„Die Nacht ist weit vorgerückt, und der Tag ist nahe.
Laßt uns nun die Werke der Finsternis ablegen
und die Waffen des Lichts anziehen.“

(Röm.13:12)

– „Einmal auf dem Schoß Gottes sitzen“ Teil 15, Das Jahr 2005

Januar bis Juni 2005

 Der Firmenkauf

Nachdem der Malermeister Arno Jastrembski (37) zum 31.04.2004 seinen Malereibetrieb abgemeldet und zum 01.01.2005 bei mir angefangen hatte, teilte er mir mit, dass jetzt ein Insolvenzverwalter über sein Firmeneigentum bestellt sei, der einen Käufer suche für die verbliebene Insolvenzmasse. Arno fragte mich, ob ich nicht Interesse hätte, zumal ich seinen Mitsubishi-Transporter und seine gesamten Materialien samt Gerätschaften (inkl. Airless-Gerät) zu einem Schnäppchenpreis von gerade einmal nur 1.500, – € erhalten würde. Da konnte ich natürlich nicht Nein sagen und freute mich, dass sich meine Firma nun nicht nur um zwei wertvolle Mitarbeiter, sondern auch um einen nicht geringen Lagerbestand erweitert hatte. Und nicht nur dies: Arno und André sollten meinen Betrieb auch noch um eine ganze Menge an Knowhow bereichern, so dass nun ein ganz frischer Wind in der Firma wehte. Vieles machten sie ganz anders als wir, aber tendenziell war es eher fortschrittlicher und professioneller, so dass ich mich gerne ihren Vorschlägen und Wünschen fügte. Als wir jedoch Arnos Werksstatt im Steffensweg 37f leerräumen wollten und die Sachen in meine Werkstatt in die Augsburgerstr.23 zu bringen, wurde mir klar, dass für all dies gar kein Platz war. Deshalb entschied ich mich kurzerhand, vorübergehend die Miete für zwei Werkstätten zu bezahlen, bis ich irgendwann demnächst eine größere Werkstatt fände, wo ich alle Dinge unterbringen könnte.

Doch dann trat Arno an mich heran und bot mir auch seine Stammkunden zum Kauf an. Obwohl mir klar war, dass es sich hier nur um einen abstrakten „Wert“ handeln könne, der schwer zu ermitteln sei und für Arno inzwischen sogar völlig wertlos war, war ich gerne bereit, auch für die Übernahme seiner Stammkundschaft noch einmal 1.000, -€ zu bezahlen. Dieser Kauf erwies sich sogar noch als weitaus gewinnträchtiger als das andere, ebenso günstige materielle Paket, wie sich schon bald herausstellen sollte. Denn unter diesen Stammkunden befand sich z.B. eine große Bremer Immobiliengesellschaft, die mir in den drei folgenden Jahren viele Aufträge gab und auch ein Möbelhaus, dass uns regelmäßig mit Aufträgen versorgte. Arno hatte seine früheren Kunden alle angeschrieben und ihnen mitgeteilt, dass von nun an ich ihr Ansprechpartner sei, wenn sie mal wieder etwas gemalt oder gestrichen haben wollen. Tatsächlich reagierten dann auch viele prompt und erbaten Angebote von mir, so dass mein Betrieb sowohl im Umsatz als auch im Gewinn deutlich anstieg.

Nun war es auch an der Zeit, dass ich mir auch mal mehrere Firmenfahrzeuge leisten sollte. Ich kaufte auf einen Schlag drei gebrauchte Combis zu einem durchschnittlichen Preis von 2.000, – € und ließ sie kurz darauf beschriften mit einem von mir entworfenen Logo. Zudem ließ ich auch endlich richtiges Briefpapier drucken mit unserem Logo und dazu Visitenkarten und Stempel. Dann kaufte ich auch T-Shirts für alle meine Mitarbeiter und ließ sie mit unserem Firmenlogo bedrucken. Mein Bruder Patrick bot mir zudem an, eine Internetseite für mich herzustellen, denn er hatte sich während seiner Arbeit als Möbelverkäufer inzwischen über das Internet das Wissen angeeignet, wie man eine Internetseite herstellt. Patrick brachte mir in den Wochen danach auch vieles andere bei, z.B. wie man CDs und DVDs brennt. Von dieser Möglichkeit war ich absolut fasziniert, denn nun brauchte ich einfach nur noch Filme ausleihen und konnte mit einem Trick ihren Kopierschutzumgehen, so dass ich ohne nennenswerte Kosten mir so viele DVDs wie ich wollte brennen konnte. Hier eröffnete sich für mich eine Welt, der ich mich von nun an fast 10 Jahre lang widmete und ihr völlig verfiel, indem ich in einer unersättlichen Sammelleidenschaft jede freie Minute in meiner Freizeit am Brennen und beschriften war. Dass dies eigentlich illegal war, ignorierte ich einfach.

Neid

Anfang Februar rief mich Gabriele Schierenbeck von der Handwerkskammer Bremen an. Sie hatte durch die Redaktion der Deutschen Handwerkszeitung erfahren, dass ich im Dezember zum besten Ausbildungsbetrieb Deutschlands ernannt wurde und hatte nun die Aufgabe bekommen, einen Artikel für die Handwerkszeitung über meine Firma zu schreiben. Wir verabredeten uns zunächst auf einer Baustelle, wo gerade mehrere meiner Mitarbeiter kurz vor der Frühstückspause die Türen in einem Altenheim lackierten. Sie machte ein Foto von meinem Lehrling Peter Schönholz, wie er gerade am Lackieren war, und bat mich dann, ob wir auch mal zu meiner Werkstatt fahren könnten. Dort machte sie noch ein Foto von meinem Umschüler Christian Gärtner, bevor wir dann zu mir nach Hause fuhren. Wir unterhielten uns über meine Firma in freundlicher Atmosphäre und sie machte sich Notizen. Als ich ihr sagte, dass ich durch die Kunstmalerei auf die Idee gekommen sei, Maler zu werden, bat sie mich darum, mal ein Foto zu machen, wie ich gerade an meiner Staffelei ein bereits begonnenes Gemälde male. Dann verabschiedeten wir uns, und kurz darauf erschien ein fast ganzseitiger Artikel über meine Firma mit der Überschrift „Väterlicher Freund und Kapitän“.

