Die 7 Sendschreiben: 7. Laodizea
Fatale Fehleinschätzung
»Ich weiß um deine Werke, dass du weder kühl noch siedend bist. O dass du doch kühl oder siedend wärest! So aber, da du lau bist und weder siedend noch kühl, bin Ich im Begriff, dich aus Meinem Mund auszuspeien [o. erbrechen]. Weil du sagst: Ich bin reich, ja ich bin reich geworden und bedarf nichts, weil du nicht weißt, dass du der Elende und Erbärmliche, der Arme, Blinde und Nackte bist, so rate Ich dir, von Mir Gold zu kaufen, das im Feuer feingebrannt ist, damit du reich werdest, dazu weiße Kleider, auf dass du dich damit umhüllen mögest und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde, und Augensalbe, um deine Augen einzusalben, damit du sehen mögest. Alle, die Ich liebhabe, überführe und züchtige Ich. So sei nun voller Eifer und sinne um. Siehe, Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand Meine Stimme hört und die Tür öffnet, zu dem werde Ich auch hineingehen und das Mahl mit ihm halten, und er mit Mir.« (Offb.3:15-20 KNT)
Die Gemeinde in Laodizea
Laodizea [gr. Λαοδικείᾳ LAO·DI´KÄIA = Volksgerechte] war eine phrygische Stadt, die am Schnittpunkt zahlreicher Handelsstraßen lag und dadurch sehr schnell zu Wohlstand gelangte. In ihr blühte das Geldgeschäft (Gold!) und die Textilindustrie; aber auch viele Kurgäste übernachteten in Laodizea, wegen der nahegelegenen Thermalquellen und einer bestimmten Pflanzenwurzel, die zu Pulver gemahlen als Medizin zur Heilung von Augenleiden benutzt wurde. Wie wir sehen, nimmt der HErr Jesus auf alle diese Dinge einen geistlichen Bezug.
Laodizea ist die einzige Gemeinde von den 7 Gemeinden, die vom HErrn kein einziges Lob bekommt, sondern ausschließlich Kritik. Außer dem, was wir durch den HErrn selbst erfahren, spricht auch Paulus von dem »großen Kampf«, den er für Laodizea und Kollosäa hat, die er beiden nie besuchen konnte (Kol.2:1), aber über die er sich um so mehr sorgte, weshalb er auch wollte, dass die Kolosser sich die Briefe gegenseitig mit ihrer Nachbargemeinde in Laodizea austauschen (Kol.4:13).
Lauheit
Die Metapher über Hitze und Kälte, die der HErr hier verwendet, ist sicherlich auch eine Anspielung auf die heißen Quellen, die 8 km südlich von Laodizea entsprangen und deren siedend heißes Wasser auf dem Weg über ein Aquädukt sich allmählich abkühlte, so dass es schließlich nur noch lauwarm in Laodizea ankam. Laues Wasser eignet sich aber nicht mehr zum Kochen oder für einen Tee, aber auch nicht als Erfrischungsgetränk. Wer einen starken Durst hat, dem mag das vielleicht einerlei sein; aber wer sich hingegen an einem heißen Tag z.B. auf ein kühles Bier gefreut hat und feststellt, dass es inzwischen lauwarm geworden ist, der spuckt es wohl tatsächlich gleich wieder aus.
Es kommt also auf die Erwartungshaltung an. Und der HErr Jesus hatte eigentlich einen feurigen Eifer und eine siedend heiße Liebe der Gemeinde für Ihn erwartet. Die Enttäuschung des HErrn erinnert an Jes.5:2 »Er erwartete, dass er Trauben brächte, aber er brachte Herlinge« (vergl. auch Mt.21:23). Nach all dem was der HErr für uns getan hat, kann Er auch mit Recht eine inbrünstige Liebe und Hingabe zu Ihm von uns erwarten. Das bedeutet nicht, dass wir uns nur noch dem Gebet oder der Fürsorge um andere widmen sollen; denn realistisch betrachtet geht ohnehin etwa 80 % unserer Zeit für lebensnotwendige Dinge drauf, wie z.B. Schlafen, Arbeiten, Essen, Familie etc. Aber die übrigen 20 % unserer Zeit sollten wir nicht vergeuden mit sinnlichen Genüssen, sondern sie bewusst in den Dienst des HErrn stellen. Denn der HErr erwartet ja auch von uns, dass wir Frucht bringen durch gute Werke, und einmal müssen wir Rechenschaft vor Ihm ablegen (2.Kor.5:10).
Die Mischung von siedendem Diensteifer für den HErrn und zu unseren Geschwistern (1.Petr.1:22, 4:8), den Philadelphia hatte und auch viele Gläubige heute noch Haben, ist allmählich durch die kalte Gesetzlosigkeit in der heutigen (End-)Zeit von Laodizea abgekühlt, so wie der HErr Jesus es in Mt.24:12 angekündigt hat. Das sagt Er nicht von Weltmenschen oder Namenchristen, sondern von Gläubigen, denn nur in ihre Herzen ist die Gottesliebe ausgegossen worden durch den Heiligen Geist (Röm.5:5). Hier zum Vergleich noch alle anderen Vorkommen von »die vielen« im NT: Mark.9:26, Röm. 5:15+19, 12:5, 1.Kor.10:17+33, 2.Kor. 2:17, Heb.12:15. In all diesen Stellen sind Gläubige gemeint oder zumindest solche, die in einem Bundesverhältnis zu Gott stehen. Die Liebe Gottes ist die von Gott geschenkte Liebe; sie stammt von Ihm und ist auch auf Ihn gerichtet. Diese göttliche Liebe wird durch das Leben im Geist am Sieden erhalten: »〈Seid im〉 Fleiß nich〈t〉 Zögernde, 〈seid im〉 Geist Siedende, dem HErrn Sklavende (Röm.12:11 GtÜ). Die abgekühlte Liebe ist lau, bevor sie ganz erkaltet. Die Lauheit stellt sich in den Werken dar (V.15). Auch die Liebe zeigt sich zuverlässig nicht in Gefühlen, sondern in Werken. Es müssen gesetzlose Werke sein, die die Werke der Liebe zum Teil verdrängt haben. Die Liebe hingegen ist das Gegenteil von Gesetzlosigkeit, nämlich die vollständige Erfüllung des Gesetzes.
Die meisten Christen haben sich zudem schon so sehr der Welt angepasst, dass sie kraftloses (w.: töricht gemachtes) Salz geworden sind und von den Menschen zertreten werden (Mt.5:13). Salz wurde damals gebraucht, um der Fäulnis entgegenzuwirken, und es durfte auch bei keinem Opferfleisch fehlen (Mark.9:49). Wenn Christen sich aber praktisch kaum mehr von der Welt unterscheiden, weil sie alles mitmachen, dann ist ihr Zeugnis wertlos. »Halb bei Gott und halb in der Welt, ist was Gott und der Welt nicht gefällt«. Auch heute müssen sich viele Gläubige fragen lassen: »Wie lange hinket ihr auf beiden Seiten?« (1.Kön. 18:21). Die Lauheit ist dadurch entstanden, dass sich der Gehorsam zu den Geboten Gottes (d.h. Liebe zum HErrn Joh. 14:15,21,23, 15:10, 1.Joh.5:3, 2.Joh.6) vermischt hat mit Taten der Gesetzlosigkeit (Mt.7:22). Die Abscheu über solch eine Vermischung bringt der HErr im AT immer wieder mit der Bezeichnung »Gräuel« zum Ausdruck, also etwas Verabscheuenswürdiges und zugleich Ekelerregendes. Ein »Gräuel« (Ekel!) für den HErrn ist es nicht nur, wenn ein Mann mit einem Mann schläft, sondern auch, wenn Frauen sich die typische Kleidung (Hose) oder Berufe von Männern aneignen (5.Mo.22:5). Dabei spielt nicht das eigene Empfinden eine Rolle, sondern das Empfinden des HErrn, das heute mehr und mehr ignoriert wird. Ebenso wird auch die Liebe zu den Geschwistern von vielen daran gemessen, wie weit der, der geliebt wird, sich selbst als geliebt fühlt. Das Wort Gottes setzt hier aber definitiv einen anderen Masstab:
»Hieran erkennen wir, dass wir die Kinder Gottes lieben: wenn wir Gott lieben, und 〈zwar, wenn〉 wir Seine Gebote tun/hüten … und Seine Gebote sind nicht schwer« (1.Joh.5:2). Lauheit im biblischen Sinn ist also kein Gefühlszustand. Und selbst wenn ich in bestimmten Bereichen zwar Eifer für den HErrn habe, aber den Ratschluss der Gesetzlosen (Ps.1:1) von Gemeindegliedern toleriere ohne dagegen lehrend und strafend vorzugehen, mache ich mich mitschuldig.
Eine fatale Fehleinschätzung
So ahnungslos wie die damalige Gemeinde über ihren wirklichen Zustand war, so nichts-ahnend laufen auch heute die meisten Christen in ihr Verderben, weil sie »in Unwissenheit sind über Gott« (1.Kor.15:34), d.h. wie der HErr eigentlich über sie denkt. Doch Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Niemand wird sich am Ende herausreden können, dass Gott ihm kein Verständnis und keine Einsicht in seinen Zustand gegeben habe, denn wenn uns Weisheit mangelt, können wir den HErrn doch darum bitten (Jak.1:5). Der Psalmist vom 119. Psalm bat Gott immer wieder »Gib mir Einsicht« [ הֲבִינֵ֥נִי HaBhINeNI = »mach mich verstehen« (Ps.119:34, 73, 125, 144, 169)]. »Was ich nicht sehe, zeige Du mir« (Hiob 34:32) – das sollten wir den HErrn regelmäßig bitten! Denn wir können zwar nichts dafür, wenn wir für unsere Sünden blind sind (Joh.9:41), aber wir machen uns schuldig, wenn wir uns nicht für diese interessieren.
Unwissend sein zu wollen in Bezug auf das geoffenbarte Wort Gottes, ist auch eine Sünde (Jes.5:13). Deshalb sagte Paulus immer wieder: »Ich will aber, dass ihr wisst…!« (1.Kor.11:3). Oder »Ich will nicht, dass ihr unkundig seid…« (1.Kor.10:1), und zwar über den Werdegang des Hauses Israels, der sich offensichtlich im Neuen Bund wiederholt hat! Schon damals galt: »Mein Volk wird hinweg geführt aus Mangel an Erkenntnis; weil du die Erkenntnis verworfen hast, so verwerfe ich dich…« (Hos.4:6). Viele glauben ja, dass man ihnen keinen Vorwurf machen könne, wenn sie sich neutral ihrer Stimme enthalten und sich auf keinen eigenen Standpunkt festlegen würden. Aber genau diesen Irrtum hatte ja auch Laodizea begangen, dass sie weder heiß noch kalt sein wollten, nach dem Motto: Bloß keine Extreme!
Aber in den Dingen Gottes gibt es keine Neutralität. »Wer nicht mit Mir ist, ist gegen mich, und wer nicht mit Mir sammelt, zerstreut« (Luk.11:23). Um es allen recht zu machen, wurden in den letzten Jahren immer mehr Abstriche gemacht in der biblischen Verkündigung. So verzichtet man heute gerne auf das »Wort vom Kreuz« oder das Blut Christi, da man niemanden abschrecken will. Zugleich aber zeigt man eine Ungöttlicher Bereitschaft zum Kompromiss, um der Welt keinen Anstoß zu geben. Man rühmt sich, die altmodische Enge und Ausschließlichkeit der biblischen Lehre abgestreift zu haben, um fortan alles und jedem einen Platz im Christentum zu bieten. Dabei hat mal einer gesagt: »Wer für alles offen ist, ist nicht ganz dicht«. Spätestens wenn das Malzeichen aufgezwungen wird, müssen alle Farbe bekennen, und dann wird sich die Spreu vom Weizen trennen.
Dass Laodizea einer solchen Fehleinschätzung über ihren wahren geistlichen Zustand erlegen war, ist wohl nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass sie durch ihre Prediger in einer falschen Sicherheit gewogen wurden, die ihnen den Eindruck vermittelten, dass alles in bester Ordnung sei. Aber auch darin können wir vom Volk Israel lernen, deren Pastoren schon damals das Volk irreführten und durch ihre Predigten »die Hände der Übeltäter stärkten« (Jer.23:14): »Sie sagen stets zu denen, die Mich verachten: „Der HErr hat geredet: ihr werdet Frieden haben“; und zu jedem, der in dem Starrsinn seines Herzens wandelt, sprechen sie: „Es wird kein Unglück über euch kommen“… Ich habe nicht zu ihnen geredet, und doch haben sie geweissagt. Hätten sie aber in Meinem Rate gestanden, so würden sie Mein Volk Meine Worte hören lassen und es abbringen von seinem bösen Wege… Wer Mein Wort hat, rede Mein Wort in Wahrheit! Was hat das Stroh mit dem Korn gemein? spricht der HErr. Ist mein Wort nicht also – wie Feuer, spricht der HErr, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmettert?« (Jer.23:17-29).
Tatsächlich fehlt vielen Predigten heutzutage das Salz, d.h. die verändernde Kraft, um verhärtete Denkweisen wie mit einem Hammer zu zerschlagen. Die bezahlten Pastoren (»Mietlinge«) trauen sich nicht, ihre Gemeinde über die warnenden Mahnungen des HErrn aufzuklären, da sie sonst mit einem Mitgliederschwund rechnen müssten. »Sie heilen die Wunde der Tochter Meines Volkes leichthin und sprechen: „Schalom, Schalom!“ Und da ist doch kein Friede« (Jer.8:11), sondern tiefe Gräben zwischen den unterschiedlichen Parteiungen! Wie damals werden auch heute die mahnenden Propheten nicht beachtet sondern verachtet. Warum sollte man auch Kritik ernst nehmen, wenn man ein volles Haus und ein großes Spendenaufkommen vorweisen kann! Die heutigen Propheten Gottes sind hingegen Einzelkämpfer, deren Anhängerschaft meist nur lächerlich gering ist. Es sind jene »Elenden«, die auf den HErrn achten und deshalb erkennen, »dass es das Wort des HErrn ist« (Sach.11:11).
Die heutige Laodizea-Gemeinde fühlt sich mehrheitlich nicht angesprochen von Offb.3:14-18, denn sie halten es für ausgeschlossen, dass eine echte Gemeinde des HErrn jemals wirklich »ausgespien« werden könnte. Nach einhelliger Lehrmeinung müsse es sich bei den Gliedern von Laodizea sämtlich um »Nichtwiedergeborene« gehandelt haben, da ein echter Wiedergeborener angeblich ja nicht mehr verloren gehen könne. Dabei sollte uns vom Alten Testament bekannt sein, dass auch das Volk des HErrn im Alten Bund »ausgespien« wurde aus ihrem verheißenen Land, nachdem sie durch Vermischung mit der heidnischen Umwelt auch deren Brauchtum übernommen hatten (3.Mo.18:28). So wie der HErr schon damals nicht länger in ihrer Mitte sein konnte und man zu Ihm »außerhalb des Lagers« gehen musste, so steht auch heute der HErr außerhalb von Laodizea und klopft fortlaufend an die Tür, damit der einzelne Ihm öffnen möge (2.Mo.33:3-7, Hebr.13:13). Nachdem der HErr das Haus Israel verlassen und es »öde zurückgelassen« hatte (Mt.23:38), wurde es vom unreinen Geist wie eine willkommene Einladung »leer, gefegt und geschmückt« vorgefunden, so dass es mit sieben weiteren Geistern besiedelt wurde (Mt.12:44). Genau dieses Schicksal ist aber auch der Christenheit am Ende widerfahren gemäß Offb.18:2 und Mt.13:32.
