Gedanken über Psalm 119
„Die Doppelherzigen hasse ich, und ich liebe Dein Gesetz … Weichet von mir, ihr Übeltäter: ich will die Gebote meines Gottes bewahren.“ (Psalm 119:113+115)
Das Herz ist das Allerheiligste des Menschen. Dort bewahren wir das auf, was uns am Wertvollsten ist (Mat.6:21). Zugleich aber ist das Herz selbst unser kostbarster Besitz, den wir nur EINMAL verschenken können. Wer aber zwei Dinge gleichzeitig liebt, müsste sein Herz aufspalten, um es zweimal wegzugeben. Dies aber erlaubt uns Gott nicht, denn Er will, dass unsere Herzen allein auf Ihn ausgerichtet sind, wie wir das ja schon in den ersten beiden Geboten gesehen haben.
Wenn wir zu den „Doppelherzigen“ gehören, leben wir vor Gott in einem ständigen Zwiespalt, weil wir auf etwas ganz Bestimmtes nicht verzichten wollen. Deshalb haben wir uns einen Trick einfallen lassen, indem wir all das, was wir gerne für uns selbst tun, neu deklariert haben mit einem Etikett: „Für den HErrn!“ bzw. „Im Namen des HErrn!“ Und schon erhoffen wir, dass wir damit durchkommen. Andere Menschen und uns selbst können wir damit vielleicht täuschen, aber nicht Gott, der die Herzen genauestens erforscht. Jedes Mal, wenn ich meine eigenen Wünsche und Ideen mit dem Wort Gottes rechtfertigen möchte, anstatt anders herum aus dem Wort Gottes Handlungsanweisungen für mich abzuleiten, missbrauche ich im Grunde die Bibel und damit auch den HErrn, Seinen Namen, ja alles, wofür Gott steht.
Wenn jemand z.B. seinen Glauben an die Irrtumslosigkeit der Bibel verloren hat, dann täte er gut daran, wenn er dazu stehen würde und seinen Unglauben offen eingesteht. Stattdessen stecken viele Theologen in dem Dilemma, dass sie dann ihre Anstellung als Pastor, Prediger oder Pfarrer verlieren würden und damit auch ihren Lebensunterhalt. Deshalb öffnen sie sich dann für die sog. historisch-kritische Bibelkritik, die davon ausgeht, dass man auch dann noch glauben könne, wenn man die Geschichten der Bibel nicht mehr als historische Tatsachen, sondern als frei erfundene Märchen interpretiert. Hier wird also im Namen des HErrn das Wort Gottes umgedeutet und zu einem Menschenwerk degradiert. Andere Theologen wie Eugen Drewermann haben aus der Bibel ein philosophisch-psychologisches Bastelbuch gemacht, aus welchem sich jeder das zusammenbasteln darf, was ihm gerade gefällt. Angeblich sei die Bibel ja niemals buchstäblich, sondern bereits von ihren Verfassern her schon immer tiefenpsychologisch zu deuten gewesen, nur dass die Menschen dies in 2000 Jahre Kirchengeschichte nicht verstanden hatten und erst jetzt die große Erleuchtung gekommen sei.
Aber auch die Evangelikalen missbrauchen die Heilige Schrift häufig, um ihre eigenen Bedürfnisse damit zu rechtfertigen, indem sie z.B. dem Paulus unterstellen, er würde in 1.Kor.11:1-16 auf kulturelle Gepflogenheiten Rücksicht nehmen, die heute aber nicht mehr erforderlich seien. Andere sind der Meinung, sie könnten auf die Politik Einfluss nehmen, indem sie durch die Verbreitung von YouTube-Videos über das antichristliche Weltreich aufklären und dabei den Schulterschluss suchen mit ungläubigen Corona-Skeptikern, Klima-Leugnern, Reichsbürgern und anderen Verschwörungstheoretikern (2.Chron.19:2, 2.Kor.6:14-18). Als Bürger des himmlischen Königreiches haben wir hier aber keine bleibende Stadt (Hebr.13:13).
„Ich bin verbunden mit allen, die dich fürchten, und die deine Befehle befolgen…
„Lass die sich mir zuwenden, die dich fürchten und die deine Zeugnisse erkennen.“ (Ps.119:63+79)
Der HErr Jesus nennt uns Seine Freunde, wenn wir tun, was auch immer Er uns geboten hat (Joh.15:14). Auf Facebook kann sich heute jeder mit jedem anfreunden, aber der HErr Jesus ist mit Seiner „Freundesliste“ sehr wählerisch.
