„Die Nacht ist weit vorgerückt, und der Tag ist nahe.
Laßt uns nun die Werke der Finsternis ablegen
und die Waffen des Lichts anziehen.“

(Röm.13:12)

– „Als ich in Seinem Licht durch das Dunkel wandelte“ Teil 27

„Als ich in Seinem Licht durch das Dunkel wandelte“ Teil 27

Dezember 1992

Im Guerillagebiet von Kolumbien

Ende November wollte ich mit Dr. Rodrigo Escárraga in den Nordosten des Landes reisen, um wieder die Geschwister in Tame und Betoyes zu besuchen. Dieses Urwaldgebiet in der Zone von Arauca war damals das Rückzugsgebiet der kommunistischen Guerillaverbände FARC und ELN, die seit den 60er Jahren gegen die kolumbianische Armee kämpften, um die Macht im Land an sich zu reißen. Zu meiner Verwunderung ging der Flug nach Arauca in einem Militärflugzeug, und fast alle Passagiere waren Soldaten. Neben mich setzte sich ein Sargento (Unteroffizier), der mich freundlich begrüßte und fragte, woher ich käme. Als ich „Deutschland“ sagte, freute er sich sehr und sagte: „Meine Großeltern kommen auch aus Deutschland! Wir sind nämlich Juden und damals aus Deutschland geflohen, als Hitler an die Macht kam.“ Und dann begann er, mir viele unglaubliche Dinge zu erzählen, die ich noch nie gehört hatte: „Wussten Sie, dass sämtliche Führungsköpfe der israelischen Armee am liebsten in Deutschland einmarschieren würden, um sich an den noch verbliebenen Nazis dort zu rächen?“ Und dann erklärte er mir, dass die Europäer alle von den verlorenen 10 Stämmen Israels abstammen würden und dass sämtliche Städte und Länder Europas hebräische Namen hätten (Britain = BeRiTH-AM = „Bundesvolk“, Sachsen = „Isaaks Söhne“ etc.).

Fliegen Sie geschäftlich nach Arauca?“ fragte er mich. „Nein, wir sind Christen, und ich besuche dort Gläubige in Tame und Betoyes.“ – „Ihnen ist aber klar, dass es dort sehr gefährlich ist für einen Gringo wie Sie? Die Guerilla finanziert sich ja vor allen durch die Entführung von Ausländern. Gerade jetzt ist die Lage besonders gefährlich, denn vor einer Woche haben wir einen hochrangigen Führer der ELN verhaftet, Francisco Galán, und die Terroristen haben dafür Rache geschworen.“ – Ich erklärte ihm, dass ich auf Gott vertrauen würde, dass Er mich beschütze, und dass Er es schon mein Leben lang getan habe. „Wussten Sie, dass die kolumbianische Guerilla von einem katholischen Priester gegründet wurde, nämlich Camilo Torres? Und heute ist es schon wieder ein katholischer Priester, der sie anführt, und zwar Manuel Pérez.“ – „Das mag sein, aber das sind keine echten Christen, denn der HErr Jesus sagt ja, dass wir dem Bösen nicht widerstehen sollen, erst recht nicht mit Waffengewalt. Diese Priester haben im Grunde den Glauben verraten.“ – „Vor allem stecken hinter den Kommunisten mächtige Strippenzieher, die unser Land destabilisieren wollen, allen voran ein Hochgradfreimaurer namens Samper Pizano, der die Kommunisten heimlich mit Drogengeldern finanziert. Er und seine Leute arbeiten auch mit den Generälen des Militärs zusammen und wollen die Regierung stürzen, um einen Ex-Guerrillero namens Antonio Navarro Wolff an die Macht zu bringen.“

Als das Flugzeug landete, wurden wir von Bruder Elver abgeholt, der in Tame eine kleine Raststätte hatte, wo wir zu Mittag aßen. Da die Guerilleros kurz zuvor mehrere Strommasten zerstört hatten, gab es weder Strom noch Wasser in Tame, so dass wir uns in einem nahegelegenen Fluss wuschen. Unsere Herberge lag direkt am Ortsende, das von Soldaten bewacht wurde. Am Nachmittag ging ich dann einfach mal zu ihnen rüber, um mich mit ihnen über die Bibel zu unterhalten. Nach und nach kamen immer mehr hinzu, weil sie neugierig waren. Sie erzählten mir von ihren Begegnungen mit den Guerilleros, und dass sie schon einige ihrer Kameraden im Kampf verloren hatten, als sie bei Angriffen auf die Stadt erschossen wurden. Es stellte sich heraus, dass diese extrem jungen Soldaten alle Wehrpflichtige waren, die man nur deshalb in diese gefährliche Gegend abgestellt hatte, weil sie zuvor straffällig wurden oder keine Papiere hatten. Auf meine Frage hin, warum sie den Wehrdienst denn nicht verweigert hätten, erklärten sie mir, dass das in Kolumbien nicht möglich sei, indem ein Verweigerer so lange im Gefängnis sitzen muss bis er aufgibt. Ich erzählte ihnen von der so dringenden Notwendigkeit der Buße und der Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod durch den Glauben an Jesus Christus. Sie fragten mich, ob ich ihnen deutsche Münzen als Souvenir schenken könne. Im Gegenzug schenkte man mir eine Patrone aus einem Maschinengewehr.

Am nächsten Morgen ging ich nach der stillen Zeit wieder zu einem der Wachposten und hatte ein sehr gutes Gespräch mit drei jungen Soldaten. Da sie hier sehr katholisch sind, war es nicht so leicht, ihnen zu erklären, dass ihre Gebete zu Maria und den Heiligen nichts nützen würden. Einer zeigte mir seinen Rosenkranz, den er wie einen Talisman um den Hals trug – im Aberglauben, dass dieser ihn vor dem Bösen beschützen würde. Einem anderen, der besonders kindlich auf meine Worte einging und sehr aufmerksam zuhörte, schenkte ich später eine kleine Taschenbibel, für die er sich sehr bedankte.

Nach dem Frühstück fuhren wir mit dem Jeep in das Dörflein Betoyes, um an diesem Sonntag die Versammlung im Haus von Bruder Rosendo Zubieta zu besuchen (dem Bruder von Gustavo Zubieta aus Barranca). Etwa 60 Geschwister kamen z.T. von weit her aus abgelegenen Urwaldgebieten, „veredas“ genannt, zu denen man nur mit dem Pferd gelangen kann. Hier kennt im Grunde jeder die Guerilleros, aber solange man sie nicht verrät, lassen sie die Geschwister in Ruhe. So verbrachten wir einen höchst erbaulichen Gemeindetag zusammen und aßen dann alle gemeinsam zu Mittag. Nach dem Essen fragte ich Rosendo, ob ich auch einmal reiten dürfe. Er half mir auf den Sattel und ich trabte zunächst eine Runde auf der Koppel. „Was muss ich machen, damit das Pferd auch mal etwas schneller reitet?“ fragte ich. „Kein Problem, das haben wir gleich“, sagte Rosendo und gab dem Pferd einen Schlag mit der Peitsche. Auf einmal ritt es unter mir im schnellen Gelopp über die Weide, dass ich größte Mühe hatte, das Gleichgewicht zu halten. Mir war dieser „Rodeo-Ritt“ fast so, als würde mir jemand permanent einen Tritt in den Hintern geben, und meine einzige Sorge war, dass ich möglichst nicht vom Pferd stürzen möge.