Was danach für ein Ansturm von Protest losbrach, erfuhr ich erst viel später von Frau Schierenbeck. Bis dahin wusste ja niemand von den Bremer Handwerksmeisters, dass ich diesen Preis gewonnen hatte, aber auf einmal wussten es alle. Kurz darauf rief der Obermeister der Malerinnung, Arne Plaggenmeier, bei Frau Schierenbeck an und sagte: „Was machst Du bloß für Sachen, Gabi! Du kannst doch nicht einfach einen solchen Artikel über einen Bremer Malermeister schreiben, ohne Dich zuvor mit uns abzustimmen!“ – „Warum hätte ich das tun müssen?“ fragte sie. Er klärte sie auf: „Weißt Du eigentlich, dass dieser Simon Poppe ein Preisdumper und Pfuscher ist, der aus Kostengründen immer nur Lehrlinge und Praktikanten beschäftigt, so dass er uns hier in Bremen die Preise kaputt macht?! Und dass solch einer jetzt auch noch dafür mit einem Preis geehrt wird, ist wirklich der Gipfel der Unverschämtheit! Solchen unkollegialen Kollegen müsste man wirklich mal das Handwerk legen!“ – „Also ich hatte nicht den Eindruck, dass Herr Poppe ein Pfuscher ist. Er kümmert sich wirklich ganz väterlich um seine Lehrlinge, sogar um die der schlimmsten Sorte, ohne dabei rumzuschreien oder seine Autorität hervorzuheben. Rein äußerlich kann man als Außenstehender gar nicht erkennen, wer eigentlich auf seinen Baustellen der Chef ist, denn er hat auch ältere Mitarbeiter.“ – „Trotzdem, Gabi,“ erwiderte Plaggenmeier, „so kann das nicht weiter gehen! Ihr solltet mal dem Poppe auf den Zahn fühlen und prüfen, ob da wirklich alles Gold ist, was glänzt, denn Leute wie Poppe gefährden unser Gewerbe!“

Kurz darauf erhielt ich einen Anruf von Herrn Bröker, den Lehrlingsbeauftragten der Handwerkskammer. Er erklärte mir, dass er im Zuge seines Amtes gerne mal einen Routinebesuch in meiner Firma machen würde, bei welchem er gerne mal mit den Lehrlingen persönlich sprechen würde. Ich lud ihn ein, zu mir nach Hause zu kommen, wo ich dann auch drei meiner Lehrlinge ihm vorstellen würde, und zwar Fadi, Peter und Christian (Ronald war gerade krankgeschrieben). Herr Bröker machte gleich zu Beginn des Gesprächs deutlich, dass er nur mit den Lehrlingen sprechen wollte, nicht aber mit mir; doch konnte er wohl nicht verlangen, dass ich als Hausherr mein Wohnzimmer verlassen möge, weshalb ich die ganze Zeit während der Befragung dabeiblieb. Meine Lehrlinge antworteten souverän und waren alle voll des Lobes über meinen Führungsstil. Wenn ich jedoch mal einen kurzen Zwischenkommentar einwarf, rügte er mich sofort wie einen Schuljungen, dass er die Antwort doch lieber direkt vom Lehrling selbst hören wolle. Am Ende der einstündigen Befragung stand Herr Bröker auf und sagte: „Herr Poppe, nachdem ich mir nun selbst ein Bild von ihren Auszubildenden machen konnte, will ich Ihnen ganz ehrlich mal bekennen, dass es sich nicht um einen Routinebesuch gehandelt hatte, sondern um eine gezielte Überprüfung, von der ich seitens der Malerinnung aufgefordert wurde. Denn es geht das Gerücht rum, dass sie ihre Lehrlinge gar nicht wirklich ausbilden, sondern einfach nur als billige Arbeitskräfte missbrauchen. Ich habe jedoch jetzt im Gespräch mit ihnen den Eindruck gewonnen, dass dies nicht der Fall ist. Ich werde dies in einem Brief an die Malerinnung anerkennend würdigen.“

Der Fall Rüdenauer

Da die Arbeitsmarktreformen der Schröder-Regierung auch in der zweiten Legislaturperiode noch nicht die gewünschte Wirkung zeigten, stellte Schröder die Vertrauensfrage, so dass es zu Neuwahlen und einer Abwählung der rot-grünen Regierungskoalition kam. Während die Firmen in Deutschland über eine schleppende Konjunktur jammerten und die Arbeitslosenzahl inzwischen schon über 5 Millionen angestiegen war, konnte ich mich über mangelnde Aufträge wirklich nicht beklagen. Vielleicht aber war es gerade dieses Verwöhnt-sein, dass mich eitel und übermütig machte und mir den Sinn für ein gesundes Augenmaß allmählich abhandenkommen ließ. In Stresssituationen, wenn Kunden sich nicht mehr fair verhielten, achtete ich häufig nur noch auf meine verletzte Eitelkeit anstatt auf eine nüchterne Verhältnismäßigkeit. Dies wurde nicht nur in einem Streit mit einem älteren Ehepaar deutlich namens Mahlzahn, die sich wegen einer mangelnden Glätte der bereits tapezierten Wand beschwerten und um derer willen ich sogar die Richterin unnötigerweise zwang, sich selbst ein Bild vor Ort zu machen, wobei ich am Ende selbst eingestehen musste, dass ich im Unrecht war. Besonders krass wurde meine übertriebene Unnachgiebigkeit auch im Falle eines Klempnermeisters namens Rüdenauer deutlich, für den wir im März 2005 gearbeitet hatten. Wir hatten zuvor schon öfter für diesen korpulenten Firmenchef gearbeitet, da er mehrere Immobilien besaß. Er hatte sich diesmal im Industriegebiet Bayernstr. ein dreistöckiges Firmengebäude zum Schnäppchenpreis erworben und wollte sich nun im EG sein neues Firmenbüro von uns herrichten lassen, inkl. Verlegung von Auslegeware und PVC-Belägen. Obwohl Herr Rüdenauer einen sehr cholerischen und fast schon proletenhaften Charakter besaß, hatten wir ein freundliches Verhältnis zueinander und duzten uns sogar.

Als ich ihm am Ende die Rechnung in Höhe von 4.537,66 € sandte, überwies er mir nur 4.000, – € mit dem Hinweis, dass sich in einem der Räume das Knickprofil, das wir anstatt einer Fußleiste verwendet hatten, von der Wand gelöst habe. Daraufhin fuhr ich wieder hin und klebte es nochmal mit Pattex nach. Doch Herr Rüdenauer wollte auch nach zwei Monaten immer noch nicht den Restbetrag überweisen, da sich nun auch in einem anderen Raum die Knickleiste an einer Stelle abgelöst hatte. Zudem habe er mitten im Teppich eine größere Schlaufe bzw. einen Knoten gefunden, von dem er fürchtete, dass dieser sich lösen könne. Ich fuhr also wieder hin, klebte auch die kleine Ecke nochmal nach und einigte mich mit Herrn Rüdenauer durch ein schriftliches Versprechen, dass ich im Falle, dass sich der Knoten irgendwann lösen könnte, ihm eine neue Auslegeware verlegen würde. Damit war der Fall für mich erledigt; doch Herr Rüdenauer rief mich schon wieder an und beanstandete, dass eine Fußleiste etwas abstehen würde, weil dort ein Nagel fehle. Ich fuhr also wieder hin, diesmal mit einer „Fertigstellungserklärung“, die er mir unterschreiben solle, doch Herr Rüdenauer war trotz Verabredung selbst nicht da. Beim Annageln der Fußleiste brach mir auch noch eine winzige Ecke der PVC-Oberkante ab. Ich bat. Ich bat Frau Rüdenauer, ob sie anstelle ihres Ehemannes die Abnahme unterschreiben wolle, aber sie behauptete, keine Vollmacht dafür zu haben. Frustriert fuhr ich nach Hause, und wie zu erwarten überwies Herr Rüdenauer auch weiterhin nicht die letzten 537,66 €.

