Januar bis März 2016
Mein Rauswurf aus der Freien evangelischen Gemeinde
Schon lange hatte ich vor, wieder eine christliche Monatsschrift herauszugeben, so wie ich es bereits 1992 – 1993 mal tat mit dem Blättchen „Die Bruderliebe“, in der ich über kontroverse biblische Lehrpunkte schreibe, die heute kaum noch Beachtung finden. Es sollte also keine liebliche Postille sein, die ohnehin keiner liest, sondern eher eine provozierende Kampfschrift, die über die heutigen Mißstände in der Gemeinde aufklären und die Geschwister wachrufen sollte. Da kam mir auch gleich der passende Titel: „Der Hahnenschrei“! Denn ein Hahn kräht ja gerade im Morgengrauen, damit die Leute aufstehen und hat dadurch zugleich den Petrus von seiner Sünde überführt. Genau darum ging es mir. Jede Ausgabe sollte immer aus einem Thema bestehen, einer Bibelstelle, über die heute nicht mehr gepredigt wird. Für meine erste Ausgabe wählte ich die Stelle in 2.Kor. 11:2-4, wo es um den anders dargestellten Jesus ging, sowie den anderen Geist und das andere Evangelium, denn all diese Gefahren, vor denen Paulus damals warnte, sah ich heute in der Gemeinde eingetreten, auch und gerade in unserer eigenen Freikirche, der FeG Bremen.
Zugleich bot mir mein Bruder Patrick an, eine neue Website für Gläubige einzurichten, die den gleichen Titel bekommen sollte und in welcher ich nach und nach meine Artikel veröffentlichen könne. Um meine Website und mein Hahnenschrei-Pamphlet bekannt zu machen, meldete ich ein Konto bei Facebook an, wo sich ebenfalls die Möglichkeit ergab, einzelne Artikel zu verbreiten, sofern man darauf achtet, dass sich unter den FB-Freunden nur Gläubige befinden. Und um Porto zu sparen, wollte ich die meisten Hahnenschei-Ausgaben per Email versenden. Da ich eine Liste mit allen Email-Adressen unserer Gemeinde hatte, verschickte ich die erste Ausgabe Anfang Januar hauptsächlich an diese. In dem Artikel hatte ich speziell die Missstände angeprangert, die ich bei uns beobachtet hatte und nannte die entsprechenden Bibelstellen, um meine Kritik zu begründen. Doch schon wenige Stunden später erhielt ich einen Anruf von unserem Prediger Marco. Er war außer sich vor Empörung, weil ich den Versand an die Geschwister nicht mit ihm abgesprochen und ihn um Erlaubnis gefragt hatte.
„Simon, ist dir klar, dass dies ein direkter Angriff auf meine Gemeinde war?!“ – „Mich wundert nicht, dass du das so siehst, aber ich sehe das völlig anders. Denn zum einen gehört die Gemeinde ja nicht dir, sondern dem HErrn Jesus; und zum anderen habe ich unsere Gemeinde nicht ‚angegriffen‘, sondern ihr lediglich anhand der Bibel aufgezeigt, was in Gottes Augen Sünde ist.“ – „Das ist überhaupt nicht deine Aufgabe, sondern meine als ihr Pastor!“ – „Wenn du dies in der Vergangenheit getan hättest, wäre es gar nicht nötig gewesen. Aber du siehst ja vieles selbst nicht so von der Bibel, z.B. die Kopfbedeckung der Frauen.“ – „Ja, aber wir haben schon darüber gesprochen, dass wir das anders sehen als du. Fest steht: Du hättest mich und die Ältesten um Erlaubnis fragen müssen, bevor du dieses verschickst!“ – „Aber ihr hättet es mir ja ohnehin nicht erlaubt, warum sollte ich euch dann fragen?“ – „Weil ich die Verantwortung für die Gemeinde trage und nicht du!“ – „Aber die Geschwister sind doch mündig und können selber anhand der Bibel prüfen, ob es stimmt, was ich schreibe.“ – „Es gibt einige in der Gemeinde, die im Glauben noch sehr schwach sind…“ – „Ich würde sogar sagen, die meisten in der Gemeinde. Und kein Wunder, denn du predigst immer so gefällig über die Grunddinge des Glaubens, dass es kein geistliches Wachstum gibt, sondern die Gläubigen immer noch ganz am Anfang stehen geblieben sind.“ – „Simon, ich will nicht mehr mit dir darüber reden, sondern dich ein letztes Mal bitten, die Gemeinde zu verlassen, und wenn du es nicht freiwillig tust, dann werde ich dir Hausverbot erteilen wie deinem Bruder Marcus.“ – „Und womit willst du das begründen?“ – „Wenn der Gemeindevorstand das beschließt, dann brauchen wir das der Polizei gegenüber nicht mehr begründen.“ – „Nein, ich meinte, gegenüber der Gemeinde…“ – „Das muss nicht deine Sorge sein.“ – „Doch. Denn die Geschwister werden dich fragen, und du weißt, dass ich bei vielen beliebt bin in der Gemeinde. Ich mach dir einen Vorschlag: Ich gehe freiwillig, damit du nicht in Erklärungsnot gerätst. Aber vor Gott ist das nicht recht gewesen, dass du mich hinausgeworfen hast.“ – „Denk was du willst, Hauptsache du gehst!“ Dann legte er auf.