Unterdessen war Dr. Rodrigo wieder damit beschäftigt, die Kranken in der Gemeinde zu behandeln, indem er ihnen u. a. sog. Globuli gab, d.h. winzig kleine Tabletten, die auf der Homöopathie beruhten. Ich hatte ihm bereits gesagt, dass ich überhaupt nichts davon hielt, sondern dies reiner Aberglaube sei. Für mich waren damals überhaupt alle Medikamente aus dem Bösen, da das griechische Wort Pharmakeia ja „Zauberei“ bedeute. Mit Bruder Ralf Schiemann teilte ich die Überzeugung, dass man nicht einerseits für Heilung beten und auf Gott vertrauen könne und dann andererseits auf Ärzte und Medikamente vertrauen könne. Und da ich auf der ganzen Reise nicht ein einziges Mal krank wurde, sah ich als Bestätigung dafür, dass Gott meinen Glauben belohnt hatte.

Am Abend erzählte mir Bruder Rodrigo, dass er sehr unter der Ablehnung seiner Tochter Ana-Isabel leiden würde und bis jetzt noch nicht seine Enkeltochter sehen konnte. Ich fragte ihn nach dem Grund, und er erklärte mir, dass seine Ex-Frau die ganze Familie gegen ihn aufgehetzt habe und man es ihm verübelt hätte, dass er noch einmal neu geheiratet habe. Dabei sei es ja seine Ex-Frau gewesen, die sich von ihm scheiden ließ, ohne dass er darin eingewilligt habe. Und warum sollte er denn nicht neu heiraten dürfen, wo doch der HErr den Ehebruch als Ausnahme für eine Wiederheirat ausdrücklich erlaubt habe. „Aber hatte nicht auch Ihre Tochter vor der Hochzeit in Hurerei gelebt?“ – „Ja, richtig.“ – „Und Ihre Enkeltochter stammt doch gar nicht von Marc Vincent, nicht wahr?“ – „Genau. Sie ist ein Kuckuckskind, und das weiß Marco auch.“ – „Aber dann ist es ja erst recht Heuchelei, wenn sie jetzt von Ihnen verlangt haben, ehelos zu bleiben, wo doch Ihre Tochter selbst nicht enthaltsam lebte!“ – „Ja, aber das wollen sie nicht erkennen. Mir geben sie für alles die Schuld, dabei versuche ich seit Jahren alles, um mich wieder mit meiner Familie auszusöhnen.“ – Mir tat Bruder Rodrigo sehr leid, und ich bot ihm an, Fürsprache für ihn bei Bruder Marc Vincent einzulegen, zumal wir ja befreundet waren.

Als wir wieder zurückwaren in Bogotá, schrieb ich einen Brief an Marco und Ana-Isabel und zeigte ihnen mit vielen Bibelstellen auf, dass ihr Verhalten nicht korrekt sei vor Gott. Anschließend gab ich ihn dem Pepe zum Korrekturlesen. Pepe aber war schockiert: „Nein, Simon, dass kannst Du so nicht schreiben!“ – „Wieso? Was ist denn falsch daran?“ fragte ich. „Dein Brief ist viel zu hart. Den kann kein Mensch ertragen. Hier zum Beispiel schreibst Du: ‚Deine Tochter ist ja gar nicht von dir, sondern von einem fremden Mann, da du ja selbst zeugungsunfähig bist‘. – WIE KANNST DU SO ETWAS SCHREIBEN, Simon!“ – „Wieso? Es stimmt doch. Hat mir Bruder Antonio erzählt.“ – „Ja, aber das schreibt man nicht. Stell dir mal vor, du selbst wärest zeugungsunfähig, und dir würde ein junger Bruder so etwas vorhalten. Das ist GRAUSAM, verstehst du? Selbst meinem schlimmsten Feind würde ich keinen solchen Vorwurf machen.“ – „Ich meinte das gar nicht als Vorwurf, sondern wollte ihn eigentlich nur zum Umdenken einladen. Aber Du hast wohl recht, dass dies etwas unsensibel war – ich werd´s korrigieren. Wir Deutschen sind immer viel zu direkt.“

Ich blieb noch vier weitere Tage in Bogotá und fuhr nachmittags immer mit Bruder Pepe zum Santander-Platz zum Evangelisieren. Pepe konnte sehr gut predigen, und die Leute hörten ihm zu. Vor meiner Weiterreise wollte ich aber unbedingt noch Mareike Schöttelndreyer besuchen, eine Missionarin, die für die Wycliff-Bibelübersetzer arbeitet und sich im Norden Bogotás um eine Volksgruppe kümmert, deren Sprache sie erlernt, um eine Bibelübersetzung für sie zu machen. Ich kannte sie durch die Bibel-Gemeinde Bremen, die immer für sie sammelte. So fuhr ich mit Bruder Pepe zu ihr, und sie lud uns zum Kaffee und Kuchen ein. Sie erzählte uns, dass sie vor vielen Jahren den ZDF-Moderator Peter Hahne zum Glauben führte. „Ich wusste gar nicht, dass Peter Hahne gläubig ist“ sagte ich. „Ja, er ging damals in unsere Jugendstunde. Wir beteten zusammen, und er übergab sein Leben dem HErrn Jesus.“ Während wir uns unterhielten, dachte ich die ganze Zeit: Sie lebt hier in Bogotá in einem schönen Haus, während die meisten Menschen in Armut leben müssen. Das finde ich kein gutes Zeugnis. Warum lebt sie nicht auch in Armut und verteilt die Spenden an die Armen? Während ich heimlich solche Gedanken hegte, sagte Pepe auf einmal: „Liebe Schwester, Sie haben hier eine ganze Menge Advents-Dekoration. Wussten Sie eigentlich, dass das Weihnachtsfest einen heidnischen Ursprung hat?“ – Sie lächelte freundlich und sagte: „Das interessiert mich gar nicht. Ich feiere Weihnachten, weil ich mich über die Geburt Jesu freue.“ – „Aber die Heiden hatten schon lange vor Jesu Geburt das Weihnachtsfest gefeiert, um dadurch der Geburt Nimrods zu gedenken…“ – Milde lächelnd und mit ruhiger Stimme sagte Frau Schöttelndreyer: „Ach, reden Sie doch nicht so einen Unsinn.“ – Ich dachte nur: Auweia! Die typisch deutsche Grausamkeit!