Spätestens an dieser Stelle hätte ich eigentlich aufgeben sollen. Aber mich wurmte, dass er mich trotz meines guten Willens zum Narren hielt, weshalb ich ihn im August eine Mahnung und später einen gerichtlichen Mahnbescheid sandte. Doch nun listete Herr Rüdenauer eine ganze Menge neuer Reklamationen auf, die er noch gefunden hatte und erklärte den Einbehalt deshalb für gerechtfertigt. Unweigerlich wurde aus dieser Lappalie nun trotz des geringen Streitwerts ein Fall fürs Gericht. Zu allem Unglück war die zuständige Richterin auch noch neu und unerfahren, so dass sie zur Klärung des Sachverhalts den Gutachter Harmsen bestellte. Da ich diesen ja noch aus dem Streitfall Haferkamp kannte, war ich mir sicher, dass dieser mir wohlgesonnen sei und die Behauptungen von Herrn Rüdenauer für nichtig erklären würde. Doch Harmsen war gezwungen, auch jede noch so lächerliche Mängelrüge zu würdigen, ja sogar mit einem Schichtdickenmessgerät zu verifizieren, dass wir einen Lagerraum tatsächlich zweimal streichen mussten, anstatt – wie vom Kunden fälschlich behauptet – nur einmal gestrichen hätten. Allein das Gutachten, dass mir immerhin zur Hälfte Recht zusprach, kostete beinahe genauso viel wie der Streitwert an sich! Wenn man dann noch die ganzen Rechtsanwalts- und Gerichtskosten hinzunimmt, lohnte sich der ganze Aufwand erst recht nicht mehr.

Doch in der Verhandlung wurde der Streit noch mehr aufgebauscht: Herr Rüdenauer hatte z.B. behauptet, dass in der ersten Position meiner Rechnung die pauschal 100,- € für „Abdecken und Abkleben angrenzender Bauteile, Abdecken der Fußböden sowie Entsorgung der Baustellenabfälle“ nicht gerechtfertigt seien, da an den Fenstern nicht abgeklebt, sondern nur mit dem Pinsel entlanggestrichen wurde (im Malerdeutsch „beschnitten“). Außerdem seien die Fußböden nicht mit Pappe abgeklebt worden, sondern nur mit losen Abdeckvliesen geschützt worden. Um dies zu bestätigen, hatte Herr Rüdenauer eigens seinen Sohn als Zeugen geladen (dessen Auslagen als Zeuge wahrscheinlich auch schon den Wert der 100,- € entsprachen!). Die junge Richterin wandte sich also zu mir und sagte, dass doch damit geklärt sei, dass die 100,- € gar nicht gerechtfertigt seien. Da platzte mir der Kragen und ich erwiderte: „Zum einen stellt das Abkleben von Rändern keinen Wert an sich dar für den Kunden, sondern es handelt sich hier um einen Aufwand, der allein den Maler unterstützen soll bei seiner Hauptaufgabe, nämlich dem Streichen der Wände. Wenn der Maler sich jedoch entscheidet, auf das Abkleben zu verzichten und stattdessen alles mit dem Pinsel beschneidet, hat er dadurch nicht weniger Aufwand, sondern tendenziell eher sogar einen höheren. Zum anderen sind Sie bisher nur auf das Abdecken eingegangen, aber im zweiten Teil dieser Position geht es um die Entsorgung der gesamten Baustellenabfälle wie z.B. Teppichreste oder leere Eimer usw. Theoretisch müsste man mir doch wenigstens diesen Anteil vom Pauschalpreis zuerkennen, der sich jedoch nicht so genau ermitteln lässt. Ich verstehe ohnehin nicht, warum Sie sich vom Beklagten überhaupt auf solch ein Zerpflücken der einzelnen Positionen einlassen und nicht erkennen wollen, dass all seine vielen Mängelrügen nur fadenscheinig sind, um den restlichen Werklohn nicht zahlen zu müssen. Dass wir hier überhaupt so lange über solche kleinen Eurobeträge verhandeln ist einfach lächerlich! In der gleichen Zeit hätte man durch reguläres Arbeiten schon längst das Doppelte verdient!“

Die Richterin ließ sich diese Kritik an ihrem dilettantischen Vorgehen jedoch nicht gefallen: „Herr Poppe, darf ich Sie daran erinnern, dass SIE selbst es doch waren, der diesen ganzen Prozess überhaupt angestoßen hat. Wenn Sie es also als Zeitverschwendung betrachten, dass wir uns hier so ausführlich mit den einzelnen Vorträgen befassen, dann frage ich mich, warum Sie nicht von vornherein auf diesen Rechtsstreit verzichtet haben.“ Darauf entgegnete ich: „Man hätte dieses Verfahren allerdings auch gerade im Hinblick auf seinen geringen Streitwert abkürzen können im Interesse beider Parteien und nicht erst noch durch ein Gutachten unsinnigerweise künstlich aufblähen brauchen, zumal die Kosten für das Gutachten fast genauso hoch sind wie der Streitwert. Aber das war nicht MEIN Wunsch, sondern IHRE Entscheidung!“ Nun wurde die Richterin richtig wütend: „Können Sie mir mal erklären, Herr Poppe, wie ich in dieser verfahrenen Situation anders zu einer Entscheidung hätte kommen können, in welcher es ausschließlich um fachliche Ermessensfragen geht? Sie haben doch alle Mängelrügen des Beklagten kategorisch geleugnet, anstatt Zugeständnisse zu machen, um zu einem einvernehmlichen Vergleich zu kommen. Dadurch haben Sie mich gezwungen, fachlichen Rat einzuholen!“ Auf diese gut begründete Rechtfertigung vermochte ich nichts zu entgegnen.