»Du weißt nicht, dass du der Elende und Erbärmliche, der Arme, Blinde und Nackte bist« (V.17). Das Eigenschaftswort elend, TALAI–POoRO´S gebildet aus TLE´NAI + POoRO´S heißt wörtlich »〈im 〉Erdulden–verstockt«. Der Elende muss sich viel gefallen lassen, muss viel erdulden, ohne sich dagegen wehren zu können, er muss sich einfach damit abfinden. In dieser Lage ist Laodizea: Sie hat sich das Wort Christi nicht bis zum Verstehen angeeignet und hat das unverstandene Wort Stück für Stück von den Menschen niedertreten und vom Teufel rauben lassen (s. Luk.8:5+12). An diesen Vorgang hat sie sich so gewohnt, dass sie es für ganz selbstverständlich hält. Sie erduldet es in stumpfer Verstocktheit, ohne sich zu wehren. Z.B. hat sie sich während der letzten 150 Jahre nach und nach alle biblisch gebotenen Ordnungen rauben lassen, die auf dem Schutzgebot von 1.Mose 3:16 beruhen, das Gott zum Schutz der Frau und der Gemeinde vor erneuter Täuschung durch die Schlange unmittelbar nach dem Sündenfall geboten hat. Durch diese fortlaufende Beraubung ist Laodizea arm geworden. Man sieht es schon äußerlich daran, dass sie die Herrlichkeit der Gemeinde gegen ständige Schändung und Schande vertauscht hat (s. 1.Kor.11:5,7,15). Leider sieht es Laodizea selbst nicht, weil sie blind ist für ihren wahrhaft erbärmlichen Zustand.
Falscher Reichtum an materiellen Gütern
Die Fehleinschätzung Laodizeas beruhte in erster Linie auf dem Wahn, dass sie doch eigentlich »reich seien und reich geworden wären und nichts bedürfen« (V.17). Hier ist sicherlich nicht nur materieller Reichtum, sondern vor allem geistiger gemeint, weshalb der HErr Jesus auch mit bitterer Ironie von »Augensalbe« spricht, die Er Laodizea zum Kauf empfiehlt, damit sie »sehend werde«. Im Gegensatz zu materiellem Reichtum spricht der HErr im Gleichnis vom reichen Kornbauern von einem »Reichsein in Bezug auf Gott« (Luk.12:19). In dieser Hinsicht waren die Laodizäer tatsächlich »arm«. Statt sich aber als Reiche ihrer künftigen Erniedrigung zu rühmen (Jak.1:9), waren sie stolz auf ihren Wohlstand und deuteten diesen als Beweis des Segens Gottes und ihrer eigenen Tüchtigkeit, so wie es auch heute geschieht durch die falschen Propheten des Wohlstandsevangeliums. Aber auch abseits dieser Blüte charismatischer Verirrung gelten auch bei den Bibeltreuen hinter vorgehaltener Hand materieller Erfolg als gleichbedeutend mit Fleiß und Ehrbarkeit, während dem armen Bruder insgeheim Faulheit und Schmarotzertum unterstellt wird. Während es als verpönt galt, zu fragen: »Welcher Gemeinde gehörst Du an?«, wird stattdessen neugierig gefragt: »Was machst Du beruflich?«, obwohl es das gleiche Schubladendenken ist.
»Der Mensch sieht auf das Äußere, aber der HErr sieht auf das Herz« (1.Sam.16:7). Erstaunlicherweise wird an diese Feststellung heute immer nur gerne dann erinnert, wenn es um die Relativierung der von Gott gebotenen angemessenen Darstellung der Frau geht bei ihrer Kleiderwahl (1.Tim.2:9). Wenn es aber um das menschliche Prestige geht, dass man durch materielle Statussymbole aufzuwerten versucht (neues Auto, schöner Garten, Markenkleidung, muskulöser bzw. braungebrannter Körper, akademische Titel etc.), dann ist das Äußere auf einmal viel wichtiger geworden als der geistliche Stand vor Gott. Natürlich kann man nichts dafür, wenn man z.B. hochgewachsen ist und dadurch von anderen evtl. mehr beachtet wird als andere. Solche Vorteile kann man ja schließlich auch bewusst für die Sache des HErrn nutzen. Paulus gebrauchte z.B. sein römisches Bürgerrecht, um im richtigen Moment Gehör zu finden vor seinen Peinigern (Apg.16:37, 22:25).
Dennoch wissen wir aus der Schrift, dass die Lebenssorgen und der »Betrug des Reichtums« allmählich das Wort ersticken, so dass es keine Frucht bringt in unserem Leben. Jeder der glaubt, dass man reicher werden und dabei treu bleiben kann, ist diesem Betrug erlegen. Ein Reicher, der gläubig wird, verabschiedet sich innerlich von seinem Reichtum und nutzt bewusst jede sich bietende Gelegenheit, seinen Geld durch gute Taten und Almosen gewinnbringend anzulegen für das Reich Gottes (Luk.16:8-9). In einem Kommentar zu Luk.14:33 (»Wer nicht allem entsagt, was er hat, kann nicht Mein Jünger sein«) schreibt Bruder Bernd Fischer: »Sich-wegordnen bzw. sich verabschieden bedeutet hier nicht, sich lossagen von allem, was man besitzt, oder ihm entsagen, indem man es einfach unkontrolliert aus der Hand gibt, sondern indem man es unter Gottes Aufsicht nach Seinem Willen verwaltet… Auch folgender Vergleich kann hilfreich sein: Man hat sich aus einer Gesellschaft verabschiedet, kann aber noch nicht sofort weggehen. So steht man mit einigen Verabschiedeten noch einige Zeit in Berührung, kann sie aber, wenn es soweit ist, ohne erneuten ausführlichen Abschied verlassen. In dieser Grundhaltung von Abschied-genommen-Habenden sollten wir unser Christenleben führen.«
Der Versuchung des westlichen Wohlstands sind leider sogar auch viele russlanddeutsche Geschwister erlegen. Viele kamen ja mit nichts nach Deutschland und mussten sich hier mühsam eine Existenz aufbauen. Man hatte die entbehrungsreiche Zeit im Osten satt und wollte sich auch endlich mal etwas leisten. Zudem sind schließlich 10 Kinder zu versorgen, und das geht nur, wenn die Frau auch mitverdient. Leider blieben aber viele dieser Kinder am Ende auf der Strecke und ertranken ihre Minderwertigkeitsgefühle in Alkohol und Drogen.
Während in früheren Zeiten die Bescheidenheit und Schlichtheit sogar in der Welt noch für tugendhaft und fromm gehalten wurde, gilt es heute nicht nur im privaten Bereich sondern zunehmend auch in evangelikalen Gemeinden als Zeichen des Segens, wenn die Kirchenräume groß und luxuriös ausgestattet sind. Man ist stolz auf die Größe und das moderne Design, weil dadurch endlich der alte Mief dunkler und moderiger Kirchen verflogen ist. Man(n) freut sich auch, dass endlich nicht mehr nur die Männer, sondern auch die Frauen predigen dürfen oder zumindest den Gottesdienst mitgestalten. Laodizea sieht dies als »Bereicherung« und dass dadurch endlich das Wort in Gal.3:28 (»da ist nicht Mann und Frau“) zur Realität gemacht und damit die Zurücksetzung der Frau endgültig überwunden habe. Mit Gal.3:28 und anderen missbrauchten Paulusworten als Schwert habe sie die ihr äußerst lästigen Paulusworte zur Stellung der Frau in 1.Kor.11:1-16, 1.Kor.14:34-38 und 1.Tim.2:11-15 niedergerungen und dabei, wie sie meint, die Spuren des HErrn Jesus als Befreier der Frau wieder freigelegt, die durch die Apostel und die frühere Gemeinde angeblich wieder zugeschüttet worden seien. Sie fühlt sich ebenso befreit von jeglicher gottgesetzten Kleiderordnung; vielmehr ist sie überzeugt, dass Gott auf solche »Äußerlichkeiten« keinerlei Wert mehr legt und dass es geradezu ein Rückfall in den Irrtum der Galater wäre, in solchen Dingen nach biblischen Normen zu fragen und sich danach zu richten. In diesen Dingen geht sie lieber mit der Welt.
Die heutige Laodizea-Gemeinde gibt sich auch größtenteils bedenkenlos der »Begierde der Augen« hin (z.B. dem Fernsehen oder YouTube, s. 1.Joh.2:16) und fühlt sich befreit von der »pharisäischen Enge« der früheren Gemeinde, wie sie es nennt, die solchen Angeboten ängstlich aus dem Weg ging, um nicht in Weltliebe verstrickt zu werden. Überhaupt hat sie die Welt als Liebesobjekt entdeckt (Jak.4:4) und fühlt sich darin als Nachahmerin Gottes, der ja nach Joh.3:16 die Welt ebenso sehr wie Seinen Sohn liebt. Sie steht mit beiden Beinen in dem gegenwärtigen babylonischen Weltsystem. Deshalb hält sie sich mit Hingabe an das Wort in Jer.29:7 »Sucht den Frieden/ das Wohlergehen der Stadt«, das zu Beginn der 70 Jahre der Weltmacht Babel erging. Dafür ignoriert sie das Wort Jer. 50 und 51: »Flieht aus Babel hinaus« (Jer.50:8) usw., das für das Ende dieser 70 Jahre galt und noch viel mehr für das nahe Ende der 70 Siebener nach Dan.9:24 gilt (Dan.9:2).
Falscher Reichtum an Bildung
Genauso überflüssig wie sinnloser Wohlstand ist auch sinnlose Bildung. Auch hier verführt die alte Schlange noch heute die Neugierigen und Wissenshungrigen unter Gottes Volk mit der Aussicht auf Überlegenheit gegenüber anderen, indem man es eben besser weiß: »…welches Tages ihr davon esset, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott, erkennend Gutes und Böses« (1.Mo.3:5). Dank des Internets gab es ja noch nie eine Zeit wie heute, in der so unglaublich viel Wissen verfügbar war für so viele Menschen. Aber die unkontrollierte Überflutung mit Information hat die Masse der Menschen keineswegs klüger gemacht, sondern allenfalls manipulierbarer. Denn was jeder denken soll, braucht sich ja heute niemand mehr selber erarbeiten, sondern wird ihm in fertig geschnürten »Paketen« frei Haus geliefert, um es einfach so zu übernehmen.
Wer sich gegen diese Gleichschaltung durch die Medien wehren möchte, müsste letztlich ganz auf sie verzichten, um wieder seine eigene Kreativität zu entfalten und eigenständig zu denken. Der Pfarrer Georg Huntemann schrieb einmal, dass Gott den Menschen nicht als Rollenspieler geschaffen habe, der innerhalb einer Gesellschaft die wandelbaren Erwartungen anderer zu erfüllen habe, sondern als PERSON, durch die Er redet und durch die Er Seinen Willen »durchklingen« kann (daher das Wort »Person«: Per- = durch + -son = Klang). Gerade in der Endzeit wird es aber immer schwieriger, sich nicht dem Druck der Masse zu beugen. Bei der Evolutionstheorie oder der modernen, bibelkritischen Theologie von heute verweigern sich immer noch die meisten Evangelikalen. Aber wenn es – wie in diesen Tagen wieder – eine Fußballweltmeisterschaft gibt, dann werden sogar die sich selbst für bibeltreu haltenden Gläubigen schwach und fiebern gerne mitsamt allen anderen Deutschen um den Sieg der eigenen Mannschaft. Dabei vergessen sie, dass wir uns im Krieg befinden zwischen Licht und Finsternis. »Niemand, der Kriegsdienste tut, verwickelt sich in die Beschäftigungen des Lebens, auf dass er Dem gefalle, Der ihn angeworben hat« (2T.2:4).
In geistlichen Fragen vertritt die heutige Laodizea-Gemeinde überwiegend den Standpunkt, dass sie keine Korrektur benötige, da sie ja den Heiligen Geist besäße, der sie ja »in alle Wahrheit leite«. Man beruft sich dabei gerne auf das Wort in 1.Joh.2:27, wo es heißt: »…die Salbung, die ihr von Ihm empfangen habt, bleibt in euch, und ihr bedürfet nicht, dass euch jemand belehre …«. Dabei kann vergeudete Lebenszeit irgendwann dazu führen, dass man sogar in den Anfangselementen der Aussprüche Gottes wieder Belehrung bedarf, weil man sie nicht regelmäßig aufgefrischt hat (Hebr.5:12)! Heute aber will keiner mehr vom anderen zurechtgewiesen werden. Niemand würde zwar von sich lautstark behaupten, dass er unfehlbar sei, aber insgeheim denke das wohl jeder von sich. Selbstgefällig rühmt man sich, die vergangene Kirchengeschichte überwunden zu haben, indem Gott angeblich erst am Ende der Zeit das volle Licht der Erkenntnis Seines Wortes geschenkt habe nach Jahrhunderten der totalen Finsternis. Dabei besäße man heute nicht nur den verloren gegangenen Reichtum der Urgemeinde wieder, sondern verfüge darüber hinaus auch noch über die modernsten Methoden der Rhetorik, der Hermeneutik, der Grundtextforschung und eines umfangreichen Bibelkommentarschatzes.
Der Dünkel und die Selbstüberhebung haben gerade im 19. Jh. dazu geführt, dass die Erkenntnisse der Väter (also der bisherigen Christenheit) einfach ignoriert wurden und man ganz neue Lehren erfunden hat oder aber alte Ideen wiederbelebt hatte, die von den Vätern längst widerlegt wurden. Aber Laodizea wollte wie der König Rehabeam sich nicht länger von den Alten beraten lassen, sondern auf die Jüngeren hören, die doch vermeintlich viel besser wüssten, was heute beliebt und modern sei (1.Kön.12:8). So hält man heute vor allem die biblische Kleiderordnung der Apostel und die 1.Kor. 11:1-16 gebotene Kopfbedeckung der Frauen beim Gebet für überholt und kulturell bedingt, so als ob das Wort Gottes keine ewige Gültigkeit habe. Man glaubt, dass die Alten mit ihren Ansichten keine Antworten hätten für die Probleme der Moderne und ahnt nicht, dass es vor 2000 Jahren schon ganz ähnliche Konflikte gab mit der heidnischen Modewelt wie heute.
So schrieb z.B. Clemens von Alexandrien schon im 2. Jh.: »Denn keine Bedeckung mehr ist die überfeinerte Kleidung, da sie die Form des nackten Körpers nicht verhüllen kann; denn wenn ein solches Kleid dem Körper angelegt wird, so schmiegt es sich ihm ganz glatt an; und da es sich eng mit der Gestalt verbindet, bekommt es selbst die gleiche Form und bildet den Umriss des weiblichen Körpers so genau nach, dass der ganze Körperbau jedem deutlich ist, auch wenn man ihn selbst nicht sieht. Solche Kleider sind zum Anschauen, nicht zur Bedeckung da« (Paidagogos, Buch 2, Kp.10, 107+109). Die meisten Frauen von Laodizea sind also auch im buchstäblichen Sinne tatsächlich »nackt« in den Augen des HErrn, und nicht nur im Sinne einer geistlichen Entblößung. Und wenn man heutzutage im Sommer in eine Freikirche geht, dann muss man auch bei vielen Frauen und Mädchen die Feststellung machen: »Ihr Gewebe taugt nicht zur Bekleidung, und mit ihrem Gewirke kann man sich nicht bedecken« (Jes.59:6).