Nun wird wohl jeder von sich sagen, dass er alles für den HErrn tun würde, bzw. schon für Ihn getan hat. Aber sobald wir dies laut sagen, führt der HErr uns in eine Prüfung wie bei Petrus, damit wir erkennen, dass uns immer noch viel fehlt. Eines der Gebote, dass wir alle täglich mehrfach brechen, steht in Römer 13:8 „Seid niemand irgendetwas schuldig, als nur einander zu lieben; denn wer den anderen liebt, hat das Gesetz erfüllt.“ Eigentlich sind es hier sogar gleich ZWEI schwer erfüllbare Gebote, denn nicht nur die Liebe, sondern auch viele andere Pflichten schulden wir ständig einander. Als Selbständiger trage ich z.B. Verantwortung für meine Kunden und meine Mitarbeiter und bin dadurch ständig nur damit beschäftigt, meinen Verpflichtungen nachzukommen. Das ist bei der Menge an Aufgaben manchmal gar nicht so leicht. Deshalb frage ich mich in jeder ruhigen Minute, ob es noch irgendetwas gibt, dass ich jemandem schuldig bin.
„Bevor ich gedemütigt ward, irrte ich; jetzt aber bewahre ich dein Wort…
Es ist gut für mich, daß ich gedemütigt ward, damit ich deine Satzungen lernte.“ (Ps.119:67+71)
Der HErr züchtigt uns, weil Er uns liebt (Spr.3:11-12). Und selbst dann, wenn wir Seine Zucht nicht gleich verstehen, dürfen wir doch darauf vertrauen, dass Er es nur gut mit uns meint, so wie bei Jakob (1.Mo.32:25) oder wie bei Paulus (2.Kor.12:7). Auch unsere Väter haben uns alle irgendwann mal geschlagen, aber das hat uns nicht etwa – wie die rot-grünen Politiker heute glauben – geschadet, sondern bewirkt, dass wir schneller als sonst die Grenzen unserer Möglichkeiten erlernt haben. „Alle Züchtigung scheint uns zwar für die Gegenwart nicht Freude, sondern Traurigkeit zu sein; nachher aber gibt sie denen, die durch sie geübt sind, die friedvolle Frucht der Gerechtigkeit“ (Hebr.12:11).
Wir können es kaum fassen, aber selbst vom HErrn Jesus lesen wir, dass Er „an dem, was Er litt, den Gehorsam erlernte“ (Hebr.5:8). Nicht etwa, dass Er dem Vater gegenüber je ungehorsam war und deshalb auch gezüchtigt werden musste; sondern Sein Leid bezieht sich hier auf die Mühen und Entbehrungen, die Er auf sich nahm, um stets dem Vater wohlgefällig zu sein. Er ist nie „widerspenstig gewesen, noch je zurückgewichen“ (Jes.50:5), denn Er suchte nie Seinen Willen zu tun, sondern nur den Willen dessen, der Ihn gesandt hat (Joh.5:30). Diese Selbstverleugnung der eigenes Bedürfnisse gipfelte schließlich in Seinem Tode am Kreuz (Phil.2:8).
An Ihm dürfen wir nun täglich, ja stündlich lernen, unsere eigenen Vorlieben zurückzustellen, um wie ein guter Kriegsmann Jesu Christi Entbehrungen auf uns zu nehmen (2.Tim.2:3-4). Jeder von uns hat in irgendeiner Weise ein Kreuz zu tragen. Aber leider wird dieser Leidenskelch heute gerne verleugnet, so wie es auch die Söhne Jakobs taten, weil ihnen nicht mehr bewusst war, dass der HErr ihnen diesen eigentlich in ihr Gepäck gelegt hatte auf ihrer Pilgerschaft (vergl. 1.Mos.44:3-17). Heute wird Krankheit und Leid nur als eine Folge von Sünde gepredigt, nicht aber als etwas, dass Gott einem auferlegen würde. Sicher sollen wir auch immer fragen, ob der HErr uns auf eine Sünde aufmerksam machen will (Spr.3:6); aber uns muss bewusst sein, dass unsere Pilgerreise auf Erden auch ohne diese Züchtigungen natürlicherweise mit Leid und Entbehrung einhergeht (Apg.14:22).