Am nächsten Tag bekam Pepe einen Brief aus London von Stanley Bown. Darin warnte Stanley den Pepe, dass er mich nicht aufnehmen dürfe, da ich eine Irrlehre verbreiten würde. „Simon Poppe gehört nicht mehr zu unserer Gemeinschaft. Er ist ohne die Erlaubnis der deutschen Geschwister nach Südamerika gereist. Sie hatten ihn gewarnt, weil er noch viel zu jung sei, um dem HErrn zu dienen, aber er wollte nicht auf sie hören. Die Leviten durften erst ab dem 30. Lebensjahr für Gott arbeiten…“ Hier unterbrach Pepe und sagte: „An sich hat Bruder Stanley recht, denn auch der HErr Jesus begann Seinen Dienst erst mit 30.“ – „Aber dann dürften Samuel und Stanley inzwischen gar nicht mehr für Gott tätig sein, denn die Leviten wurden mit 50 Jahren bereits wieder ausgemustert (4.Mo.4:47). Und außerdem war auch Jeremia noch sehr jung, als Gott ihn berief (Jer.1:6-7)!“ Pepe beschwichtigte mich: „Ohne Frage hat der HErr dich berufen, Simon, um Seinem Volk hier zu dienen, und ich stehe voll und ganz hinter dem, was du tust. Und wenn sie dich jetzt ausgeschlossen haben, dann halte ich trotzdem zu dir, auch wenn sie mich dann auch rausschmeißen. Aber du solltest ihnen keine Vorwürfe machen, denn sie versuchen nur, ihre berechtigten Interessen zu wahren und ihre Leute vor fremden Einflüssen zu schützen. Das ist völlig legitim. Sieh’s mal so: sie haben sich hier in Südamerika etwas aufgebaut, und darauf können sie zurecht stolz sein. Du und ich hingegen haben noch gar nichts vorzuweisen, deshalb können wir nicht auf Augenhöhe mit ihnen reden. Lass sie doch einfach ihre Herde hüten, und wir bauen uns mit Gottes Hilfe selbst ein eigenes Werk auf durch die Kinderheimarbeit. Wenn sie dann sehen, dass auch wir etwas geschafft haben, dann werden sie auch uns eines Tages achten und respektieren.“

Am Abend vor meiner Weiterreise fiel mir noch etwas ein, was ich beinahe vergessen hatte: „Ach Pepe, ich wollte dich noch fragen, ob du uns noch Eheringe machen könntest. Was würde das bei dir kosten?“ – „Selbstverständlich mache ich Dir die umsonst. Du musst nur den Goldpreis bezahlen. Pro Ring wären das etwa 50 Dollar, also 100 zusammen.“ Dann fuhr ich am selben Abend mit Pepe in seine Werkstatt und schaute ihm dabei zu, wie er innerhalb von etwa einer Stunde zwei Eheringe für Ruth und mich herstellte. Zum Schluss machte er um 1:00 Uhr nachts noch in Windeseile freihändig eine Gravur in die Innenseite der Ringe, wo jeweils der Name von uns beiden und der 30.12.92 als geplanter Tag unserer Hochzeit stand. Ich war schwer beeindruckt von seinem Geschick und bedankte mich von Herzen.


Ohne Benzin in 5000 Meter Höhe

Von Bogotá aus fuhr ich dann 30 Stunden mit dem Bus, bis ich nach Quito gelangte, der Hauptstadt von Ecuador, wo ich wieder bei Luis Gomez, dem Bruder von Pepe, unterkommen konnte. Quito liegt 2700 m über dem Meeresspiegel, weshalb es morgens und abends mit 4 – 10 °C das ganze Jahr über ziemlich kühl im Haus ist (und da es keine Heizungen gibt, sieht man sogar seinen eigenen Atem im Haus). Luis wohnte hier mit seiner Frau und seiner Schwester Marlen und deren Mann außerhalb der Stadt. Mit seinem Schwager hatte er einen kleinen Laden für Kfz-Zubehör. Sie waren zwar alle gläubig, aber lasen nur selten in der Bibel, weshalb sie alle noch ganz am Anfang standen. Bei meinem ersten Besuch hatte ich es mir noch nicht getraut, aber diesmal sagte ich dem Luis frei heraus, dass es Sünde sei, wenn er sich nicht einer der bestehenden Gemeinden in Quito anschlösse (Hebr.10:25-26). Denn ohne Gemeinschaft mit anderen Gläubigen verkümmert der Glaube, und er trug ja schließlich auch eine Verantwortung für seine Kinder. Luis war einsichtig und bat mich um Rat, welche Gemeinde denn infrage käme. Ich nannte ihm die sog. Brüdergemeinden, und zufälligerweise kannte Luis einen amerikanischen Kunden, von dem er wusste, dass er den sog. Geschlossenen Brüdern (Darbysten) angehöre, die es bisher in Südamerika im Grunde so gut wie gar nicht gab. Also besuchten wir Edward Ruler (43), der sich erst vor kurzem in Quito ein Haus gekauft hatte und boten ihm an, gemeinsam eine Brüdergemeinde in Quito zu gründen. Edward war hoch erfreut über diese Führung des HErrn. Ich erklärte ihm, dass auch Luis Bruder Pepe Gomez in Bogotá eine gemeindliche Neuorientierung suche, und Edward erklärte sich bereit, auch den Gemeindebau in Bogotá mitzuübernehmen. Er war genau der richtige Mann dafür.

Am nächsten Tag predigte ich vormittags auf dem großen Platz in Quito, und nach und nach blieben immer mehr Leute stehen, darunter viele Gläubige, die einige ergänzende Zwischenbemerkungen machten. Nach der Predigt gab ich ihnen Gelegenheit, Fragen zu stellen. Nachdem ich einige Fragen beantwortet hatte (z.B. ‚Wo kommen die Menschen nach dem Tod hin‘), fragte mich ein Jugendlicher, wo die Worte vom Schächer am Kreuz geschrieben stünden, die ich in der Predigt erwähnt hatte. Ich fragte ihn, warum er das wissen wolle. Er sagte mir: „Wenn Jesus auf seine Worte hin ihm versprach, dass er noch heute mit Ihm im Paradies sein würde, dann will ich seine Worte nachbeten, damit auch ich ins Paradies komme.“ Ich sagte ihm, dass uns nicht eine gewisse Gebetsformel errettet, sondern allein der aufrichtige Schrei zum HErrn, der aus dem Herzen komme. Dann fragte ich ihn, ob wir zusammen beten wollen, um gemeinsam seinen Wunsch nach Rettung Gott zu bringen. Dann suchten wir ein stilles Plätzchen zum Beten, was aber bei dem Gedränge von Menschen fast unmöglich war. Deshalb beteten wir einfach in einer Nische am Rathaus. Er hieß José Caiza und war 21 Jahre. Dank sei dem HErrn!

