Die 10 Gebote
Das 9. Gebot
»Du sollst kein falsches Zeugnis reden gegen deinen Nächsten«
(2.Mo.20:16)
Im 9. Gebot geht es diesmal also um Ehrlichkeit, und zwar besonders gegenüber unserem Nächsten, den wir nicht täuschen dürfen. Wir sollten uns immer bewusst sein, dass Gott alles weiß und sieht, und früher oder später wird alles ans Licht kommen (2.Kön.6:12, 1.Tim.5:24). Speziell geht es hier um Falschaussagen zum Schaden eines Dritten, z.B. vor Gericht. Während Streitparteien vor Gericht im Prinzip lügen können, ist ein Zeuge immer verpflichtet, die Wahrheit zu sagen, weil er sich ja sonst strafbar macht. Stellt sich zudem heraus, dass er sogar trotz einer eidesstattlichen Erklärung vor Gericht gelogen hat, dann hat er einen Meineid geleistet, was noch viel schwerer wiegt. Wenn falsche Zeugenaussagen aber schon bei Menschen gravierende Konsequenzen haben können, wie viel mehr dann bei Gott, der ins Verborgene sieht (1.Kor.4:5)!
Warum lügen wir? Und warum glauben wir Lügen?
Um den Sinn eines Gebotes richtig zu erfassen, sollten wir uns einmal daran erinnern, in welchen Situationen wir schon mal gelogen hatten, um unsere Motive zu analysieren. Wenn wir nicht wirklich einsehen, warum es falsch war, werden wir es bei einer ähnlichen Situation garantiert wieder tun. Von mir kann ich sagen, dass ich oftmals aus einem Reflex heraus gelogen habe, um einer peinlichen Lage zu entfliehen. So leugnete Sara z.B., dass sie gelacht hatte, weil sie glaubte, dass niemand das bemerkt haben konnte (1.Mo.18:15). Hier war es ja noch eine vergleichsweise harmlose Peinlichkeit, aber es gibt Menschen, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit schon lügen, so dass Paulus z.B. die Feststellung machte: »Kreter sind immer Lügner« (Tit.1:12). Grundsätzlich kann man aber feststellen: »Alle Menschen sind Lügner« (Ps.116:11). Aber nicht nur, dass wir von Natur alle lügen und betrügen, sondern wir lassen uns auch gerne betrügen, weil die Illusion immer schöner ist als die Wirklichkeit.
Die erste Lüge, die der Mensch bereitwillig glauben wollte, war die der Schlange: »Gott weiß, dass an dem Tag, da ihr davon esst, eure Augen aufgetan werden und ihr sein werdet wie Gott, erkennend Gutes und Böses« (1.Mo.3:5). Diese erste Lüge der Menschheitsgeschichte wird heute noch genauso verbreitet und geglaubt wie damals, nicht nur durch die verlockenden Versprechungen der Werbung, sondern auch durch die Hollywood-Filme, die den Menschen falsche Werte vorgaukeln. Aber auch durch die Heilsversprechen der Religionen oder durch den Konsum von Drogen verspricht sich der Mensch Bewusstseinserweiterung und einen verbotenen Einblick in das okkulte Geheimwissen der »Matrix«. Ohne dass ihm das bewusst wird, begibt er sich dabei in den Einflussbereich der Geisterwelt und wird durch diese getäuscht und gelenkt.
Am meisten wird jedoch gelogen und betrogen, wenn es ums Geld geht. Ob nun bei der Steuererklärung oder beim Verkauf eines schadhaften Autos – wenn wir gefragt werden, ob unsere Angaben auch alle stimmen, dann unterschreiben wir häufig, ohne mit der Wimper zu zucken. Auch Ananias und Saphira wurden gefragt: »Habt ihr für so viel das Grundstück verkauft?« (Apg. 5:8) und sie bejahte es. Da sie aber gläubig waren, hätten sie wissen müssen, dass sie gerade versucht hatten, den Heiligen Geist, der in Petrus war, zu täuschen. Deshalb fiel ihre Bestrafung auch vergleichsweise streng aus. Aber wie oft haben wir schon Geschwistern gegenüber einen falschen Anschein erweckt! Wie oft wollten wir frommer erscheinen, als wir es in Wirklichkeit sind! Und warum verheimlichen wir voreinander unsere peinlichen Sünden, wo wir doch Heilung erfahren, wenn wir sie einander bekennen? (Jak.5:16).