Es kam dann wie erwartet zu einem Vergleich, bei dem mir nur noch ein geringer Anteil meiner Forderung zuerkannt wurde, ich aber fast alle Kosten des Verfahrens zu tragen hatte. Als wir aus dem Gerichtssaal hinausgingen, folgte Herr Rüdenauer mir und meinem Anwalt, indem er mich lauthals und triumphierend auf dem Flur verhöhnte und mir ankündigte, dass er nun alle Hebel in Gang setzen wolle, um mich bei seinen Kunden und Handwerkerkollegen schlecht zu machen. Ich drehte mich zu ihm um und warnte ihn, dass er sich dann aber vor einer Anzeige wegen Rufschädigung hüten müsse. Darauf polterte er noch lauter in seiner primitiven und proletenhaften Art, dass er mich „fertig machen“ würde, etc. Ich beschleunigte indes schweigend und herzklopfend diesen Spießrutenlauf und wollte nur noch so schnell wie möglich weg.

Inzwischen war der Sommer gekommen, und zuhause durften wir plötzlich eine freudige Überraschung erleben. Und zwar hatten wir ein Jahr zuvor zwei Chihuahua-Welpen gekauft, ein Weibchen (Daisy) aus Bargteheide bei Hamburg und einen Rüden (Charly) aus Bremen. Nachdem Daisy allmählich nach über einem Jahr ins gebärfähige Alter gekommen war, hatten wir im Frühjahr 2005 mit unseren Freunden eine Art „Hundehochzeit“ gefeiert, bei welcher Daisy ein von Ruth genähtes Hochzeitskleid bekam und ich für Charly eine Art schwarzen Wrack mit Zylinder gebastelt hatte, um schöne Hochzeitsfotos mit den beiden zu machen. Danach durften sie dann erst – während Daisys Läufigkeit – ihre „Flitterwochen“ gemeinsam bei uns verbringen, und nach etwa zwei Monaten war Daisy trächtig und warf insgesamt 5 Welpen, drei Männchen und zwei Weibchen, von der wir eine (Susi) unserer Freundin Raquel schenkten (für ihre Tochter Jasmin) und das andere Weibchen (Chini) selbst behielten. Die männlichen Welpen verkauften wir an Interessenten, so dass wir für den Erlös (400,-/Stk) schon bald die Kosten für die beiden Chihuahua-Eltern wieder erstattet bekamen.

Knapp ein halbes Jahr, nachdem mein Meisterkollege Arno Jastrembski bei mir angefangen hatte, erkrankte Arno am 06.06.05 an der Leber (Gelbsucht). Da er schwer übergewichtig war und der Arzt ihm eine Diät verordnet hatte, machte ich mit Arno am Telefon eine Wette, wer es wohl von uns beiden schaffen würde, als erster 5 Kilo abzunehmen. Doch schon eine Woche später rief mich der Vater von Arno an und sagte, dass man seinen Sohn bewusstlos in der Wohnung gefunden habe und er nun im Hubschrauber in die MH nach Hannover geflogen wurde, da er unverzüglich eine neue Leber brauche. Mit tränenerstickter Stimme sagte sein Vater: „Arno schwebt in Lebensgefahr! Er wäre beinahe gestorben, wenn man ihn nicht gerade noch rechtzeitig gefunden hätte!“ Ich tröstete ihn und versicherte ihm, dass schon alles gut werden würde. Tatsächlich überstand Arno die OP, durfte jedoch nicht mehr im Malerberuf arbeiten, weshalb er eine Umschulung zum Farbenverkäufer machte. Als Ersatz für Arno stellte ich nun Andrey Tschernyaschuk als Vollzeitkraft ein, denn bisher hatte er nur auf 400,-Euro-Basis bei mir gearbeitet. Da er die gleiche Leistung brachte wie die anderen Gesellen, zahlte ich ihm als Ungelernten auch denselben Std-Lohn von damals 13,27 €.

 

Juli bis Dezember 2005

Unbändige Lehrlinge

An einem Freitagvormittag sagte Patrick Mücher während der Arbeit zu mir: „Simon, weißt Du, dass beim Mitsubishi-Transporter das rechte Blinklicht nicht geht?“ – „Ja, das habe ich auch schon bemerkt“, sagte ich, „da muss ich mich nächste Woche mal drum kümmern“. – „Wenn Du willst, kann ich das erledigen“ bot sich Patrick an. Ich aber lehnte ab: „Du hast doch noch immer keinen neuen Führerschein!“ – „Na und? Du hast mich doch schon öfter mal fahren lassen, obwohl Du weißt, dass sie mir den Lappen abgenommen haben!“ – „Ja, aber nur in Notfällen. Das hier aber ist kein Notfall. Außerdem bist Du nur ein Schnacker, denn letztens hast Du schon mal Deine Hilfe angeboten, als es um den Dachgepäckträger ging, aber bis heute hast Du nichts gemacht. Nimm Dir aber mal ein Beispiel an Peter: Er hat mir letztens eine Rechnung vorgelegt, dass er am Opel Astra das Bremslicht auswechseln ließ. Er redet also nicht nur, sondern er macht einfach! Das nenne ich vorbildlich.“ – Hätte ich das bloß nicht gesagt, denn offensichtlich nahm Patrick diesen Vorwurf nun seinerseits als Aufforderung zum Handeln auf, obwohl ich ihm doch klar zu verstehen gab, dass er den Wagen nicht fahren sollte.

Am Samstagmorgen um 8.30 Uhr rief mich plötzlich die Polizei an: „Guten Morgen, Herr Poppe, hier ist das Polizeirevier Hude. Sagen Sie mal, Sie haben doch einen Mitsubishi-Transporter. Wissen Sie eigentlich, wo der gerade sich befindet?“ – „Ja. Ich nehme doch mal an in der Augsburgerstr. in Bremen-Findorff, wo meine Werkstatt ist, nicht wahr?“ fragte ich. „Nein, dort steht er nicht, sondern er befindet sich gerade in Bookholzberg am Straßenrand, und zwar ausgebrannt…“ – „AUSGEBRANNT?!! Wie kommt das denn??!“ rief ich aufgeregt. Doch in diesem Moment konnte ich mir die Frage schon selbst beantworten, denn mir fiel ein, dass Patrick ja seit kurzem in Bookholzberg wohnt. Ich erklärte also dem Beamten, dass sich mein Lehrling wohl unerlaubterweise meinen Firmenwagen ausgeliehen habe, weil er etwas reparieren lassen wollte. Der Polizist fragte mich, ob ich ihn anzeigen wolle, aber ich verzichtete darauf. Später erfuhr ich dann die Details, was an diesem Freitagabend passiert war: Patrick hatte sich nach der Arbeit tatsächlich meinen Transporter genommen und ist damit nach Haus gefahren. Nachdem er das Licht ausgewechselt hatte, ist er dann abends mit seiner Freundin zur Disco gefahren und hat den Transporter dann in der Nacht am Straßenrand abgestellt. Er hatte aber wohl nicht bemerkt, dass es zufällig einen Schwelbrand im Kabelbaum gegeben hatte, der u.a. die Elektronik der Kupplung zerstört hatte. Da der Wagen auf einer Straße mit Gefälle geparkt war, löste sich auf einmal der Bremsmechanismus, und der Transporter rollte ungebremst die Straße herunter, bis er auf einen anderen parkenden Pkw krachte. Durch den Schwelbrand war nun im Inneren des Wagens giftiges Kohlenmonoxid entstanden. Als man später dann den Wagen mit Gewalt öffnete, kam es deshalb zu einer Rauchgasexplosion, wodurch beim Transporter ein Totalschaden entstand. Ein Gutachter stellte dann die Ursache fest und entlastete Patrick insofern von einem schuldhaften Verhalten. Die Fremdschäden wurden dann von meiner Kfz-Versicherung beglichen, aber da ich keine Kaskoversicherung hatte, wurde mir der Totalschaden am Transporter nicht erstattet.