Im Anschluss bat ich Luis, ob wir mal gemeinsam einen Bruder aus Deutschland besuchen könnten, der hier in Quito für den christlichen Radiosender HCJB arbeitet. Also fuhren wir am Abend zusammen mit Luis Kindern zu Horst Rosiak, der selbst auch noch kleine Kinder hatte. Horst erzählte mir, dass er für die ganzen deutschstämmigen Aussiedler in den südamerikanischen Ländern ein christliches Radioprogramm gestalte mit Nachrichten und Musik, das weniger evangelistisch sei, sondern mehr der Unterhaltung diene. Wieder kam bei mir Neid auf, weil ich dachte, dass solche angeblichen „Missionare“ wie er oder Mareike Schöttelndreyer sich hier von Spendengeldern ein schönes Leben machen können, ohne wirklich Seelen für Christus zu gewinnen, während ich alles aus eigener Tasche bezahlen muss.

Am nächsten Tag lud mich Bruder Luis ein, mit ihm mal auf den höchsten Berg des Landes zu fahren. Der Vulkan Chimborazo ist mit seinen 6.263 m Höhe im Grunde sogar der höchste Berg der Erde, denn er ist wegen seiner Nähe zum Äquator am weitesten vom Erdmittelpunkt entfernt. Auf dem Weg dorthin erklärte mir Luis, dass man bis zu einer Höhe von etwa 5.000 m mit dem Wagen hochfahren könne, aber dann der Gletscher beginnen würde. Alexander von Humboldt hatte 200 Jahre zuvor schon einmal versucht, den Gipfel zu besteigen, bekam aber dann die gefürchtete Höhenkrankheit („soroche“) und musste umkehren. „Das ist nicht ganz ungefährlich, Bruder Simon, denn da oben ist nur sehr wenig Sauerstoff, so dass man ohnmächtig werden kann! Deshalb müssen wir ordentlich Coca-Blätter kauen, das hilft dagegen.“ Als wir schon auf etwa 4.500 m waren, verwandelte sich die bis dahin noch etwas grüne Vegetation in eine mondartige Geröllwüste. Doch auf einmal kam aus der Motorhaube von Luis Mini-Couper weißer Qualm. Das Kühlwasser hatte sich überhitzt. Zum Glück verlief entlang der Piste ein kleiner Wasser-Rinnsal, so dass wir das Kühlwasser wieder auffüllen konnten. Doch nach einer halben Stunde blieb der Wagen erneut stehen und machte keinen Mucks mehr. Immer wieder versuchte Luis neu zu zünden, aber der Wagen sprang nicht mehr an. „Was könnte der Grund sein?“ fragte ich. „Kein Benzin mehr, ganz einfach!“ – „Aber haben Sie nicht darauf geachtet?“ – „Ging nicht, denn die Tankanzeige ist schon seit langem defekt.“ – „Und was machen wir nun?“ – „Keine Ahnung. Im Umkreis von 20 km ist hier weit und breit keine Tankstelle. Uns bleibt nichts anderes übrig, als den Wagen hier zu lassen und den Berg wieder herabzusteigen. Das kann aber locker 4 Stunden dauern!“ – „Aber vielleicht kommt irgendwann ein Auto hier vorbei…“ – „Da können wir aber lange warten. Denn hier oben kommt absolut niemand vorbei. Ärgerlich! Ich hätte meinen Tank vor der Fahrt noch einmal richtig auffüllen sollen!“ Wir beteten gemeinsam, dass der HErr uns doch aus diesem Dilemma eine Hilfe senden möge.

Es war eine Totenstille. Der Gipfel war wolkenverhangen und es zog allmählich Nebel auf. Doch während die Wolkenschwaden hoch oben vorbeizogen, sah ich einen kleinen weißen Punkt. „Schauen Sie mal, Bruder Luis: Da oben ist etwas!“ – „Ja, das sieht aus wie eine große Satellitenschüssel oder ein Teleskop.“ – „Ja, aber daneben scheint es auch eine kleine Hütte zu geben. Ich klettere da mal rauf und schau, ob dort jemand ist.“ So nahm ich den Kanister, während Luis beim Auto blieb. Der Aufstieg war sehr beschwerlich, und ich musste alle 10 m erst einmal wieder verschnaufen. Die Hütte erschien unerreichbar weit, so dass ich Zweifel hatte, sie zu erreichen. Der Geröllsteinboden gab immer wieder nach, so dass ich über eine Stunde brauchte, bis ich oben angelangt war. Es war tatsächlich eine Satellitenanlage und eine kleine Berghütte von 5 x 5 Metern. Ich klopfte gegen die Tür, und siehe da: zwei Wachmänner, die auf ihren Betten lagen und Karten spielten. Ich fragte sie, ob sie mir Benzin und etwas zu trinken geben könnten. Sie sagten, dass erst in 4 Tagen für sie wieder ein Wagen kommen würde mit Lebensmitteln und dass ihr Vorrat begrenzt sei. Dennoch gaben sie mir 3 Tomaten und füllten Wasser in eine alte Lackdose. Als ich dann gerade hinausging, fing es an, sehr nebelig zu werden. Sie sagten, die Wolken würden jetzt hinabsteigen und es sei zu gefährlich, als Unerfahrener allein hinabzusteigen, denn gerade kürzlich starb ein Bergsteiger, der sich im Nebel verirrt hatte. So stieg ich mit einem der Männer hinab, und wir erreichten nach gut einer halben Stunde den Wagen. Der Mann half uns, den Wagen zu wenden und anzuschieben, um das Gefälle des Berges zu nutzen, den Berg herabzurollen. Und tatsächlich, es ging ziemlich gut, so dass wir nach ca. einer Stunde in ein kleines Dorf kamen, wo es Benzin gab.