„Gute Einsicht und Erkenntnis lehre mich! Denn ich habe Deinen Geboten geglaubt…
Dein Knecht bin ich; gib mir Einsicht, so werde ich Deine Zeugnisse erkennen.“ (Ps.119:66+125)
Wie oft haben wir in Gesprächen mit anderen Gläubigen über biblische Lehrfragen schon den Satz gehört: „Aber das ist doch EINDEUTIG !“ Auch jetzt gerade wieder sagte eine Schwester im Hauskreis zu mir, als wir uns über die Frage der Geistesgaben stritten: „Aber das steht hier doch ganz klar und ist doch EINDEUTIG!“ Ich erwiderte ihr, dass es gar nicht so „eindeutig“ sein kann, wenn es doch de facto mindestens zwei Deutungen in dieser Streitfrage gibt. Selbstverständlich zielt die Botschaft, die der Heilige Geist uns durch das Wort Gottes mitteilen will, immer nur auf EINE Deutung ab, aber ob diese EINE Deutung auch immer von uns allen so EINDEUTIG verstanden wird, ist eine ganz andere Frage.
Auch in unserer Kommunikation untereinander können oft Missverständnisse entstehen, indem der Hörer einen Satz von mir in den falschen Hals bekommt und sich vielleicht daran verschluckt. Deshalb sollten wir uns nicht immer zu sicher sein in unserer eigenen Verstehensfähigkeit, sondern notfalls noch mal nachfragen. Und genauso verhält es sich auch mit der Heiligen Schrift: Wenn es unter uns Geschwistern zum Streit kommt über eine bestimmte biblische Aussage, dann sollten wir uns aufgrund der Einsicht in unsere menschliche Fehlbarkeit demütigen und gemeinsam beten, dass der HErr hier doch Klarheit geben möge, wo genau der Denkfehler steckt.
In der Wissenschaft gilt, dass Daten nie „für sich sprechen“, sondern gedeutet werden müssen. Und so wie es in der Wissenschaft immer wieder passiert, dass neue Daten eine bisher als zuverlässig geglaubte Hypothese zu Fall bringen können, so soll auch die Wahrnehmung neuer Erkenntnisse aus dem Wort Gottes uns dazu führen, dass wir als sicher geglaubte Standpunkte aufgeben, wenn der Geist Gottes uns von einem Irrtum überführt hat. Der Mikrobiologe Prof. Dr. Scherer schrieb einmal: „Daten werden oft nur dann gewonnen, wenn gezielt nach ihnen gesucht wird. Die Suche nach Daten wird gewöhnlich durch eine vorgegebene Hypothese oder Theorie geleitet… Bestimmte Daten werden der Hypothese bzw. Theorie entsprechend wahrgenommen, andere gelangen gar nicht erst in sein Blickfeld. Der Wissenschaftler steht damit in Gefahr, der Theorie hinderliche Daten auszuschließen oder zu übersehen“ (Evolution – ein kritisches Lehrbuch, S.14).
Und genauso verhält es sich auch bei unserem Verständnis der Heiligen Schrift: Jeder von uns gehört zu einer bestimmten Gruppierung, die ein gemeinsames Verständnis der Bibel miteinander teilt. Deshalb lesen wir die Bibel auch immer mit dieser Brille. Begegnen uns andere Geschwister aus anderen Kreisen, dann machen wir die Erfahrung, dass auch sie uneingeschränkt an die Autorität der Bibel glauben, aber manche Bibelstellen anders deuten als wir und daher zu einem anderen Lehrverständnis gelangt sind, in welchem sie sich in ihrem eigenen Kreis untereinander immer bestärken.
Einheit im Verständnis von Lehrfragen ist uns also nicht automatisch von Gott geschenkt worden, sondern muss erst im gemeinsamen Bibelstudium und demütigem Gebet von Gott errungen werden. Der Psalmist hatte sich durch Seine Treue zu den Geboten Gottes und durch Seine Bereitschaft, Gottes Knecht zu sein, einen Anspruch auf Einsicht und Erkenntnis des Wortes Gottes erworben, so dass Gott ihm diese bereitwillig gewährte. Ein gottseliger Wandel in Demut vor Gott kann auch uns die Zuversicht geben, dass der Geist Gottes uns in alle Wahrheit leiten kann und wird. Unbewusster Stolz und Hochmut können hingegen oftmals die Ursache dafür sein, dass wir in gröbste Irrtümer fallen.
Wenn der HErr uns nicht von unserem Hochmut überführen kann, weil wir Ihm keinen Zugang zu unserem Herzen ermöglichen, kann sich der Hochmut in eine Verstockung verwandeln, so dass wir im Umgang mit anderen Gläubigen unerbittlich und grausam werden bis hin zum Brudermord. Möge doch die Liebe Gottes durch uns fließen, indem wir sie an unsere Geschwister weiterleiten durch die Übung in bedingungslosem Wohlwollen und Geduld miteinander!