Ich sprach also mit Patrick und sagte: „Normalerweise würde jeder Chef Dich spätestens jetzt sofort kündigen und Dich nie wieder einstellen nach all dem Ärger, den Du mir schon bereitet hast. Aber wenn ich Dich jetzt kündigen würde, dann würde ich nie wieder den finanziellen Schaden ersetzt bekommen, den Du mir durch Dein eigenmächtiges Verhalten verursacht hast. Ich verlange von Dir eine Entschädigung von mindestens 1.000, – € für den Mitsubishi. Da Du aber kein Geld hast, werde ich Dich weiterbeschäftigen und Dir jeden Monat 100,- € von Deiner Ausbildungsvergütung abziehen. Du kannst Dir also aussuchen, was Dir lieber ist: Entweder Du akzeptierst meinen Vorschlag und bekommst dadurch die Chance, Deine Ausbildung noch zu beenden oder aber ich kündige Dir jetzt fristlos. Entscheide, was Dir lieber ist!“ Patrick war mit meinem Vorschlag einverstanden. Zehn Monate später jedoch, als er seine Schuld bereits bezahlt hatte, widerrief er jedoch sein Einverständnis und verklagte mich auf Rückerstattung bei der Handwerkskammer (doch dazu später mehr).

Patrick war jedoch nicht der einzige Lehrling, der mir Kummer bereiten sollte. Auch Christian und Ronald waren immer wieder für Überraschungen gut. Obwohl Christians praktische Leistungen eigentlich mehr als bescheiden waren, wollte ich ihn nicht kündigen, weil ich in ihm immer einen angenehmen Gesprächspartner hatte und er mir auch ein wenig leidtat, zumal er ja überhaupt erst auf mein eindringliches Zureden bereit war, einer Ausbildung zuzustimmen. Jedoch wurden seine lauten Wutausbrüche über sich selbst (wenn ihm mal wieder etwas misslang), allmählich wirklich zum Problem, zumal er sich nicht scheute, auch in Gegenwart der Kunden laut zu fluchen. In der Zwischenprüfung erreichte Christian dann erwartungsgemäß in der Fachtheorie eine 2 und in der Fachpraxis eine 5. Ich machte Christian deshalb den Vorschlag, ob er nicht lieber bei mir eine Ausbildung zum Bürokaufmann machen will. Aber Christian wollte nicht, sondern entgegnete zu meiner Überraschung: „Inzwischen gefällt mir der Malerberuf eigentlich doch ganz gut und es macht mir viel Spaß, etwas Praktisches zu machen.“ – „Deine Noten sprechen aber eine ganz andere Sprache“ erwiderte ich. „Offensichtlich liegen Deine Stärken doch eher in der Theorie…“ – „Warte nur ab, Simon,“ sagte Christian, „ich merke, dass ich allmählich immer besser werde!“ Dieser Optimismus passte eigentlich gar nicht zu Christian, denn er war ja eigentlich eher immer zynisch und misanthropisch eingestellt; aber ich dachte: „Lass ihn man, vielleicht hat er ja recht.“ Doch ein paar Tage später war Christian mal wieder so sehr ausgerastet, dass er die Baustelle vorzeitig verließ. Ich rief ihn später an und machte noch einmal den Vorschlag, ob er nicht doch lieber Bürokaufmann werden wolle. Christian war aber in einer so schwermütigen Stimmung, dass er weder Trost noch Mitleid von mir hören wollte: „Simon, Du brauchst nicht versuchen, die Sache zu beschönigen. Ich weiß, dass ich Euch eher eine Last bin, und mir ist schon klar, dass ich auf absehbare Zeit nicht das Niveau der anderen erreichen werde. Deshalb bitte ich Dich, mich zu kündigen. Du brauchst auch kein schlechtes Gewissen haben. Tu mir den Gefallen und kündige mich!“ Da mein Drängen bei ihm nichts bewirkte, tat ich schließlich, was er wollte und kündigte ihn. Was ich jedoch nicht ahnte, war, dass er mir später diese Entscheidung so sehr verübelte, dass er mit mir nichts mehr zu tun haben wollte. Durch Marco erfuhr ich, dass Christian offenbar gehofft hatte, dass ich ihn zum Bleiben drängen würde und nicht damit gerechnet hatte, dass ich tatsächlich seiner Bitte nach einer Kündigung entsprochen hatte. Sogar Jahre später, als ich ihn durch Zufall mal traf, wollte er nicht mit mir reden und mir noch nicht einmal die Hand geben. Aus tiefer Freundschaft war erbitterte Feindschaft geworden.

Auch mein freundschaftliches Verhältnis zu Ronald täuschte mich lange darüber hinweg, dass er hochgradig manisch-depressiv war. Anfangs war Ronald mir gegenüber noch sehr ängstlich, weil Marco und Brigitta ihn immer wieder vor mir gewarnt hatten, dass er sich nicht von mir in seinem Glauben verwirren lassen solle. Doch als mein Zwillingsbruder Marco sich eines Tages in eine 30-jährige Glaubensschwester namens Maria verliebte, mit der er viel unternahm, geschah es, dass auch Ronald sich heimlich in sie verliebte und ihr schöne Augen machte. Maria muss wohl hin- und hergerissen sein in ihren Gefühlen, denn auf der einen Seite mochte sie Marco wegen seiner klaren biblischen Ausrichtung, andererseits schmeichelte ihr, dass Ronald als deutlich jüngerer und attraktiver Bruder Gefallen an ihr fand. Eines Tages bekannte mir Ronald, dass er heimlich mit Maria in Unzucht leben würde und ihn dies in seinem Gewissen sehr belaste, da er wusste, dass auch Marco in sie verliebt sei. Obwohl ich mir nichts anmerken ließ, war ich doch ziemlich geschockt über dieses Geständnis, denn ich hatte Ronald bis dahin für einen sehr entschiedenen Christen gehalten. Erst viel später erfuhr ich durch die anderen Lehrlinge, dass Ronald monatelang heimlich kiffte, ohne dass ich es merkte.