Gründung einer Schule und eines Kinderheims in Ecuador

Luis brachte mich nun nach Riobamba, von wo aus wir uns trennten, und ich nach Guayaquil weiterreiste. Die nächste Woche verbrachte ich im Haus der Familie Calvache, wo wir uns nun auch regelmäßig zu den Bibelstunden und missionarischen Einsätzen auf dem Land trafen. Jorge und Landis Calvache hatten wirklich ein Herz für die Armen: Jetzt in der Regenzeit, wo die Felder auf dem Land überschwemmt waren und die Landarbeiter mit ihren Familien zu ihren Verwandten in die Slums von Guayaquil zogen, um in der Großstadt Arbeit zu suchen, brachte der Elektromeister Jorge den Jugendlichen das Elektrohandwerk bei, während Landis den Müttern und Frauen zeigte, wie man Kunstblumen herstellt, um sie auf dem Markt zu verkaufen. Um den Kindern vom Land eine Schulbildung zu ermöglichen, wollten Bruder Nelson Mogollón (60), ein Metallbauer und ehemaliger Lehrer, zusammen mit den beiden Lehrern Abraham Mora (22) und Betty Morales (30) einen regelmäßigen, christlichen Schulunterricht anbieten. Zu diesem Zweck hatten mir die Geschwister aus Deutschland ja auch 6.000,- DM an Spenden mitgegeben, um sie den Geschwistern zu übergeben. Um jedoch den Eindruck von Mauschelei zu vermeiden, bestand ich darauf, dass ich das Geld in Anwesenheit aller Geschwister aus der Hausgemeinde bei den Calvaches übergeben wolle. Im Vorfeld vereinbarten wir, dass sie zunächst nur einen Teil der Spenden bekommen sollten, nämlich 3.000 Dollar, während ich die übrigen 1.800 Dollar unter den bedürftigen Gläubigen in Peru verteilen würde. So kam es, dass eine Versammlung einberufen wurde und ich das Geld unter vielen Augenzeugen dem Nelson Mogollón übergab, indem ich betonte, dass dies nicht von mir sei und sie eines Tages vor Gott Rechenschaft ablegen müssten über die Verwaltung dieser hohen Summe.

Dann hielt Bruder Nelson eine Rede, in welcher er erklärte, dass aufgrund des kürzlichen Raubes ihrer Schultafeln es absolut erforderlich sei, eine richtige Schule zu bauen, wo man die Tafeln und Schulbänke dann auch sicher verschließen könne. Ich wandte ein, dass der Bau einer echten Schule ja weitaus höhere Kosten verursache und ich mir nicht sicher sei, ob ich ihnen regelmäßig Spenden aus Deutschland überweisen könne, um den Bau der Schule fortzusetzen. Nelson jedoch war voller Glauben und Zuversicht, dass der HErr von jetzt an immer wieder die Herzen der Gläubigen anrühren würde, um das Projekt zu vollenden. Ich wollte mich nicht als Kleingläubigen geben, hatte aber schon da ein gewisses Unbehagen. Mit Gottes Hilfe hatten die Geschwister hier aber schon einiges zuvor erreicht: Vor vier Monaten hatte Bruder Jorge eine provisorische Überdachung mit Sitzbänken aus Bambusrohren bauen lassen für 250 DM und auch 2 Tafeln gekauft, die inzwischen leider gestohlen wurden. Eine Schwester, die als Sekretärin arbeitete, hatte einen Stapel Computerpapier besorgt zum Schreiben. Der Unterricht wurde schon seit ca. 6 Monaten erteilt (jeden Samstag ganztägig). Zu meinem Erstaunen stellte ich später fest, dass schon die meisten Kinder lesen gelernt hatten. Neben dem Schulunterricht wurde auch noch regelmäßig Kinderstunde gehalten. Jedes Kind, dass die 27 Bücher des Neuen Testaments der Reihe nach aufzählen konnte oder dass zwei neue Kinder einlud zur Kinderstunde, bekam eine eigene Bibel geschenkt. Der Unterricht wurde bisher an zwei Orten erteilt: in La Vuelta, wo regelmäßig 122 Kinder kamen und in La Seca, wo etwa 25 Kinder unter einer hoch gebauten Holzpfahlhütte Unterricht bekamen.

Am Sonntagabend ging ich zur Hausgemeinde der Familie von Nicolas Ramirez (da Nelson und Jorge vor vier Jahren exkommuniziert wurden, durften sie an dieser Abendmahlsversammlung nicht teilnehmen). Wieder merkte ich diese verdächtige Kälte, die mir von den Brüdern entgegengebracht wurde (waren sie etwa schon tot?). Bruder Ernesto Coronel hatte eine Packung Schwarzbrot aus Deutschland mitgebracht, die er irgendwo herbekommen hatte, um sie den Geschwistern mal zu zeigen. Er war freundlich zu mir, redete aber nur über Belangloses. Nach einer Weile fragte ich, wann es denn losginge, da ja schon die meisten gekommen seien. „Don Simón, Sie werden heute Abend nicht mehr predigen und auch nicht am Abendmahl teilnehmen, denn sie gehören nicht mehr zu unserer Gemeinde. Wir haben von Bruder Samuel Franco aus Argentinien erfahren, dass Sie unsere Abendmahlslehre nicht mehr teilen. Daher sind Sie für uns jetzt kein Bruder mehr, sondern nur noch ein Freund. Wenn Sie wollen, können Sie gerne bei der Bibelstunde dabei sein und zuhören, aber sonst nichts mehr.“ Mir klopfte das Herz, aber ehe ich noch etwas sagen konnte, begann Ernesto den Gottesdienst mit einem Gebet. Anschließend lasen die Geschwister nach ihrer Gewohnheit einen Bibeltext in antiphonaler Wechselweise, d.h. einer las einen Vers und alle anderen den nächsten Vers, jedoch so wenig synchron, dass es ein ohrenbetäubender Krach wurde und man sich kaum noch auf den Inhalt konzentrieren konnte. Als die Versammlung vorbei war, gab mir Ernesto mit einem bösen Lächeln die Kopie eines Briefes von Samuel Franco in die Hand. Es war eine Art Reisebericht, wo er u.a. auch etwas über mich schrieb:

Übersetzung:     „…Am Flughafen hatten wir dann die unangenehme Überraschung, Simon Poppe anzutreffen, welcher uns zuvorkam und vorhatte, das Werk des HErrn in Guatemala zu beunruhigen.

Beklagenswerterweise ist er gekommen, um fremde Lehren zu verbreiten, Menschenlehren, und hat dadurch großes Unbehagen unter den Geschwistern hier verursacht. Zum Beispiel lehrte er:
1.) dass der Gebrauch von gesäuertem Brot und vergorenen Wein beim Abendmahl keine Wichtigkeit habe. Wichtig sei, dass kein Sauerteig in uns sei.
2.) dass Gläubige Wein oder Bier trinken dürfen, da dies keine Sünde sei, indem er ignoriert, was in Sprüche 20: 1 geschrieben steht.
3.) dass ein Gläubiger Sport betreiben könne, da dies keine Sünde sei, und das auch mit Ungläubigen, selbst wenn man dadurch die Zeit nicht auskauft (Eph.5:16).
4.) dass die Frauen ruhig Ohrringe, Ringe und Halsketten tragen dürfen etc.
5.) dass man die Heilige Schrift verschiedenartig auslegen könne – und ähnliche Dinge in diesem Stil.

Wir bedauern dies alles sehr. Er hat sogar den Herrn Jesus beschuldigt, Wein getrunken zu haben.