„Meine Lippen sollen Dein Lob hervorströmen lassen, wenn Du mich Deine Satzungen gelehrt hast. Meine Zunge soll laut reden von Deinem Wort, denn alle Deine Gebote sind Gerechtigkeit.“ (Ps.119:171-172)
In Jes.57:19 lesen wir: „Die Frucht der Lippen schaffend, spricht der HErr: ‚Friede! Friede den Fernen und den Nahen!‘ und Ich will es heilen“. Der HErr schafft diese „Frucht der Lippen“, d.h. das „Opfer des Lobes“ (Hebr.13:15). ER lässt dieses „Lob hervorströmen“ wie wir oben gelesen haben (Ps.119:171). „Mit jubelnden Lippen wird loben mein Mund, wenn ich Deiner gedenke auf meinem Lager, über Dich sinne in den Nachtwachen“ (Ps.63:5-6).
Die „Frucht“, die wir für den HErrn hervorbringen, besteht also nicht unbedingt allein durch Menschen, die sich durch uns bekehrt haben, sondern auch schon durch das aufrichtige und ehrlich gemeinte Lob, das wir hervorströmen lassen, indem wir uns immer wieder neu bewusst werden, was der HErr Gutes an uns getan hat (Ps.103:2). Dies setzt aber voraus, dass wir stille werden und über die Weisheit Gottes in Seinem Wort und in Seinem Handeln an uns nachdenken.
Und wenn wir als kleine Versammlung zusammenkommen und gemeinsam Gott loben, dann ist das die eigentliche Bestimmung unseres Gottesdienstes. Denn das hebr. Wort für die „Versammlung“, QaHa´L, bedeutet eigentlich „STIMMvereinTE“, also wie eine Herde, die durch die Stimme ihres Hirten vereint wurde und mit EINER vereinten Stimme Sein Lob hervorbringt. Die Versammlung des HErrn ist also im Grunde wie ein Garten, dessen Pflanzen Früchte für den HErrn hervorbringen.
Das erinnert uns an das Hohelied, wo es heißt: „Was dir entsprosst, ist ein Lustgarten von Granaten nebst edlen Früchten, Zyperblumen nebst Narden; Narde und Safran“ (Hoh.4:13). Es sind also ganz unterschiedliche „Früchte“, an denen sich der HErr erfreut, nicht nur Nutzpflanzen, sondern auch solche, die einfach nur einen schönen Duft geben oder ein schönes Aussehen haben.
Um die „Wohlgerüche“ dieses Gartens aber überhaupt bemerkbar zu machen, darf es keine „Windstille“ geben in unserem Leben (Wind = Geist). Wir brauchen sowohl den kalten „Nordwind“ (Ermahnung) als auch den warmen „Südwind“ (Ermunterung): „Wache auf, Nordwind, und komm, Südwind; durchwehe meinen Garten, lass träufeln seine Wohlgerüche! Mein Geliebter komme in Seinen Garten und esse die Ihm köstliche Frucht“ (Hoh.4:16).
Wenn wir bereit werden, den „Nordwind“ in unserem Leben zu ertragen, dann folgt der HErr auch gerne unserer Einladung, in Seinen Garten zu kommen, um die Früchte, die Er in uns gewirkt hat, zu genießen (Hoh.5:1). „Mein Geliebter ist in Seinen Garten hinabgegangen, zu den Würzkrautbeeten, um in den Gärten zu weiden und Lilien zu pflücken“ (Hoh.6:2). Lilien symbolisieren Frömmigkeit, Reinheit, Schönheit und Herrlichkeit in der Bibel (Luk.12:27).
Beim Betrachten der Lilien fällt auf, dass ihre Blüten zunächst verschlossen sind und ihre Schönheit noch lange Zeit verbergen, bis Wind und Regen sie plötzlich über Nacht aufbrechen lassen. Und so wirkt auch der HErr an unseren Herzen, dass erst der Zerrbruch und das Zerschlagensein die verborgene Schönheit der Buße sichtbar werden lässt, die der HErr in uns gewirkt hat. Das Weiden des HErrn „unter den Lilien“ bedeutet demnach, dass der HErr „denen nahe ist denen, die zerbrochenen Herzens sind“ (Ps.34:18).