Nun mussten Ruth und ich uns eine neue Gemeinde suchen. Um auch meinen Freunden in der Gemeinde mitzuteilen, warum ich von nun an nicht mehr komme, schrieb ich Ihnen am nächsten Tag in der privaten Facebook-Community: „Gestern Abend hat mich Marco gebeten, nicht mehr zum Gottesdienst zu kommen, weil er in mir eine Gefahr sieht, dass ich die Geschwister der Gemeinde mit meinem Bibelverständnis verunsichern könnte. Ich hatte zuvor Kritik geübt daran, dass ich kein geistliches Wachstum beobachten könne bei der Gemeinde, da seit Jahren nur ein lauwarmes Wohlfühlevangelium über einen Kuschel-Jesus gepredigt werde, was mit der Bibel nichts mehr zu tun hat, sondern der unbiblischen Theologie eines verweltlichten und verblendeten Ökumene-Christentums entspricht. Solche Kritik ist aber in der Gemeinde nicht erwünscht, sondern wird als störend empfunden. Gott hat aber zu allen Zeiten Propheten erweckt, durch welche Er Sein Volk rechtzeitig warnen ließ, um sie vor falschen Wegen zu bewahren. Ich bitte deshalb hiermit alle Verantwortlichen der Gemeinde, meine Kritik anzuhören und an Hand von Gottes Wort zu prüfen, damit wirkliche Frucht erwachse und nicht bloß viele Blätter. Ich beuge mich aber unter das Urteil von Marco und werde nicht mehr zum Gottesdienst kommen. Der Hauskreis bei uns kann aber gerne weiterhin stattfinden, wenn ich Anfang Februar wieder aus Peru zurück bin. Und gemäß 1.Samuel 22:2 ist ‚jeder Bedrängte, und jeder, der Schuld auf sich geladen hat, und jeder, der erbitterten Gemütes ist‘, herzlich eingeladen, sich bei uns zu versammeln.“
Daraufhin rief mich Marco sofort an, war sehr wütend und forderte von mir, dass ich diesen Text sofort wieder löschen solle. Er warf mir vor, dass ich bei meiner Kritik an seinem Verhalten nicht den Weg von Matth. 18 beschritten habe, sondern stattdessen den 3. Schritt vor dem 2. Schritt gegangen wäre und ihn dadurch öffentlich bloßgestellt hätte. Dies verunsicherte mich zunächst und ich sagte ihm, dass ich seinen Vorwurf prüfen würde. Doch obwohl mich sein Verhalten an Diotrephes erinnerte (3.Joh.9), bot ich Marco an, den Text etwas zu ändern. Inzwischen hatte Marco jedoch meinen Freundschaftsstatus bei Facebook gelöscht und mich blockiert, so dass keine Botschaften von mir bei ihm ankamen. Am 06.01. verschickte Henri dann eine Rund-Email an sämtliche Geschwister der Gemeinde, worin er z.T. völlig frei erfundene Dinge behauptete, z.B. dass es eine „Vereinbarung“ zwischen mir und Marco gegeben hätte, immer alles „vorher mit der Gemeindeleitung abzusprechen“, was ich veröffentliche, und dass ich mich nicht daran gehalten habe. Wörtlich schieb er: „Im Gespräch mit Simon haben wir ihm deutlich gemacht, dass wir die Art der Verbreitung und vor allem die Inhalte nicht teilen und dies nicht wünschen!“ Erstaunlich fand ich, dass Henri in der Wir-Form schrieb, obwohl er im Gespräch doch gar nicht dabei war. Dass er oder die anderen angeblich mit mir gesprochen hätten, war schlicht eine Lüge. Mich ärgerte, dass er so tat, als habe die ganze Gemeinde eine Abstimmung gemacht, obwohl er in Wirklichkeit den Gläubigen nur vorschrieb, was sie von mir denken sollten. Im Grunde kam diese Art von „betreutem Denken“ faktisch einer Entmündigung der Gemeinde gleich.
Bruder Gerold warf mir wegen meiner Gemeindekritik „Arroganz“ vor und eine fehlende „Selbstkritik“. Ich schrieb ihm: „Wenn in einer Gemeinschaft über mehrere Jahre niemand es wagen würde, aus der Reihe zu tanzen, dann ist es ganz normal, dass eine plötzliche Kritik am System als arrogant empfunden wird. Anstatt sich jedoch mit der Kritik inhaltlich auseinanderzusetzen und sie an Hand von Gottes Wort zu prüfen, ist es nicht gerade zielführend, wenn man dem Kritiker automatisch eine mangelnde Selbstkritik unterstellt. Infolge eines geradezu sektiererischen Konformitätsdrucks wurden im Stalinismus regelmäßig rituelle Selbstbezichtigungen inszeniert, um die Gemeinschaft dadurch wie einen monolithischen Block zusammenzuhalten. Mit biblischer Sündenerkenntnis und Sündenbekenntnis hat das nichts zu tun.“ Daraufhin schrieb mir Gerold, dass ich einfach nur „einen an der Waffel habe“.
Henrys Hochzeit in Peru
Am 07.01.16 flogen Ruth, ich und mein Bruder Patrick nach Peru. Auch wenn dies inzwischen schon meine 9. Südamerikareise war, kam es mir in gewisser Weise vor, als wäre es meine erste; denn nach Jahren meines Unglaubens hatte ich jetzt endlich wieder eine sinnvolle Aufgabe zu tun, nämlich das Evangelium zu verkündigen. Henry und Miriam waren schon kurz vor uns angereist zusammen mit Bruder Klaus aus Bautzen und holten uns mit der Familie Canto vom Flughafen ab. Da wir in der von Ruths Eltern geerbten Wohnung im Stadtteil La Victoria im Jahr zuvor einen Rohrbruch hatten, war die Wohnung wegen des starken Schimmelgeruchs kaum bewohnbar. Deshalb waren wir sehr froh, dass wir erst Mal bei den Cantos im Stadtteil Comas übernachten durften. Auch Florian, mein früherer Schulfreund und seine Frau Jenny, eine Tochter der Cantos, waren anlässlich der bevorstehenden Hochzeit angereist, aber da die Cantos ein großes Haus haben, war dies kein Problem.
Am nächsten Tag fuhr uns Vater Felix Canto zusammen mit Patrick und Klaus zu unserer Wohnung in die Matute-Siedlung. Am Nachmittag fuhren wir in die Innenstadt, um auf dem Plaza de San Martín das Evangelium zu predigen. Etwa 20 – 30 Leute hörten mir zu und stellten Fragen. Klaus unterhielt sich derweil mit einem Studenten auf Englisch. Als ich gerade die Frage eines jungen Zeugen Jehovas beantwortete, sagte ein älterer Mann zu mir, der das Gesicht eines echten Indianerhäuptlings hatte: „Hören Sie, wir Inkas möchten nicht, dass Sie unsere Jugend mit ihrem Christentum verderben! Seit 500 Jahren kommen Sie hierher und zerstören durch ihre Werbung für Ihre Religion unsere alten Traditionen und Bräuche. Warum lassen Sie uns nicht einfach in Ruhe?! Ihr Christen habt so viel Leid und Tod über unser Volk gebracht, dass Sie sich schämen sollte!“ Ich antwortete: „Was die damaligen Eroberer Ihrem Volk angetan haben, ist wirklich ein großes Unrecht, aber dafür können Sie heute niemanden mehr zur Verantwortung ziehen, erst recht nicht uns Christen. Denn wir glauben, dass man keinem Menschen Gewalt und Leid antun darf, sondern ihnen die Liebe Gottes vorleben muss. Deshalb waren die Gewalttäter von damals keine echten Christen, sondern solche, die unter dem Deckmantel des Christentums ihre eigene Macht und Habsucht verübt haben. Aber wir können die Zeit nicht zurückdrehen.“ Er war jedoch nicht überzeugt: „Wir Inkas haben einmal in Harmonie zusammengelebt, bevor Ihr Weißen zu uns kamt mit eurer Religion, und seither gibt es nur noch Armut und Ausbeutung.“ – „Das stimmt aber nicht,“ widersprach ich ihm, „denn auch die Inkas waren grausam und haben alle anderen Völker unterdrückt. Deshalb hat Gott vielleicht die Spanier geschickt, um das Volk der Inkas zu richten…“ Er war empört über meine Worte und sagte: „Das ist ja eine Unverschämtheit, was Sie sagen!“ Dann wandte er sich ab und ging zu seinen Indio-Freunden, um sich bei ihnen über meine Worte zu beklagen.