Aber schon solch ganz praktischen Zusammenhänge im Wort Gottes sieht Laodizea nicht mehr, sondern deutet sie als »gesetzlich«. Wie viel weniger wird dann die geistliche Bedeutung von Nacktheit verstanden! Bei der Bekleidung geht es in der Symbolsprache der Bibel nämlich immer um Gerechtigkeit. Laodizea hat sich aber eine eigene Gerechtigkeit geschaffen, die nicht mehr dem Zeugnis der Schrift entspricht, sondern der Mehrheitsmeinung. Deshalb heißt sie ja auch »Laodizea« (Volksgericht, Volksgerechte), weil sie das Volk abstimmen lässt, was es gerne hätte, anstatt Gott zu fragen. »Alle Macht geht vom Volke aus«. Der Leitgedanke der Demokratie war ja die große Errungenschaft der Aufklärung. Leider ist dieses Denken auch in die Gemeinde Gottes eingedrungen, so dass der HErr Jesus faktisch als Alleinherrscher abgesetzt wurde (1.Sam.8:7, Luk.19:14). Und weil vielen Predigern die harschen Worte des HErrn über die Hölle oder die Selbstverleugnung zuwider sind, haben sie sich ein »andersartiges Evangelium« zusammengebastelt, das die laue Masse besser ertragen könne (vergl. 2.Kor.11:4!). Wörtlich heißt es in dieser Stelle: »…〈als〉 vortrefflich haltet–ihr–〈es〉–hinauf«, d.h. so haltet ihr es als vortreffliche Errungenschaft stolz in die Höhe (»ich bin reich geworden«).
Wenn wir die gesund machenden Worte unseres HErrn Jesus, Seine persönlich gesprochenen wie auch die Seiner Apostel und Propheten, studieren, finden wir nirgends eine Verheißung von wertvollen Neuentdeckungen und Neuerwerbungen der Gemeinde in der Endzeit (Ausnahme: Endzeitprophetie Dan.12:4, Am.3:7 u.a.), sondern ausschließlich und vielfach Warnungen vor Irreführung jeder Art. Das in 2.Thes.2:3 angekündigte Abstehen (»Abfall« ist ungenau) als Vorbereitung für das Kommen des »Menschen der Gesetzlosigkeit« (= Antichrist = Tier aus dem 〈Völker〉meer) hat mit der sogenannten Aufklärung im 18. Jahrhundert begonnen. Damals begann die Welt, die Bande und Stricke des HErrn und Seines Gesalbten zu zerreißen und von sich zu werfen« (Ps.2:3), und immer größere Teile der Gemeinde Jesu sind der Welt – immer sehr zögernd und mit Verzögerung – darin gefolgt.
Während früher noch der Heilige Geist die Leitung des Gottesdienstes inne hatte, überlassen die Verantwortlichen der heutigen Mega-Kirchen das lieber den Experten für Event-Management. In einigen Gemeinden ist jede Minute genau verplant und auf einem Programmheft genau vermerkt, so als ob man ein Theater besuchen würde. Tatsächlich gibt es in evangelikalen Gemeinden meist eine Bühne und z.T. einen Vorhang wie in einem Kinosaal. Das Publikum will unterhalten werden, deshalb darf es auch nicht an witzigen Bemerkungen in der Predigt fehlen (Eph.5:4). Auf die Gelegenheit, um ein prophetisches Wort des HErrn weiterzugeben, wartet man vergeblich. Auch die alten Kirchenlieder mit ihren tiefgründig belehrenden Dichtungen hat man ausgetauscht gegen moderne und melodischere Kurz-Zeilen-Lieder, so wie damals der König Ahas den Altar des HErrn auswechselte gegen den aus seiner Sicht viel schöneren Altar von Damaskus (2.Kön.16:10-15).
Ja, die Laodizea-Gemeinden sind reich geworden, besonders die Star-Prediger, teilweise auch durch ihren Buch- und DVD-Verkauf (Sach.11:5). Bei einer großen Anhängerschaft ist auch ein entsprechend großes Spendenaufkommen, so dass die Veranstalter in einem Konkurrenzkampf zueinander stehen wie in der freien Wirtschaft. Entsprechend lassen sich die Gläubigen einer Stadt von einer Gemeinde zur nächsten abwerben, je nachdem, welches ausgefeiltere Show-Spektakel eine Gemeinde zu bieten hat. So soll z.B. eine große Bremer Pfingstgemeinde den Gottesdienstraum in eine Art Discothek umgewandelt haben mit schwarzen Wänden (sogar die Steckdosen sind schwarz!), um junge Christen an sich zu binden. Doch trotz des lauten Lobpreises steht der HErr längst draußen vor der Tür und sagt auch heute wieder: »Ich hasse, Ich verachte eure Feste und mag eure Festversammlungen nicht riechen! … Tue nur hinweg von Mir das Geplärr deiner Lieder, und dein Harfenspiel mag ich nicht hören! Es soll aber das RECHT einher fluten wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein unversiegbarer Strom!« (Amos 5:21-24).
Falscher Reichtum an Einbildung
Doch nicht nur auf mental-geistiger Ebene, sondern auf geistlich-spiritueller Ebene fehlt Laodizea jeglicher Realitätssinn: d.h. sie wähnten sich in fataler Weise für glückselig und allgenugsam im Glauben, dass sie doch bereits alles hätten, was sie für ihr Heil benötigten. Besonders reich geworden fühlt sich ein Teil von Laodizea durch charismatische Gaben, die in früheren Gemeindeepochen nur wenig hervortraten. Darauf stützt sie das sichere Bewusstsein, in direkter Verbindung mit dem erhöhten HErrn zu stehen, der ihnen unmittelbar neue Offenbarungen schenkt, so dass das geschriebene Wort für sie an zweiter Stelle zurücktritt. »Wolken und Wind, aber kein Regen: so ist ein Mann, welcher mit trügerischem Geschenke prahlt« (Spr.25:14).
Aber auch die meisten Nicht-Charismatiker leben heute in einer eingebildeten Überlegenheit, die auf Trug basiert, und zwar durch den Glauben an eine Unverlierbarkeit ihres Heils. Der Rechtsgrundsatz Gottes, dass »die Gerechtigkeit des Gerechten ihn nicht retten wird am Tage seiner Übertretung« (Hes.33:12) wird einfach als alttestamentlich abgetan, so als ob Gott in Seinen Rechtsgrundsätzen wandelbar sei; dabei gehören sie zur Grundfeste Seiner Thronmacht (Ps.89:15, 97:2). »Wenn Ich dem Gerechten sage, dass er gewisslich leben soll, und er verlässt sich auf seine Gerechtigkeit und tut unrecht: So wird all seiner gerechten Taten nicht gedacht werden, und wegen des Unrechts, das er getan hat, deswegen wird er sterben« (Hes.33:13, vergl. auch 3:20, 18:24). Interessanterweise wird der umgekehrte Fall, dass nämlich der Taten eines Gesetzlosen nicht mehr gedacht wird von dem Tage an, da er umkehrt von seiner Gesetzlosigkeit (V.16), gerne von den Gläubigen auch für den Neuen Bund beansprucht, obgleich es doch inkonsequent wäre.
Grund für diese Zweigleisigkeit ist die weit verbreitete Vorstellung, dass die Ekklesia angeblich etwas vollkommen anderes sein soll als das Volk Gottes aus Israel. Diese Idee wurde erstmalig 1830 von John N. Darby (1800-1880) entwickelt, den man zurecht als Gründer des heutigen fundamentalistischen Evangelikalismus bezeichnen kann. Zunächst erkannte Darby, dass man die Verheißungen für das alttestamentliche Israel nicht alle vergeistlichen konnte (wie es die Reformierten bis dahin getan hatten), sondern dass es offensichtlich auch noch einen buchstäblichen Überrest aus den Juden geben würde, der sich kurz vor der Wiederkunft des HErrn Jesus noch bekehren würde. Statt aber die Nationenchristen als Eingepfropfte in den edlen Ölbaum anzusehen, aus dem zuvor einige der natürlichen Zweige ausgerissen wurden (Röm.11:17+24), sah Darby die Gemeinde als »Geheimnis« (Röm.16:25, Eph.3:3-9), weil er sie nirgendwo im AT angekündigt fand (vergl. aber z.B. Ps.22:30-31 uvm.). Er deutete die Ekklesia aus den Nationen als einen »Einschub« im Heilsplan Gottes mit Israel, die als andersartige Haushaltung (engl. dispensation) gemäß Gal.2:7 auch ein entsprechend anderes Evangelium erhalten habe als die Judenchristen.
Aus dieser Irrlehre des »Dispensationalismus« sind dann zahlreiche Folgeirrtümer entstanden, z.B. die Lehre von der Schriftschneidung. Angeblich erwartete Paulus von Timotheus, dass er aufgrund von 2.Tim.2:15 das Wort der Wahrheit nicht nur »gerade/richtig (ein)schneidet« (gr. ORThO TOMÄ´Oo) im Sinne einer kompromisslosen Anwendung ohne Abweichungen oder Anpassungen, sondern im Sinne eines mehr oder weniger willkürlichen Aufteilens in solche Passagen, die angeblich »nur für Israel bestimmt« sind und solchen, die der Gemeinde gelten. Durch dieses Wünsch-dir-was-Prinzip sind je nach Gusto bei den gemäßigteren Dispensationalisten nur der Jakobusbrief und der 1. Johannesbrief auf den Index der ungültigen Bücher gelandet. Die Vertreter des Hyper-Dispensationalismus von A.E. Knoch (1874-1965) hingegen lassen sogar noch nicht einmal die synopt. Evangelien mehr gelten, sondern halten z.T. nur noch die Paulusbriefe für verbindlich. Wenn man dann nach den Gründen für diese fromm getarnte Bibelkritik forscht, dann fällt auf, dass der HErr Jesus auffällig häufig mit der Hölle droht, nicht nur den Gottlosen, sondern auch und gerade den Frommen (z.B. Mt.5:29-30, 8:12, 22:11-13, 25:26-28), während Paulus immer wieder seine Zuversicht bekundet, dass ein Kind Gottes auch am Ende das Ziel erreicht (Röm.8:28-39, Phil1.6). »Honi soit qui mal y pense…« (Ein Schelm ist, wer Böses dabei denkt).
Ein weiterer Folgeirrtum aus der Fehlannahme des Dispensationalismus ist die Wahn-Idee, dass die Gebote des AT keine Gültigkeit mehr hätten für die Gemeinde Christi, noch nicht einmal die 10 Gebote, da diese ja ausdrücklich den Alten Bund besiegelten zwischen Gott und dem alttestamentlichen Israel. Ersatzweise wird stattdessen ein Gehorsamsautomatismus postuliert, der sich ganz zwangsläufig als Wirkung aus der Wiedergeburt ergeben würde (1.Joh.3:9). Und wo dies nicht der Fall sei (man denke nur an die hohen Scheidungsraten auch bei evangelikalen Christen!), da helfe die Vorstellung, dass es angeblich einen Unterschied gäbe zwischen unserem geistlichen Stand in Christus, der uns nicht mehr abhandenkommen könne, und der tatsächlichen Lebensführung eines Wiedergeborenen. Manche halten sogar solche noch für errettet, die sich bewusst von Christus abgewandt und in die Welt zurückgekehrt sind, nur weil sie sich ja einmal bekehrt hätten!
Laodizea ist wirklich »blind« und in ihrer Einbildung verdrehen sie die Schrift zu ihrem eigenen Verderben (2.Petr.3:16). Hier ist jetzt nicht der Platz, um all diese Konstruktionen gründlich zu widerlegen, aber gerade weil die Behauptung, dass die Gebote Gottes keine Gültigkeit mehr hätten, von so heilsentscheidenden Bedeutung ist, möchte ich an dieser Stelle nur einmal an die Worte des HErrn Jesus erinnern in Luk.16:16-17: »Das Gesetz und die Propheten gehen bis auf Johannes; von da an wird die Regentschaft Gottes (als) Evangelium verkündigt, und jeder dringt mit Gewalt ein. Es ist aber leichter, dass der Himmel und die Erde vergehen, als dass ein Strichlein des Gesetzes wegfalle«. Mit »Gesetz« meint der HErr hier den Gesetzesbund mit Israel, der tatsächlich nur »bis auf Johannes« ging und damit keine Gültigkeit mehr hat. Dass der HErr damit aber nur die rechtliche Form aber nicht den Inhalt meinte, geht aus dem Folgesatz hervor, dass nämlich inhaltlich alle Gebote auch weiterhin volle Gültigkeit besitzen im Neuen Bund. Als Beispiel nennt der HErr in Vers 18 das Verbot des Ehebruchs. Paulus bestätigt dieses Gebot in 1.Kor.7: 11 u.a. und erklärt immer wieder, dass Ehebrecher nicht in das Reich Gottes eingehen werden (1.Kor.6:9). Wer als Wiedergeborener also in der Illusion lebt, dass er sich ruhig über die Gebote Gottes hinwegsetzen könne, weil er glaubt, dass diese für ihn keine Gültigkeit mehr hätten, geht trotz seiner Wiedergeburt verloren.
Doch so wie die Propheten im alten Israel das Volk vergeblich warnten, weil es sich verstockt hatte, so wird auch heute den Warnern von Laodizea kein Gehör geschenkt. Man hält sich selbst ja für eine Elite-Auswahl Gottes, die von Gott angeblich Sonderprivilegien erhielt, so als ob der HErr ein korrupter Willkürherrscher sei, der die Menschen unterschiedlich behandele und dadurch das Recht beuge, entgegen dem Zeugnis in Röm. 2:11 und 1.Petr.1:17 (»…der ohne Ansehen der Person /d.h.unparteiisch richtet/urteilt nach dem Werke eines jeden«). Dieser calvinistische Elite-Wahn hat zwangsläufig zu einem Heils-Egoismus geführt, bei welchem man sich genauso parteiisch (sektiererisch) verhält gegenüber anderen Gläubigen, wie es der eingebildeten Gottesvorstellung entspricht. Leichtfertig spricht man anders-denkenden Gläubigen das Heil ab und verhält sich dabei wie jene Schiffbrüchigen, die nach dem Sinken der Titanic die Hilfesuchenden mit dem Ruder wegstießen in der Meinung, dass das kleine Rettungsboot sonst sinken würde. Dabei sind es gerade diese »Matrosen« auf dem sinkenden Schiff von Laodizea die Hauptverantwortlichen für das Unglück; und gerade sie, die dringend gebraucht werden für die Rettung der übrigen, machen sich als erste vom Acker (Apg.27:30-31)! Aber was sagt der Heilige Geist auch heute dazu: »Wenn diese nicht im Schiffe bleiben, könnt ihr nicht gerettet werden!«
Als weitere Einbildung, die dem Grundirrtum der Haushaltungslehre entstammt, kann man die sog. Vorentrückungslehre bezeichnen. Laodizea ist in einem so elendigen Zustand, dass es sich vor der großen Drangsal zurecht fürchtet und sie lieber dem jüdischen Überrest aufbürdet anstatt sich selbst. Man träumt hingegen von einer geheimen Entrückung und nimmt die Vorhersagen in der Offenbarung nur als reine Wissens-Information, die sie selbst nicht betrifft. Man möchte, wie ein Bruder mal sagte, von dem einen Bankett hier auf Erden einfach so zum nächsten Bankett im Himmel hinüber-entrückt werden ohne erst durch viele Trübsäle gehen zu müssen (Apg.14:22). Doch das Wort des HErrn bezeugt an vielen Stellen, dass die Entrückung der Gläubigen erst »NACH der großen Drangsal« sein wird (z.B. Mt. 24:29-31, Offb.7:9+14) »bei der letzten Posaune«.