Doch manchmal kann es passieren, dass eine Gemeinde sich so sehr abgeschottet hat nach außen, dass der HErr feststellen muss: „Ein verschlossener Garten ist meine Schwester, meine Braut, ein verschlossener Born, eine versiegelte Quelle“ (Hoh.4:12). Sich vor den Einflüssen der Welt abzuschirmen ist gut und wichtig, aber wenn der HErr oder einer Seiner Jünger um Einlass bittet, sollte dieser nicht verwehrt werden. Die Braut im Hohelied hatte sich schon ausgezogen und zunächst keine Lust mehr, ihre Füße wieder dreckig zu machen, um ihrem Freund zu öffnen (Hoh.5:2-6). Das ist sehr ernst, denn wir sollen ja den HErrn „suchen, während Er sich finden lässt“ und Ihn „anrufen, während Er nahe ist“ (Jes.55:6). Zudem sollen wir nicht (von der Wahrheit) „entblößt“ erfunden werden, wenn Er kommt. ER steht auch heute an der Gemeindetür vor „Laodizäa“ und klopft an, damit der Einzelne Ihm die Herzenstür auftut (Offb.3:20).
Als die Braut sich dann endlich entschließt, Ihm die Tür zu öffnen, ist Er schon weitergegangen. Da gerät sie außer sich vor Schreck und fängt an, Ihn mitten in der Nacht zu suchen (Hoh.5:6). Das erinnert ein wenig an die törichten Jungfrauen, die nicht bereit waren, als ihr Herr kam. Zum Glück gab es aber noch die „Wächter der Mauern“, welche die Braut schlugen und „verwundeten“, und ihr „den Schleier wegnahmen“ (Vers 7). „Treugemeint sind die Wunden dessen, der liebt“ (Spr.27:6), und erst durch die Hinwegnahme des Schleiers kann man erkennen und von anderen erkannt werden (1.Mo.38:14+19, Jes.22:8, 25:7).
Viele deuten die Braut im Hohelied ja allein auf den Überrest Israels, der ebenso kurz vor der Wiederkunft des HErrn seine „Decke“ verlieren wird, um klar sehen zu können (2.Kor.3:14-16). Tatsächlich bezeichnet aber sowohl der HErr Jesus als auch Paulus die Braut als Gemeinde des HErrn (Mark.2:19, Eph. 5:31–32, 2.Kor.11:2). Diese aber besteht ja sowohl aus Juden, als auch aus Heiden, die gemeinsam in den gleichen Ölbaum eingepfropft wurde, der das Volk Gottes darstellt (Röm.11). Deshalb ist wohl im Hohelied auch von dem „Reigen eines Doppellagers“ die Rede (Hohel.7:1).
„Des Nachts habe ich Deines Namens gedacht… Um Mitternacht stehe ich auf, um Dich zu preisen… Der Morgendämmerung bin ich zuvorgekommen und habe geschrieen… Meine Augen sind den Nachtwachen zuvorgekommen, um zu sinnen über Dein Wort.“ (Ps.119:55+62+147+148)
Wie auffällig oft wird die Nacht in der Bibel erwähnt als Zeit zum Nachsinnen und Beten. Jeder von uns kennt diese unangenehme Erfahrung, wenn man nachts nicht (mehr) schlafen kann. Hiob sagte: „Der Abend dehnt sich hin, und ich werde des Umherwerfens satt bis zur Dämmerung“ (Hi.7:4).
Der Psalmist (wahrscheinlich der HErr Jesus) wusste diese Wachphasen zu nutzen, indem Er sich mit Seinem Vater unterhielt. Der HErr Jesus „verharrte die Nacht im Gebet zu Gott“ (Luk.6:12). Manchmal hat Er sogar laut „geschrien“ und gefleht unter Tränen (Hebr.5:7). Das Leben hier auf Erden ist ja wirklich nicht immer leicht, und jeder kennt dieses Bedürfnis, sich zu Gott zu flüchten in Seinen heiligen Tempel. Deshalb wird von den Knechten des HErrn gesagt, dass sie stehen „im Hause des HErrn in den Nächten“ (Ps.134:1). Um Mitternacht war es, dass Paulus und Silas im Gefängnis Gott Lobsangen, obwohl sie voller Wundstriemen waren am ganzen Körper (Apg.16:25). „Gott gibt Gesänge in der Nacht“ (Hi.35:10). Ein indischer Dichter hat einmal gesagt: „Glaube ist der Vogel, der singt, wenn die Nacht noch dunkel ist“ (Rabindranath Tagore, 1861-1941).