In der Nacht reisten wir alle zusammen in den Süden Perus nach Ica, einer Stadt mitten in der Wüste, wo mein Schwager Israel (60) lebt mit seinen zwei Söhnen Jonathan (29) und Joel (27), die uns vom Busbahnhof abholten. Nach dem Frühstück machte ich mit Patrick und Klaus eine kleine Wanderung am Rand des Dorfes, wo es 100 Meter hohe Sanddünen gab. Klaus wollte diese unbedingt besteigen, aber ich gab schon nach 20 Metern auf, da dies bei der Hitze sehr anstrengend war. Am Nachmittag fuhr uns Joel nach Huacachina, einer kleinen Oase in der Wüste mit einem grünen See in der Mitte. Wir liehen uns einen Buggy aus, mit dem wir die riesigen Sanddünen rauf und runter fahren konnten, was Patrick sehr begeisterte. Am Horizont sahen wir abends, wie die Sonne allmählich über der endlos weiten Wüste unterging.
Unser nächstes Reiseziel war Cusco im Gebirge, von wo aus wir weiterreisten zur berühmten Ruinenstadt Machu Picchu, welche die Inkas vor über 500 Jahren auf einem Berg im Urwald errichtet haben sollen, um sich vor den Spaniern zu verstecken. Auch jetzt sahen wir die Begeisterung von Klaus fürs Bergsteigen, denn er ließ kaum einen Berg aus ohne ihn noch schnell zu erklimmen. Ruth hingegen verstauchte sich beim Klettern ihren Fuß und musste von einem Bergungsteam auf einer Trage runtergebracht werden. Wir besuchten auch die anderen Inkastädte von Ollantaytambo und Pisaq, sowie die imposanten Ruinen von Sacsayhuamán, evangelisierten in Cusco und besuchten Geschwister in Saylla und Huasao. Nach einer Woche fuhren wir wieder zurück nach Lima, um pünktlich bei Henrys Hochzeit zu sein.
Da Miriam Canto zuvor einer Pfingstgemeinde angehört hatte, fand auch sie Hochzeit dort statt. Als wir die Gemeinde betraten, machte eine Schwester mit Keyboard sehr dröhnend, flotte Musik, während eine andere laut dazu sang. Der Lärm war so ohrenbetäubend, dass Klaus immer wieder kurz den Raum verlassen musste. Der Prediger mit weißer Anzugjacke hielt nun den Hochzeitsgottesdienst ab, wobei ich vorne übersetzte. Nach dem Gottesdienst fand dann die eigentliche Feier statt, wobei zur Musik auch getanzt werden durfte. Henry stand dabei mit Miriam vorne auf der Bühne stocksteif und hielt mit beiden Händen regungslos ihre Hände, während er das laute und für ihn wohl ungewohnte Spektakel über sich ergehen ließ. Zwischendurch gab es dann immer wieder Essen, das durch die Reihen ging. Irgendwann bemerkte ich, dass Klaus verschwunden war. Ich fand ihn oben auf der Treppe im Dunkeln. Diesmal aber schmollte er nicht wegen der lauten Musik, sondern weil er nicht verstehen konnte, warum ich die Ansprachen der Hochzeitsredner nicht für Henry übersetzt hatte. Wir sprachen eine Weile miteinander, und er besänftigte sich wieder. Am Ende der Feier verabschiedeten wir uns dann von Henry und Miriam, die sich schon für die Rückreise nach Deutschland vorbereiteten. Auch Patrick und Klaus flogen nun wieder zurück, während der Rückflug von mir und Ruth erst in einer Woche sein sollte.
