des Lebens. Durch einen Traum aus seiner Kindheit sah er sich schließlich von Gott berufen, Ihm als Mönch zu dienen und trat in ein französisches Kloster ein.
Er wurde 1076 Abt des Klosters Le Bec und setzte von nun an neue Akzente in der Ausbildung der Mönche: Sie sollten nicht nur im Kopf sondern auch im Herzen verändert werden. Erstes Ziel sei ein gottgefälliges Leben, nicht das größtmögliche Wissen. Anselm forderte mehr Geduld und liebendes Interesse des Erziehers, anstatt nur Disziplin und Zucht. Schüler müssten ein Bewusstsein der eigenen Verantwortung und Freiheit entwickeln. Kritische Rückfragen der Studenten sollten besprochen und nicht einfach als störend zurückgewiesen werden. Die jungen Mönche liebten ihren Professor und forderten ihn auf, den Inhalt seines Unterrichts schriftlich niederzulegen.
Die Frage nach Gott beschäftigte Anselm nicht nur akademisch, sondern auch ganz persönlich. Manchmal ahnte Anselm schon die intellektuelle Gewissheit der Existenz Gottes. Dann wieder schien es ihm unmöglich, denkerisch klar zu belegen, dass es einen Gott gibt. Auch wenn er nie an der Existenz Gottes zweifelte, erfasste ihn eine tiefe Freude, als er schließlich den ontologischen Gottesbeweis entdeckte. Für viele Denker des Mittelalters war die Möglichkeit, Gott auch durch den Verstand zu loben, ein wesentlicher Antrieb in ihrem Glauben. Indem sie die Welt mit dem Verstand erforschten, legten sie die Größe und Herrlichkeit Gottes offen, der dieses komplexe System entworfen hatte.
Nach Anselms Auffassung kann der Mensch mit seinem begrenzten Verstand Gott nur sehr eingeschränkt begreifen. Gott geht weit über die Kapazität menschlichen Denkens hinaus. Und doch ist es möglich, eine intellektuelle Gewissheit seiner Existenz zu bekommen. Selbst wer an Gott zweifelt, muss nach Anselm eine gewisse Vorstellung von Ihm haben. Denn woran man zweifelt, dem kommt dadurch ein gewisser Grad an Wahrscheinlichkeit zu. Nach längerem Überlegen kommt Anselm zu einer Formulierung, die der Unfassbarkeit Gottes gerecht werden soll (ontologischer Gottesbeweis = Beweis Gottes aus der Eigenschaft des Seins). Demnach ist Gott das, „über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann.“ Definitionsgemäß gebraucht jeder Mensch den Begriff „Gott“ für ein absolutes, vollkommenes Wesen. Umschreibungen wie „allmächtig“, „allwissend“ oder „ewig“ bringen die Vollkommenheit Gottes teilweise zum Ausdruck. Nach Anselm wäre ein Gott, dem die Eigenschaft der Existenz zukommt, der also wirklich existiert, vollkommener als einer, der nur in den Gedanken lebt. Weil Gott aber das Wesen sein soll, „über das hinaus nichts Vollkommeneres gedacht werden kann“, muss Gott also auch existieren. Andernfalls wäre ja ein noch perfekteres Wesen (Gott) denkbar.
Einige ließen sich von Anselms Gottesbeweis nicht überzeugen, z.B. Thomas von Aquien (1225-1274) und der Philosoph Immanuel Kant (1724-1804). Immer wieder wurde bemängelt, dass ein Gegenstand nicht schon deshalb existiere, weil man Ihn sich vorstellen und Ihn genau definieren könne. So wäre es z.B. möglich, sich eine perfekte Insel mit idealen Lebensbedingungen vorzustellen. Die vollständige Beschreibung dieser Insel sage aber noch nichts darüber aus, ob sie wirklich existiere.