Das Kaufangebot des HErrn Jesus
Weil der HErr Jesus uns liebt, überführt Er uns von unseren Wahnvorstellungen und falschen Selbstsicherheit und macht der Laodizea-Gemeinde ein verlockendes Kaufangebot. »Kaufen« bedeutet in der Symbolsprache der Bibel immer, dass es einem etwas kosten muss (Spr.23:23, Jes.55:1, Mt.25:9). Das Heil in Christus ist für uns zwar umsonst (Röm.3:24, Offb.21:6, 22:17), es war nie kostenlos, denn der HErr musste dafür teuer bezahlen. Für die Nachfolge hat Er uns genug mitgegeben, um nötige Kosten selber zu bezahlen, weshalb wir uns jedes Mal gut überlegen müssen, wie viel wir in ein Anliegen investieren wollen (Luk.14:28). Umwege können uns teuer zu stehen kommen und sogar unser »Budget« gänzlich aufzehren. Je weiter wir uns zuvor vom HErrn wegbewegt haben, desto weiter ist der Weg wieder zurück (Jona). Auch Saulus musste besonders viel leiden für den HErrn, nachdem er die Gläubigen zuvor so wutschnaubend verfolgt und sogar zum Lästern gezwungen hatte (Apg.9:16, 26:11).
Das Gold, von dem der HErr spricht, bedeutet symbolisch Glaubensbewährung (1.Petr.1:7). Durch das Überwinderleben gewinnt ein Gläubiger an Wert in den Augen des HErrn. Deshalb möchte der HErr uns reich machen »in guten Werken« (1.Tim.6:18), die Er durch uns wirken will. Um dieses »Gold« aber überhaupt erst mal wertzuschätzen, müssen wir unsere innere Armut einsehen und dem HErrn gegenüber unseren geistlichen Bankrott erklären. Solange wir aber an unserem irdischen Besitz festhalten und nicht loslassen wollen, werden wir auch nicht von ihm losgelassen (Luk.6:37). Da fällt mir immer jener Affe ein, der den Jäger vom Baum aus dabei beobachtet, wie dieser eine Frucht in das enge Loch eines Baumes steckt. Nachdem sich der Jäger zurückzog, kletterte der Affe herunter und greift in das Loch, um die Frucht herauszuholen. Doch seine Faust ist durch das Greifen der Frucht zu groß, um sie wieder herauszuziehen; und weil er nicht rechtzeitig einsieht, dass er nur die Beute loslassen muss, wird er am Ende selber zur Beute.
Weiße Kleider bedeuten in Gottes Wort immer gerechte Werke (Ps.132:9, Jes.61:10). Wenn ein Mensch vom Geist Gottes überführt wird von seiner Sünde, dann erkennt er sich wie Adam als nackt vor Gott und sucht nach Bedeckung. »Feigenblätter« symbolisieren eine Selbst-Gerechtigkeit, die das schlechte Gewissen eines Menschen dauerhaft nicht zu verdecken vermag. Niemand möchte von anderen bloßgestellt oder in eine peinliche Lage versetzt werden. Deshalb achtet jeder Mensch auf seinen äußeren Schein ( =Kleidung, Ruf, Erscheinungsbild, Image). Um jedoch in Gottes Augen als rein erfunden zu werden, bedarf es einer Lauterkeit, die nur der HErr Jesus selbst besaß, weshalb wir Ihn selbst bei unserer Taufe »angezogen« haben wie ein Kleidungsstück (Gal.3:27). Doch dieses Anziehen ist nicht nur eine einmal geschehene Handlung in der Vergangenheit, sonst würde Paulus nicht immer wieder dazu aufrufen (Röm.13:14). Letztlich ist das weiße Gewand auch eine Darstellung für »die Gerecht(igkeit verwirklich)enden Taten der Heiligen« (Offb. 19:8).
Augensalbe steht für die Befähigung zum richtigen Sehen, d.h. auch ein Eingeständnis der Realität. Gerade jene sind ja von geistlicher Blindheit befallen, die sie abstreiten (Joh.9:41). Laodizea hält sich ja für kompetenter als all die anderen und meint, alles beurteilen zu können und zu dürfen. Das Gefühl, anderen geistlich überlegen zu sein, äußert sich besonders in dem Bedürfnis, bei anderen die »Splitter« aus dem Auge zu ziehen, obwohl man eigentlich gar nicht in der Lage dazu ist wegen des »Balkens« im eigenen Auge (Mt.7:1-2, 1.Kor.4:5, Gal.6:1). Das hohe Ansehen durch Menschen täuscht viele selbsternannte Propheten über ihre wirkliche Blöße und Erbärmlichkeit vor Gott hinweg, wodurch sie zu Heuchlern werden. Heuchelei ist aber ein ansteckender Sauerteig der Pharisäer (Luk.12:1), weshalb Gott oftmals gerade dann erst recht mit geistlicher Blindheit schlägt, um das Strafmaß nicht ins Unermessliche hochsteigen zu lassen. Auch mir selbst ist diese Erblindung 1996 widerfahren, so dass ich Gottes Wahrheit nicht mehr erkennen konnte. Am Ende wurde auch ich »müde, den Eingang zu finden« (1.Mo. 19:11).
Es gibt Irrlehren, wie z.B. die der Zeugen Jehovas, die so offensichtlich sind, dass sie jeder einigermaßen Bibelkundige sofort als solche erkennt und laut aufschreien wird: »Der Tod ist im Topf!« (2.Kön.4:40). Aber viel gefährlicher sind solche verderblichen Lehren, die mit so vielen Bibelstellen scheinbar »belegt« sind und/oder so dermaßen weit verbreitet sind, dass ihr Gift selbst von den meisten Bibelkundigen gar nicht mehr bemerkt wird. Zu diesem allmählich verderbenbringenden Sauerteig zähle ich vor allem die Lehre von der Unverlierbarkeit des Heils, da sie den Gläubigen in falscher Weise sorglos und gleichgültig machen kann gegenüber der Sünde (1.Joh.3:7). Genauso verderblich ist aber auch das Ungültigerklären der Gebote Gottes, indem man sich selbst als einer anderen Heilsordnung Gottes zugehörig glaubt, in welcher man sogar als faktisch Gesetzloser trotzdem gerettet sei (Röm.2:13). Es mag ja Lehren geben, die tatsächlich nicht heilsnotwendig sind wie z.B. die Trinitätslehre oder die Allversöhnungslehre, weil sie keinen nachweisbaren Einfluss auf unser praktisches Leben ausüben. Anders ist es, wenn jemand dem Wahn verhaftet wäre, dass ihm als Wiedergeborener nichts mehr passieren könne (1.Joh. 2:29). Denn nur solange wir mit Ausharren die »Gerechtigkeitsforderungen des Gesetzes erfüllen« (Röm.8:4), stehen wir nicht unter dem Fluch des Gesetzes! Andernfalls kann aus unserer Herzensbeschneidung schon bald wieder ein Unbeschnittensein werden (Röm.2:25-26).
Leider bedarf gerade derjenige Augensalbe, der davon überzeugt ist, dass er sie am wenigsten benötige. »Da ist ein Weg, der einem Menschen gerade erscheint, aber sein Ende sind Wege des Todes« (Spr.14:12, 16:25). Blindheit für seine eigenen Fehler ist immer auch ein Gericht Gottes (Joh.9:39). Wer sich aber vor Gott demütigt und Ihn um Licht bittet, dem schenkt Er geöffnete Augen, damit er Wunder schaut im Gesetz Gottes (Ps.119:18). So tat es auch jener Blindgeborene, der dem HErrn gehorchte und zum Teich Siloah ging, wo er sehend wurde (Joh.9: 6-7). Der HErr Jesus hatte zuvor eine »Augensalbe« aus dem bereitet, was aus Seinem Munde hervorging (5.Mo.8:3); aber erst der Gehorsam des Gesalbtwordenen bewirkte, dass er sehend wurde. SchILo´aCh bedeutet Gesandter (gr. APÄSTALMÄ´NOS – vergl. »Apostel«), d.h. er sollte zu der Lehre der Apostel Jesu und überhaupt aller von Gott Gesandter zurückgehen, also auch zum Gesetz und den Propheten. Aus einer geistlichen Erblindung kann ich also nur befreit werden, wenn ich nach der Demütigung bereit bin, jedes erkanntes Gotteswort auch umzusetzen.
Der HErr Jesus steht vor der Gemeindetür
Was für eine Ironie: Im abgedunkelten Gemeinderaum findet auf der Bühne mit lauter Musik und einem Lichtspektakel ein Lobpreisgottesdienst statt mit erhobenen Händen, Tanzen und Klatschen, – aber Der, um den es eigentlich geht, steht draußen vor der Tür und wird nicht hineingelassen! Wie kann das angehen?! Mich erinnert dies an eine Filmszene mit Arnold Schwarzenegger, der eines Abends nach Hause kommt, um mit seiner Familie seinen Geburtstag zu feiern, und als er durch die Scheibe ins Wohnzimmer blickt, sieht er, dass die Feier längst ohne ihn begonnen hat, und zwar mit einem anderen, der genauso aussieht wie er, denn er wurde geklont. Auch Paulus warnt uns ja in 2.Kor.11:4, dass eines Tages ein »ander(s dargestellt)er Jesus« verkündigt werden würde, den alle für den echten hielten und somit der wahre Christus nicht vermisst wird.
Doch nicht nur bei vielen Pfingstlern oder der Emerging Church steht Jesus heute vor der Tür, sondern bei ganz Laodizea, d.h. überall dort, wo die typisch selbst-zufriedene Laodizea-Gesinnung vorherrscht, also auch bei vielen, die sich für bibeltreu und ökumenekritisch halten. Laodizea sind ja immer nur die anderen. Schon allein, wenn mich das Schicksal meiner irrenden Brüder nicht mehr interessiert und ich mich nicht bemühe, die verstreute Herde des HErrn zu sammeln, sondern mich einfach nur gleichgültig und selbstgerecht von ihnen distanziere, offenbare ich schon die typisch pharisäerische Laodizea-Haltung (Luk.18:11 »O Gott, ich danke Dir, dass ich nicht bin wie die übrigen…«).
Der HErr Jesus klopft sehnsüchtig an die Tür und will den einzelnen zum Öffnen der Tür bewegen, um mit ihm Gemeinschaft zu haben. Auch Paulus hatte um die Gläubigen in Laodizea gerungen (Kol.2:1) und hatte wie bei den Galatern »Geburtswehen« um sie gehabt, bis Christus in ihnen (wieder) Gestalt angenommen hat (Gal.4:19). Wo sind aber heute die Propheten, die »im Verborgenen weinen« wegen des Hochmuts der Gemeinde und deren »Auge tränt und von Tränen rinnt, weil die Herde des HErrn gefangen weggeführt ist« (Jer.13:17)? Warum werden heute keine Klagelieder mehr gesungen, obwohl wir doch mindestens den gleichen Grund hätten wie damals in der Babylonischen Gefangenschaft? »Und es ruft der HErr, Jahwe der Heerscharen, an jenem Tage zum Weinen und zur Wehklage, und zum Haarscheren und zur Sackumgürtung. Aber siehe, Wonne und Freude, … Fleischessen und Weintrinken: „Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot!“« (Jes.22:13).
Das Anklopfen des HErrn an der Gemeindetür wird schon im Hohelied prophetisch vorhergesagt: In einer Art Wachtraum vernimmt die Geliebte (Christi Braut) die Stimme ihres Freundes, der sie bittet, die Tür zu öffnen (Hoh.5:2). Doch obwohl sie sich nach Ihm sehnt, antwortet sie überraschenderweise: »Ich habe mein Kleid ausgezogen – wieso sollte ich es wieder anziehen? Ich habe meine Füße gewaschen – wieso sollte ich sie wieder beschmutzen?« Genau hier aber liegt das Paradoxe, wie Manfred Siebald es in einem Lied beschreibt: »Wir haben es uns gut hier eingerichtet, der Tisch, das Bett, die Stühle steh’n. Der Schrank mit guten Dingen vollgeschichtet, wir sitzen, alles zu beseh’n. Dann legen wir uns ruhig nieder Und löschen, müd vom Tag, das Licht. Wir beten laut: „Herr, komm doch wieder!“ doch denken leise: „Jetzt noch nicht“«. Laodizea hält es nicht für nötig, ihre Nacktheit zu bedecken und möchte sich auch nicht mehr schmutzig machen für den HErrn!
Doch dann besinnt sich die Braut und öffnet ihrem Geliebten, muss aber dann erschrocken feststellen, dass Er wieder weiterging und trotz ihres Rufens zunächst nicht mehr auftaucht (Hoh.5:6). Könnte dies ein Hinweis auf die törichten Jungfrauen sein, die zwar das Kaufangebot am Ende annahmen, aber erst viel zu spät? Doch die Braut gibt nicht auf, sondern sucht ihren Freund, so dass sie von den »Hütern der Mauer« gefunden wurde, die sie schlugen und ihr den Schleier abnahmen (V. 7). Diese Schläge waren sicherlich »treugemeint« (Spr.27: 6), denn sie verhalfen der Braut, endlich ihren Schleier zu verlieren, um klar sehen zu können (2.Kor.3:14-16). Überführung von Irrtümern gelingen nur durch die Bereitschaft, bislang unbekannte Auslegungen zu prüfen, wozu wir auch verpflichtet sind (1.Thes.5:21). Prüfen bedeutet aber nicht einfach nur ein Vergleich mit der eigenen Meinung, sondern die intensive Untersuchung und Auseinandersetzung mit den Argumenten der Gegenseite im Bewusstsein der eigenen Fehlbarkeit und des Höherachtenwollens des anderen Bruders (Ph.2:3). Sobald wir den HErrn als »Insolvenzverwalter« wieder die Herrschaft über unser Denken geben, haben wir jenes Licht entzündet, das uns beim Auffinden des uns vom HErrn anvertrauten Guts allein behilflich sein kann (Luk.15:8, 1.Tim.6:20, 2.Joh.8).
Der HErr überführt uns von Sünde, weil Er uns liebt. Wörtlich sagt Er in Vers 19: »Ich, 〈so 〉viele wie, wenn–〈gegebenen〉falls〈die Voraussetzung dafür gegeben ist〉, Ich 〈als 〉Freund〈e anerkenne und behandl〉e, überführe–Ich und erziehe〈, unterweise und erzüchtige〉–Ich. Sei nun eifrig und tu Buße!« (GtÜ). Die Voraussetzung, dass Er uns befreunden kann, ist aber nur dann gegeben, wenn wir auch Seine Gebote halten wollen (Joh.15:7). Im Umkehrschluss bedeutet Offb.3:19 aber auch: Wenn wir als Christen durch unser gesetzloses Verhalten vom HErrn nicht als Freunde anerkannt werden können, werden wir von Ihm auch nicht überführt, sondern Gott gibt uns gemäß Hebr.12:8 erziehungslos dahin, wie Er es auch schon bei Israel getan hat, wenn es Seinen Geboten grundsätzlich ungehorsam sein wollte (Ps.81:12-13). Damit ist sie allen Anklagen (Offb.12:10) und Antragen Satans (vgl. Hi.1:11, 2:5, Luk.22:31) schutzlos ausgeliefert, und auch ihre „Gebetserhörungen“ kommen dann z.T. vom Satan, der kein Interesse daran hat, dass sie den »Führungswechsel« bemerkt (2.Tim.2:26).
Tu Buße!