Der Fall Eva
Am nächsten Tag kam uns dann vereinbarungsgemäß Ruths Cousine Eva Cchencho (44) besuchen. Eva erzählte uns, dass ihre etwa 15 Jahre ältere Schwester Melania Canto sie im Alter von etwa 9 Jahren zusammen mit ihrem Ehemann Felix Anfang der 80er Jahre immer wieder im Gebirge besucht habe und ihre Eltern damals überredet hatte, sie mitzunehmen nach Lima, wo sie wohnten, damit sie dort Spanisch lernen (sie sprach damals nur die Inka-Sprache Quechua) und auf die gemeinsamen Kinder achthaben könnte. Die eigentliche Absicht jedoch war eine ganz andere, so Eva: Felix habe sie in Wirklichkeit missbrauchen wollen, da er sich in die kleine Eva verliebt hatte. Melania habe davon gewusst und in den Missbrauch eingewilligt, um ihren Mann nicht zu verlieren. Und dann erzählte uns Eva in allen Einzelheiten, wie der Missbrauch begann, welche Schmerzen und Ängste sie dabei hatte und wie sich Felix und Melania später auch noch darüber lustig machten und sie demütigten, indem sie ihr vorwarfen, dass sie nun keine Jungfrau mehr sei (die Einzelheiten möchte ich an dieser Stelle nicht nennen, zumal sie ja allein auf den Aussagen von Eva beruhen, die theoretisch frei erfunden sein könnten und obendrein auch so schrecklich sind, dass sie nicht jeder ertragen könnte). Eva behauptete, dass sie von nun an über viele Monate bald jeden Tag von Felix vergewaltigt worden sei an einem geheimen Ort, den er dafür ausgewählt hatte, bis sie eines Tages schwanger wurde und von Felix zur Abtreibung gezwungen wurde. Während sie uns ihr Leid klagte, musste sie immer wieder weinen und verfluchte ihre Peiniger: „Ich habe Gott immer wieder angefleht, dass Er mir doch Gerechtigkeit widerfahren lasse und all diese körperliche und seelische Folter nicht ungestraft lasse.“
Wir waren sehr geschockt und fassungslos über ihren Bericht: „Warum bist du denn nicht geflohen und zur Polizei gelaufen?“ fragte ich. „Sie bedrohten und manipulierten mich so sehr, dass ich es nicht wagte, es irgendjemanden zu sagen, der mir hätte helfen können. Ich bin ja auch nie allein auf die Straße gegangen. Aber einmal habe ich laut geweint vor Schmerz in dem Kiosk, wo er mich missbraucht hatte, so dass eine Passantin vorbeikam und fragte, was mit mir sei. Der Pädophile hat sie dann beschwichtigt, dass ich mich nur verletzt hätte, aber sonst nichts sei.“ – „Und wie hast du es am Ende geschafft, frei zu kommen?“ fragte Ruth. „Das war so: Damals verabredeten sich immer regelmäßig die kommunistischen Terroristen vom Sendero Luminoso („Leuchtender Pfad“) bei uns zu ihren Treffen, und da wurde es den beiden auf einmal zu riskant, weil sie fürchteten, dass ich sie verpetzen könnte. Deshalb brachten sie mich zu meinem Onkel Bernardo, der mich gut behandelte und mich in der Schule anmeldete. Doch dann kam Melania immer zur Schule, um mich wieder gegen meinen Willen nach Hause mitzunehmen. Daraufhin brachte mich Bernardo zu meiner Tante Lucila, wo ich mich endlich sicher fühlte. Ich erzählte ihr alles, und sie tröstete mich. Als mein Onkel Luis, also dein Vater, davon erfuhr, war er sehr wütend und nahm mich mit zu ihnen, um sie zur Rede zu stellen. Da Melanias Kinder aber noch klein waren, vereinbarten sie, die Sache nicht anzuzeigen, damit die Kinder nicht ihren Vater verlieren. Mich aber fragte keiner, und ich verstand auch nicht, was sie sagten, da ich noch kein Spanisch konnte. Als wir dann wieder draußen waren, nahm ich einen Stein und warf ihn aus nächster Nähe gegen den Kopf meines Peinigers, so dass er blutete. Da beschimpften mich alle, dass ich angeblich gestört sei, weil sie nicht wussten, was er mir angetan hatte.“ –
„Ja, ich erinnere mich, dass man mir damals von einem Missbrauch erzählte,“ sagte Ruth. „Aber sie sagten, dass du ein Flittchen warst und den Felix verführt habest“ – „Sie behaupten ständig neue Dinge von mir, um den Missbrauch zu vertuschen oder zu verharmlosen. Sie gingen sogar neulich zu meinem Cousin Sixto Ccencho, um ihm zu sagen, dass mein Bruder Abad mich angeblich vergewaltigt hatte. Dieser Psychopath diffamiert mich weiterhin und verletzt meine Würde und mein Selbstwertgefühl. Es gibt viele Dinge, an die ich mich nicht mehr erinnere, aber ich weine ständig, denn der Schaden bleibt mir im Gedächtnis. Ich leide zu sehr und wäre am liebsten tot. Aber als ich gläubig wurde, sagte man mir, dass ich ihnen vergeben und sie sogar segnen solle. Das habe ich dann auch gemacht im Gebet. Vielleicht geht es dieser Familie deshalb so gut bis heute. Aber mir geht es immer noch schlecht und ich denke oft, dass ich von Gott verworfen wurde, weil Er all das zugelassen hat und mich nicht davor bewahrte. Ich habe auch schon versucht, nicht mehr an Gott zu glauben, aber da ging es mir noch viel schlechter. Deshalb halte ich mich weiter am HErrn fest und will auf Seine Gerechtigkeit warten. Immerhin hat Er mir einen Mann und einen Sohn geschenkt, den ich über alles liebe.“
Ich war aufgebracht vor Wut und Empörung: „Nein, Eva, das können wir denen nicht durchgehen lassen, zumal sie ja jetzt auch noch bekennen, gläubig zu sein. Eigentlich hätten sie sich nach ihrer Bekehrung sofort an dich wenden müssen und dich um Vergebung bitten müssen, wenn Gott sie wirklich erneuert hat. Ich werde sie jetzt mal anrufen und von ihnen eine Entschuldigung fordern, denn das ist das Mindeste, was sie für dich tun können!“ Daraufhin wählte ich die Nummer der Cantos und stellte das Telefon auf laut, damit auch Ruth und Eva das Gespräch mithören konnten:
„Hallo Melania, hier ist Simon.“ – „Hallo, lieber Simon! Schön, dass Du anrufst, denn Ihr fliegt ja schon am Mittwochabend, und deshalb wollten wir Euch morgen Mittag zum Abschied zu einem Essen bei uns einladen!“ – „Melania, ich muss dir sagen, dass wir heute Besuch bekommen haben, und zwar von Eva.“ – „Welche Eva?“ – „Deine kleine Schwester“ – „Ach so, die Eva.“ – „Ja, und sie hat uns alles erzählt.“ – „Was denn erzählt?“ – „Du weißt genau was. Sie hat uns ALLES erzählt, was ihr ihr damals angetan habt.“ – „Der Eva dürft ihr aber nichts glauben, denn die lügt doch, sobald sie den Mund aufmacht.“ – „Du solltest das nicht abstreiten, Melania, denn Gott hat alles gesehen. Eva verlangt auch nur eine Entschuldigung von euch.“ – „Ach, Simon, wenn du wüsstest, wie oft wir Eva schon um Vergebung gebeten haben…“ – Ich machte Eva in diesem Moment ein Zeichen mit der Hand – „… und wie oft wir von Eva eine Entschuldigung erbeten haben, aber sie will sich einfach nicht mit uns wieder versöhnen.“ – Eva flüsterte: „Ich soll mich bei denen entschuldigen?! Für was denn?!??“ Ich fuhr fort: „Auf jeden Fall ist es gut, dass wir uns morgen noch einmal sehen, um über alles zu sprechen und Euch die Möglichkeit zur Versöhnung zu geben.“ – Melania wurde unruhig: „Aber ich müsste zuerst mit Felix darüber sprechen, ob er eine solche Aussprache auch will…“ – „Dann frag ihn doch und sag uns heute Abend bescheid, ob es klappt.“ Wir verblieben so.