Ein weiterer Grund zu lügen ist Menschenfurcht, wenn wir uns z.B. in ein betrügerisches »Kartell des Schweigens« begeben haben. Wer z.B. in der Altenpflege arbeitet, ist meist verpflichtet, Leistungen abzurechnen, die gar nicht erbracht wurden, weil alle das so machen und die Kollegen dies von einem erwarten. Gerade wenn wir jahrelang diesen Schmu mitgemacht haben, fällt es uns besonders schwer, uns auf einmal quer zu stellen, besonders wenn dadurch auch alle anderen an der Fortsetzung ihres Betruges gehindert werden.
Dies habe auch ich zu spüren bekommen, als ich mit 18 J. anfing, als Praktikant in einer Maurerfirma zu arbeiten. Weil ich mich weigerte, wie die anderen schon um 15.30 Uhr mit der Arbeit aufzuhören (weil erst um 16.15 Uhr offiziell Feierabend war), um mit ihnen Bier zu trinken, verlangten sie von mir, dass ich wenigstens draußen »Schmiere stehen« sollte, falls plötzlich unerwartet der Chef kommen würde, um sie rechtzeitig zu warnen. Als der Chef dann tatsächlich kam und mich fragte, wo denn die anderen sind, sagte ich wahrheitsgemäß: »Unten im Keller!« Nachdem er dann nach unten gegangen war, sah ich durch den Kellerschacht, dass meine Kollegen plötzlich wild umherliefen wie in einem Ameisenhaufen und ihre Bierflaschen versteckten.
Das haben sie mir natürlich sehr verübelt und ließen mich zur Strafe wochenlang nur Zementsäcke schleppen. In den Mittagspausen schickten sie mich dann immer zum Kiosk, um für sie Zigaretten, Bier und die BILD-Zeitung zu kaufen. Erst war es das Bier und später auch die Zigaretten, die ich mich zu kaufen weigerte, da ich dies nicht mit meinem Gewissen vereinbaren konnte. Als ich dann auch noch nicht einmal die BILD-Zeitung mitbringen wollte (wegen der Nacktbilder), fluchten sie mir und beschwerten sich beim Chef, dass ich sie bevormunden würde, obwohl ich doch schließlich nur Praktikant sei. Kurz darauf warfen sie mich raus.
Was ist Wahrheit?
Das fragte Pilatus den HErrn Jesus (Joh.18:38), aber er glaubte nicht, dass es auf diese Frage eine einfache Antwort geben würde, und erwartete deshalb auch keine. Wir aber wissen, dass der HErr selbst DIE Wahrheit ist (Joh.14:6), d.h. Er allein ist der einzige Maßstab für Wahrheit. Auch Gott, der Vater, ist der »Gott der Wahrheit« (Ps.31:5, Jer.10:10) und der Heilige Geist ist der »Geist der Wahrheit« (Joh.16:13, 1.Joh.4:6). Der HErr hat uns das »Wort der Wahrheit« kundgetan, wie Er es vom Vater empfangen hat (Joh.8:40, Joh.17:17, 2.Tim.2:15). Das wissen wir alles, aber wusstet Ihr, dass es im Himmel auch ein »Buch der Wahrheit« gibt? (Dan.10:21). Gemeint ist hier wohl ein Buch, in welchem im Voraus festgelegt wurde, wann und was vom Plan Gottes bewahrheitet, d.h. verwirklicht werden sollte. Darin war z.B. schon die Zeit der Perserherrschaft und die der nachfolgenden Griechenherrschaft vorgegeben (Dan.10:20), aber über die Einzelheiten wurde im himmlischen Parlament vor Gott durch die Engel beraten. Darauf entschied dann Gott, wie es laufen sollte (1.Kön.22:20-22). Entsprechend heißt es in Jes.44:26 »… und (den) Rat/Rat(schluss) Seiner Beauftragten/Engel vollfüh(ren läss)t«. In Dan.10 hatte der HErr Jesus wahrscheinlich noch keine Entscheidungsbefugnis, sondern war zum Engel erniedrigt, der nur mit Argumenten für Israel eintreten konnte, wobei Ihn nur der Engelfürst Michael unterstützte (Dan.10:21).