Menschen des frühen Mittelalters orientierten sich gerne an festen Wahrheiten, die durch allgemein akzeptierte Autoritäten gesichert waren. Im religiösen Bereich genoss natürlich die Bibel höchste Priorität. Neben ihr galten die Aussagen anerkannter Kirchenväter als Grundlage aller Argumentationen. In der Wissenschaft berief man sich z.B. auf Aristoteles. Anselm wollte sich nicht allein mit festen dogmatischen Glaubenssätzen begnügen, sondern lud seine Leser ein, mit den Mitteln ihres Verstandes die Wahrheiten des Glaubens zu erfassen. Damit konzipierte er ein neues Verhältnis von Wissen und Glauben. Das Denken sollte zu einer eigenständigen Stütze des Glaubens werden. Er wollte keine Wahrheit neben der Bibel formulieren, sondern die biblische Wahrheit durch logische Argumente bestätigen. „Die Vernunft ist das Höchste im Menschen […] Sie macht die Gottebenbildlichkeit aus; diese fortzuentwickeln durch Erkenntnis und Liebe ist die Bestimmung des Menschen.“
Manchen Zeitgenossen schien Anselms intellektuelle Argumentation für den Glauben risikoreich. Sie argwöhnten eine Abwertung der Bibel und theologischen Autoritäten. Anselm erwiderte ihnen, in seinen ganzen Schriften fände sich nichts, was nicht auch durch die Bibel und die Kirchenväter belegt werden könne. „Wer zur Einsicht fähig ist, soll sie genießen; wer nicht fähig ist, soll verehren, was er nicht versteht.“ Die Wahrheit des christlichen Glaubens war für Anselm eine ausgemachte Sache. Es sei vollkommen ausreichend, Gottes biblischer Offenbarung blind zu glauben. Für besonders verstandesbegabte Menschen gäbe es die Möglichkeit, diese biblischen Wahrheiten zu untermauern. Wahrer würden die biblischen Aussagen aber durch begrenzte Vernunft-Argumente nicht.
Grundlage aller Erkenntnis war für Anselm der Glaube, das Vertrauen auf die Zuverlässigkeit biblischer Wahrheiten. Mit dem Satz „Ich glaube, um zu erkennen“ brachte Anselm die beiden Seiten seiner Konzeption auf den Punkt. Voraussetzungsloses Wissen konnte es für ihn nicht geben. Alles Denken und alle wissenschaftliche Forschung setzen immer schon ein konkretes Weltbild und zahlreiche unbeweisbare Paradigmen voraus. Nach Anselm müsse jeder Philosoph und jeder Wissenschaftler immer zuerst etwas über die von ihm untersuchte Sache annehmen (glauben), um dann Aussagen über sie machen zu können. In seiner Schrift De veritate (Über die Wahrheit) analysiert Anselm den Begriff „wahr“ und was Menschen darunter verstehen. Bei echter Wahrheit müssten nach Anselm die logische Erklärung und die gute Lebensführung übereinstimmen. Wahrheit, die nur im Kopf existiere, sei letztlich keine wirkliche Wahrheit. Dieses Verständnis von Wahrheit geht deutlich über die Aufklärung hinaus.
Im Jahr 1098 veröffentlichte Anselm sein Buch „Warum wurde Gott Mensch?“ In seiner darin enthaltenen Satisfaktionstheorie vertritt Anselm die Auffassung, dass die Sünde der Menschen so umfassend sei, dass nur eine frei geleistete Genugtuung (Sühne) von unendlichem Wert Gottes Ehre wiederherstellen könne. Dabei hatte Anselm offensichtlich das Bild eines mittelalterlichen Herrschers vor Augen, der durch einen seiner Untertanen schwer beleidigt wurde. Die dadurch verursachte Schuld konnte nur durch eine angemessene Kompensation neutralisiert werden. Der Mensch sei Gott Ehre, Dank und Gehorsam schuldig. Da aber die Menschen Gott nicht gebührend ehren und gehorchen, würden sie schuldig an Ihm. Der Mensch habe als Genugtuung nichts Angemessenes anzubieten, das seinen Ungehorsam und seine Beleidigungen aufwiegen könnte. Da Sein Sohn Jesus Christus vollkommen sündlos ist, ist Sein Leben unendlich wertvoll. Freiwillig bot Er sich Gott als Genugtuung für die Schuld der Menschen. Gott akzeptierte das Opfer, wodurch die Menschen wieder zurück in Seine Gegenwart gelangen können.