Selbst wenn man die gemeindegeschichtliche Auslegung der Sendschreiben nicht erkennt bzw. nicht anerkennen will, so muss man doch zugeben, dass die Kritik des HErrn an Laodizea eine treffende Zustandsbeschreibung eines Großteils des evangelikal-freikirchlichen Spektrums der heutigen Zeit darstellt. Von daher sollte sich wirklich jeder bibelgläubige Christ heute von der ernsten Mahnung des HErrn persönlich angesprochen fühlen und nicht bei sich denken: »Das sollte mal der oder die endlich beherzigen!« sondern wir sollten eingestehen: »ICH habe gegen den HErrn gesündigt« (2.Sam.12:13), denn erst dann kann der HErr uns unsere persönliche Mitschuld erlassen. Und wenn wir dieses Eingeständnis gemeinsam vor den HErrn bringen und uns auch selbst unter die Schuld des gesamten Volkes Gottes mit einbeziehen, so wie es Esra, Nehemia, Daniel und Hesekiel getan haben (jeweils das 9. Kapitel), dann schenkt der HErr uns auch wieder eine Belebung, dass wir endlich alle aus unserer Lethargie erwachen. Es ist Zeit, dass wir – im Bilde gesprochen – in die Posaune stoßen, um ein Fasten auszurufen und dass wir uns alle mal an einem Ort versammeln, um die Schuld des Volkes Gottes zu bekennen (Joel 2:15-17). Auch für Laodizea besteht grundsätzlich noch Hoffnung, wenn es Buße tut: »Kehrt aber jenes Volk, über welches Ich geredet habe, von seiner Bosheit um, so lasse Ich mich des Übels gereuen, das Ich ihm zu tun gedachte« (Jer.18:8).
Eine Voraussetzung für echte Reue und Buße ist danach zu fragen, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass aus Philadelphia allmählich Laodizea wurde. Deshalb appellierte der HErr schon an Ephesus: »Gedenke daher, wovon du gefallen bist und denke um und tue die ersten Werke« (Offb.3:5). Manchmal kann eine unbewusste Sünde in unserem Leben die Ursache für jahrelange geistliche Hungersnot sein, weil wir nie den HErrn gefragt haben nach der Ursache, so wie David es in 2.Sam.21:1 tat. »Der Anfang der Sünde für die Tochter Zion« soll gemäß dem Propheten Micha in Lachis stattgefunden haben. Dort hatte der ansonsten treue König Hiskia dem König von Assyrien alles Silber des Hauses des HErrn und des Königshauses angeboten, wenn er ihn und sein Volk in Ruhe lasse (2.Kön.18:14-16). Was aber haben wir schon alles preisgegeben an geistlichen Schätzen, um unbewusst dem »Gott dieser Welt« unseren Tribut zu zahlen, nur damit wir ein möglichst angenehmes und beschauliches Leben führen können?! Immer wenn wir eine falsche Weichenstellung vorgenommen haben, erlaubt der HErr, dass der Feind uns umso mehr bedrängen und versuchen darf, wie es auch kurz darauf bei Hiskia geschah (2.Kön.18:17). Auch wenn Hiskia diese Prüfung dann mit Bravour bestand, wurde seines anfänglichen Kleinglaubens später dennoch als »Anfang der Sünde« gedacht, damit die Kinder Israel daraus lernen konnten, wo von sie gefallen waren.
So hat es auch in der Epoche von Laodizea immer wieder Erweckungen gegeben, die der Feind schon nach wenigen Jahrzehnten durch seine List zerstören konnte. Damals wie heute verwendet er dafür die bewährten Methoden in immer anderen Variationen, damit sie nicht sogleich erkannt werden: Entweder ist es die Lehre Bileams, d.h. die Verweltlichungs-Methode, oder die Lehre der Nikolaiten, d.h. die Sektiererei-Methode. Beide bewirken, dass Gott selbst am Ende gegen Sein Volk streiten muss, da es ja selbst ebenso Ihn unbewusst angegriffen hat durch Gräuelsünden. Besonders die Sektiererei war es im 19.Jh., die aus der Bruderliebe von Philadelphia nach und nach immer wieder neue exklusive Gruppierungen entstehen ließ, die sich wegen z.T. nichtiger Scheingründe aus Rechthaberei von den anderen Christen abspaltete. Innerhalb weniger Jahre erfanden diese Sekten dann Sonderlehren, durch welche sie am Ende aus ihrer Sicht die einzigen waren, die am Ende errettet werden würden, und sie demnach wie die Römische Kirche, die allein seligmachende Gruppierung sei. Diese Entwicklung wurde schon damals vorhergesagt für die Zeit des Endes: »Der Geist aber sagt ausdrücklich, dass in nachher〈ig〉enspäteren Zeitspannen abstehen–werden einige〈 Christen〉 〈weg von 〉der 〈Glaubens〉-treue_1, 〈weil/ indem sie〉–〈ihre aufmerksame〉 Zu〈wendung〉 haben–〈zu〉/–〈sich〉h˙alten–zu irr〈eführ〉enden Geistern und 〈Be〉lehrungen 〈von〉 Dämonen (1 / a.: einige〈 Menschen〉 _der _Treue (vgl. sprl. Ap9,2; 1Ko1,11; 1Th5,5.8), d.h. a. solche führende Christen, die sich zuvor u. danach durch besondere Glaubenstreue auszeichneten)« (1.Tim.4:1).
Der Theologe Kurt Hutten schrieb 1950 einen Klassiker der Sektenkunde, »Seher, Grübler, Enthusiasten«, der seither immer wieder überarbeitet und erweitert wurde und der in ausgewogener und neutraler Weise die Geschichte der verschiedenen christlichen Gemeinschaften in den letzten 200 Jahren beschreibt, so dass man sehr gut verfolgen kann, wo genau die falsche Weichenstellung vorgenommen wurde, die am Ende eine anfänglich gesunde Bewegung innerhalb kurzer Zeit zu einer Sekte werden ließ. Ich werde deshalb im Folgenden einmal in gekürzter Form die Entstehungsgeschichte des evangelikalen Endzeitchristentums an Hand von drei beispielhaften Gruppierungen nachzeichnen (Neuapostolische Kirche, Siebenten-Tags-Adventisten und Brüderbewegung), so dass sich jeder ein eigenes Bild machen kann:
Das evangelikale Endzeitchristentum (1830 – 2030?)
Nach der Französischen Revolution 1789 begann eine »Sturm und Drang«-Zeit in Europa, in welcher viele Intellektuelle in Folge der sog. »Aufklärung« der Kirche endgültig den Rücken kehrten und sich neuen Weltanschauungen zuwandten wie z.B. dem Sozialismus von Karl Marx (1818-1883), der in seiner Jugend noch gläubiger Christ war (sein Religionsaufsatz im Abitur trug den Titel »Die Vereinigung der Gläubigen mit Christo«). Überall gab es Aufruhr und Kriege, weil man die alte Ordnung abschaffen wollte, um eine neue, säkulare Welt zu gründen, die sich nicht mehr nach Gottes Wort sondern allein nach der Vernunft richtet. Letztere wurde 1793 in Paris sogar als Göttin verehrt und die Kirchen umgewidmet. Auch in die Kirchen zog der Rationalismus ein. Einmal predigte ein Pastor z.B. über den Einzug Jesu in Jerusalem und schloss als Fazit seiner Predigt, dass man nicht einfach Äste von den Bäumen abschneiden sollte, sondern lieber abgefallene Äste vom Boden nehmen sollte, da dies besser sei für die Natur. Der aus einer pietistischen Familie stammende Theologieprofessor Johann Salomo Semler (1725-1791) glaubte schon nicht mehr an die Verbalinspiration der Heiligen Schrift und wurde damit zum Begründer der historisch-kritischen »Schriftforschung« (Logos-Leugnung). Er lehrte, dass die Bibel nur noch einen Wert zur moralischen Besserung des Menschen, aber keine göttliche Autorisierung habe.
Auch im ursprünglich christlichen Amerika blühte der Deismus auf, eine philosophische Lehre, nach der Gott zwar in der Schöpfung eine Initialzündung gab, sich aber dann zurückzog und die Welt sich selbst überließ. Das Christentum wurde öffentlich lächerlich gemacht und viele Menschen neigten sich dem Atheismus zu. In diesem antireligiösen Klima erwarteten viele Gläubige das baldige Weltende und die Wiederkunft des HErrn Jesus. Unter ihnen war auch der tiefreligiöse Londoner Bankiers Henry Drummond (1786-1860), der ab 1826 einen Bibelkreis in Albury Park leitete und zusammen mit dem anglikanischen Geistlichen James H. Stewart eine Missionsgesellschaft gründete, die sich zum Ziel setzte, die vormals christlichen Länder Europas zu missionieren. Unter diesen Missionaren war übrigens auch der Hamburger Johann Gerhard Oncken (1800-1884), der 1823 die erste Sonntagsschule in Deutschland gründete. Dem Albury Kreis gehörten Christen verschiedener Kirchen an, die unter der geistlichen Armut der Christenheit litten und sich bewusst waren, dass sie in diesem Zustand keineswegs bereit sei für die Begegnung mit dem wiederkommenden HErrn.
Die Entstehung der Neuapostolischen Kirche
Um 1820 war es in Schottland zu einer Erweckung gekommen, nachdem einige Geistliche sich von dem strengen Prädestinationsdogma gelöst hatten. J.H. Stewart hatte dazu aufgerufen, für eine Ausgießung des Hl. Geistes zu beten. Darauf kam es ab 1828 zu Heilungen, Weissagungen und Zungenreden. Prophetien verkündigten die nahe Wiederkunft Christi. In England war es vor allem der feurige Erweckungsprediger Edward Irving (1792-1834), der durch die Zulassung von »Geistesgaben« besonderen Zulauf erhielt. Die junge Bewegung wollte sich aber nicht von den bestehenden Kirchen abspalten, sondern eine gesamtkirchliche Erneuerungsaufgabe wahrneh-men, wie es auch heute die Charismatiker tun. Der Geist sprach schon damals die Teilnehmer unmittelbar an und bezeichnete einige ausdrücklich als »Apostel«.
Man entschied sich damals, dass es wieder 12 Apostel geben müsse wie in der Urgemeinde, und diese wurden durch Weissagung schnell bestimmt. Da Irving inzwischen aus der anglikanischen Kirche exkommuniziert war und ihm daher auch seine Taufe abgesprochen wurde, durfte er selbst nun kein Apostel mehr werden, weshalb man ihm das Amt eines Engels (d.h. Aufsehers) zuwies und später auch das eines Propheten. Aufgabe der Propheten war es, ein Licht auf die Teile der Schrift zu werfen, die geistliche Geheimnisse in symbolischer Form enthalten.
Schon bald entstanden auch Gemeinden außerhalb Englands , weil man die Länder Europas für die 10 Stämme Israels hielt, über die jeweils einer der Apostel herrschen sollte, so z.B. über die Schweiz (Benjamin), Schweden (Gad), Italien (Manasse), Süddeutschland u. Österreich (Ruben), Norddeutschland (Simeon), Rußland u. Baltikum (Dan), sowie Griechenland u. Orient (Sebulon). England selbst war Juda. Von dort aus wollte man die zerstrittenen Kirchen wieder vereinigen, indem man sich auf das Gemeinsame beschränkte und eine Mischung aus allen bestehenden Liturgien, Bräuchen und Sakramenten zusammentrug, um sie einzuführen. Dennoch wurde die Spaltung der Christenheit dadurch nicht überwunden, sondern es entstand allmählich eine weitere Gemeinschaft, die sich als »katholisch-apostolisch« bezeichnete.
Doch dann geschah 50 Jahre später etwas, womit die Bewegung gar nicht gerechnet hatte, dass nämlich die Apostel nach einander starben ohne dass der HErr inzwischen gekommen wäre. Man hatte ja gehofft, dass sie nicht sterben würden, sondern noch zu Lebzeiten den HErrn bei Seiner Ankunft empfangen würden. Aber man hatte sich geirrt. Neue Apostel durfte es aber nach ihrer Lehre nicht mehr geben und damit auch keine weiteren Versiegelungen mit dem Heiligen Geist, wie sie es zu tun pflegten durch Handauflegung. Doch nicht alle teilten diese Auffassung. Der angesehene Prophet Heinrich Geyer (1818-1896) wollte sich nicht damit abfinden und weissagte 1860 bei einer Prophetenkonferenz in Albury, dass der HErr neue Apostel berufen wolle. Dies wurde jedoch von der Versammlung nach Beratung verworfen, so dass es zum Bruch kam.
Geyer kehrte zurück nach Hamburg und versuchte, seine Idee in der dortigen Gemeinde an den Mann zu bringen, stieß jedoch zunächst auf massiven Widerstand. Als der dortige Apostel Preuß jedoch starb, berief Geyer 1878 den Kohlenhändler Güldner prophetisch zu dessen Nachfolger ins Apostelamt. Dagegen protestierte der größte Teil der Hamburger Gemeinde. Es entstand ein schlimmer Tumult und eine Inflation von Apostelberufungen setzte ein: Der Älteste Wichmann wurde durch seine Frau »durch Weissagung« zum Apostel berufen. Darauf rief ein Dienstmädchen ebenfalls »durch Weissagung« ihren Dienstherrn zum Apostel. Andere weissagende Personen erkoren noch einen Vierten zum Apostel. Das Ganze war auf jeden Fall ein skandalöser Missbrauch der Weissagungsgabe, so dass am Ende niemand gewählt wurde.
Da das Prophetentum zunehmend durch eigene Interessen degeneriert war, wurde es schließlich unter Zensur gestellt und später ganz aufgehoben, indem seine Funktion vom Apostel übernommen wurde. Dies war notwendig um der Ordnung willen. Dafür gewann das Apostelamt in dieser Gruppe eine immer größere Machtfülle und Monopolstellung, die fast schon der des römischen Papstes glich. Verantwortlich für diese Entwicklung war vor allem der Apostel Fritz Krebs (1832-1905). Er betrieb zwar den Ausbau des Werkes mit großer Tatkraft, entwickelte jedoch auch die Lehre, dass die Worte eines der lebenden Apostel einen ebenso hohen Stellenwert hätten wie die Worte der biblischen Apostel. Von da ab dauerte es nicht mehr lange, dass den Aposteln sogar die exklusive Vollmacht der Heilsvermittlung zugeschrieben wurde: »Die lebenden Apostel sind die Tore zum Reiche Gottes… Eine andere Versöhnung mit Gott gibt es nicht, als allein durch das Gnaden- und Apostelamt« (Apostolisches Sonntagsblatt, 01.09.1907).
So wundert es nicht, dass Krebs unter seinen Anhängern schon bald eine abgöttische Verehrung genoss. Er war nicht irgendein Apostel, sondern von nun an der »Stammapostel«. Ursprünglich war dieser Begriff bloß an die jeweiligen Stämme Europas angelehnt, doch Krebs reservierte ihn als Ausdruck seiner höchsten Würde für sich allein. Von nun an nannte man ihn ehrfurchtsvoll »Vater Krebs«, und als er starb, wurde er sogar in den Rang eines Erlösers gehoben, indem man in seinem Nachruf schrieb: »Das war kein Mensch mehr… Krebs hat sein Leben zum Schuldopfer gegeben und ist aus der Angst und aus dem Gericht genommen, da er um die Missetat der Menschen geplagt war« (Sein letztes Wort, Nachruf 1905). Sogar in das Liedgut der Neuapostolischen Kirche wurde Krebs aufgenommen: »Ja, nirgend auf dem Erdenrund fühlt´ ich mich frei so von Beschwerde, als an der Brust von Vater Krebs, da war mein Himmel auf der Erde« (Lied 509).