„Habt ihr das gehört? Sie hat den Missbrauch zugegeben!“ sagte ich, „denn sie sagte ja, dass sie dich schon viele Male um Vergebung gebeten habe.“ – „Das stimmt überhaupt nicht!“ sagte Eva. „Sie hat mich nie dafür um Vergebung gebeten. Stattdessen hat sie es immer abgestritten und hinter meinem Rücken schlecht über mich geredet.“ – „Mag ja sein. Aber sie hat sich jetzt verplappert. Wir sollten von ihr ein vollständiges Bekenntnis fordern und du solltest ihr dann vergeben“ sagte Ruth. Eva war einverstanden. Doch am Abend kam kein Rückruf mehr, so dass ich selbst noch einmal anrief gegen 23:00 Uhr. Diesmal ging Alejandro, der Sohn Melanias, an den Apparat. „Kann ich mal deine Mutter sprechen?“ fragte ich. „Nein, meine Mutter möchte nicht mehr mit dir sprechen. Sie hat mir erzählt, dass du schwere Vorwürfe gegen sie erhoben hast, weil meine Tante Eva Lügen über meine Eltern verbreitet habe. Jetzt sind wir alle sehr enttäuscht von euch, weil ihr Eva mehr glaubt als uns. Deshalb wollen wir mit euch nichts mehr zu tun haben, weil ihr so undankbar zu uns seid nach alldem, was wir für euch getan haben!“ – „Einen Moment mal, Alejandro“ unterbrach ich ihn, „Du weißt doch gar nicht, worum es geht und solltest dich deshalb auch nicht in die Sache einmischen. Wir müssen dringend morgen mit deinen Eltern sprechen, um die Sache aufzuklären. Denn was Eva uns über deine Eltern gesagt hat, ist ein schweres Verbrechen – nicht nur vor Gott, sondern auch vor den Menschen. Hat sie dir gesagt, worum es geht.“ – „Nein, und ich will es auch gar nicht wissen, weil Eva ohnehin immer nur Lügen erzählt über meine Eltern. Deshalb wollen wir nicht, dass sie herkommt.“ – Aufgeregt vor Wut entgegnete ich: „Na gut, dann wirst du es demnächst durch die Zeitung erfahren, was sie der Eva angetan haben!“ Ich legte auf. „Das war jetzt aber nicht gut, was du gesagt hast, Simon“ schimpfte Ruth mit mir. „Du hast ihnen ja jetzt gedroht, zur Polizei zu gehen, aber das wollten wir doch nicht!“ – „Ja, das war dumm von mir. Da hat sich mein altes Fleisch bemerkbar gemacht. Ich war einfach sauer, dass er mich nicht mit Melania sprechen ließ, obwohl er keine Ahnung hat, was passiert war.“ – „Ja, wer weiß, was Melania und Felix ihm erzählt haben, dass er jetzt so feindlich gegen uns gesinnt ist“ sagte Ruth. „Aber wir können ihnen doch einen Brief schreiben und sie darin auffordern, dass sie ihre Schuld bekennen sollen, so wie es in Matth.18:15-17 steht. Denn Eva hat uns zu Zeugen genommen, und wenn sie nicht bereit sind, auf uns zu hören und Buße zu tun, dann müssen wir es der Gemeinde sagen, damit sie von der Gemeinde ausgeschlossen werden, wenn sie es weiterhin abstreiten, aber nicht mit uns sprechen wollen.“
So schrieb ich mit Evas Hilfe einen Anklagebrief gegen sie, in welchem Eva in allen Details darüber berichtete, was sie ihr damals angetan hatten und drohte ihnen, dass wir Evas Klage der Gemeinde sagen würden, wenn sie weiterhin ein versöhnliches Gespräch ablehnen würden. Wir setzten ihnen eine zweiwöchige Frist zur Buße und schickten den Brief am 03.02., am Tag unserer Abreise ab. Wir baten den HErrn für sie, dass Er ihnen doch Buße schenke. Leider erfuhren wir später, dass Melania nun auch ihre Töchter gegen uns in Stellung gebracht hatte, uns als Verräter zu sehen, so dass diese nun auch nicht mehr mit uns reden wollten. Schweren Herzens sandte ich dann eine Kopie des Anklagebriefes von Eva an Bruder Henry Tippner und drückte ihm mein Bedauern aus, dass er nun völlig unschuldig in diesen tragischen Konflikt hineingezogen wurde, da er ja nun gerade eine Tochter von Melania durch meine Vermittlung geheiratet habe. Als Henry den Brief las, war er verständlicherweise sehr erschüttert und teilte mir mit, dass die Eva ihm sehr leidtue. Obwohl er selbst gar keine Schuld hatte, spendete er einen größeren Geldbetrag für Eva, um sie nach Deutschland einzuladen, wies aber zugleich darauf hin, dass sich unsere Wege nun für immer trennen würden, weil er als Ehemann seiner Frau treu sein müsse, die uns ja ablehne.
Unmündige Christen
Als wir Anfang Februar wieder in Deutschland waren, las ich ein paar Emails von Geschwistern aus der FeG, aus der mich Marco gerade hinausgeworfen hatte. Es gab auch zustimmende Reaktionen und sogar Nachbestellungen, aber einige bestellten meinen ersten „Hahnenschrei“ gleich wieder ab, den ich ihnen einen Monat zuvor zugemailt hatte, da ich darin viel zu „gesetzliche“ Ansichten vertreten hätte. Einige aus der Gemeinde warfen mir vor, dass ich meine Kritik öffentlich gemacht hatte, weil ich dadurch den Prediger Marco bloßgestellt hätte. Wenn aber ein Bruder sich in der Öffentlichkeit äußert, dann muss er auch öffentlich Kritik ertragen dürfen. Als Paulus sah, dass Petrus nicht mehr den „geraden Weg nach der Wahrheit des Evangeliums“ lehrte, widersprach er ihm „VOR ALLEN“ (Gal.2:14). Timotheus wurde dazu aufgerufen, sogar Älteste, die Fehler begingen, „VOR ALLEN“ zu überführen, „damit auch die Übrigen Furcht haben“ (1.Tim.5:20). „Denn es ist nichts verdeckt, was nicht aufgedeckt, und verborgen, was nicht kund werden wird.“ (Matth.10:26-27).