Lebenszeugnisse von Knechten Jesu Christi Teil 23:
Petrus Waldus (1140 – 1218 n.Chr.)
Den meisten Menschen im Mittelalter war der Zugang zur Heiligen Schrift verwehrt, da sie kein Lateinisch beherrschten und z.T. auch nicht einmal lesen konnten. Sie waren gezwungen, alles zu glauben, was der Klerus der Katholischen Kirche ihnen sagte und hatten keinerlei Möglichkeit, es zu überprüfen. Diese Bevormundung hatte der HErr Jesus in den Sendschreiben immer wieder getadelt, indem Er von der „Lehre der Nikolaiten“ sprach, d.h. der „Volksbesieger“. Während der Klerus aber häufig in Üppigkeit und Ausschweifung lebte, hatten viele Menschen nur den einzigen Wunsch, um alles in der Welt in den Himmel zu kommen. Sie ahnten, dass die Kirchenfürsten ihnen nicht die ganze Wahrheit sagten, sondern die Bibel tendenziell nur zu ihrem Vorteile deuteten, um ihr feudales Herrschaftssystem fortführen zu können.
1140 wuchs in Lyon, Südosten Frankreichs, Petrus Waldus (franz. Pierre de Vaux) als Kind einer wohlhabenden Familie geboren. Als erfolgreicher Kaufmann erwarb er sich Ansehen und Reichtum. Schließlich heiratete er und hatte mehrere Töchter. Zunehmend empfand er jedoch eine innere Leere und die Sehnsucht, ein Leben für Gott zu führen. Immer dringender suchte Waldus nach dem Sinn des Lebens. Schlechte Ernten führten 1176 im Süden Frankreichs zu einer Hungersnot. Die Lebensmittelpreise stiegen, und schon bald konnten sich einfache Menschen selbst die Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten. Zwischenzeitlich bedeuteten Waldus sein Hab und Gut nicht mehr viel. Mit seinem Vermögen speiste er die Armen der Stadt, um sie durch den Winter zu bringen. Dann verließ er Haus und Familie, um in Lyon und Umgebung durch Predigten auf Gott hinzuweisen.
In diesen Jahren beauftragte Waldus zwei Theologen mit der Übersetzung einzelner Bibelteile und wichtiger Schriften der Kirchenväter ins Provenzalische. Da er wie die meisten seiner Zeitgenossen kein Latein sprach, sah Waldus nur diese Möglichkeit, sich selbst näher mit der Bibel zu beschäftigen. Besonders beeindruckten ihn die Bergpredigt und die Aussendungsreden Jesu: „Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenige Arbeiter. Bittet den HErrn der Ernte, dass er mehr Arbeiter sende in Seine Ernte“ (Mt.9:37). Da die offiziellen Kirchenvertreter diesem Auftrag nach Waldus´s Wahrnehmung nicht nachkamen, wollte er selbst predigen, um die Menschen zu Gott zu führen, auch wenn es dadurch zu Konflikten mit den Priestern kommen würde. Um dieser Berufung ungehindert nachgehen zu können, machte sich Waldus frei von allen materiellen Zwängen und lebte in Armut und Heimatlosigkeit, ganz im Vertrauen auf die Versorgung Gottes. Er wollte sich ausschließlich dem Studium der Bibel, dem Gebet und der Predigt widmen.