Eines Tages im Herbst 2005 kam Ronald nicht mehr zur Arbeit. Ich machte mir Sorgen, denn er hatte sich auch nicht krankgemeldet. Durch Marco erfuhr ich, dass Ronald zusammen mit seinem 2 Jahre jüngeren Bruder Daniel (20) in einer Hochhaus-Wohnung in Bremen-Blockdiek wohnt. Ich rief Daniel an und erkundigte mich nach seinem Bruder: „Ja, der Ronald hat sich vor zwei Wochen in seinem Zimmer eingeschlossen und redet kein Wort mehr mit mir. Er schaut den ganzen Tag Fernsehen und kommt nur noch heraus, wenn er mal auf Toilette muss oder sich etwas aus dem Kühlschrank holen will. Obwohl mir klar ist, dass seine Depressionen irgendwann wieder aufhören, belastet mich die Stille in der Wohnung auch; aber was soll ich machen? Er will ja nicht mit mir reden!“ Ich gab Daniel die Nummer vom sozial-psychiatrischen Notdienst, aber man teilte ihm dort mit, dass man ihn erst dann wieder in die Psychiatrie bringen würde, wenn er sich in akuter Lebensgefahr befände oder andere gefährde. Da er nicht zur Arbeit kam, zahlte ich ihm auch keinen Lohn mehr, in der Hoffnung, dass ihm das wieder zur Besinnung bringen würde. Denn wenn irgendwann der Kühlschrank leer sei, müsse er doch wieder nüchtern werden, dachte ich.

Doch dann kam alles ganz anders: Was ich nicht ahnte, war, dass auch Ronalds Bruder psychisch labil war. So geschah es an einem Nachmittag, dass Daniel aufstand, an die Tür von Ronalds Zimmer klopfte und sagte: „Ronald, es tut mir leid, aber ich halte das nicht länger aus. Ich will so nicht mehr leben. Deshalb werde ich jetzt gehen, und zwar für immer.“ Er ging zur Balkontür und machte sie auf; dann drehte er sich noch einmal um und rief: „Sag Mama, dass ich sie lieb hab!“ Dann stellte sich Daniel auf die Balkonbrüstung, schaute die 40 m in die Tiefe, schloss die Augen und wollte gerade springen. Doch in diesem Moment griff ihn Ronald um die Beine und riss ihn wieder zurück von der Brüstung auf den Balkonfußboden. Denn Ronald hatte einige Sekunden zuvor in rasender Eile die Tür aufgeschlossen und war zum Balkon gelaufen, um seinen Bruder zu retten. Daniel sagte später nur lapidar: „Er kannte mich und wusste, dass ich es tun würde“. Kurze Zeit später kam auch Daniel Pilka zum Glauben an den HErrn Jesus und ging kurz darauf zur Bibelschule. Als ich ihn ein Jahr später bei einem Besuch bei Ronald kennenlernte, war er ein richtiger Bibeleiferer, so dass ich dachte: „Na sowas, der ist ja genauso wie ich war in seinem Alter!“ Heute ist Daniel übrigens einer meiner besten Freunde. Sein Bruder Ronald hatte damals die Lehre abgebrochen und hatte sein Abitur nachgeholt. Doch dann war er später noch mal rückfällig geworden und landete wieder in der Psychiatrie. Als ich ihn besuchte, bat er mich, ihm eine Frau aus Südamerika zu besorgen. Das wurde aber nicht mehr nötig, denn er verliebte sich schon bald darauf in seine gleichaltrige Krankenschwester und heiratete sie. Heute arbeitet Ronald als Industriekaufmann, hat hübsche Kinder, ein großes Haus und geht mit seiner Familie in eine russlanddeutsche Gemeinde. Seine manisch-depressive Erkrankung scheint überwunden zu sein, Dank sei Gott!

Paul Rauner hatte ich inzwischen wieder gekündigt, nachdem er mich schon zu oft enttäuscht hatte durch sein häufiges Nicht-Erscheinen auf der Arbeit ohne sich krank zu melden, durch das er mich bei Kunden in die unangenehmsten Situationen brachte. Auch meinen Freund Jörg Osterkamp musste ich schon zum zweiten Mal kündigen, da ich mir zu viel Kritik von meinen Kunden wegen ihm einhandelte. So verblieben mir schließlich nur noch André Bindemann (40) und Ralf Lopp (52) als Gesellen, so dass ich dringend einen weiteren Gesellen brauchte.

Urkundenfälschung und Bürgschaft für einen fremden Rumänen

Im Spätsommer 2005 erhielt ich eine Email aus Heilbronn von einem mir unbekannten Rumänen namens Horatiu Hudea (29), der mich fragte, ob ich Arbeit für ihn hätte. Er sei gelernter Maler, hätte aber bisher kaum Arbeit gefunden in Deutschland, obwohl er schon gut deutsch könne. Er tat mir irgendwie leid, und ich entschied mich, ihm eine Chance zu geben. So reiste er Anfang September mit dem Zug nach Bremen, und ich holte ihn vom Bahnhof ab. Da er kaum Geld hatte, brachte ich ihn zunächst in ein Obdachlosen-Asyl, wo er kostenlos schlafen konnte. Doch als ich mit ihm eines der Zimmer betrat das voll war mit 4 – 5 Etagenbetten, die noch nicht einmal frisch bezogen waren, wandte sich Horatiu mit gefalteten Händen zu mir und sagte: „Bitte, bitte, Simon, lass mich nicht in diesem Haus schlafen! Bitte bitte! Jeder andere Ort ist mir lieber als hier!“ Ich überlegte und mir fiel dann der Campingplatz am Uni-See ein, zumal Horatiu auch ein Ein-Mann-Zelt mithatte. Ich brachte ihn also dort hin und holte ihn am nächsten Tag ab zur Arbeit. Nach einer kurzen Probezeit entschied ich mich, ihn zu nehmen. Aber er brauchte dringend ein richtiges Dach über den Kopf. Ich redete also mit meiner Frau, ob wir ihn nicht vorübergehend bei uns aufnehmen können für ein oder zwei Monate, bis er eine eigene Wohnung gefunden hatte. Ruth hatte zwar etwas Misstrauen, weil Horatiu kein Christ war, aber schließlich versicherte ich der Ruth, dass man ihm getrost vertrauen konnte, da er ein lieber Kerl sei. Wir gaben ihm also ein Zimmer auf dem ausgebauten Dachboden, wo er sich wie zuhause fühlen könne.