Das »Krebs-Geschwür« des Personenkults wurde dann auch bei den nachfolgenden Stamm-aposteln betrieben, ähnlich wie die Päpste der RKK. Während der Amtszeit seines Nachfolgers Niehaus, wuchs die Zahl der Gemeinden von 488 auf etwa 1.600 in Europa und 200 in Übersee. Niehaus´ Nachfolger im Amt wurde 1930 Johann G. Bischoff (1871-1960), ein skrupelloser Taktierer, der keinen Widerspruch duldete und jede Opposition niederschlug, ohne ihr inneres Anliegen zu prüfen. Ein Zeitgenosse schrieb: »Die großen Erfolge in der Mitglieder- und Ämterzahl, der materielle Reichtum und Wohlstand und nicht zuletzt die tausendfältige Lobhudelei und Vergötterung haben den Mann nicht dankbar, klein und demütig vor dem heiligen und gnädigen Gott gestaltet, sondern haben ihn persönlich groß gemacht.«
Die Entstehung der Siebenten-Tags-Adventisten
Auch bei den Siebenten-Tags-Adventisten (STA) lässt sich beispielhaft beobachten, wie aus einer anfänglich guten Bewegung durch den Einfluss fleischlicher Interessen, insbesondere dem Einwirken von Frauen, allmählich eine Laodizea-Sekte entstand mit den typisch laodizäischen Anmaßungen und Fehleinschätzungen. Die Adventisten sind genau genommen aus einer Vorläuferbewegung hervorgegangen, nämlich der von William Miller, die bis 1844 eine hoch aufflammende Wiederkunftserwartung hatte. Um die Trümmer der zerbrochenen Parusiehoffnung zu retten, entwickelte sich nach 1844 eine zweite Bewegung um die Prophetin Ellen G. White, die zur Gründerin der Siebenten-Tags-Adventisten wurde.
Die „Millerbewegung“
Zu Beginn des 19. Jh. wurde das gesellschaftliche Denken stark vom Rationalismus geprägt, der seine religiöse Entsprechung im Deismus fand (die Lehre, nach der Gott die Welt zwar geschaffen, aber danach sich nicht weiter um die Welt gekümmert habe, sondern sie sich selbst überließ). Überall entstanden Vereinigungen von selbsternannten „Erleuchteten“, die es sich zur Aufgabe gesetzt hatten, das Christentum lächerlich zu machen und das Zeitalter der Vernunft heraufzuführen. Auch William Miller (1782-1849) war zunächst Deist, bekehrte sich aber dann 1816 zum Glauben an den HErrn Jesus. Er studierte fleißig die Heilige Schrift, wollte sich dabei jedoch nicht von Kommentatoren oder Auslegern der früheren Gemeinde beraten lassen, da er eine gefährliche Beeinflussung fürchtete. Aus einer Stelle in Dan.8:14, wo von „2300 Abenden und Morgen“ die Rede ist, die bis zur Wiedereinweihung des Tempels vergehen würden, nahm Miller an, dass es sich nicht um buchstäbliche 2300 Tage handeln würde, sondern um 2300 „prophetische Tage“, d.h. 2300 Jahre. Er nahm des Weiteren an, dass diese 2300 Jahre zeitgleich mit den 70 Jahrwochen im Jahre 457 v.Chr. begonnen haben, als der Perserkönig die Rückkehr der Juden aus der Gefangenschaft befahl. Sollte er mit diesen beiden Annahmen richtig liegen, dann stünde das zweite Kommen Christi schon unmittelbar bevor, nämlich im Jahr 1843/44.
Zunächst behielt er seine neu gewonnenen Erkenntnisse noch zurück; als er sie jedoch im Jahr 1831 in einer Predigt erwähnte, stellte er fest, dass diese bei seinen Zuhörern auf großes Interesse stießen. Immer häufiger bekam er Einladungen aus sämtlichen Gemeinden Nordamerikas, um Vorträge über die Wiederkunft Christi zu halten, so dass er bis 1844 an die 4000 Predigten darüber hielt. Die Leute strömten in Massen herbei, um seine erregende Botschaft zu hören. Bis zu 10.000 Menschen fanden sich gelegentlich zu diesen Zeltversammlungen ein, so dass allmählich eine Buß- und Erweckungsbewegung daraus entstand. Auch weltliche Zeitungen berichteten vermehrt darüber, und man verwendete die Botschaft des kurz bevorstehenden Weltendes besonders zu evangelistischen Zwecken. Von 1840 an wurden im ganzen Land insgesamt 16 Generalkonferenzen veranstaltet, deren Teilnehmer aus allen Denominationen stammten. Doch obwohl zu den etablierten Kirchen ein friedliches Verhältnis angestrebt wurde, gingen diese doch zunehmend auf Distanz zu Millers Thesen. Dies führte dazu, dass man schließlich den Papst als den Antichristen ausmachte, die Protestanten als Töchter der Hure Babylon, die nun zu Fall gekommen sei.
Als der HErr Jesus am 21.03.1844 noch immer nicht gekommen war, deutete man dies als einen „Verzug des Bräutigams“ (Mt.25:5), der die Treue der Gläubigen prüfen und ein Anstoß für alle Mitläufer bedeuten solle. Samuel S. Snow, ein hervorragender Redner der Millerbewegung hatte erklärt, dass Christus erst ein halbes Jahr später wiederkommen werde, nämlich am 22.10.1844. Erneut flammten die Hoffnungen auf; auch Miller wurde davon ergriffen. Ein Teil der Gläubigen ließ die Feldfrüchte verkommen, Kaufleute schlossen ihre Läden „wegen der Wiederkunft des Königs der Könige“, Arbeiter verließen ihre Arbeitsstellen, viele verschenkten ihren Besitz an Arme und warteten, unberührt vom Spott der Umwelt, auf das große Ereignis. Aber wieder kam die bittere Enttäuschung. Der Tag verging, ohne dass der HErr gekommen war. Joshua Himes gab ein Bild von der Niedergeschlagenheit: „Ich verließ die Versammlung und weinte wie ein Kind… Wir mussten sagen wie einst Maria Magdalena: Sie haben unseren HErrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben“.
Die führenden Männer waren verstört, die Gläubigen verwirrt und vom hämischen Hohn der Gegner überschüttet. Die ganze mächtige Bewegung, in der sich so viel heilige Inbrunst, Gewissheit und Opfersinn zusammengeballt hatte, schien über Nacht zur Konkursmasse geworden zu sein. Die „Millerbewegung“ war zu Ende. Miller selbst blieb der Naherwartung trau, warnte vor neuen Datenerrechnungen und mahnte zur Geduld, Bußfertigkeit und gegenseitigen Stärkung. Ende 1845 versammelten sich noch einmal 60 Männer der Bewegung in Albany (N.Y.), wo man sich auf einen 10-Punkte-Programm einigte: Die Verkündigung werde fortgesetzt, Unnüchternheit abgewiesen und die Wiederkunftserwartung hochgehalten. Aber das Jahr 1844 als Datum erfüllter Prophetie wurde aufgegeben. Diese ersatzlose Streichung wurde jedoch nicht lange durchgehalten. Bald meldeten sich Stimmen, die neue Wiederkunftstermine setzten. Darüber entstand Zwist, und der Albany-Kreis zerbrach schließlich in zwei Gruppen.
Der Rettungsversuch einer Fehldeutung
Abseits und unabhängig von der Albany-Konferenz ging eine kleine Minderheit ihren eigenen Weg, der schließlich zur Entstehung der größten Nachfolgegruppe führte, der „Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten“ (STA). Zu deren Gründung trugen folgende Personen maßgeblich bei: Joseph Bates (1792-1872), Hiram Edson (1806-1882), O. L. Crosier (1812-1913), Joshua Himes und vor allem das Ehepaar James und Ellen G. White, geb. Harmon. 1840 hörte die zur Methodistenkirche gehörende Familie Harmon in Portland die Vorträge William Millers und schloss sich der Bewegung an. 1845 lernte James White (1821-1881) die damals siebzehnjährige Ellen Gould White (1827-1915) kennen, die durch einen Steinwurf im Alter von neun Jahren schwer verletzt wurde und jahrelang von Ohnmachtsanfällen heimgesucht wurde. Unter der „Enttäuschung“ von 1844 litt das leicht erregbare Mädchen tief und erforschte leidenschaftlich die Gründe für das Ausbleiben der Parusie. Der mit diesen Personen verbundene Kreis hielt im Unterschied zur Albany-Konferenz an dem 22.Okt. 1844 als einem prophetischen Termin fest. Denn es schien ihm undenkbar, dass Millers biblische Berechnung fehlerhaft und unzulässig und die dadurch ausgelöste Erweckungsbewegung ein Hereinfall gewesen sein sollte. Aufgrund einer Vision von Joshua Himes am 23.10.1844 ging man nun davon aus, dass Christus an diesem Tag zum ersten Mal das Allerheiligste im Himmel betrat und damit der „Mitternachtsruf“ an die zehn Jungfrauen (Christenheit) ergangen sei.
An dieser Stelle sei ein kurzer Einschub angebracht, um die Frage zu klären, ob jene Stelle in Dan.8:14 eigentlich tatsächlich von einem Ereignis im Jahr 1844 spricht, oder ob diese Auslegung nicht in Wirklichkeit völlig an den Haaren herbei gezogen ist. Ein unvoreingenommener Bibelleser kann sich zunächst nicht erklären, wie man aus 2300 Tagen auf einmal 2300 Jahre verstehen kann. Die Adventisten begründen diese gewagte Annahme mit 4.Mo.14:33-34 und Hes.4:4-5, wo der HErr eine Gleichung macht zwischen Tagen und Jahren, in welchen die Kinder Israel bzw. der Prophet Hesekiel symbolisch die Schuld der Väter bzw. von Israel und Juda stellvertretend sühnen sollte. Dass diese beiden Stellen aber überhaupt nicht auf Dan.8:14 anwendbar sind, möchte ich mit 3 Argumenten begründen:
1. In den beiden Stellen wird im Gegensatz zu Dan.8:14 die Gleichsetzung von Tagen und Jahren auch unmissverständlich genannt. Würde man indes behaupten, dass in biblischen Vorankündigungen mit Tagen grundsätzlich immer Jahren gemeint wären, dann würde ein heilloses Durcheinander entstehen. Der HErr Jesus wäre dann z.B. nicht nach drei Tagen auferstanden, sondern erst nach 3 Jahren, denn die 3 Tage wurden ja ebenso von ihm prophetisch angekündigt, usw.
2. In den beiden Stellen ging es jeweils um stellvertretende Strafe bzw. Sühne, nicht aber in Dan.8:14, wo stattdessen eine berechtigte Frage beantwortet wurde, wie lange es dauern würde von der Entweihung des Tempels durch den Antichristen in Vers 11 bis zur Wiedereinweihung des Heiligtums. Diese Prophezeiung hatte sich das erste Mal erfüllt in der Zeit von Antiochus IV Epiphanes in den Jahren 174 – 168 v.Chr. und wird sich ein zweites Mal erfüllen bei der Entweihung des 3.Tempels während der antichristlichen Vorherrschaft.
3. Gerade der Hinweis von „Abenden und Morgen“, der uns auch an die biblischen Schöpfungstage erinnert, sollte um so deutlicher machen, dass es sich um buchstäbliche Tage handelt, denn im Judentum beginnt der Tag ja bekanntlich um ca. 18.00 Uhr am Vorabend und endet um 18.00 Uhr. Andernfalls könnte man ja auch sagen, dass Gott die Welt nicht in 7 Tagen sondern in 7 Jahren geschaffen habe. Es wäre eine geradezu boshafte Irreführung, wenn der Engel dem Heiligen auf so eine falsche Fährte geführt hätte. Statt aber einfach dem Worte so zu glauben, wie es geschrieben steht, ist man hier einer Wahnidee verfallen gewesen, und selbst als abzusehen war, dass man sich geirrt hat, war bei den White-Anhängern keine Bereitschaft zur Demütigung, sondern man machte stur in der Wahnidee weiter, gleichsam einem sturen Schüler, der seiner Lehrerin erklären will, dass er sich doch nicht geirrt habe.
Ergänzend sei noch erwähnt, dass die Adventisten auch gelegentlich Dan.9:24-27 als Beleg bemühen, wo Wochen als Jahrwochen gemeint sind. Im Grundtext steht hier aber nicht „Woche“, sondern einfach nur „Siebener“, so dass es dem verständigen Leser überlassen wird, zu erkennen, dass es sich nicht um eine Einheit von 7 Tagen sondern um 7 Jahre handelt. Überhaupt ist die Deutung Millers, dass die Wiederkunft des HErrn einer Reinigung des Tempels gleichkommt, völlig abwegig. Denn das würde ja bedeuten, dass der Tempel im Himmel seit der Auferstehung immer noch unrein blieb, obwohl doch der HErr Jesus gemäß Hebr.9.25-26 „ein für alle Mal bei der Vollendung der Zeitalter sich selbst geopfert hat, um die Sünde hinwegzunehmen“ und um dadurch das Allerheiligste für immer zu heiligen. Deshalb ist aber gleichfalls auch die Lehre von E.G. White und ihren Anhängern falsch, dass dies angeblich erst im Jahre 1844 geschehen sei; und da sie diese auch noch von einem Engel sich habe bestätigen lassen, kann es sich nur um einen solchen Engel aus 2.Kor.11:14 oder Gal.1:8 handeln. Bereits an dieser Stelle ist E.G. White damit auch als „falsche Prophetin“ entlarvt, wobei man konstatieren muss, dass sie im Grunde auch nie als eine echte Prophetin auftrat, sondern eher als Lehrerin (was ihr aber nach 1.Tim.2:8 untersagt war), die sich ihre Lehren immer nachträglich durch angebliche Visionen hat beglaubigen lassen, wie es auch der selbsternannte Prophet Mohammed tat.
Die Sabbatheiligung als Maßstab für eine neue, alleinseligmachende Sekte
Die Adventisten fingen damals an, zu behaupten, dass jeder, der sich also bis zu diesem Datum nicht für die Begegnung mit dem Bräutigam im Himmel gerüstet habe, von nun an vor einer verschlossenen Gnadentür stehe. Doch schon bald erwies es sich, dass die „Shut-Door-Theorie“ revidiert werden musste, da sonst den neubekehrten Seelen kein Heil mehr verheißen werden konnte. Es musste ein „Siegel“ her wie jenes in Offb.14, durch welche man die vermeintlich echten von den falschen Christen unterscheiden konnte. Dieses Siegel sollte auf Wunsch der Adventisten in der Sabbatheiligung bestehen.
Die Idee, die Einhaltung des 4. Gebots von einem bestimmten Tag der Woche abhängig zu machen, ist nicht neu und wurde im Verlauf der Kirchengeschichte immer mal wieder von einzelnen Splittergruppen umgesetzt. Schon 1532 hatten die böhmischen Wiedertäufer in ihrem Glaubensbekenntnis den Sonntag als „des Papstes Erfindung“ verworfen. 1617 entstand in London eine erste Gemeinde der „Seventh-Day-Baptists“. 1664 kamen diese „siebenten-Tags-Baptisten“ nach Amerika und bildeten 1671 die erste Gemeinde in New Port, Rhode Island. 1844 hatte ein Mitglied dieser Gemeinschaft, Frau Rachel Preston, ihre Tochter in dem kleinen Ort New Hampshire besucht, die Adventistin war. Unter ihrem Einfluss gingen alle 40 Glieder der nahen Adventgemeinde samt ihrem Prediger dazu über, den Sabbat zu halten. Im darauffolgenden Jahr eröffnete ein anderer Adventprediger, T.M. Preble, eine Schrift über den Sabbat, indem er die Sonntagsfeier mit einem antichristlichen Vorzeichen versah: Sie sei eine Erfüllung von Dan.7:25, wo vom willkürlichen Ändern der Festzeiten die Rede ist. Joseph Bates griff in seiner Schrift „The Seventh Day, Sabbat, an eternal Sign“ von 1846 diesen Gedanken auf und entwickelte hier schon die ganze Lehre über die ewige Gültigkeit und den Rang des Sabbatgebots, wie sie dann von der STA-Gemeinschaft übernommen wurde. E.G. White gab ihr mit einer Vision vom 3.04.1847 eine göttliche Bestätigung. Sie sah im Allerheiligsten eine goldene Lade mit den zehn Geboten auf zwei steinernen Tafeln: „Die vier auf der ersten Tafel leuchteten heller; aber das vierte, das Sabbatgebot, trat besonders hervor, denn es sollte dem heiligen Namen Gottes zu Ehren gehalten werden. Ein leuchtender Ring umgab das Gebot.“ – „Ich sah, dass Gott den Sabbat nicht verändert hat, da er nie verändert. Aber das Papsttum hat ihn vom siebten Tag auf den ersten verändert, denn es änderte Zeit und Gesetz.“ – „Ich sah, dass der heilige Sabbat die trennende Mauer zwischen dem wahren Israel Gottes und den Ungläubigen ist und sein wird…“ (E.G. White, Erfahrungen und Gesichte, Haburg 1919, S. 24).