So gibt es noch viele andere Stellen, die alle die Wahrheit Gottes preisen, insgesamt 214-mal in der Heiligen Schrift. Allein 26-mal ist von Gottes »Güte und Wahrheit« die Rede (z.B. 1.Mo.24:27, 2.Mo.34:6 etc.), bzw. der »Gnade und Wahrheit« (Joh.1:14+17) oder der »Liebe« und »Wahrheit« (Eph.4:15, 1.Petr.1:22, 2.Joh.1+3), denn diese bilden zusammen sowohl ein Spannungsfeld als auch ein Gleichgewicht, in welchem sich das Wesen Gottes und Sein Handeln an uns bewegen. »HErr, Deine Güte reicht, soweit der Himmel ist, und Deine Wahrheit, soweit die Wolken gehen« (Ps.36:5, 57:10, 108:4). Wahrheit ohne Güte wäre grausam, und Güte ohne Wahrheit wäre wirkungslos d.h. unfruchtbar. Gott muss die Welt richten, um der Wahrheit willen, aber Er erbarmt sich auch in Christus Jesus, um Seiner Liebe willen (Eph.2:4).
Die Wahrheit wird symbolisch durch das Licht dargestellt: »Wenn wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit Ihm haben und wandeln in der Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit. Wenn wir aber [in jeder Lebenssituation] in dem Licht wandeln, wie Er in dem Licht ist, so haben wir Gemeinschaft miteinander, und das Blut Jesu, Seines Sohnes, reinigt uns von aller (o. jeder) Sünde« (1.Joh.1:6-7). Die Wahrheit ist hier also ein Zustand, in welchem wir fortwährend in Treue zum HErrn und Seinen Geboten wandeln und dadurch in einem »guten Gewissen« (1.Tim.1:19). Deshalb konnte Paulus vor dem Synedrium bezeugen: »Männer, Brüder, ich habe mit allem guten Gewissen (mein Leben) als Bürger geführt für Gott bis auf diesen Tag« (Apg.23:1). Das bedeutet nicht, dass Paulus nie von einem Fehltritt übereilt wurde (Gal.6:1), wie z.B. in Apg.23:3-5, sondern dass er sich selbst »keiner Schuld bewusst« ist (1.Kor.4:4).
Die Wahrheit ist zugleich auch die »Weisheit Gottes«, von der Paulus in 1.Kor.1 und 2 spricht, und damit eine Weisheit, die als Geheimnis bewusst verborgen gehalten wird vor den übrigen Menschen, damit sie zunächst nur von den Vollkommenen verstanden werde (1.Kor. 2:6-7). Deshalb sprach der HErr Jesus auch ohne Rücksicht davor, missverstanden zu werden, indem Er z.B. sagte: »(53) Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht das Fleisch des Sohnes des Menschen esst und sein Blut trinkt, so habt ihr kein Leben in euch selbst. (54) Wer Mein Fleisch isst und Mein Blut trinkt, hat ewiges Leben, und Ich werde ihn auferwecken am letzten Tag; (55) denn Mein Fleisch ist wahre Speise, und Mein Blut ist wahrer Trank. (56) Wer Mein Fleisch isst und Mein Blut trinkt, bleibt in Mir und Ich in ihm« (Joh.6:53-56).
Hier kann man sich doch wirklich fragen, warum der HErr so provozierend eine Wahrheit verkündigt hat, die auch wir damals nicht verstanden hätten und die dazu führte, dass viele Seiner Jünger Ihn verließen, weil sie vielleicht dachten, Er sei verrückt. In Wirklichkeit war dies ein Test, den diese nicht bestanden hatten. Nicht etwa, dass die verbliebenen Jünger den HErrn verstanden hätten, aber sie vertrauten dem HErrn auch im Dunkeln. Sie erinnerten sich, dass Er »Worte ewigen Lebens« hat und GLAUBTEN ohne zu sehen (Joh.20:29). Sie sind »dem Lamme gefolgt, wohin irgend es geht« (Offb.14:4). Auch wir sollten nicht verzweifeln, wenn wir mal ein Wort des HErrn nicht verstehen, sondern vertrauen, dass Er es uns schon zur rechten Zeit erklärt.