In den Jahren 1177-78 sammelte sich um Waldus eine Gruppe Gleichgesinnter, die er mit Hilfe seiner provenzalischen Bibelübersetzung unterwies. Schon bald durchzogen diese Männer immer zu zweit die ganze Gegend, um das Volk zur Umkehr aufzurufen. Ihre Zuhörer waren beeindruckt. Gewöhnt an verweltlichte und uninteressierte Priester erschienen ihnen diese überzeugten und hingegebenen Wanderprediger wie Heilige. Die Waldenser, wie man sie bald nannte, trugen lange, einfache Wollgewänder und sandalenartige Schuhe. Aufgrund ihrer Anspruchslosigkeit nannten sie sich selbst pauperes Christi, die Armen Christi, weil sie wie Jesus ohne irdischen Besitz leben wollten.
Oft sprachen die waldensischen Prediger über das kommende Gericht Gottes und forderten ihre Zuhörer heraus, jetzt ihre Schuld zu bereuen und nach den Ordnungen Gottes zu leben. Petrus Waldus strebte nicht nach einer Karriere oder Macht. Er plante auch keine kirchliche Reformation. Nachdem er die Bibel gelesen hatte, fühlte er sich von Gott berufen, sein Wissen mit anderen zu teilen: „Wem viel anvertraut ist, von dem wird auch viel gefordert“ (Luk.12:48). Nach seinem Verständnis wäre er sogar schuldig an der Verurteilung seiner Mitbürger, wenn er sie nicht rechtzeitig vor dem Gericht Gottes warnen würde (Hes.3:12-21). In einer Zeit, in der sich die Menschen der Nähe Gottes besonders bewusst waren, stießen die Waldenser mit ihren Ermahnungen auf offene Ohren.
Petrus‘ Engagement und seine Konsequenz forderten die bequem lebenden Priester Lyons heraus. Ihr politisches Machtdenken und ihre geistliche Hilflosigkeit hinderten sie daran, motivierte Christen wie ihn in das Gemeindeleben zu integrieren. Stattdessen verboten viele Kirchenleute diesen Laienpredigern den Mund. Zum einen fürchtete man um den eigenen Einfluss, zum anderen fühlte man sich durch die Authentizität der Waldenser herausgefordert. Formal beriefen sich viele Priester auf das Kirchenrecht, das eine offizielle Predigtgenehmigung vorsah. Als ihm auch der Bischof von Lyon dieses Papier verweigerte, reiste Waldus eigens nach Rom, wo ihm eine Audienz beim Papst eingeräumt wurde. Nach einer ausführlichen Prüfung ihrer Rechtgläubigkeit wurde die Gemeinschaft von Papst Alexander III, anerkannt und erhielt das Predigtrecht. Trotzdem sollten sie sich jedem örtlichen Kleriker unterordnen und nur mit dessen Einverständnis sprechen.
Im Kirchenstaat war man skeptisch gegenüber ethisch strengen Laienpredigern, insbesondere seitdem sich die Katharer immer weiter im Süden Frankreichs ausbreiteten. Diese Gruppe ging mit der Kirche scharf ins Gericht. Offen kritisierten sie das unmoralische Treiben vieler Priester sowie das Machtstreben und den Reichtum der Bischöfe. Sie bezeichneten die Kirche als die von Gott abgefallene Hure Babylon aus der Offenbarung. In der Tat gaben sich die Kleriker in den Dörfern und Städten als kleine Päpste und verweigerten den Waldensern das Wort. Weil diese sich aber von Gott berufen sahen, predigten sie trotzdem. Wie zu erwarten verschärfte sich der Konflikt daraufhin zusehends. Einen vom Lyoner Bischof verordneten Kontrolleur lehnte Waldus ab. Mit Berufung auf die Bibel argumentierte er, auch die Apostel hätten keinen Leiter gehabt außer Christus. Zum erstn Mal im Mittelalter unterschied Waldus zwischen Christus und dem Klerus der römischen-katholischen Kirche. Indirekt wurden damit die kirchliche Hierarchie und der katholische Allvertretungsanspruch in Frage gestellt. Jeder Christ könne und solle, so Waldus, jedem anderen das Evangelium erklären und ihm damit zu Heil verhelfen.