So aß ich morgens mit Horatiu Frühstück und wir fuhren dann zur Baustelle. Abends jedoch wollte er nicht mit uns essen, sondern versicherte, dass er alles Nötige zum Leben immer selber kaufen und auf sein Zimmer mitnehmen würde. Eine Woche später kam Horatiu zu mir in mein Büro und erklärte, dass er eine große Traurigkeit habe wegen seiner Ehefrau Valentina, die noch in Rumänien sei, aber kein Visum bekäme, um zu ihm nach Deutschland zu kommen. „Die Behörden sagen,“ erklärte er mir, „dass ich erst nachweisen müsse, dass ich mindestens drei Monate in Deutschland angestellt sei, damit sie ihr ein Visum erteilen können“. „Und wo ist das Problem?“ fragte ich. „Du brauchst doch jetzt nur drei Monate bei mir arbeiten und bekommst dann das Visum.“ – „Das Problem ist,“ begann er, „dass meine Frau im 5. Monat schwanger ist, und in drei Monaten nicht mehr reisen kann. Ich will aber, dass unser Sohn in Deutschland geboren wird, damit er später weniger Probleme hat mit der Aufenthaltsgenehmigung. Simon, bitte, hilf mir doch! Kannst Du nicht einfach drei fiktive Lohnabrechnungen für mich erstellen, damit ich den Behörden nachweisen kann, als ob ich schon mehr als drei Monate bei Dir arbeiten würde?“ Ich überlegte und dachte wieder an Oskar Schindler, den ich mir ja zum Vorbild nehmen wollte. „So einfach ist das nicht, Horatiu“, erklärte ich ihm, „denn die Löhne werden neuerdings digital übermittelt und direkt über DATEV verarbeitet. Es gibt nur die Möglichkeit, dass ich irgendeine bestehende Lohnabrechnung mit Tipp-Ex so manipuliere, als sei diese von Dir. Das ist gar nicht so einfach, denn man muss die zum Schluss kopieren, so dass niemand auf den ersten Blick erkennen kann, dass es eine Fälschung ist.“ – „Simon, bitte!!!“ flehte Horatiu „Du bist ein guter Mensch und hast ein weiches Herz. Bitte mach das doch für mich, Bitte!“ Ich dachte: Die Welt ist ungerecht, also ist es unsere Verpflichtung, sie wenigstens ein wenig gerechter zu machen, und sei es auch mit illegalen Mitteln!

Doch nachdem Horatiu inzwischen schon einen Monat bei uns im 2. Stock wohnte, musste Ruth eines Nachmittags in sein Zimmer, da dort der große Kleiderschrank war, um Wäsche einzusortieren. Doch in dem Moment, als sie die Tür aufmachte, stach ihr ein fürchterlicher Gestank in die Nase, so dass sie sofort das Veluxfenster aufmachte. Überall schwirrten kleine Fruchtfliegen um diverse Plastiktüten voller Müll. Auf dem Tisch war eine geöffnete Fischkonserve auf der die Fliegen saßen und überall lagen Krümel und Essensreste. Sofort griff sie zum Telefon und rief mich auf der Arbeit an: „SIMON, HÖRST DU: ICH MÖCHTE, DASS DEIN GAST HIER SOFORT WIEDER VERSCHWINDET! Er hat hier seinen ganzen Müll im Zimmer gelagert und hält es offensichtlich noch nicht einmal für nötig, im Zimmer zu lüften! Das ist einfach ekelig!“ – Ich versuchte Ruth zu beruhigen und ihm doch noch eine kurze Karenzzeit einzuräumen, bis er eine eigene Wohnung gefunden hätte. Aber Ruth ließ nicht mit sich reden: „Ich will, dass er heute noch verschwindet!“ Da war nichts zu machen. Ich versuchte, es Horatiu schonend beizubringen: „Du hast leider Dein Gastrecht verwirkt. Meine Frau lässt nicht mit sich reden. Aber Du kannst ja für erste in der neuen Werkstatt übernachten im Steffensweg, denn dort gibt es wenigstens ein Waschbecken.“ – „Mach Dir keine Sorgen, Simon, das ist schon in Ordnung.“ Doch dann kam auch schon das nächste Anliegen von Horatiu: „Simon, meine Frau kommt Mitte Oktober nach Deutschland, und Du musst wissen, dass sie hochschwanger ist. Ich brauche dringend eine Wohnung bis dahin. Kannst Du nicht mal mit einem Deiner Kunden sprechen, der Wohnungen vermietet?“ –

Ich rief bei der Janßen Grundstücksgesellschaft an, einer meiner Stammkunden, und erklärte die Situation. Sie hatten zwar jede Menge leerer Sozialwohnungen zu vermieten, aber das Horatiu erst seit kurzem bei mir arbeite war ihnen zu unsicher. Daraufhin bot ich an, mich für Horatiu zu verbürgen. – „Wenn Sie eine Bürgschaft für ihn unterschreiben würden, dass Sie im Falle eines Mietausfalls die Miete zahlen würden, dann wäre das auf jeden Fall eine Option, denn wir kennen Sie ja. Aber wollen Sie das wirklich machen für diesen Herrn Hudea? Sie kennen ihn doch erst seit kurzem…“ – „Ja, aber er arbeitet ja für mich, so dass ich ihm die Mietkosten jederzeit vom Lohn abziehen kann“ war ich mir sicher. Dass dies jedoch nur dann funktioniert, solange Horatiu auch bei mir arbeitet, war mir in diesem Moment nicht bewusst. Deshalb unterschrieb ich blauäugig die Bürgschaft für ihn. Horatiu bekam also gerade noch rechtzeitig eine 50 m²-Wohnung in einem Mehrfamilienhaus in Bremen-Kattenturm. Doch dann ergab sich das nächste Problem, dass nämlich Horatiu überhaupt keine Möbel hatte. Eine Matratze hatte ich für ihn und auch eine Spüle, die ich ihm in die leere Wohnung brachte. Horatiu war aber so froh über die neue Wohnung, dass er keine weiteren Ansprüche hatte. Doch als seine zierliche Frau dann aus Rumänien kam und ich sie in die neue Wohnung fuhr, brachte ich es nicht übers Herz, sie in dieser kargen Behausung wohnen zu lassen. Ich erinnerte mich an unseren neuen Esstisch mit den sechs Stühlen, die ich gerade erst in die Garage gebracht hatte, da sie nicht mehr in unser Wohnzimmer passten. Also schenkte ich dem Horatiu die Möbel und trug sie mit ihm hinauf in seine Wohnung.