Irrtum und Wahn
Die zehn Gebote hatte Moses dem Volk Israel in 2.Mo.20 kurz nach dem Auszug aus Ägypten verkündigt, aber weil sie nicht glaubten, kamen sie in der Wüste um (4.Mo.14). Aber mit ihren Kindern erneuerte Moses diesen Bund und wiederholte die 10 Gebote noch einmal in 5.Mo.5:6-21 mit fast dem gleichen Wortlaut. Im 9. Gebot findet sich aber ein kleiner Unterschied, der durch eine Fehlübersetzung in den meisten Bibeln gar nicht bemerkt werden kann: Statt des Wortes שָֽׁקֶר׃ Schä’QäR = Falschheit, Falsches, Lüge, Täuschung, steht in 5.Mo.5:20 das Wort שָֽׁוְא׃ SchaWö˚ = Wahn, Wahnhaftes, Wertloses, Nichtiges. Dieses Wort hatten wir schon einmal im 3. Gebot. Im Gegensatz zur bewussten Falschaussage, geht es hier also um die unbewusste, die man selbst aber für wahr hält, also um den Irrtum bzw. den Wahn. Eine irrtümliche Falschaussage wird von uns meist verharmlosend als Folge menschlicher Schwäche gewertet, hat aber im Ergebnis oftmals viel verheerendere Folgen als eine bewusste Lüge. Wenn ich z.B. im Straßenverkehr jemandem bewusst die Vorfahrt nehme, dann kann ich das Risiko eines Unfalls noch besser einschätzen als jemand, der irrtümlich meint die Vorfahrt zu haben und deshalb ohne Scheu auf die Kreuzung fährt.
Hier hat uns also der Heilige Geist zwei interessante Facetten von Falschaussagen vor Augen geführt, die beide einen Unbeteiligten schädigen können und deshalb gegen das Hauptgebot der Liebe verstoßen (Jak.3:14). Wenn ich z.B. ein Gerücht höre über einen Gläubigen und es ohne zu prüfen einfach weiter verbreite, dann bin ich zu einem Zeugen des Wahnhaften geworden. Deshalb gebietet uns Gott: »Du sollst kein falsches (wörtl. wahnhaftes) Gerücht aufnehmen. Du sollst deine Hand nicht dem Schuldigen reichen, um als falscher Zeuge aufzutreten. Du sollst der Menge nicht folgen zum Bösen. Und du sollst bei einem Rechtsstreit nicht antworten, indem du dich nach der Mehrheit richtest und so das Recht beugst« (2.Mo.23:1-2). Hier finden wir sowohl eine Aufforderung, nicht leichtfertig an eine der vielen Verschwörungstheorien zu glauben (z.B. die 9/11-False-Flag-Legende, das Chemtrail-Märchen oder die angebliche »Auschwitzlüge«), als auch die Warnung, sich nicht aus Bequemlichkeit einer sektiererischen Mehrheitsmeinung anzuschließen, um einen unbequemen Kritiker mundtot zu machen.
Obwohl wir die Verheißung haben, dass der Heilige Geist uns Gläubige in die ganze Wahrheit leiten wird (Joh.16:13), stellen wir doch fest, dass die Gläubigen sich in vielen Fragen der Auslegung uneins sind. Um der Frage aus dem Weg zu gehen, warum das passieren konnte, behelfen sich einige Christen damit, dass sie ihre eigene Auslegung als unfehlbar ansehen und allen Gläubigen, die ein anderes Verständnis in diesen Lehrfragen haben, die Geistesleitung absprechen, ja sogar teilweise die Wiedergeburt. Um sich durch die Irrenden nicht zu beflecken, schotten sie sich als elitärer Kreis von der übrigen Christenheit ab und haben dadurch – ohne dass ihnen das bewusst ist – de facto eine Sekte gegründet. Nach ihrem Selbstverständnis hingegen sind sie die einzig verbliebene Gruppe von Getreuen, die sich nicht durch die zahlreichen Falschlehren beirren ließen, sondern treu an der biblischen Wahrheit festhielten.