Zwar lehnte Waldus noch nicht die katholische Kirche an sich ab, wie es die Reformatoren 300 Jahre später tun würden, aber er verweigerte kirchlichen Geboten den Gehorsam, wenn diese im Widerspruch zur Bibel standen. Erzbischof Jean Bellesmains exkommunizierte die Waldenser daraufhin und vertrieb sie aus Lyon (1182). Waldus imponierte das nur wenig, denn „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg.5:29). In der Bevölkerung waren sie aufgrund ihres vorbildlichen Lebens und Predigens häufig angesehener als die örtlichen Priester. Papst Lucius III. verurteilte die Waldus- Bewegung auf dem Konvent zu Verona als Irrlehre, die verfolgt werden müsse. Waldus aber sah in der kirchlichen Verurteilung einen Amtsmissbrauch des Papstes. Selbst hochgebildete und angesehene Theologen unterstützten die Waldenser und bestätigten deren Rechtgläubigkeit. Da es hier jedoch um Kirchenpolitik ging, half das nur wenig.
Trotz aller amtlichen Behinderungen konnten sich Waldensergruppen in den Provinzen Narbonne und Languedoc sowie Metz, im deutschen Grenzgebiet und in der italienischen Lombardei etablieren. In Südfrankreich versuchte man mit einigem Erfolg, die Anhänger der sektiererischen Katharer zur Umkehr zu bewegen. Zum Gottesdienst traf man sich in den Häusern der Mitglieder. Abgesehen von Predigt und Gebet feierte man zusammen das Abendmahl, nahm die Beichte ab und salbte die Kranken. Obwohl diese durch Laien ausgeführten Handlungen nach katholischer Lehre unwirksam sein sollten, war den Waldensern die Würdigkeit ihres Predigers wichtiger als dessen amtliche Anerkennung. Gelesen wurde aus Kopien der von Waldus in Auftrag gegebenen Bibelübersetzung und aus Schriften der Kirchenväter Ambrosius, Augustinus und Chrysostomos. Gemeinsame Mahlzeiten sollte es auch den Armen ermöglichen, satt zu werden. Gelegentlich bauten Waldenser ein Zimmer an ihrem Haus an, in dem Alte und Kranke aufgenommen werden konnten.
Viele Prediger wurden im Rahmen der Albigenserkriege (seit 1209) verfolgt und gefangen. Soldaten berichteten: „Dort fanden wir 7 Häretiker von der sog. Sekte der Waldenser … Unsere Leute ergriffen und verbrannten sie mit großer Freude.“ Ihre Überzeugung, im Auftrag Gottes zu predigen, gab den Waldensern die Kraft, Unterdrückung und Tod zu ertragen. Um das Risiko einer Entdeckung gering zu halten, verkleideten sich Prediger als Handwerker oder reisende Händler und hielten ihre Bibelstunden in geheimen Verstecken ab. Als Folge ihrer langjährigen Auseinandersetzungen mit der katholischen Kirche lehnten die Waldenser nun auch die Lehre vom Fegefeuer, die Heiligenverehrung, den Ablass, die Todesstrafe, die Kindertaufe und die Vermischung von geistlichen und weltlichen Verantwortungsbereichen ab. Von vielen Historikern werden die Waldenser aufgrund ihrer Theologie als Vorläufer der Reformation betrachtet.
Lebenszeugnisse von Knechten Jesu Christi Teil 24:
Franz von Assisi (1181 – 1226 n.Chr.)
Wohl kaum ein Gläubiger des Mittelalters ist bekannter als der italienische Mönch Francesco, der ursprünglich Giovanni Battista hieß, ein Sohn des wohlhabenden Tuchhändlers Pietro Bernardone aus Assisi (Umbrien). Im 11. Jahrhundert hatte Assisi einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt und das Bürgertum strebte nach politischer Macht und Lebensgenuss. Im Gegensatz zu den meisten Jugendlichen seiner Zeit erhielt Franz eine gute Ausbildung. Neben den praktischen Erfahrungen im Geschäft seines Vaters besuchte er die Pfarrschule von San Giorgio, wo er Lesen, Schreiben, Rechnen und Latein lernte. In seiner Jugend arbeitete Franz mit seinen Brüdern im väterlichen Textilgeschäft. Auf Handelsreisen kam er in die Zentren französischer Tuchherstellung. Zeit und Geld standen ihm reichlich zur Verfügung.