Simon Poppe wollte eine Spende für die Brüder hier überreichen, die er von Deutschland mitbrachte, aber die Brüder haben diese Spende nicht angenommen, denn wir sprachen mit ihm und fragten ihn ob er mit den Brüdern Daniel Werner und Stanley Bown in Gemeinschaft sei […] Außerdem hat dieser unverschämte, hochmütige Jüngling sich ungelegenerweise das Recht herausgenommen, das Wort zu predigen, ohne sich von den Brüdern hier eine Genehmigung zu erbitten. Die Abweisung von Simon Poppe ist im allgemeinen Einvernehmen mit den Brüdern hier. Wir haben ihm gesagt, dass wir nicht wollen, dass er uns nach El Salvador begleitet, denn wir wollen nicht vermischten Samen säen… (Ende der Übersetzung)

Dieser Bericht war voller falscher Widergaben und Unterstellungen, weshalb ich ihm unverzüglich einen offenen Brief zurückschrieb, in welchem ich seine Falschdarstellungen richtigstellte. Besonders ärgerte mich schon der erste Satz „wir hatten die unangenehme Überraschung“ („sorpresa ingrata“), denn es war weder eine „Überraschung“, noch war sie „unangenehm“ (denn wir hatten uns ja verabredet und uns herzlich umarmt), – es sei denn, dass er nur geheuchelt hatte. Wie konnte ein alter Bruder nur so sehr die Tatsachen verdrehen!? Und die Brüder in Retalhuleu wollten doch sehr gerne meine Spende annehmen, wenn Samuel sie nicht daran gehindert hätte! Wie perfide, dass er es nun so darstellt! Wahrscheinlich hatte er ihnen in Aussicht gestellt, noch viel mehr Geld aus Argentinien zu bekommen und sie dadurch bestochen. Voller Aufregung erklärte ich den Brüdern Jorge und Nelson, was für ein Intrigenspiel hier getrieben wurde, um mich bei den Gläubigen in Südamerika stinkend zu machen. Aber Jorge winkte lächelnd ab: „Was erwarten Sie denn, Bruder Simon! Dieser Samuel ist doch total fleischlich und nur an Macht und Ansehen interessiert. Uns haben sie doch genauso diffamiert. Der HErr sagt: ‚Freuet euch und frohlockt, denn das gleiche taten diese falschen Gläubigen auch den Propheten Gottes zu allen Zeiten.

Ich erklärte den Brüdern meine neue Haltung in Bezug auf die Sektiererei und konnte sie überzeugen. Wir beschlossen von nun an, in die verschiedenen Gemeinden und Denominationen zu gehen, um dadurch die Einheit des Leibes Christi darzustellen und für ein besseres Bibelverständnis zu werben (Apg.18:26, 2.Kor.12:16). Wir begannen gleich am Sonntagmorgen damit und besuchten eine große Freikirche, die sich „Licht der Welt“ nannte. Die Schwestern bedeckten sich hier und saßen von den Brüdern getrennt. Auch benutzen sie keine Instrumente, hatten dafür aber einen Chor. Mein Eindruck war sehr positiv auch wenn ich feststellen musste, dass sie schon einer Sekte angehörten, die ihr Zentrum in Guadalajara, Mexiko hatte. Ein paar Tage später gab es dann ein offizielles Brüdertreffen in der Gemeinde „Licht der Welt“. Wir beschnupperten uns vorsichtig, waren uns aber später immer vertrauter. Mich störte jedoch, dass sie vorne am Eingang ein sechszackiges Hexagramm hatten („Davidstern“) der aus dem Okkultismus stammt und symbolisch die Zahl 666 darstellt. Sie wollten dadurch wohl ihre Verbundenheit zu Israel demonstrieren. Trotzdem wollte ich nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen, so dass unsere erste Annäherung in friedlicher Atmosphäre verlief. Was mich besonders freute, war, dass Sie bereit waren, Korrektur anzunehmen. Sie räumten uns sogar das Recht ein, in Ihrer Versammlung zu predigen. Diesmal wollte ich aber nicht wieder den Fehler machen wie beim letzten Mal in der Pfingstgemeinde, dass ich zuerst über die Dinge rede, die uns trennen (z.B. das Verständnis über Geistesgaben), sondern abwarten, bis solche Themen einmal – vom Heiligen Geist gewirkt – drankamen.

Für den Bau der Schule wandte sich Nelson an einen Glaubensbruder aus La Vuelta, der uns ein 2000 m² großes Grundstück für umgerechnet 1.500 Dollar verkaufen wollte. Es war ein Stück Ackerland, das von vielen Mango- und Tamarindenbäumen umgeben war. Wir wurden uns handelseinig und besiegelten den Kauf. Schließlich sammelten wir das Fallobst ein und hatten am Ende etwa fünf Kisten Mangos, die wir später nach Guayaquil mitnehmen wollten. Dann erzählte mir Bruder Nelson von einem deutschen Priester, der hier ebenso ganz in der Nähe ein Projekt für Kinder und Jugendliche begonnen habe und nun neidisch sei auf uns, weil die Kinder lieber zu unseren Kinderstunden kämen. Es heißt, dass er den Eltern sogar finanzielle Unterstützung angeboten habe, wenn sie ihre Kinder nicht mehr zu uns schicken würden. Dieser merkwürdige Hass der Katholiken auf uns Evangelikale war mir schon zuvor aufgefallen, weil überall in den Dörfern Plakate hingen mit der Aufschrift: „SOMOS CATÓLICOS!“ –„WIR SIND KATHOLIKEN! Wir nehmen keine Evangelischen in unser Haus auf, denn es steht geschrieben: ‚Wenn jemand diese Lehre nicht bringt, den nehmet nicht ins Haus auf und grüßet ihn auch nicht!‘ (2.Joh.11).“ Ich dachte: Diese Feindschaft muss unbedingt aufhören! und bat Nelson, ob wir diesen Priester mal besuchen könnten. So fuhren wir in ein Dorf namens Laurel („Lorber“) und klopften an die Tür der Kapelle. Der Priester Lothar Zargst (53) machte uns die Tür auf und lud uns zu sich in die Stube. Er bot mir gleich das Du an, aber ich blieb lieber beim Sie. Wir unterhielten uns freundlich, verschwiegen ihm aber unser Projekt. Am Ende sagte er nur: „Solange Ihr mich nicht für den leibhaftigen Teufel haltet…“ Bruder Nelson korrigierte ihn lächelnd: „Nein, denn es gibt ja nur einen Teufel. Sie könnten also höchstens einer seiner Diener sein…“

