„Die Nacht ist weit vorgerückt, und der Tag ist nahe.
Laßt uns nun die Werke der Finsternis ablegen
und die Waffen des Lichts anziehen.“

(Röm.13:12)

– Sind die 7 Sendschreiben auch gemeindegeschichtlich auszulegen?

Sind die 7 Sendschreiben auch gemeindegeschichtlich auszulegen?

Es steht außer Frage, dass es die 7 Gemeinden in Offb.2-3 tatsächlich gegeben hat und dass das Lob und die Kritik des HErrn tatsächlich auch den Verantwortlichen (»Engeln«) in diesen Gemeinden gegolten hat. Zudem stimmen auch alle Ausleger darin überein, dass diese Botschaften des HErrn allen Gläubigen gelten, sowohl über alle Gemeinden hinweg, als auch im persönlichen Bereich jedem einzelnen Gläubigen.

Hier aber geht es um die Frage, ob es neben diesem allgemeinen Bezug auf alle Gläubigen auch noch eine weitere nämlich prophetische Deutung der Sendschreiben gibt, die sich auf die verschiedenen Epochen der Kirchengeschichte der letzten 2000 Jahre bezieht. Nach dieser seit etwa 300 Jahren unter Gläubigen geläufigen Auslegung, hat man in den Beschreibungen der jeweiligen Gemeindesituation bemerkenswerte, charakteristische Übereinstimmungen festgestellt mit den folgenden Epochen der Kirchengeschichte:

– Ephesus – die nachapostolische Zeit (32 – 166 n.Chr.)

– Smyrna – die Zeit der Märtyrer bis zum Toleranzedikt (166 – 313 n.Chr.)

– Pergamon – die Zeit von Konstantin bis zum Kirchenstaat (313 – 756 n.Chr.)

– Thyateira – die Zeit vom Mittelalter bis zur Reformation (756 – 1517 n.Chr.)

– Sardes  – die Zeit des Protestantismus bis zur Aufklärung (1517 – 1750 n.Chr.)

– Philadelphia  – die Zeit des Pietismus bis zur Welt-Mission (1750 – 1830 n.Chr.)

– Laodizäa  – das Letztes Zeitalter der Brüderbewegung, der 
                             Evangelikalen und der Charismatiker bis zur 
                             Wiederkunft des HErrn Jesus (1830 – ? n.Chr.)

Die beiden oben erwähnten Ansätze zur Auslegung der Sendschreiben konkurrieren nicht miteinander, sondern ergänzen sich. Während die allgemeine Gültigkeit der Sendschreiben für alle Gemeinden und Gläubigen aller Zeiten eher auf die persönliche, moralische Beziehung der Gläubigen zum HErrn abzielt, geht es bei der gemeindegeschichtlichen Auslegung der Sendschreiben eher um Lehren, die wir aus dem Lob und den Tadel des HErrn zu den verschiedenen Entwicklungen der Kirchengeschichte ziehen können.

Offensichtlich ist die scheinbar willkürliche Auswahl von ausgerechnet sieben Gemeinden im damaligen Kleinasien (heutige West-Türkei) kein Zufall, sondern sie steht repräsentativ als Mikrokosmos für alle anderen Gemeinden in der neutestamentlichen Zeit weltweit und in jeder Generation. Dies wird durch die Zahl »sieben« hervorgehoben, welche ja symbolisch die Vollständigkeit und Vollkommenheit darstellt. Dennoch sind die Beschreibungen der Zustände in jenen sieben Gemeinden, die wir durch das Lob und den Tadel des HErrn erfahren, derart unterschiedlich, dass sie wohl kaum auf alle Gemeinden oder Gläubigen der Welt gleichzeitig zutreffen können. Daher liegt die Vermutung nah, dass sie eben nicht alle auf einmal einen charakteristischen Gesamtzustand der damaligen Gemeinde darstellen sollen, sondern dass es sich um eine Reihenfolge von Zuständen handelt, die eine jeweilige Epoche treffend beschreibt.