Unter seinen Altersgenossen stach er durch Temperament, Fantasie und Freigebigkeit hervor. Während einer kriegerischen Auseinandersetzung mit dem benachbarten Perugia wurde Franz gefangengenommen und für mehr als ein Jahr in den Kerker der Stadt gesperrt. Erst nach Zahlung eines stattlichen Lösegelds konnte er wieder nach Hause zurückkehren. Noch aber waren seine Träume vom ruhmreichen Ritterdasein nicht ausgeträumt. Doch dann meinte er, die Stimme Gottes zu hören, der ihn vor die Wahl stellte, entweder einem irdischen Herrn zu dienen oder dem himmlischen. Franz entschied sich, von nun an nur Gott zu dienen. Seit dieser Berufung zog sich Franz immer häufiger zum Beten in die Einsamkeit einer Felsenhöhle zurück. Er begann, Kranke und Arme zu besuchen und zu beschenken. 1206 reiste er in den geliehenen Kleidern eines Bettlers auf eine Wallfahrt nach Rom. Er wollte erfahren, wie man sich ohne irdischen Besitz und als Obdachloser fühlt.
Die zunehmende Vernachlässigung seines Äußeren und die Besuche bei den Ausgestoßenen führten recht bald zu öffentlichem Spott und riefen den erbitterten Widerstand seines Vaters hervor. Der hatte mit seinem ältesten Sohn große Pläne und wollte es nicht dulden, dass Franz Waren aus seinem Geschäft als Almosen verschenkte. Im späteren Rückblick schrieb Franz über diese Zeit: „So hat der HErr mich, den Bruder Franziskus, zu einem Leben der Buße berufen. Als ich noch in Sünden war, empfand ich es bereits bitter, Aussätzige zu sehen. Und dann hat der HErr mich unter sie geführt, und ich habe ihnen Barmherzigkeit erwiesen. Nachdem ich von ihnen ging, erschien es mir nicht mehr bitter, sondern süß. Dann überlegte ich eine Weile und verließ meine bisherige Welt“. Franz erlebte eine Bekehrung und wollte seine Lebensziele radikal ändern.
Die Begegnungen mit Aussätzigen und unheilbar Kranken veränderten Franz‘ Leben. Diese Menschen waren vom Rest der Gesellschaft isoliert und wurden von allen anderen gemieden, weil die Menschen fürchteten, sich bei ihnen anzustecken. Sein Vater griff schließlich zur Gewalt, um seinen Sohn „zur Vernunft zu bringen“. Franz floh aus seinem Elternhaus in die baufällige Kirche San Damiano, an deren Reparatur er schon eine Weile arbeitete. Franz‘ Vater wollte ihn per Gerichtsbeschluss zwingen, wieder nach Hause zu kommen und ein geregeltes Leben zu führen (1207). Franz aber stellte sich unter den Schutz der Kirche. Um die vollkommene Trennung zu seinem alten Leben deutlich zu machen, zog er alle seine Kleider aus und übergab sie auf dem Marktplatz seinem Vater. „Bis heute habe ich dich meinen Vater genannt auf dieser Erde; von nun an will ich sagen: ‚Vater, der Du bist im Himmel‘.“
Franz von Assisi kümmerte sich nun noch intensiver um Arme und Aussätzige. Das war für ihn ein Ausdruck glaubwürdiger Nächstenliebe. Dabei schlief er zunächst im Freien, in Höhlen oder Ruinen und aß, was man ihm schenkte. Gemäß dem Wort Jesu in Matth.10:8-10 wollte Franz nur noch ein paar einfache Kleider sowie einen Strick um seinen Bauch besitzen und auf alles andere verzichten, selbst auf eine Tasche und auf Schuhe. Später gebot Franz seinen Brüdern sogar, noch nicht einmal Geld zu berühren, um nicht in Versuchung zu geraten, sich an materiellen Besitz zu binden. Schon bald schlossen sich andere junge Männer ihm an, die von ihrem bisherigen Leben genug hatten und sich von Franz‘ konsequentem Leben angesprochen fühlten.