Hier wird also deutlich, dass für die Adventisten die Sabbatheiligung am 7.Wochentag nicht bloß die Rückbesinnung auf ein vergessen geglaubtes Gebot ist, sondern als das angeblich „wichtigste Gebot im Dekalog“ (White). Damit sei es aber zugleich sogar das entscheidende Ausschlusskriterium und Unterscheidungsmerkmal zwischen den wahren Gläubigen und den Anhängern des Papstes: „Das ganze Volk ist dem Tier nachgefolgt, und jede Woche berauben sie Gott seiner heiligen Zeit“ (S.56). Der Sonntag hingegen sei als Tag des Sonnengottes ein heidnischer Feiertag, durch den Gott verunehrt werde. In dem Streben, Christentum und Heidentum zu verschmelzen, erließ Konstantin 321 das erste Sonntagsgesetz, und die Päpste sorgten für die Einführung in der Kirche: „Satan hat von den Kirchen als einem Ganzen vollen Besitz genommen… Ihr Bekenntnis, ihre Gebote und Ermahnungen sind dem HErrn ein Gräuel.“ (S. 266-268). White unterscheidet also hier an Hand des vermeintlich richtigen oder vermeintlich falschen Verständnisses vom Sabbat alle Christen in Anbeter Gottes auf der einen Seite und Anbeter des Tieres und Träger des Malzeichens auf der anderen Seite. Nach adventistischer Auffassung nehmen an der Auferstehung zum Leben auch nur die Teil, die im Glauben an die adventistische Auslegung der dritten Engelsbotschaft gestorben sind, also ausschließlich Adventisten.
Sind Nicht-Adventisten Sonnengottanbeter?
An dieser Stelle sei doch mal ein Wort der nüchternen Wortbetrachtung angebracht: Ähnlich wie bei der schon bereits betrachteten Fehldatierung, gilt auch in der Sabbatfrage der Grundsatz: Ist bereits schon die Prämisse falsch, dann kann das Endergebnis erst recht nicht mehr stimmen, sondern wird zum Ende hin grober Unfug. Ausgangspunkt für die neutestamentlich völlig unhaltbare Überbewertung des Sabbats war ja der Hinweis in Dan.7:25, dass der Antichrist „Zeiten und Zeitpunkte ändern“ würde. Sowohl Napoleon als auch Stalin hatten vorübergehend versucht, die 7-Tage-Woche abzuschaffen und sie gegen eine 10-Tage-Woche zu ersetzen, was sowohl Juden als auch Christen in Schwierigkeiten brachte, weil sie mit der Einhaltung ihres 7-Tage-Ruhezyklus durcheinander kamen. Hieran sieht man auch das perfide an dieser antichristlichen Zerstörung der göttlichen Schöpfungsordnung, deren Ziel es war, dass die Gläubigen sich nicht mehr unter Gottes Wort versammeln konnten. Aber Gott ließ es nicht zu, dass dieser perfide Plan sich durchsetzte. Die konstantinische Änderung des 7-Tage-Zyklus auf den ersten Wochentag hatte hingegen überhaupt keine Auswirkungen für die Gläubigen, sondern ganz im Gegenteil hatte sie gerade zur Abschaffung des Sonnenkults geführt. Ähnlich wie beim Weihnachtsfest hat der HErr den heidnischen Feiertag zerstört, indem Er als Demonstration Seiner Macht auf den Trümmern des Götzendienstes Sein Heiligtum errichten ließ.
Die Einhaltung eines von Gott bestimmten Tages zum Erweis des Gehorsams ist von seiner ganzen Art her typisch alttestamentlich. Im neuen Bund musste Paulus bei den Galatern hingegen befürchten, dass er ganz umsonst an ihnen gearbeitet habe, weil sie immer noch auf die Einhaltung ganz bestimmter Tage achteten (Gal.4:10-11). Die Behauptung, dass „das Sabbatgebot das höchste aller Gebote sei“, lässt sich durch keine Schriftaussage begründen. Auf die Frage nach dem höchsten Gebot hat Jesus nicht den Sabbat genannt, sondern das Gebot der Gottes- und der Nächstenliebe (Mt.22:35-40). Ebenso ist auch die Behauptung, dass der Sabbat genauso wie die Ehe ein „Urgebot Gottes“ für die ganze Menschheit gewesen sei, wäre nur haltbar, wenn er auch den heidnischen Völkern bezeugt und ins Gewissen gelegt worden wäre. Das ist aber nicht der Fall. Die Ägypter und Athener hatten die 10-Tage-Woche (Dekade) und die Römer einen 8-tägygen Rhythmus. Der HErr Jesus hat weder die Sabbathalter glückselig gepriesen (Mt.5:3-12), noch hat Er bei der Gegenüberstellung der alten und der neuen Gebote (Mt.5:19-28) das Sabbatgebot genannt, obwohl es infolge seiner damaligen Entstellung reformbedürftig war. Er hätte es aber nennen müssen, wenn es Ihm ebenso im Mittelpunkt gestanden hätte wie den Adventisten. Bei der Frage auf dem Apostelkonzil, welche Gebote aus dem AT auch für die Heiden unverzichtbar sind, ist der Sabbat kein Thema. Er findet aber auch in den Briefen des Neuen Testaments so gut wie keine Erwähnung mehr, außer vielleicht in Kol.2:6, dort jedoch in einer Warnung vor den Sabbatisten, die die Gläubigen durch Verführung um den Kampfpreis ihrer Berufung bringen können. Der eigentliche Sinn des 4. Gebots, nämlich das einmal wöchentliche Zur-Ruhe-kommen ist auch dann noch gewährleistet, wenn der 7-Tage-Zyklus sich um einen Tag verschiebt. Das wussten schon die Apostel, weshalb sie unter der ihnen vom HErrn in Mt.18:18 übertragenen Vollmacht entschieden, sich von nun an am 1. Tag der Woche regelmäßig zu versammeln (Apg.20:7, 1.Kor.16:2, Offb.1:10). Der Sonntag sollte gerade als Gedenktag an die Auferstehung des HErrn in einem Gegensatz zu der jüdischen Buchstabentreue stehen.
Aus der unverschämten und geradezu größenwahnsinnigen Behauptung, dass die gesamte Christenheit jahrhundertelang das 4. Gebot missachtet habe, haben die Adventisten unbewusst das 5.Gebot übertreten, in welchem wir aufgefordert werden, unsere Eltern zu ehren, aber nicht nur unsere buchstäblichen, sondern auch unsere „Väter in Christo“, die unter großen Drangsalen und Entbehrungen ausgeharrt haben und schon Jahrhunderte vor uns den guten Kampf des Glaubens geführt und ihren Lauf siegreich vollenden durften in Christo. Durch die an den Haaren herbeigezogene Behauptung, dass die Sonntagsheiligung der Anbetung des Tieres gleichkommt, haben die Erfinder dieser sektiererischen Irrlehre auf einen Schlag ihre eigenen Glaubensväter posthum als Teufelsanbeter diffamiert. Dabei haben sie aber übersehen, dass der Sabbat um des Menschen willen geschaffen wurde und dem Menschen als Ruhetag dienen soll. Zum Erreichen dieses Zieles ist es völlig irrelevant, ob nun der 7. Tag auch nach dem jüdischen Kalender der 7.Tag ist oder z.B. jeder Mittwoch. Denn Gott geht es im Neuen Bund nicht mehr um die Form, sondern um den Inhalt. Aber schon im Alten Bund hatten die Priester dies erkennen dürfen und in Ausnahmefällen auch mal das Passahfest um einen Monat verschoben (2.Chr.30:2). Gott hat diese Änderung der Ausführungsbestimmung nie gerügt, weil sie sich noch völlig im Rahmen des Erlaubten befand. Einfach zu behaupten, dass Gott Seine Bestimmungen nie ändern würde, ist auch schon deshalb falsch, weil sich die meisten Gebote im Alten Bund vom Schattenhaften zum Geistlichen hin verändert haben (z.B. Opfergebote, Priesterdienst etc.). Dies haben rund 90 % der gläubigen Christenheit durch alle Jahrhunderte hindurch richtig verstanden, deshalb ist es eine typisch laodizäische Anmaßung, diese Erkenntnis der Väter einfach zu ignorieren und es so darzustellen, als seien sie alle blindlings den Päpsten gefolgt. Wäre dem wirklich so, dann könnte sich die Ekklesia auch nicht mehr als „der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit“ bezeichnen (1.Tim.3:10), sondern hätte diesen Status ja schon spätestens im 4.Jh. wieder verloren. Der HErr hat aber in Mt.16 verheißen, dass des Hades Pforten die Gemeinde nicht überwältigen würden.
Um ihren angeblich exklusiven Sendungsauftrag biblisch zu begründen, die Einhaltung eines Ruhetages zu einem bestimmten Zeitpunkt als heilsentscheidend zu proklamieren und damit ein neues Evangelium zu verbreiten, berufen sich die Adventisten auf die in Offb.14:6-12 beschriebene „dreifache Engelsbotschaft“. Nach adventistischem Verständnis sind allein die STA-Christen jene, die das GANZE Gesetz halten und deshalb das Siegel Gottes an ihren Stirnen tragen. Obwohl dort überhaupt nichts vom Sabbat oder vom Sonntag steht, wird die dritte Engelsbotschaft einfach so ausgelegt, dass man die Welt vor der Sonntagsfeier als Malzeichen warnen müsse. Wie jede andere Sekte auch, sehen sie sich allein als die einzigen Heilsverkünder an und merken dabei gar nicht, dass sie damit genau die gleiche Irrlehre verbreiten wie ihre Erzfeindin, die RKK, nämlich dass es außerhalb ihrer Kirche kein Heil geben könne. Man hängt dem Wahn eines zukünftigen „Sonntagsgesetzes“ an, nach welchem angeblich alle Menschen während der antichristlichen Weltherrschaft gezwungen werden, den Sonntag zu heiligen. Das aber ist absolut realitätsfern, denn allein die 30 Millionen Atheisten und Konfessionslosen in Deutschland würden sich doch kaum zwingen lassen, sonntags in die Kirche zu gehen! Und was sollte bitte schön so „antichristlich“ sein, wenn sich Menschen am Sonntag versammeln, um den Gott und Vater unseres HErrn Jesus Christus zu preisen? Hier haben sich die Erfinder dieser Irrlehre also böse verrannt.
Ist Ellen G. White überhaupt eine Prophetin?
Ohne Frage war Ellen White eine hochbegabte Frau und hatte eine herausragende Persönlichkeit, obwohl sie von Natur eher schüchtern und in sich gekehrt war. Ihre vielen Bücher haben bei den STA heute nahezu einen kanonischen Charakter, d.h. sie finden sich in jedem Adventistenheim und werden immer Parallel zur Bibel gelesen. Kaum eine adventistische Predigt kommt ohne ein Zitat der geistlichen Führerin aus. Zum Teil wird den Schriften Whites sogar eine größere Bedeutung beigemessen als der Bibel, da sie vollständiger und zeitgemäßer seien. Tatsächlich sind die meisten Visionen Whites eigentlich nur Reaktionen auf die jeweils aktuellen Überlegungen ihrer Umgebung, also quasi nur ein Echo, das Bezug nahm auf den jeweiligen Stand der Lehrdiskussion, die sich noch im Fluss befand. Die Folge war, dass die Gesichte in einem Teil ihrer Aussagen später überholt waren. Es kam auch vor, dass E.G. White Erkenntnisse, die sie durch Gesichte erhalten hatte, später ebenfalls durch Gesichte wieder verwarf. Eine 1863 unter Berufung auf 5.Mo. 22:5 als Gräuel bezeichnete Reformkleidung mit kurzem Rock und langen Bauschhosen wurde, mit längerem Rock, später unter Berufung auf 4.Mo.15:38-41 den Adventistinnen zur Pflicht gemacht, damit sie sich dadurch als „Volk des Eigentums“ unterscheiden. Da diese Kleidung nicht einschlug, sondern in der Öffentlichkeit belächelt wurde, hob E.G. White sie mit einem Gesicht vom 03.01.1875 wieder auf. In ähnlicher Weise widerrief sie die visionär erteilte Erlaubnis des Genusses von Schweinefleisch vom 21.10.1858 und ersetzte sie durch ein Verbot. Diese opportunistischen Korrekturen erinnern mich verblüffend an das Gebaren des selbsternannten Propheten Mohammed, der ebenso nach seinen jeweiligen Launen und Bedürfnissen eine entsprechende Vision erhielt, die seine eigenmächtigen Entscheidungen nachträglich legitimierten. Nachdem Mohammed z.B. zunächst die maximale Anzahl von Ehefrauen auf vier pro Mann begrenzt hatte, dann aber seine fünfte mit einer neuen Vision Allahs begründet hatte, bemerkte seine Frau Aische spöttisch: „Was für ein Zufall, dass Allah ausgerechnet jetzt eine neue Offenbarung geschenkt habe…“
Ellen G. White ließ jedoch keine Zweifel an ihren Visionen zu. Wer sie als bloße Meinungen abtat, der würde dadurch „den Geist Gottes beleidigen“. Es war gleichbedeutend, als würde man sich „wider Gott empören“. L. R. Conradi zitierte eine angebliche Botschaft Whites mit den Worten: „Wer die Zeugnisse, die ich dir gegeben habe, verachtet und verwirft, hat nicht nur dich, sondern mich, deinen Herrn verachtet“. Dabei stellte er fest, dass sie nicht nur visionäre Quellen hatte, sondern auch „das Abschreiben aus den Werken anderer“ eine bedeutende Rolle spielte. Schon die Siebzehnjährige nährte ihre Phantasie an 4.Esra. Dann benutzte sie das „Buch Jaschar“, das Produkt eines Phantasten, der das Jos.10:13 und 2.Sam.1:18 erwähnte, aber längst verlorengegangene „Buch des Redlichen“ neu konstruierte und durch den New Yorker Verleger R. Gould 1840 verbreiten ließ. Aus ihm übernahm sie in „Patriarchen und Propheten“ ganze Zitate, darunter auch das Märchen von der Vermischung von Menschen mit Tieren. Aus dem Werk „Leben und Episteln des Apostels Paulus“ von Conybeare und Howson nahm sie etwa 200 Zitate, teilweise ganze Abschnitte, in ihr „Leben Pauli“ (1883) auf. Auch hierin tat sie es dem „Propheten“ Mohammed gleich, der zwar nicht lesen konnte, aber sämtliche Geschichten, die er vom Hörensagen über das Alte Testament aufgeschnappt hatte, aus der z.T. schlechten Erinnerung wiedergab und sie als Worte Allahs verkaufte.