„O dass meine Wege gerichtet wären, um Deine Satzungen zu beobachten … In meinem Herzen habe ich Dein Wort verwahrt, damit ich nicht gegen Dich sündige.“ (Ps.119:5+11)
Am 23.09.2017 war ein Großteil der Christen weltweit in heller Aufregung wegen einer seltenen Sternkonstellation, die in gewisser Weise dem „Zeichen am Himmel“ glich, das in Offb.12:1 beschrieben wird. Einige hatten gehofft, dass dies vielleicht der Tag der Entrückung wäre, ohne zu berücksichtigen, dass dieser nach 2.Thess.2:1-3 erst NACH dem öffentlichen Auftreten des Antichrists geschehen kann. Bemerkenswert ist auch, dass die meisten der vielen Prophetie-Experten, die über den 23.09. gepredigt hatten, nicht den Mut hatten, sich auf irgendein konkretes Ereignis festzulegen, was denn an diesem Tag passieren könne. Und wer es dann doch tat, musste sich am nächsten Tag dann von den anderen anhören: „Bist nicht auch Du einer von denen gewesen, die sagten…“ (vergl. Joh.18:25).
Als Kinder erlaubten wir uns immer den Spaß, den Knopf eines öffentlichen Brandmelders zu drücken, der hinter einer dünnen Scheibe war, weil wir sehen wollten, wie plötzlich die Feuerwehr kam. Wir sind dann jedes Mal schnell weggelaufen. Einmal hatte mich ein Feuerwehrmann aber geschnappt und mich zu meiner Mutter gebracht. Sie schimpfte mit mir und erklärte, dass es gefährlich sei, immer wieder diesen Knopf zu drücken, weil irgendwann mal wirklich ein großes Feuer ausbrechen könnte, und dann würde die Feuerwehr vielleicht nicht mehr kommen, weil sie denken, dass es wieder bloß die Kinder waren, die einen Streich spielen wollten. Genauso verhält es sich aber mit den vielen Fehldeutungen der Prophetie: Irgendwann wird sich keiner mehr bereit machen, wenn der Mitternachtsruf erschallt, weil alle Gläubigen inzwischen „prophetieverdrossen“ sind. Dabei sollte doch das „Verlangen der Seele“ allezeit wach sein, dass unser geliebter HErr bald kommen möge (Jes.26:8-9).
Die Braut des HErrn schläft heute, genauso wie die Braut im Hohelied: „Ich schlief, aber mein Herz wachte“ (Hoh.5:2). Der HErr steht aber draußen vor der Herzenstür und klopft an (Offb.3:20). Hat Er auch am 23.09.17 an unsere Herzenstür geklopft? Haben wir das Klopfen gehört? „Horch! Mein Geliebter!“ Und haben wir gar Sein Rufen vernommen?: „Tue mir auf, meine Schwester, meine Freundin, meine Taube, meine Vollkommene! Denn mein Haupt ist voll Tau, meine Locken voll Tropfen der Nacht“. Und wie reagieren wir nun? Sagen wir jetzt auch zu Ihm: „Ich habe mein Kleid ausgezogen, wie sollte ich es wieder anziehen? Ich habe meine Füße gewaschen, wie sollte ich sie wieder beschmutzen?“ (Hoh.5:3). Heute sagen wir: „Ich habe am Wochenende so viel Büroarbeit zu erledigen, ich werde heute mal keine Traktate verteilen!“ oder „Mir geht’s heute irgendwie nicht so besonders, ich gehe mal lieber nicht in die Versammlung!“ (vergl. Hebr.10:25)
Dabei sehnt sich der HErr nach unserem gemeinsamen Gebet und Lobgesang: „Lass mich deine Gestalt sehen, lass mich deine Stimme hören…“ (Hoh.2:14, 8:13). Wenn uns solche Worte des HErrn in unser Bewusstsein dringen, dann erleben auch wir es: „Mein Inneres ward seinetwegen erregt“ (Hoh.5:3). Dann stand die Braut auf, um ihrem Geliebten zu öffnen, aber sie stellte fest, dass der Geliebte „sich umgewandt hatte und war weitergegangen“ (Hoh.5:5-6). Da geriet die Braut außer sich und erinnerte sich an Seine Worte. Sie suchte Ihn und fand Ihn nicht; sie rief Ihn und Er antwortete ihr nicht (Vers 6). Warum? Weil wir den HErrn suchen sollen, während Er sich finden lässt (Jes.55:6), aber Er lässt sich nicht immer finden!