Gelegentlich wandte Franz sich in seinen Predigten auch an die Tiere und Pflanzen, die er als Geschöpfe desselben Gottes betrachtete, der auch den Menschen gemacht hatte. Der Christ solle sorgsam und nicht eigensüchtig mit der Natur umgehen, die lediglich eine Leihgabe Gottes an ihn sei, kein Eigentum. „Gott, DU bist voll Liebe und Güte, der Du die Welt so schön gemacht hast, und alle Kreatur, die geht und fliegt, angewiesen hast, dass sie Deinen Ruhm verkünde, ich danke Dir bis an mein Ende, dass Du mich unter sie gestellt hast.“ Die Bibel spielte in Franz‘ Leben eine besondere Rolle. Teile davon lernte er auswendig. Hier suchte er die Maßstäbe für sein Handeln und für seinen Orden. „Die Heilige Schrift zu lesen, heißt, von Christus Rat zu holen.“
Der Klerus war über diese Armuts- und Bußbewegung zwiegespalten: Einige fürchteten eine neue Sektiererei, andere sahen darin die Chance für eine geistige Erneuerung der Kirche. Franz lehnte zwar das Trachten nach Ansehen durch Kirchenämter ab, suchte jedoch schon die Anerkennung durch Papst Innozenz III., der ihre Lebensform 1215 offiziell genehmigte und ihnen das Recht gab, überall Buße und Umkehr zu predigen. Der Franziskanerorden war nicht zuletzt auch eine Botschaft an all die anderen Protestbewegungen, um zu zeigen, das man auch innerhalb der katholischen Kirche ein Leben in Heiligkeit und Frömmigkeit leben konnte.
Auch wenn er in Armut und Demut wie Jesus Christus zu leben versuchte, achtete Franz darauf, sich nicht über diejenigen zu erheben, die im Überfluss schwelgten (Pred.10:20): „Ich warne und ermahne die Brüder, jene Menschen nicht zu verachten, noch zu verurteilen, die weiche und farbenfrohe Kleider tragen und auserlesene Speisen und Getränke genießen. Vielmehr soll sich jeder selber verurteilen und verachten.“ Aus Franz‘ Sicht war die Welt mit ihren Vergnügungen nicht schlecht, aber sie konnte die Menschen zu Hochmut und Oberflächlichkeit verführen. Deshalb mied er viele irdische Genüsse und vermischte sein Essen gelegentlich mit Asche oder kaltem Wasser. Er fastete auch bis zu 40 Tagen in der Einsamkeit und dichtete 1224, von Schmerzen und Läusen geplagt, den Sonnengesang: „Höchster, allmächtiger, guter Herr, Dein sind der Lobpreis, die Herrlichkeit und Ehre und jeglicher Segen. Dir allein, Höchster, gebühren sie, und kein Mensch ist würdig, Dich zu nennen. Gelobt seist Du, mein Herr, mit allen Deinen Geschöpfen, zumal dem Herrn Bruder Sonne; er ist der Tag, und Du spendest uns das Licht durch ihn. Und schön ist er und strahlend in großem Glanz, dein Sinnbild, o Höchster…“
Zwei Jahre später starb Franz von Assisi fast blind in der Portiuncula-Kapelle, wo sein Orden Jahre zuvor begonnen hatte. Es ist ganz erstaunlich, dass ein Mensch, der nicht bekannt und verehrt werden wollte, dann doch zu einem der berühmtesten Männer der letzten 1000 Jahre wurde und zum großen Vorbild für Millionen von Gläubigen. Über Jahrhunderte hinweg engagierten sich Franziskaner für die Armen und Leidenden, mit denen sie lebten und ihnen durch ihr Wort und Vorbild glaubwürdig das Wesen Jesu vor Augen führten.