Doch bevor wir wieder aufbrachen, sagte Bruder Apolo Sanchez ganz beiläufig zu Nelson: „Hier in der Nähe gibt es ein neu gebautes Landhaus mit ca. 4 Hektar Grundstück, das zum Verkauf ansteht, weil der Bauherr während der Bauarbeiten gestorben ist. Es soll nur etwa 15 Millionen Sucres* kosten, im Grunde ein Schnäppchen, aber wer hat schon mal eben diese Summe übrig…“ [* = 12.000,- DM]. Hier wurde ich hellhörig und sagte: „Kann ich mir das Haus mal anschauen?“ – „Ja natürlich. Es liegt gleich hier vorne etwa 500 Meter von Laurel entfernt. Wir können ja jetzt auf dem Rückweg mal dort vorbeifahren.“ Als wir dort ankamen, wusste ich sofort, dass ich dieses Haus kaufen sollte. Es war ein zwei-geschössiges Fachwerkhaus, aber noch im Rohbau, und hatte eine Wohnfläche von 270 m². Es war nur von innen verputzt, aber noch nicht von außen. Überdacht war es mit rot gestrichenen Eternit-Platten. Es fehlten auch noch Fenster und Gitter, aber immerhin hatte es zwei schöne Balkone aus Teakholz. Dazu noch ein riesiges Grundstück von 120 x 300 Metern, also insgesamt 36.000 m², auf dem Reis angebaut wurde. Hinten gab es sogar noch einen kleinen See und ein paar Teakbäume. Umrandet war das Grundstück mit wilden Ananaspflanzungen. Und das alles für nur 12.000,- DM! – das ist ja wirklich ein Schnäppchen! dachte ich. Hier könnten Ruth und ich wohnen und die Kinderheimarbeit machen. Bruder Nelson erklärte mir, dass besonders das Grundstück sehr wertvoll sei, weil es etwas höher gelegen und dadurch bei Überschwemmungen nicht gefährdet sei. Derzeit hütete dieser Bruder Apolinario Sanchez das Haus, ein einheimischer Indio, dessen Großfamilie schon seit Jahrzehnten in dieser Gegend wohnt. Ich bat Nelson sich doch mal nach der Witwe zu erkundigen, denn ich wollte das Haus unbedingt kaufen.

Und so geschah es, dass wir die Dame am nächsten Tag besuchten und mit ihr zum Notar fuhren, um einen Kaufvertrag zu schreiben. Zu meiner Verwunderung sollte im Kaufvertrag die Summe von 1.200 Dollar stehen, da sich die Gebühren und Anwaltskosten nach dem Wert des Objektes bemessen würden und man aufgrund der Schummeleien absichtlich diese Gebühren so hoch angesetzt hatte, dass sie bald so teuer waren wie das Objekt selbst. Am Ende würde ich also etwa 20.000,- Dollar bezahlen müssen, was für mich auch noch in Ordnung war, da mein Bausparvertrag inzwischen ja längst zuteilungsreif war und ich in etwa 25.000,- DM bekommen würde. Dem Bruder Nelson Mogollón erteilte ich eine Vollmacht, dass er in meinem Namen die Kaufabwicklung für mich erledigen sollte. Und wenn ich das nächste Mal mit Ruth nach Ecuador käme, würden wir dort einziehen und mit der Kinderheimarbeit beginnen.


Unsere Hochzeit

Ich konnte mein Glück noch gar nicht fassen, dass ich nun Besitzer eines Hauses war! Was würde Ruth wohl dazu sagen? Das Haus sollte mein Hochzeitsgeschenk für sie sein! Ecuador liegt ja auch viel näher an Peru, so dass es leichter sein würde, von dort die Schwiegereltern zu besuchen. Zudem waren ja auch in Ecuador genügend Straßenkinder, so dass wir die Kinderheimarbeit genauso gut dort machen konnten. Und dann war da ja auch noch unser Schulprojekt, das wunderbar dazu passte. Bald würde ich nicht mehr als Malergeselle in Deutschland leben müssen, dachte ich, sondern durfte mit Ruth als Kinderheimleiter in Ecuador arbeiten! Ich dankte dem HErrn für diese wunderbare Führung und freute mich auf meine Zukunft. Als nächstes stand der schönste Tag meines Lebens an, nämlich meine Hochzeit mit Ruth! Als ich am Abend des 20.12. im Busbahnhof von Lima ankam, sah ich Ruth zusammen mit ihrer Cousine Eva Curo (21) mir zuwinken. Wir umarmten uns und fuhren mit dem Taxi nach Matute. Sofort erzählte ich ihr von den Abenteuern auf meiner Reise. Als ich ihr von dem Kauf des Hauses in Ecuador erzählte, war sie alles andere als begeistert, denn sie kannte Bruder Nelson sehr gut und wusste, wie dominant und eigenmächtig er sein konnte. Es würde nicht leicht sein, sich seiner Bevormundung zu entziehen. „Warum hast Du mich nicht vorher gefragt mit dem Hauskauf?!“ – „Weil es eine Überraschung sein sollte…“ – „Na, schöne Überraschung!“ – „Freust Du Dich denn gar nicht, dass wir jetzt ein eigenes Haus haben?“ – „In Deutschland oder Peru wäre es mir viel lieber gewesen!

Nun waren es noch zehn Tage bis zur Hochzeit, und wir hatten noch jede Menge zu erledigen. Zunächst brauchten wir eine Kirche, wo wir heiraten konnten. Die Alianza Cristiana wollte ihre Räumlichkeiten nicht hergeben, zumal wir keine Mitglieder der Gemeinde waren. Also gingen wir zur kleinen Brüdergemeinde, wo Ruth immer zur Jugendstunde hinging. Aber auch Pastor Jauregui wollte uns nicht trauen, da unser Termin für die standesamtliche Trauung erst am 13.01.93 anstand und man eigentlich erst danach kirchlich heiraten dürfe. Also entschieden wir uns kurzerhand, die Hochzeit im Wohnzimmer von Ritas Eltern zu feiern. Ruths Bruder Israel Condori (38) sollte unser Pastor sein, der die Trauung vornimmt. Dann wollten wir Einladungen versenden und bestellten etwa 50 Stück bei der Druckerei. Da ich nur noch etwa 100 Dollar übrighatte, mussten wir eine ganz bescheidene Hochzeit organisieren. Aber zum Glück waren die Freunde und Verwandten von Ruth alle sehr hilfsbereit, bei den Hochzeitsvorbereitungen zu helfen.