Nun wird von den Gegnern dieser Sichtweise wie H.-W. Deppe oder W. Nestvogel jedoch angeführt, dass die Sendschreiben nicht zur Gattung der Prophetie gehören würden, sondern der Briefe, die wie alle anderen auch Belehrungen, Ermahnungen und Verheißungen enthalten, die im Prinzip für alle Zeiten der Gnadenzeit gelten. Allerdings muss an dieser Stelle betont werden, dass das Buch der Offenbarung (w. Enthüllung) von Anfang bis Ende ein prophetisches Buch ist. Diesen Hinweis finden wir schon am Anfang: »Enthüllung Jesu Christi, die Gott Ihm gab, um Seinen Sklaven/Knechten zu zeigen, was geschehen muss in Schnelle… Glückselig der (vor)liest und die hören die Worte der Prophetie und (grundsätzlich und ständig) hüten, was in ihr geschrieben steht. Denn die (bestimmte )Zeitspanne ist nahe« (Offb.1:1-3 GtÜ). Und auch am Ende heißt es: »Ich bezeuge jedem, der die Worte der Prophetie dieser Buchrolle hört: wenn jemand… usw.« (Offb. 22:18 GtÜ). Zudem war auch das prophetische Reden nie allein eine Zukunftsschau, sondern »Wer aber prophetisch redet, spricht zu/für Menschen zur Erbauung und zum (Her)beirufen /Ermahnen/ Ermuntern/ bei(stehenden) Zuspruch und zur Tröstung /Ermutigung« (1.Kor.14:3 GtÜ). Diese Wirkungen sind also nicht nur Folge der anderen Briefe, sondern auch der Prophetie, weshalb man sie nicht voneinander trennen kann. Diese Briefe haben jedoch ganz offensichtlich prophetischen Charakter, denn sie enthalten auch verschlüsselte Botschaften, wie sie für die Prophetie typisch sind im Allgemeinen, aber für die Offenbarung im Besondern (z.B. »Ich rate dir, Gold von mir zu kaufen« etc.). Prophetische Botschaften werden aber nur selten sofort gedeutet im Wort Gottes. Meistens überlässt es der HErr dem geistlichen Verständnis des gläubigen Lesers, die Prophetie mithilfe anderer Stellen der Heiligen Schrift selber zu entschlüsseln. »Wobei ihr dies zuerst erkennen/und anerkennen müsst, dass alle Prophetie /prophetischer Aussage der (Gottes)Schrift nicht aus eigener/eigenwilliger Auflösung/Deutung /Auslegung /Erklärung entsteht/geschieht« (2.Petr.1:20 GtÜ).

Ferner wird moniert, dass die z.T. offensichtlichen historischen Parallelen nur für die europäische Kirchengeschichte zutreffen, nicht aber für die außereuropäische, und dass es »bedenklich« sei, wenn man aus der Gleichsetzung von »Thyatira mit der röm.-kath. Kirche ableiten würde, dass die Katholiken nach Offb.2:24 in ihrer Kirche bleiben sollten« (Hans-Werner Deppe). Indes hat es eine außereuropäische Kirchengeschichte hauptsächlich erst seit der Neuzeit gegeben (d.h. Philadelphia und Laodizäa) und diese unterscheidet sich nicht wesentlich von der europäischen Kirchengeschichte. Und tatsächlich passt die Bestandsaufnahme des HErrn über Thyatira sehr gut auf den Katholischen Kirchenstaat des Mittelalters, nicht aber auf die Katholische Kirche der Gegenwart mit ihrer Befreiungstheologie und ihren ökumenischen Bestrebungen, die eher für die Hure Babylon typisch sind. Und dass die Katholiken ihrer Kirche treu sein sollen, geht aus Offb.2:24 nicht hervor und wird auch von niemandem behauptet. Offensichtlich stört vielen modernen Auslegern hier einfach nur die Vorstellung, dass der HErr Jesus sogar in der röm.-kath. Kirche noch einen treuen Überrest hat.

Hier aber sind wir bei einem Hauptargument angelangt für die Notwendigkeit eines gemeindegeschichtlichen Verständnisses der Sendschreiben: Es ist ja gerade ein urtypisches Merkmal der heutigen Laodizäa-Generation, dass wir geschichtsvergessen sind. Wir haben die Bruderliebe Philadelphias zu unseren Gemeindevätern vernachlässigt (Mal.3:24) und maßen uns heute durch immer neue Lehren und Erkenntnisse an, dass wir das Rad ganz neu erfinden müssten, weil unsere christlichen Vorfahren alle im Dunkeln getappt haben, im angeblich »finsteren Mittelalter«, während wir heute reich geworden sind durch aufgeklärtes Wissen zum echten Verständnis der Heiligen Schrift. Für uns Heutigen ist der Gedanke unerträglich, dass eine Staatskirche wie die RKK vom HErrn überhaupt jemals als »Leuchter« anerkannt wurde, in deren Mitte Er gewandelt ist bzw. wandelt. Und warum übte der HErr keinerlei Kritik an Philadelphia, wo doch die meisten Pietisten ihre Kinder noch als Babys getauft haben?