Undank ist der Welt Lohn

Horatius Frau war in Rumänien bei der Krankenkasse angestellt gewesen, weshalb sie den Inhalt der Lohnabrechnungen genauestens inspizierte, um ihn auf Fehler zu überprüfen. Und tatsächlich stand sie mit ihm eines Abends vor unserer Tür und war aufgeregt, weil sie meinte, Fehler entdeckt zu haben. Da geriet auch meine Frau Ruth in Aufregung und warf die beiden kurzerhand vor die Tür: „Simon, was erlauben sich diese Leute, nach all der Hilfe, die Du schon für sie geleistet hast, dass sie jetzt auch noch mehr Geld von Dir fordern!“ Ich lief den beiden hinterher, und unter dem Licht der Straßenlaterne klärten wir nach zähem Hin und Her die Missverständnisse in den Lohnabrechnungen auf. Doch es dauerte nur zwei weitere Wochen, da kam auch schon die nächste Klage. Horatiu rief mich eines Abends an und sagte: „Simon, es tut mir leid, aber die Wohnung ist unerträglich laut in der Nacht, weil die ganzen Ausländer hier fast jede Nacht irgendwo eine Party feiern und man bei dem Lärm einfach nicht schlafen kann!“ – „Horatiu, seid doch froh, dass ihr überhaupt eine eigene Wohnung in Deutschland habt. Was erwartest Du?“ fragte ich. „Simon, bitte, unser Kind wird doch in wenigen Tagen geboren und meine Frau braucht Ruhe. Kannst Du nicht nochmal mit der Hausverwaltung sprechen, ob sie uns nicht eine andere Wohnung geben können, wo es etwas ruhiger ist? Bitte, Simon, wir brauchen Deine Hilfe, denn ich kenn mich doch in Deutschland nicht aus!“ – Ich dachte: Au weia, was habe ich mir da bloß für eine Laus ins Fell geholt!

Ich besichtigte also mit Horatiu und seiner Frau andere Wohnungen, und glücklicherweise konnte die Janßen Grundstücksgesellschaft ihm schon bald eine neue Wohnung anbieten. Doch in der neuen Wohnung war kein Platz für unsere neue Sitzgarnitur mit sechs Stühlen, und da ich keine Lust hatte, sie wieder zu mir nach Hause zu fahren, stellten Horatiu und ich die Möbel einfach an die Straße dieses Ausländer-Ghettos. Doch noch während wir die einzelnen Teile die Treppe runter geschleppt hatten, wurden sie auch schon von den Ausländern mitgenommen.

Nachdem die Eheleute Hudea nun am 01.11. zum zweiten Mal innerhalb von zwei Monaten umgezogen waren, geriet ich kurz darauf mit Horatiu in einen Streit, weil er so wehleidig und empfindlich auf Kritik reagierte wie eine Mimose. Am Ende der Diskussion war Horatiu so beleidigt, dass er bei mir kündigte. Ich fragte ihn, ob dies der Dank sei nach all dem, was ich für ihn getan hatte, und er erklärte mir mit seiner weinerlichen Stimme, dass er schon seit langem überlegt hätte zu kündigen, weil er mit meiner dominanten Art überhaupt nicht klar käme und nachts vor Angst und Sorgen schon nicht mehr schlafen könne. Nun erst wurde mir klar, dass ich mit der Bürgschaft einen riesigen Fehler begangen hatte, denn wenn er jetzt arbeitslos sei, könne er seine Miete nicht mehr bezahlen, so dass ich trotz des Endes der Beschäftigung weiter seine Miete bezahlen müsse. Deshalb beschwor ich Horatiu, dass er sich doch jetzt sofort um eine neue Stelle bemühen müsse, um mir nicht auch noch auf der Tasche zu liegen. Zum Glück fand er auch trotz des Winters eine neue Anstellung bei einer Zeitarbeitsfirma, so dass mich sein Vermieter auf meinen Antrag hin aus der Bürgschaft entließ.

In den späteren Wochen rief mich Horatiu dann regelmäßig in Abständen an, um sich für all die Hilfe zu bedanken und dass sein Sohn inzwischen geboren sei, und dass er nicht wisse, wie er all dies wieder gut machen könne usw. Er hatte wohl inzwischen ein schlechtes Gewissen mir gegenüber und wollte sich deshalb meiner Vergebung versichern. Ich freute mich einfach nur, dass es ihm und seiner Familie mittlerweile viel besser ging und dass er meine Hilfe nun auch dankbar zu schätzen wusste. Nachdem er allerdings schon das zehnte Mal angerufen hatte, um mir dasselbe zu sagen, nervte es mich allmählich und ich bekannte ihm offen: „Hör mal, Horatiu, ich finde es gut, dass Du endlich auch mal Deine Dankbarkeit ausdrückst, aber das hast Du jetzt schon viele Male getan, und jetzt reicht es auch. Bitte ruf mich nicht mehr an, denn das nervt mittlerweile richtig. Nimm es mir bitte nicht übel, wenn ich das jetzt einfach mal so direkt sage. Wir Deutschen sind leider immer sehr direkt in solchen Sachen, aber dafür auch ehrlich. Ich weiß Deinen späten Dank wirklich zu schätzen, aber das reicht jetzt auch. Lebe wohl, lieber Horatiu!“ Seitdem rief er mich tatsächlich nie mehr an.

Um dem kalten Winter zu entfliehen, haben Ruth und ich zusammen im Dezember eine Art „Kaffeefahrt“ gemacht in die Türkei, also solch ein Billigflug mit Reiseleitung und jeder Menge Verkaufsveranstaltungen. Rebekka ließen wir in jener Ferienwoche bei meiner Mutter, um mal wieder ganz unser Eheglück zu pflegen ohne Verpflichtungen. Von Antalya aus machten wir dann Busreisen zu den antiken Tempelanlagen von Perge (türk. Barbaros) oder den Thermalquellen von Pamukkale bei Laodizäa (türk. Denizli), wo das heiße Gebirgswasser damals lauwarm im Tal ankam (vergl. Offb.3:14). Das tägliche Büffet im Hotel war überreichlich und auch die Besuche bei Kunsthandwerksmärkten oder Teppichbasaren waren durchaus interessant, so dass sich die Reise echt gelohnt hatte. Beinahe hätte ich mich beschwatzen lassen, einen handgeknüpften Teppich für 1.000, – € zu kaufen, weil der deutschsprechende Händler sich so sehr um uns bemühte, dass er mir am Ende leidtat. Zum Glück behielt Ruth am Ende einen kühlen Kopf und konnte mich gerade noch rechtzeitig vom Kauf abhalten, was auch gut war, denn später erfuhren wir, dass die Waren dort alle größtenteils völlig überteuert waren.

 

 

Vorheriger Beitrag
– „Einmal auf dem Schoß Gottes sitzen“ Teil 14, 2004
Nächster Beitrag
– „Einmal auf dem Schoß Gottes sitzen“ Teil 16, 2006

Inhaltsverzeichnis

Etwas nicht gefunden?

Neuste Beiträge

Gastbeiträge

„Der ist kein Narr, der aufgibt, was er nicht behalten kann, damit er gewinnt, was er nicht verlieren kann.“

(Jim Elliott)