Ruth lud vor allem ihre vielen Freundinnen und Kolleginnen aus der Universität ein und sogar auch einen Professor mit seiner Frau. Ich hingegen hatte als Freund nur den Ricardo Pineda (37), aber er wollte nicht kommen, weil er gerade mit der Familie Condori auf Kriegsfuß stand. Leider hatte sich der Streit mit meinem Schwiegervater Luis Condori (72) inzwischen sehr zugespitzt und zur endgültigen Abspaltung der Brüder Ricardo Pineda, Máximo Carmen und Raúl Bendezú geführt, die nun eine eigene Hausgemeinde begonnen hatten. Ricardo zeigte mir Kopien von Briefen, die Luis nach London geschrieben hatte, in welchen er die Brüder bösartig verleumdet hatte, indem er frei erfundene Vorwürfe gegen sie vorbrachte (z.B., dass sie neuerdings den Sabbat halten etc.). Ich war nun auch sehr verunsichert, wie ich damit umgehen sollte, zumal ich sah, dass Ruth ihren Vater liebte und gegen die berechtigten Vorwürfe in Schutz nahm. Ihr Vater war aufgrund seines Alters nicht mehr in der Lage, zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden und glaubte seinen eigenen Wahnvorstellungen. Auf Ruths Drängen hin, tat Luis dann aber im November tatsächlich Buße über seine Verleumdungen – zumindest auf dem Papier – indem er in einem Brief sogar einräumte, dass er „der einzig Schuldige sei in dieser Auseinandersetzung“. Die Brüder Máximo, Raúl und Ricardo nahmen dieses Schuldeingeständnis an und schrieben Luis, dass er nun jederzeit wieder mit ihnen Gemeinschaft haben könne, allerdings nicht mehr in Luis Haus, sondern im Haus von Máximo, wo sich die anderen seither versammelten. Diese Bedingung fasste Luis jedoch gleich wieder als einen Affront auf, sodass er es vorzog, sich auch weiterhin getrennt von ihnen zu versammeln. Schon wieder wetterte er gegen seine „drei Feinde“ und verlangte, dass auch sie Buße tun sollten, nachdem er mit gutem Beispiel vorangegangen sei.

Wir besuchten gemeinsam die armen Schwestern der Versammlung in Collique, um ihnen von den Spendengeldern zu geben. Zu diesem Anlass hatten sie auch viele Verwandte und Bekannte eingeladen, so dass der Raum mit etwa 40 Personen übervoll war. Vor Beginn des Gottesdienstes fragte mich eine Schwester laut vor allen, warum es auf der Welt mehr Frauen als Männer gäbe. Ich sagte dass es wohl ein Gericht Gottes sei wegen der vielen Kriege und dass sich das Verhältnis in der Zukunft noch auf 7 : 1 verschlimmern würde (Jes.4:1). Auf die Frage, warum das so sei, wies ich auf die vorhergehenden Verse in Jes.3:16-26 hin, wo es heißt, dass Gott über den Schmuck und die Eitelkeit der Frauen erzürnt sei. Da auch einige Gäste aus anderen Gemeinden zugegen waren, war diese Erklärung äußerst peinlich für sie, denn hierzulande trugen die meisten gläubigen Frauen Ohrringe und Halsketten. In der Predigt sprach ich über Jak.5:14-16, dass dieses Gebet um Heilung auch heute noch Gültigkeit habe. Und just nach der Predigt beteten wir auch für zwei kranke Schwestern und salbten sie mit Speiseöl im Namen des HErrn.

Unterdessen konnte ich es kaum abwarten, mit Ruth endlich eins zu werden und fragte mich, ob wir denn eigentlich unbedingt noch warten müssten bis zur Hochzeitsnacht: „Schau mal, Ruthi, in Spr.5:18-19 heißt es: ‚Erfreue dich an der Frau deiner Jugend; die liebliche Hindin und anmutige Gämse – ihre Brüste mögen dich berauschen zu aller Zeit, taumle stets in ihrer Liebe‘. Und da heißt es im hebräischen Grundtext sogar: ‚Ihre Liebe möge dich abirren lassen‘…“ – Ruth sprang sofort auf: „Nein, nein, nein! Wir warten damit bis zur Hochzeit, Bruder Simon!“ [„Bruder Simon!“ sagt sie bis heute immer dann, wenn sie den Eindruck hat, dass ich gerade fleischlich sei, um mich aufzuwecken und daran zu erinnern, dass ich geistlich sein müsse].

Und dann kam endlich der große Tag. Ich hatte mir morgens nach dem Duschen den Vollbart abrasiert und ließ nur einen kleinen Schnauzer übrig. Ruth war den ganzen Vormittag mit ihren Freundinnen damit beschäftigt, das Wohnzimmer herzurichten und ihr Hochzeitskleid zurechtzumachen. Gegen 17:00 Uhr kamen dann die ersten Gäste, und als die Feier dann um 19:00 Uhr losging, war der Raum so voll, dass auch noch auf der Veranda Stühle hingestellt werden mussten. Auch die ganze Nachbarschaft war in heller Aufregung und schaute neugierig von den Wohnblöcken. Ein befreundeter Kommilitone von Ruth, Francisco Lopez, war nebenbei christlicher Sänger und trug zunächst ein paar selbstkomponierte Balladen vor. Dann hielt Israel die Predigt, während der kleine Jonatán (6) auf einem Kissen die Schachtel mit den Ringen trug. Und dann gingen Ruth und ich nach vorne und gaben uns gegenseitig unser Eheversprechen, während von überall die Kameralichter blitzten. Gleich im Anschluss des Gottesdienstes folgten dann die typischen Rituale, die ich noch gar nicht kannte, wie etwa das gemeinsame Anschneiden der Torte, die Konfettidusche, das Werfen eines Blumenstraußes in die Menge der Jungfrauen usw. Und dann begann die eigentliche Feier, bei der Ruth und ich Zeugnisse und Lieder vortrugen, während die Gäste sich am kalten Büffet bedienten. Spät am Abend verabschiedeten wir dann die Gäste und fuhren mit einem Taxi in ein Stundenhotel, wo wir die Hochzeitsnacht verbringen sollten. Es gab zwar kein Wasser im Bad, aber wir verbrachten eine wunderschöne Nacht zusammen, indem wir völlig eins wurden. Am nächsten Morgen fuhren wir zurück ins Elternhaus, packten unsere Sachen und reisten dann zu Ruths Bruder nach Ica, wo wir über Silvester unsere Flitterwoche verbringen durften. In dem Wüstendorf Parcona wurden nach alter Tradition zu Silvester Strohpuppen verbrannt. Wir gingen in der Nacht spazieren und dachten an all die Ereignisse, die wir in diesem Jahr mit Gott erleben durften. Was hatte der HErr alles im Jahr 1992 bei uns verändert! Ich dachte an das Gebet von Jakob: „Ich bin zu gering all der Gütigkeiten und all der Treue, die Du an Deinem Knechte erwiesen hast; denn nur mit einem Stab bin ich über diesen Jordan gegangen…“ (1.Mo.32:10) und von nun an, durfte ich zu zweit dem HErrn folgen und erfahren, dass „zwei besser daran sind als einer; denn wenn sie fallen, richtet der andere den anderen wieder auf“ (Pred.4:9).

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