Ein junger Lehrer an der Bekenntnisschule namens Thilo Hecker berief sich darauf, dass – selbst wenn die ganze Gemeinde nicht befragt wurde – es doch eine stillschweigende Bevollmächtigung der Ältesten gäbe, die im Namen der Gemeinde Entscheidungen treffen dürften, wie es ja z.B. auch bei den Wahlen von Volksvertretern im Bundestag üblich sei. Ich entgegnete, dass das Mehrheitsprinzip nicht immer im Reich Gottes gelten könne, da die Mehrheit leicht manipulierbar sei, wie man es etwa bei der Abstimmung durch Pilatus sehen kann über die Frage, welcher Gefangene begnadigt werden solle. Denn würde es nach der Mehrheit gehen, dann hätten sämtliche Propheten im Alten Bund von vornherein nicht das Recht auf ihrer Seite, weil sie ja als kleine Minderheit die Sünden der großen Mehrheit des Volkes anprangerten und deshalb verachtet wurden. „Die Korinther durften in ihrer Gesamtheit noch urteilen und haben dies nicht irgendwelchen Führern überlassen. Zudem kannten sie noch die Heilige Schrift und konnten so auch tatsächlich prüfen, ob eine prophetische Kritik biblisch begründet ist oder nicht (1.Kor.14:29). Dazu sind die meisten Brüder […] heute kaum imstande, weil sie die Bibel gar nicht richtig kennen […] Die Geschwister werden in Unmündigkeit gehalten, indem sie weitestgehend zur Untätigkeit verdammt werden als stille Zuschauer einer Bühnenshow. Zudem ist auch der Begriff „Zugehörigkeit“ in der Gemeinde problematisch, denn er impliziert die Abhängigkeit zu einer Partei, der man sowohl angehört als auch hörig ist. Die echte Ekklesia ist aber eine ‚Herausgerufene‘, die nur dem HErrn gehört und nicht irgendeinem Menschen, und deren Glieder nur auf den HErrn hören sollen und nicht auf jene, die die Jünger abziehen hinter sich her.“
Des Weiteren kritisierte ich die Belanglosigkeit der Predigten in der FeG, in welcher es nie um Gehorsam zu den Geboten des HErrn ging, sondern stattdessen immer nur betont wurde: Der HErr liebt dich, Er versteht dich, vertrau Ihm, Er hat schon alles gemacht, du kannst nichts aus dir selbst machen usw. „Wenn der Feldmarschall einer Armee seine Soldaten ständig nur mit solchen Worten einlullen würde, dann bestünde seine Armee am Ende nur noch aus Heulsusen und Weicheiern.“ In diesem Zusammenhang wunderte es mich nicht, dass viele aus der FeG den HErrn Jesus gar nicht mehr mit „HErr“ anriefen, sondern stattdessen immer nur „Jesus“ zu Ihm sagten, was im Grunde eine totale Respektlosigkeit ist, da Er ja nach der Auferstehung von Gott erhöht wurde über alles und einen Namen/Titel bekommen hat, der höher ist als alles, nämlich „HErr Jesus“ (Phil.2:9-11, Joh.13:13). Wer das Wort „HErr Jesus“ nicht spontan über die Lippen kriegt, zeigt damit, dass der HErr noch gar nicht sein/ihr Herr ist, denn sonst hätte der Heilige Geist diese Anrede in ihm/ihr längst bewirkt (1.Kor.12:3). Auch die Dämonen waren nicht in der Lage, den HErrn Jesus als „HErrn“ zu bezeichnen, weil es nicht ihr Herr war (Mk.1:24).
Thilo hielt mich leider für „aufgeblasen und bockig“; ich fühle mich angeblich in meiner „Ehre verletzt“ und sei gegen jede Kritik an mir „immunisiert“. Schließlich haben ja genug Leute aus der Gemeinde nach 1.Kor.14:29 meine Aussagen geprüft und dann verworfen. Eine Begründung hätten sie gar nicht mitliefern müssen, denn das griech. Wort DIA’KRINOo bedeutete lediglich „urteilen“ und nicht „urteilen mit Begründung“. Ich erwiderte ihm, dass Paulus in 1.Kor.14 ja gerade diese Denkfaulheit der Korinther kritisiert, die ebenfalls der Meinung waren, dass man im Gottesdienst auch ohne Auslegungen/Begründungen etwas sagen dürfe, ganz egal, ob der andere es versteht. Dies ist aber nicht nur unnütz, sondern auch lieblos. Wer jedoch seinen Standpunkt begründen muss, macht sich viel mehr Gedanken zu einer kritischen Frage und kann dadurch von eigenen Irrtümern überführt werden. Wer sich jedoch aus Desinteresse einfach gewohnheitsmäßig der Mehrheits-Entscheidung beugt, muss sich damals wie heute vom HErrn den Vorwurf gefallen lassen: „Oh ihr Unverständigen (wörtl. Undenkenden) und trägen Herzens zu glauben alles was die Propheten zuvor geredet haben“ (Luk.24:25). Leider hatte Thilo schließlich keine Lust mehr, den Dialog fortzusetzen und gab meiner Uneinsichtigkeit daran schuld.
Mitte Februar lud mich mein Bruder Patrick wieder zur Männerfreizeit seiner Gemeinde nach Tossens ein. Immer deutlicher merkte ich, wie lau und oberflächlich die heutigen Christen waren, selbst wenn sie noch so schöne Anbetungslieder sangen wie etwa: „Komm und lobe den Herrn“ etc. Als mir Ingo Bröckel wieder die Gelegenheit gab, eine Ansprache zu halten, sagte ich zu den Brüdern: „Ihr Lieben, wir haben eben gerade im Lied behauptet, dass der HErr Jesus für uns eine ‚Majestät‘ sei. Aber trotzdem sind wir alle im Gebet sitzengeblieben, anstatt vor dieser Majestät aufzustehen oder uns hinzuknien, um Ihm dadurch Ehrfurcht zu erweisen. Wir aber glauben, dass wir dies heute nicht mehr tun bräuchten, weil wir eine ganz falsche Vorstellung haben von Gott, die mit der Bibel gar nichts zu tun hat. Deshalb trifft auf uns das Urteil des HErrn Jesus zu: ‚Dieses Volk ehr mich mit den Lippen, sie halten ihr Herz aber weit von mir, indem sie in ihren Gottesdiensten nur menschliche Meinungen beachten!‘“ Als ich mich wieder gesetzt hatte, war es ganz still im Raum. Doch auch in den Tagen danach beteten wieder alle nur im Sitzen.