Hier liegt wohl der eigentliche Grund, warum man sich gegen die Möglichkeit einer prophetischen Deutung der Sendschreiben sträubt. Man müsste dann ja auch einräumen, dass wir heute in der letzten Epoche von Laodizäa sind, für die der HErr keinerlei Lob, sondern nur Kritik übrig hat. Und wenn das so wäre, dann gilt diese Kritik natürlich nicht einem selbst. Laodizäa sind immer die anderen! Selbst hält man sich lieber für Philadelphia. Oder aber man verwirft bzw. verdrängt die prophetische Auslegung einfach als Ganzes mit der Feststellung, dass es »keinerlei klaren Schriftbeweis« für diese Deutung gäbe (W. Nagel). Dabei ist es gerade heute so wichtig und wertvoll, zu erforschen, wie der HErr die Entwicklung der Gemeindegeschichte beurteilt und vor allem: worüber Er schweigt!

Manche gehen sogar so weit, dass sie die Sendschreiben überhaupt nicht für die Gemeindezeit gelten lassen wollen, sondern sie auf die bekehrten Juden der Drangsalszeit deuten. Denn – so wird argumentiert – das Buch der Offenbarung richte sich ja angeblich nicht an die Kinder Gottes, sondern an die »Knechte Gottes« (Offb.1:1), und Knechte bezieht sich angeblich nicht auf die Gemeinde, sondern nur auf Israel (vgl. Knecht – Sohn: Röm.8:14-17, Gal.4:1-7). Tatsächlich aber stoßen sie sich eigentlich nur an der Möglichkeit eines Auslöschens ihres Namens aus dem Buch des Lebens (Offb.3:5), weil solch eine Drohung nicht mit ihrer falschen Lehre der Unverlierbarkeit des Heils in Einklang zu bringen sei. Was aber nicht sein darf, so folgern sie insgeheim, kann auch nicht sein. Obwohl der Heilige Geist ja nach der Entrückung nicht mehr auf der Erde wäre, sollen sich ja in den sieben Jahren der Drangsal angeblich auf einmal Milliarden Menschen bekehren, ja sogar jene »Schar, die niemand zählen kann« (Offb.7:9-14), und sie sollen ganz ohne Evangelisten und Prediger (die dann ja schon entrückt sind) innerhalb von sieben Jahren größter Bedrängnis und Verfolgung Gemeinden gründen und einen solch ausgereiften Überwinderstand erreicht haben, den selbst die übrige Gemeinde in 2000 Jahren kaum erreicht hat, da sie andernfalls sonst aus dem Buch des Lebens ausgelöscht werden! Eine solche Auslegung ist undurchdacht, absurd und reines Wunschdenken.

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass es auch noch andere, eher seltenere Auslegungen gibt, die nur von einer Minderheit so gesehen und vertreten werden:

So deutet Bruder Helmut Stücher in seinem Buch »Geheimnis Babylon« den Verlauf der Sendschreiben auf die Geschichte Israels vom Buche Josua an (Ephesus) bis zu ihrer Gefangennahme in Babylon (Sardes), sowie der Zeit nach dem Exil unter Esra und Nehemia (Philadelphia) bis hin zur pharisäischen Zeit im Judentum beim ersten Kommen des HErrn Jesus, die schon vom Propheten Maleachi kritisiert wurde (Laodizäa). Diese Parallelen sind in der Tat bemerkenswert und lehrreich für uns, sofern wir sie auch auf unsere heutige Zeit deuten. Bezieht man sie jedoch ausschließlich auf die Geschichte Israels, dann füllen sie lediglich unseren Kopf, aber nicht unser Herz, weil wir aus ihnen keine konkreten Konsequenzen für unser Leben ableiten können.

Eine sehr fantasievolle Überinterpretation der Sendschreiben habe ich mal in der Missionsgemeinde Bremen gehört, wo man versucht hat, aus den 7 Sendschreiben Parallelen mit den 7 Schöpfungstagen zu ziehen. Ich kann mich kaum noch an die Argumente erinnern, da es schon zu lange her ist, aber auch heute fällt es mir beim besten Willen schwer, hier auch nur annähernd Parallelen zu erkennen. Solche willkürlichen Interpretationsversuche bringen die typologische Auslegung der Bibel nur zunehmend in Verruf und sollten deshalb gemieden werden. Wir sollen ja »nicht über das hinaus denken, was geschrieben ist, damit ihr euch nicht aufbäht für den einen, gegen den anderen« (1.Kor.4:6).

 

 

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