Während sie verzweifelt nach Ihm Ausschau hielt, wurde sie von den „Wächter der Stadt“ gefunden, aber auch geschlagen und verwundetet (Vers.7). „Treugemeint sind die Wunden dessen, der liebt, und überreichlich des Hassers Küsse“ (Spr.27:6). Die „Wächter der Mauern nahmen mir meinen Schleier weg.“ Wie gut! Denn dieser „Schleier“ hat der Braut die ganze Zeit die klare Sicht genommen (vergl. 2.Kor.3:12-18), sie zugleich aber auch derart verhüllt, dass weder der Bräutigam noch die Welt ihre „Gestalt“ sehen konnte. Ach möge der HErr doch heute solche „Wächter der Mauern“ befähigen, dass sie in den Gemeinden wieder das prophetische Wort verkünden, das nicht nur aus Erbauung und Trost, sondern auch aus Ermahnung besteht (1.Kor.14:3)!
Erst nachdem die Braut ihren „Schleier“ verlor, erkannte sie, wer der HErr Jesus wirklich für sie ist und kommt zur Buße. Sie erkennt auch, dass die „Wächter der Mauern“ es nur gut mit ihr meinten und nennt sie nicht länger „gesetzlich“ oder „werksgerecht“, sondern sieht ein, dass ihr Wächterdienst notwendig war, um die Mauern Zions vor den Einflüssen der Welt zu schützen. Sie bittet die Gläubigen, doch die „kleinen Füchse“ einzufangen (Hoh.2:15), die die Weinberge verderben“ (vergl. 1.Kor.5:7), d.h. jene, die nur „eine Form der Gottseligkeit haben, deren Kraft aber verleugnen“, sich aber dennoch in die Hausgemeinden schleichen, um die Einfältigen abzuziehen hinter sich her (2.Tim.3:5-6). Die „kleinen Füchse“ sind aber auch die „kleinen Sünden“, die wir uns selbst erlaubt und zugestanden haben aus falscher Barmherzigkeit mit uns selbst.
Ja, die Mutter der Braut, das himmlische Jerusalem, hatte viele „Wehen gehabt“ mit ihrer Tochter (Hoh.8:5), bis Christus endlich in ihr „Gestalt angenommen“ (Gal.4:19). Hier sind wir wieder bei der Frau aus Offb.12:1-2, die Geburtswehen hat. Der HErr Jesus verrät uns, wer diese Frau ist in Joh.16:21-22: „Das Weib, wenn sie gebiert, hat Traurigkeit, weil ihre Stunde gekommen ist; wenn sie aber das Kind geboren hat, gedenkt sie nicht mehr der Drangsal, um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt geboren ist. Auch ihr habt jetzt zwar Traurigkeit; aber Ich komme wieder, und euer Herz wird sich freuen, und eure Freude nimmt niemand von euch“. Diese Freude will der Drache uns rauben, die Freude, dass der HErr Jesus wiederkommt, aber es gelingt ihm nicht. Der HErr Jesus ist der „glänzende Morgenstern“, der „aufgeht in unseren Herzen“ (2.Petr.1:19).
Die Braut flieht in die „Wüste“, – wo nichts ist! Absolut nichts, – außer der HErr! Dort versorgt Er uns wie einst Elia am Bache Krith für 1260 Tage, während wir nicht mehr kaufen und verkaufen können (Offb.12:13-17, 1.Kön.17:3-4). Warum aber muss die Gemeinde in die „Wüste“ geführt werden? Warum werden sie nicht einfach schnell entrückt? Die Antwort finden wir in Hosea 2:14 „Siehe, ich werde sie locken und sie in die Wüste führen und ihr zum Herzen reden… und sie wird daselbst singen wie in den Tagen ihrer Jugend…“ D.h. Gottes Volk wird belebt im Glauben, weil es nichts anderes mehr gibt als nur den HErrn, der wieder Zugang hat zu ihrem Herzen, weil sie sich von all dem weltlichen Tand gelöst hat, der sie abhängig machte. Und dann schließlich führt Er sie aus der Drangsal der Wüste hinauf zum Hochzeitsmahl des Lammes: „Wer ist sie, die da heraufkommt, von der Wüste her, sich lehnend auf ihren Geliebten?“ (Hoh. 8:5).
Diese Belebung findet in der Mitte der Drangsalszeit statt (Hab.3:2 Ps.138:7). Belebungen des Volkes Gottes werden in der Heiligen Schrift immer wieder mit einer Geburt verglichen: Als zur Zeit Hiskias das Volk Gottes schon beinahe am Höhepunkt der Belebung angelangt war, traf sie eine schwere Prüfung, als der Sanherib mit seinen Truppen sie bedrohte; dies veranlasste den Hiskia zum Propheten Jesaja zu sagen: „Denn die Kinder sind bis an die Geburt gekommen, aber da ist keine Kraft zum Gebären“ (Jes.37:3). Das Volk Israel wird zwar auch belebt, aber erst nach den 2000 Jahren, zu Beginn des 1000jährigen Reiches (vgl. Hos.6:2 mit 2.Petr.3:8). Und wird es der „Reigen eines Doppellagers“ sein, hebr. Machanaim (Hoh.6:13), nämlich Juda ( = Juden) und aus den Nationen ( = Israel), denn Er hat aus beiden EINES gemacht und „abgebrochen die Zwischenwand der Umzäunung“ (Eph. 2:14). Es sind jene beiden Hölzer, die Hesekiel zusammenbringen sollte, damit sie ihm symbolisch zu EINEM Holz werden sollten in seiner Hand (Hes.37:16-28).