Da mich Marco van der Velde aus seiner FeG faktisch rausgeworfen und mir sogar Hausverbot erteilt hatte, endete bei uns zuhause automatisch auch der FeG-Hauskreis, so dass Ruth und ich Ausschau hielten nach einer neuen Gemeinde. Zunächst schlossen wir uns einer kleinen Hausgemeinde in Bremen-Findorff an im Hause von Marco Rolfes, der von einem Bruder Gustav Egert und seiner Frau Isolde geleitet wurde. Durch mein Hahnenschrei-Blättchen hatte Gustav jedoch erfahren, dass ich nach 1.Kor.11:1-16 für eine Kopfbedeckung der Frauen beim Gebet sei, sowie gegen das Tragen von Männerkleidung gemäß 5.Mo.22:5 wie z.B. Hosen. Gustav sagte mir, dass „unsere Beziehung zu Jesus nicht davon abhängen dürfe, da es ja nur Äußerlichkeiten“ seien. Zudem sei nach seiner Auffassung die Kopfbedeckung bei Frauen oder das Schweigegebot in 1.Kor.14:33-39 ja nur seine persönliche Meinung bzw. kulturell bedingte Anordnung, aber kein Gebot des HErrn Jesus. Hier widersprach ich ihm und wies auf Luk.10:16 hin: „Wer euch hört, hört mich“, sowie auf 1,Kor.14:37, wo Paulus bestätigt: „Wenn jemand meint (oder in der Meinung anderer scheint), ein Prophet oder geistlicher Christ zu sein, so erkenne er, dass das, was ich euch schreibe, ein Gebot des HErrn ist“. Es gehe also gar nicht darum, ob es „heilsnotwendig“ sei oder aber eine „Nebensache“, wie Gustav behauptete (zumal wir selbst die geringsten Gebote Gottes nicht auflösen dürfen gemäß Mt.5:19), sondern darum, dass wir selbst im Geringsten treu sein sollen (Luk.16:10), um dem HErrn unsere Liebe zu zeigen. Schließlich stehe geschrieben: „Wer da sagt: Ich kenne Ihn, und hält Seine Gebote nicht, ist ein Lügner“ (1.Joh.2:4). Aber selbst jene, die die Kopfbedeckung heute noch immer als biblisch anerkennen, verzichten häufig darauf mit der Begründung, dass sie heute nun einmal nicht mehr zeitgemäß sei und Gott sich mit dem Zustand der Gemeinde inzwischen abgefunden habe. Dabei müssen wir uns an Ihm anpassen und nicht Er an uns. Und wenn etwas für Ihn als Gräuel empfunden wird, sollte es auch uns ein Gräuel sein.
Deutschland den Deutschen?
Nachdem ich mich am 07.05.2014 zum HErrn Jesus zurückbekehrt hatte, hörte ich sofort auf mit der Schwarzarbeit. Dies gefiel einigen meiner Mitarbeiter gar nicht, da sie aufgrund einer Scheidung ihren Unterhaltsverpflichtungen nicht im vollen Maße nachkommen wollten, um – wie sie sagen – „noch etwas mehr vom Leben zu haben“, indem ich ihnen früher im Frühjahr einen Teil ihres Lohnes brutto ausgezahlt hatte. Da ich mich um des Gewissens willen nicht dazu überreden ließ, diese Gewohnheit fortzusetzen, suchten sie sich nun woanders eine Arbeit. Glücklicherweise konnte ich diese Mitarbeiter durch Gläubige ersetzen, z.B. Thomas Kurt aus der Christusgemeinde und Matthias Döpkens, der gerade seinen Meistertitel geschafft hatte. Mit Letzterem verstand ich mich so gut, dass ich ihn zu meinem Nachfolger ernannte und davon träumte, die Firma in zwei oder drei Jahren aufzugeben, um mit meiner Frau nach Peru auszuwandern. Neben meinen Lehrlingen Simeon Berndt und Sven Töbe stellte ich auch Lukas Steudel, Sohn von gläubigen Eltern, als Lehrling ein. Als mir dann auch noch Bartosz und Simeon berichteten, dass sie ihr Leben dem HErrn Jesus übergeben hatten, freute ich mich sehr und dachte, dass über kurz oder lang alle meine Mitarbeiter gläubig werden würden. Dann könnten wir regelmäßig vor der Arbeit beten und hätten ein richtig brüderliches Miteinander in der Firma.