Doch noch in einem weiteren Punkt finden sich Parallelen zwischen den Prophetien Whites und denen Mohammeds, und zwar in der Form eines gewissen „Revisionismus“, nämlich der Vertuschung von früheren Aussagen. Von Mohammedanern ist ja bekannt, wie sie immer wieder Koran-Aussagen ihres Propheten abstreiten und seine schändlichen Taten wir Päderastie, Nekrophilie und Zoophilie leugnen, obwohl sie in den Hadithen bezeugt wurden. Wer indes peinliche Dinge über den Propheten öffentlich bekanntmacht wie z.B. die sog. „Satanischen Verse“ über die Salman Rushdi 1991 ein Buch schrieb, der muss sogar mit einer Fatwa (Mordaufruf) gegen seine Person rechnen. 1926 fand der hochrangige STA-Führer Conradi in New York die Urausgabe von E.G. Whites Gesichten aus 1847. Er verglich sie mit der Neuauflage von 1851 und entdeckte mancherlei Auslassungen. Dies veranlasste ihn zu einer kritischen Überprüfung der gesamten Geschichte nach 1844. Das Ergebnis war, dass für ihn die Autorität von E.G. White als Prophetin zerbrach. Die durch ihre Visionen verkündigten oder bestätigten Grundlehren der STA fielen dahin. Er teilte dem literarischen Ausschuss des Adventverlages in Hamburg seine Entdeckung der Differenzen zwischen den beiden Auflagen von 1847 und 1851 mit. Die Folge war sein Sturz. Er wurde 1931 wegen „Abkehr von den Grundsätzen unserer Gemeinschaft“ pensioniert. Die Schriftleitung des „Herold“ wurde ihm entzogen, und bald wurde ihm auch der Predigerschein abgenommen. Er verzichtete 1932 auf seine Pension, trennte sich von den STA und schloss sich den Siebenten-Tags-Baptisten an, die er in eben dieser Zeit kennengelernt hatte. Mit ihm schieden sich mehrere Tausend Adventisten in aller Welt, davon 600 in Deutschland, von den STA. Einige betrachteten E.G. White sogar als Antichristin und wiesen darauf hin, dass ihr voller Name, wenn er in römischen Zahlen gerechnet wird, die Zahl 666 ergibt.
Die Adventisten in der Endzeit
In den letzten 100 Jahren haben viele Siebenten-Tags-Adventisten die Widersprüche und sektiererischen Irrlehren von Ellen G. White erkannt und sich von der Kirche getrennt. Am Sabbat haben jedoch die meisten festgehalten ohne diesem jedoch eine heilsnotwendige Bedeutung beizumessen. So haben sich viele neue Gruppen und Reformbewegungen gegründet, die alle die Sehnsucht eint, sich nicht länger als alleinseligmachende Kirche von den anderen Kirchen abzuschotten, sondern eine „Ökumene der wahren Christen außerhalb der Ökumene“ anzustreben. Leider wird dieses Bemühen von den meisten bibeltreuen Christen nicht anerkannt, sondern man reagiert geradezu allergisch auf Christen, die noch den Sabbat halten und will mit ihnen nichts zu tun haben. Hier aber verhalten sich solche Brüder genauso sektiererisch und selbstgefällig wie manche Hardliner-Sabbatisten und wiedersprechen den Worten von Paulus in Röm.14:1-6, der zur Toleranz aufrief.
Ich persönlich halte die Adventisten für sehr wertvolle Geschwister, denn im Gegensatz zu vielen modernen Evangelikalen, die sich überhaupt nicht mehr um die Gebote des Alten Bundes scheren, weil sie angeblich keine Gültigkeit mehr hätten im Neuen Bund, haben die Adventisten klar erkannt, dass der HErr keines Seiner Gebote am Sinai aufgelöst hat, sondern ihnen höchstens eine andere Bedeutung im Neuen Bund verlieh, um von dem schattenhaften zum wesenhaften Sinn der Gebote geführt zu werden (Mt.5:17-19). Wenn es gelingt, unsere adventistischen Brüder von der geistigen Herrschaft ihrer Gründerin zu befreien, die letztlich nur zu Parteidenken und einem falschen Evangelium verleitet hat, dann können die Adventisten gerade in der Endzeit noch sehr nützlich sein, um der antichristlichen Aufweichung und Verwässerung der biblischen Gebote in den evangelikalen Gemeinden klare biblische Maßstäbe entgegenzusetzen. Deshalb sollten wir Bibeltreuen nicht länger die Adventisten ausgrenzen, sondern sie zu einem konstruktiven Dialog einladen, damit auch ihr Herz geweitet wird für ihre bisher verketzerten Brüder außerhalb ihrer Sekte.
Die Entstehung der Brüderbewegung
Eine (Ver-)Sammlung außerhalb der Kirchen
Die sog. „Brüderbewegung“ wurde maßgeblich von John Nelson Darby geprägt. Die nach ihm benannten „Darbysten“ werden gelegentlich auch als „Exklusive-„, „Geschlossene-“ oder als „Plymouth-Brüder“ bezeichnet. Darby wurde am 18.11.1800 als Kind wohlhabener Eltern geboren. Er studierte erst Rechtswissenschaft in Dublin. Aber eine innere Krise veranlasste ihn, auf einen juristischen Beruf zu verzichten und Theologie zu studieren. Er erlebte eine religiöse Erweckung und wurde 1826 zum Priester der anglikanischen Kirche ordiniert. Er führte ein asketisches Leben und übernahm eine Diasporagemeinde, der er mit großer Aufopferung diente. Ein Unfall warf ihn 1827 aufs Krankenlager, und hier erlebte er bei intensivem Bibelstudium eine zweite Bekehrung. Hatte ihn „die erste 6 oder 7 Jahre unter der Zuchtrute des Gesetzes zubringen lassen“ war, so gab ihm bei der zweiten Bekehrung Gott zu verstehen, dass er „in Christus war, vereint mit Ihm durch den Heiligen Geist“. Er kam mit einem Kreis frommer Männer in Dublin in Verbindung und lernte hier den Zahnarzt A.N. Groves kennen, der wie viele anglo-irische Protestanten unter der Zersplitterung der Christenheit litt, auf der Suche nach der „wahren Kirche“ und christlichen Einheit und an die Nähe der Endzeit glaubte. Aus der Bibel gewann er die Überzeugung, dass allein das allgemeine Priestertum schriftgemäß sei. Darby entwickelte ähnliche Gedanken, und im November 1829 versammelte er sich mit einigen „Brüdern“ in Dublin, um gemeinsam das Brot zu brechen.
Das war die Geburtsstunde der „Brüderbewegung“. Bald griff sie nach England über, wo in Plymouth die erste und bedeutendste Gemeinde entstand, die für die nächsten 40 Jahre zum Zentrum der ganzen Bewegung wurde. 1834 trennte sich Darby von der anglikanischen Kirche, die ihm mit ihrer hierarchischen Verfassung, ihrem ordinierten Klerus, ihrem Parochialsystem und ihren weltlichen Verflechtungen als Babel erschien. Ihr und allen Kirchentümern stellte er die Gemeinschaft wahrer Christen gegenüber, die auf der Verheißung ruht: „Wo zwei oder drei versammelt sind in Meinem Namen, da bin Ich mitten unter ihnen“ (Mt.18:20). Sie kennt keine menschlichen Organisationsformen, keinen geistlichen Stand, keine gewählten Amtsträger, keine Mitgliederliste. Ihr Leben wird allein vom Heiligen Geist geleitet, der sich an den Buchstaben der Schrift gebunden hat. Die Christliche Versammlung repräsentiert die wahre Kirche und hat die Aufgabe, alle Kinder Gottes durch „Absonderung“ aus den „Systemen“ auf dem Boden der Einheit zu versammeln. Wenn nach der ersten Auferstehung die Vollzahl der Heiligen erreicht ist, wird diese wahre Kirche als Braut Chrsti in den Himmel entrückt, während die „Weltkirche“ unter Führung des Antichrists offen gegen alles Göttliche rebelliert und von dem wiederkommenden Christus gerichtet wird.
Übertriebene Absonderung führt zur Sektiererei
Aber bald wurde die Brüderbewegung selbst von einer folgenschweren Spaltung betroffen. Dabei ging es nicht um die Frage des Glaubens, sondern der Gemeindeordnung: Darby warf dem Mitbegründer der Brüderbewegung, Benjamin W. Newton, in Plymouth vor: dass er als Leiter der Gottesdienste etwas überhöht vor der Versammlung saß; dass er gelegentlich Brüder, die nicht redegewandt waren, in der Versammlung unterbrach und zum Schweigen brachte; dass sich im Lauf der Zeit ein begrenzter Kreis von Brüdern den Predigtdienst teilte und die anderen nicht zu Wort kamen. In alledem sah Darby einen Verstoß gegen das allgemeine Priestertum, ja ein Wiederaufblühen des Klerkalismus, und er erklärte, dass man Gott als Souverän der Versammlung durch organisatorische Maßnahmen abgesetzt habe. Er trennte sich mit 70 gleichgesinnten Brüdern von Newton und gründete 1845 eine zweite Versammlung in Plymouth.
Die Auseinandersetzung ging mit unerbittliche Schärfe weiter, besonders nachdem er Newton der Irrlehre überführt zu haben glaubte. Sein nächster Gegner war Georg Müller (1805-1898), ein Deutscher, der in Halle Theologie studiert hatte und nach dem Erlebnis seiner Bekehrung nach England gekommen war, um in den Dienst einer Londoner Missionsgesellschaft zu treten. Aber er nahm davon Abstand, als er mit der Brüderbewegung bekannt wurde. In Bristol baute er die Bethesdagemeinde auf und machte sich einen Namen als der „Waisenvater von Bristol“, weil er mehrere Waisenhäuser errichtete; außerdem gründete er Tages- und Sonntagsschulen und eine Bibel- und Traktatdruckerei. Weil er in seine Bethesdagemeinde auch Anhänger Newtons aufnahm, entflammte der Streit mit Darby, der zur Exkummunion der ganzen Gemeinde führte. In seinem „Bethesda-Rundschreiben“ 1848 warnte er alle Gemeinden, Mitglieder von Bethesda aufzunehmen. „Diejenigen, die Personen von Bethesda aufnehmen, identifizieren sich dadurch mit dem Bösen, denn die Gemeinschaft, die so hndelt, ist als ganze verantwortlich für das Böse, das sie zuläßt.“ Die Folge war, dass de Brüderbewegung sich in Anhänger Darbys, die „exklusiven Brüder“, und in Anhänger Müllers, den „offenen Brüder“, spaltete. Während die letzteren jeden ohne Ansehen seiner kirchlichen Zugehörigkeit, der „gesund im Glauben und gottselig im Wandel“ war, zur Gemeinschaft zuließen, verschlossen sich die „Exklusiven“ sowohl den „Offenen“ gegenüber wie auch den Gliedern anderer Kirchen.
Darby machte viele Missions- und Besuchsreisen, nicht nur in England und Irland und auf dem europäischen Kontinent, sondern auch in Kanada, den Vereinigten Staaten und Neuseeland. Durch seine Wirksamkeit bekam die Brüderbewegung ein internationales Ausmaß. In Deutschland fanden die „Exklusiven“ 1847 Eingang; die erste „Christliche Versammlung“ entstand in Düsseldorf. Einen starken Auftrieb erhielten sie, als 1854 der Lehrer Carl Brockhaus (1822-1899) in Elberfeld sich mit Darby verband. Er gründete einen Verlag und brachte neben evangelistischer Literatur die „urtextgetreu“ übesetzte „Elberfelder Bibel“ heraus. Die „Offenen Brüder“ kamen erst später nach Deutschland: 1887 bildete sich durch Jean Leonhardt in Bad Homburg v.d.H. eine erste Gruppe. Die „Christliche Versammlung“ wurde 1937 verboten. Ihre Mitglieder vereinigten sich 1937 zunächst im „Bund freikirchlicher Christen“ (BfC), dann 1941 mit den Baptisten im „Bund evangelisch-freikirchlicher Gemeinden“; nach 1945 kehrte ein Teilvon ihnen wieder zur „Christlichen Versammlung“ zurück. Die „Offenen Brüder“ und ein Teil der ehemals „exklusiven“ Brüder fanden sich 1949 im „Freien Brüderkreis“ zusammen. Insgesamt zählt die Brüderbewegung weltweit etwa 480.000 Mitglieder und Freunde, in Deutschland 80.000.
Einheitlichkeit selbst in Nebensächlichkeiten
Zurück zu Darby: Am Ende seines Lebens und besonders nach seinem Tod am 29.04 1882 wurden die „Exklusiven“ in England von einer Reihe von Spaltungen heimgesucht – bis 1908 waren es insgesamt acht, von denen nur eine, die Ramsgate-Trennung 1881, im Jahr 1928 wieder aufgehoben wurde. Die Ursache dieser Spaltungen lag, wie schon die Bethesda-Trennung zeigte, in Darbys Auffassung von der wahren christlichen Versammlung: Ihre Mitglieder können nur solche Christen, die sich nicht nur radikal von der Welt sondern auch von dem weltlichen Treiben der Kirchen und Denominationen absondern. Dass für Darby und seine Anhänger schon durch ein kleines Podest für den Leiter der Versammlung das allgemeine Priestertum verletzt war, mag vielen als Ausfluss kleinlichen Denkens erscheinen. Aber für Darby und die Brüder waren Äußerlichkeiten immer auch zugleich Ausdruck von „Innerlichkeiten“, und darum war ein Podest nicht nur ein nützliches Möbel, sondern die erste Stufe einer geistlichen Rangerhöhung. Und auch alle anderen Äußerlichkeiten bekamen ein entsprechendes Gewicht, sei es im Gemeinschaftsleben oder in den Gottesdiensten der Versammlung oder im Verhalten der Mitglieder zur „Welt“. Darby forderte absolute Reinheit der Versammlung, und jeder Verstoß dagegen musste zur „Trennung“, das heißt Exkommunikation, führen, und jede von einer Versammlung beschlossene Exkummunikation musste nach dem Bethesd-Rundschreiben von allen anderen Versammlungen anerkannt werden. Wenn aber eine Versammlung anderer Meinung war, wurde sie exkommuniziert. Nun sind über äußerliche Dinge auch unter ernsten Christen unterschiedliche Auffassungen möglich. Aber Adiaphora oder die Unterscheidung zwischen Hauptsächlichkeiten und Nebensächlichkeiten, wie sie in den Kirchen üblich ist, kannte Darby nicht. Für ihn war jede Abweichung von der Lebensordnung der vom Heiligen Geist geleiteten Versammlung ein Defekt des Glaubens, ja ein Einbruch des Bösen.
Aber wer entscheidet letztlich, wessen Lehrauffassung in Nebendingen die biblischere sei? Und wie genau verläuft die Grenze, die der Gläubige nicht überschreiten darf, wenn es um die „Befleckungen der Welt“ und der verweltlichten christlichen Gemeinden geht? Für Darby galt es z.B. als selbstverständlich, dass ein Christ politische Abstinenz halten müsse, d.h. dass man z.B. nicht wähen ging und auch keine Vaterlandsliebe übte. Dabei traten viele Fragen auf wie: Muss der Gläubige nicht zahlreiche Berufe oder ganze Berufsgruppen meiden, z.B. Industrien und Gewerbezweige, die mit ihren Produkten und Tätigkeiten dem Komfort, der Unterhaltung, dem Vergügen, der Touristik, der Kosmetik u.a. dienen? Wie muss er sich gegenüber seiner Frau verhalten, wenn sie sch weigert, der Versammlung beizutreten? Darf er Mitglied von sportlichen, beruflichen, wissenschaftlichen, karitativen u.a. vereinigngen werden? Dürfen sie an Universitäten studieren? Muss jeder gesellige Verkehr mit Außenstehenden abgebrochen werden? Bis zu welcher Grenze darf der Gläubige von den technischen Errungenschaften, etwa vom Auto, Gebrauch machen? Muss er sich nicht streng den Massenmedien, d.h. Internet, Radio, Fernsehen etc. verschließen, die ihm „Weltlichkeit“ in massiver Weise ins Haus bringen? Diese und andere Fragen konnten verschieden beantwortet werden. Und sie wurden verschieden beantwortet. So war es kein Wunder, dass die „exklusiven Brüder“ Spaltungen erlitten, als sie mit dem Tod Darbys die führende Autorität verloren, die alles zusammenhielt.