„Neige mein Herz zu Deinen Zeugnissen und nicht zum Gewinn!
Wende meine Augen ab, dass sie Eitles nicht sehen! Belebe mich in Deinen Wegen!“ (Ps.119:36-37)
Auf persönlichen Gewinn zu verzichten, sei es Geld oder Ansehen, steht in völligen Gegensatz zum natürlichen Verhalten eines Menschen, da er ja immer nur auf seinen Vorteil bedacht ist. Der natürliche Mensch kann sich zwar bekehren, weil er gerne ewiges Leben hätte, aber ohne die Erneuerung durch den Heiligen Geit ist er unfähig, seine Zeit, sein Geld und seine Kraft einzig und allein in den Dienst für Gott zu stellen. Denn er sieht ja, dass es sich nicht lohnen würde (zumindest nicht auf Erden), sondern müsste sich gänzlich darauf verlassen, dass Gott seine Werke sieht und ihm eines Tages dafür belohnen wird (Hebr.11:6). Deshalb sagt sich der natürliche Mensch: „Lieber den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach.“
Es gibt ja ein Kinderspiel, die „Reise nach Jerusalem“, bei der die Kinder um einen Stuhlkreis herumgehen, dessen Sitze nach außen gekehrt sind. Vor jeder neuen Runde wird immer wieder ein Stuhl herausgenommen, so dass es beim plötzlichen Verklingen der Musik immer einen gibt, der nicht rechtzeitig einen Sitz ergattert und deshalb ausscheidet. Genauso ist es aber auch im geistlichen Bereich: Wenn der Ruf erschallt: „Siehe der Bräutigam!“, dann bleiben auch viele auf der Strecke, die durch mangelnde Enthaltsamkeit schwerfällig geworden sind, sowohl im Hören als auch im Tun (Hebr.5:11, Jak.1:19). Auf der Reise zum himmlischen Jerusalem schleppen wir Pilger aber auch viel überflüssigen Ballast mit uns herum. Und statt sich diesem zu entledigen, nehmen wir noch immer mehr dazu, so dass wir gar nicht mehr richtig vorankommen im Glaubensleben. Anstatt sich wie Hans im Glück darüber zu freuen, wenn wir der Güter beraubt werden (Hebr.10:34), versuchen wir noch immer, möglichst alle Möglichkeiten dieser Welt mitzunehmen, alles was die Welt so zu bieten hat: eine gute Ausbildung und Karriere, ein Haus mit Garten, ein schönes Auto und jede Menge Hobbies zur Freizeitgestaltung.
Unser HErr Jesus wurde als Baby in eine Futterkrippe gelegt und hatte zeitlebens nicht, wo Er Sein Haupt hinlegen konnte. Dabei war Er als Schöpfer des Universums doch ohne Frage der Reichste von allen Superreichen. Aber Er verzichtete freiwillig auf allen Luxus, damit Er uns ein Beispiel geben konnte, wie wir bescheiden leben könnten. Viele Geschwister betrachten es indes als eine hohe Kunst, trotz ihres Reichtums treu zu bleiben im Glauben, obwohl der HErr Jesus doch gesagt hat, dass es „unmöglich“ sei (Mark.10:27). „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“ (Mt.6:24).
Ja, möge der HErr unsere Herzen zu Seinen Zeugnissen neigen und nicht zur Rendite! Und möge Er unsere Augen abwenden, dass sie nicht auf Vergängliches fixiert sind! Denn alle Annehmlichkeiten dieser Welt sind wie Aschepartikel, die sich nach einem Vulkanausbruch auf alle „Glaubenspflanzen“ legen und sie daran hindern, das Licht des HErrn Jesus zu erfassen und deshalb allmählich eingehen und keine Frucht bringen. Deshalb sollten wir bestrebt sein, wie der Hans im Märchen allmählich alle belastenden Güter einzutauschen und „loslassen“, damit wir „wie ein Adler schweben“ und in Ihm nur leben! Möge der HErr uns dabei helfen!