Ende März bekam ich einen Brief von Lothar Gassmann, in welchem er eine Wahlempfehlung für die AfD gab. Dies überraschte mich sehr, denn bis dahin ging ich immer davon aus, dass wir Kinder Gottes uns nicht in die weltliche Politik einmischen dürfen und deshalb am besten gar nicht wählen sollten. Er begründete dies damit, dass die AfD die einzige Partei sei, die gegen Abtreibung und Gender-mainstreaming sei, sowie gegen die ungesteuerte Zuwanderung, aber pro Israel. Auch Norbert Homuth („Glaubensnachrichten“) und Ulrich Skambraks („TOPIC“) schrieben damals von einer geplanten Islamisierung Europas und der Gefahr, dass bald die Scharia eingeführt und eine neue Christenverfolgung beginnen könne. Ich schrieb ihnen, dass wir uns als Fremdlinge und ohne Bürgerrecht auf Erden doch gar kümmern müssten um Deutschland, da es als gottloses Land doch ohnehin dem Untergang geweiht sei. Vielmehr sollten wir die Zuwanderer willkommen heißen und ihnen durch gute Taten die Liebe Gottes und die Überlegenheit des christlichen Glaubens gegenüber dem Islam demonstrieren, zumal die reichen islamischen Länder sich ja scheinbar gar nicht um die Not ihrer Glaubensbrüder kümmern. Skambraks schrieb mir, dass es wirklich einen solchen Plan gäbe, nach der eine „Verschmelzung des nordafrikanischen Raumes und Teile des Nahen Ostens mit Europa vertraglich erfasst“ sei und von den EU-Politikern vorangetrieben werde. „Deine Feststellung, dass wir den Fremdling wie einen Einheimischen annehmen sollen, ist in dieser Verkürzung falsch […] Die biblische Begründung Deiner Freude, dass jetzt so viele Ausländer zu uns kommen (1.Mo.9:27), kann ich nun überhaupt nicht nachvollziehen […] Eine zunehmende Zahl von Gläubigen bewertet die ganze Entwicklung mittlerweile als Gericht Gottes über Deutschland und Europa und nicht als Chance für eine Massenmissionierung.“
Dass die unkontrollierte Einwanderung über kurz oder lang schädigen würde, ist sicherlich richtig. Zu den wenigen, die davon profitierten, gehörte ich selbst, denn dadurch bekam ich ständig neue Arbeiter, die mich kaum etwas kosteten, aber hochmotiviert waren, um einen dauerhaften Arbeitsplatz zu finden. Aus den Maghreb-Staaten kamen ja ständig Jugendliche zu uns, die gar keinen Asylgrund hatten, sondern einfach ein besseres Leben erhofften. Viele behaupteten, viel jünger zu sein und gaben bei der Einreise ein falsches Geburtsdatum an, um als sog. „Unbegleitete Minderjährige“ eine bevorzugte Behandlung zu erfahren. Einer von ihnen war Mohammed Zayri (25) aus Marokko, der sich bei mir mit dem Namen Saíd Bakali vorstellte und angeblich erst 17 J. sei. Er sprach kein Wort Deutsch, war auch nie zur Schule gegangen, hatte aber auf der Straße Spanisch gelernt, so dass wir uns verständigen konnten. Ich nahm ihn zunächst als Praktikanten, und da er sich bewährte, bot ich ihm eine Ausbildung an. Erst dann erzählte er mir die Wahrheit, was aber nichts daran änderte, dass ich ihn einstellte. Nach zwei Jahren brach er die Lehre jedoch ab, da er in der Schule nicht mehr mitkam aufgrund seiner Sprachdefizite und arbeitete danach noch drei Jahre bei mir als Malerhelfer.
Ein anderer Praktikant war Basamba Drammeh (27) aus Gambia, ein sehr strenger Muslim, der mich schon beim Vorstellungsgespräch fragte, ob es in Ordnung sei, wenn er während der Arbeitszeit seine Gebete zu Allah spreche (eine sehr heikle Frage!). Als ich ihn fragte, was für eine merkwürdige Verletzung er auf seiner Stirn habe, erklärte er mir, dass dies eine Hornhaut sei durch sein regelmäßiges Beten. Aufgrund seiner starken Frömmigkeit hatte ich viele Glaubensgespräche mit ihm, in welchen er schon oft kurz davor war, den christlichen Glauben anzunehmen. Aber dann sagte er zu mir: „Ich würde ja gerne Christ werden, aber ich KANN nicht; denn wenn meine Familie davon erfahren würde, dann würde sie mich verstoßen.“
In meinem Facebook-Freundeskreis traf mein Eintreten für die Flüchtlinge bei den Brüdern auf Irritation und Unverständnis. Ich war erschrocken, wie viele Christen Anhänger der AfD waren und z.T. sehr abfällig über Angela Merkel sprachen, die durch ihren Satz „Wir schaffen das“ die Flüchtlinge erst ins Land geholt habe. Viele waren begeistert von Jakob Tscharntke, einem Pastor aus Riedlingen, der in einer seiner Predigten die Kanzlerin als „Handlangerin des Bösen“ bezeichnete, weshalb die Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittelte wegen des Verdachts der Volksverhetzung. Ich entgegnete ihnen, dass gemäß Sprüche 16:10 auch unsere Kanzlerin kein Unrecht tat, sondern eine göttlich bevollmächtigte Entscheidung traf. Sie hatte in einer Befragung ja sogar mal vorgeschlagen, dass die Deutschen mal mehr in der Bibel lesen sollten, um im Dialog mit den Muslimen besser argumentieren zu können. Manche Geschwister entfreundeten mich daraufhin und sahen in mir einen linken Wirrkopf und Provokateur, der die Gefahr einer durch die massiven Geburten ansteigenden Islamisierung in Deutschland nicht sehen würde.
Mir schien im Gegensatz dazu die Hysterie unter den Gläubigen als viel größeres Übel, und ihr Ruf nach einer Partei, die wieder für Ruhe und Frieden im Land sorge. Genauso hatten ja auch Pfarrer wie Wilhelm Goebel aus Wuppertal und Ernst Modersohn aus Bad Blankenburg in dem Führer einen von Gott gesandten Retter Deutschlands gesehen und Wahlempfehlungen für die NSDAP gegeben. Erst später erkannten sie, dass Hitler ein Wolf im Schafsfell war, der die Christen damals wie Donald Trump verführt und instrumentalisiert hatte, um an die Macht zu gelangen. Hitler schrieb einst dem Graf Ludendorff: „Ich denke genauso wie Eure Exzellenz, aber Eure Exzellenz können es sich leisten, Ihren Gegnern vorher anzukündigen, dass Sie sie totschlagen wollen. Ich aber brauche zum Aufbau einer großen politischen Bewegung die Katholiken Bayerns ebenso wie die Protestanten Preußens. Das andere kommt später.“ (K. Scholder, Die Kirche und das 3.Reich, S. 115)
Dem Bruder Lothar Gassmann schrieb ich am 13.03.2016:
„Der Teufel versucht immer wieder aufs Neue, uns die Bereiche der Welt anzubieten, denn das ist das einzige Kapital, dass Gott ihm in der Tat vorübergehend überlassen hat und mit dem er wirtschaften kann. Aufmerksamkeit und Interesse sind jedoch immer gefährliche Vorstufen des Dienstes und der Anbetung. Wenn der HErr Jesus gewollt hätte, hätte Er das jüdische Volk ohne Probleme befreien können von der Vorherrschaft des korrupten und sündhaften römischen Reiches. Aber Er sagte zu Pilatus: ‚Mein Reich ist nicht von dieser Welt‘. Das bedeutet nicht, dass dem HErrn die Welt egal ist, sondern nur, dass wir Ihm nicht ins Handwerk pfuschen sollen durch unsere eigene Beteiligung. Denn es geschieht kein Unglück in der Stadt, dass der HErr nicht gewirkt hätte, und oftmals benutzt Er gottlose Menschen, um Seinen Ratschluss auszuführen.“