Die Idee von einer absoluten Irrtumslosigkeit von Wiedergeborenen gründet sich neben der Stelle von Joh.16:13 auch auf Verse wie 1.Joh.2:27, wo es u.a. heißt: »Ihr bedürfet nicht, dass euch jemand belehre, sondern wie dieselbe Salbung euch über alles belehrt und wahr ist … so werdet ihr in Ihm bleiben«. Wenn mich niemand belehren braucht, so wird gefolgert, dann deshalb, weil ich den vollständigen Ratschluss Gottes bekommen habe und es deshalb keiner Korrektur bedarf. Es geht hier aber um die Salbung im Rahmen der Gesamtgemeinde, die jeder echte Gläubige bekommen hat und die missbraucht wird, wenn sie zum Durchsetzen der eigenen Erkenntnis innerhalb der Gemeinde benutzt wird. Die Gemeinde ist ja das »Haus Gottes, …, der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit« (1.Tim.3:15). Wir sollten unsere eigene Erkenntnis daraufhin prüfen, ob sie mit der Erkenntnis der früheren, jetzt im Himmel befindlichen Gemeinde übereinstimmt (oder sich darin einordnen lässt), besonders derjenigen, die der HErr in den Sendschreiben lobt. »Die Weiheit von oben ist … gern bereit, sich überzeugen zu lassen, …« (Jak.3:17). Der Empfang der Salbung bedeutet nicht, dass wir keine Belehrung mehr von anderen annehmen brauchen; ganz im Gegenteil werden wir ja in der ganzen Heiligen Schrift aufgefordert, auf die Unterweisung unserer Lehrer zu hören und zu »prüfen, ob es sich so verhält« (Apg.17:11).
Irrlehren
Eine automatische Unfehlbarkeit derjenigen, die durch den Geist Gottes geleitet werden, wird uns also nirgendwo in der Bibel garantiert. Es irrt der Mensch, solang‘ er lebt, auch wenn er nach der Wahrheit strebt. Deshalb schreibt Jakobus: »Seid nicht viele Lehrer, meine Brüder, da ihr wisst, dass wir ein größeres* Urteil empfangen werden [*d.h. mit möglicher größerer Belohnung, aber auch größerer (strengerer) Bestrafung]; denn wir alle straucheln viel [d.h. vielfach od. auf vielerlei Weise]« (Jak.3:1). Dass es hier nicht (nur) um ein Straucheln in Handlungen geht, sondern im Wort – also auch in der Lehre – geht dann aus den nachfolgenden Versen hervor. Wie schnell ist ein unbedachtes Wort über unsere Lippen gegangen! Wenn wir nur wüssten, wie viele törichte Behauptungen wir schon aufgestellt haben oder welche unbegründeten Urteile wir schon über andere gefällt haben – wir würden schamrot werden!
Die heutigen Gemeinden in der Epoche von Laodizäa sind sich ihrer Sache immer viel zu sicher. Schnell ist jeder gerne dabei, eine Checkliste anzufertigen über alle möglichen »Irrlehren«, die man auch gerne als »Sauerteig« bezeichnet, den man doch nach 1.Kor.5:7-8 »auskehren« muss, um als Gemeinde ein ungesäuerter »neuer Teig« zu sein. Dabei geht es im Zusammenhang dort gar nicht um andere Lehren, sondern um die schlechten Charaktereigenschaften der Korinther: sie waren »aufgebläht« (V.2) und »rühmten« sich (V.6), d.h. sie waren angeberisch und arrogant. Darüber hinaus waren sie aber auch in falscher Weise tolerant und duldeten solche in der Gemeinde, die offensichtlich sündigten ohne Reue zu zeigen. Genau das aber war der Sauerteig, weil dieses Verhalten den Tempel Gottes nach und nach durchdrang und damit zerstörte.
Das Wort »Sauerteig« benutzt der HErr im Hinblick auf die Heuchelei der Pharisäer (Luk.12:1), die sich ein religiöses System geschaffen hatten, durch welches sie ihr altes schlechtes Wesen beibehalten konnten und dennoch von den Menschen als fromm und gottesfürchtig anerkannt wurden, weil sie eine fromme Fassade zur Schau stellten. Sie hatten den Sinn des Gesetzes nur sehr mangelhaft verstanden, hielten sich aber gegenüber anderen geistig weit überlegen, weil sie einen umfassenden Regelkatalog besaßen, den sie penibel einhielten und dessen Einhaltung auch von den anderen verlangten. Diese »Lehre der Pharisäer und Sadduzäer« war verderblich, weil sie den Menschen zum frommen Heuchler erzog (Mt.16:12). Es ähnelt der Lehre, die sich später bei den Galatern ausbreitete (Gal.5:9) und die uns heute bei zionistischen Judaisierern begegnet. Aber auch bei den sog. Geschlossenen Brüdern und einigen Russlanddeutschen finden wir dieses moderne Pharisäertum. Immer dann, wenn Gläubige durch Lehren von der einfältigen Gesinnung zu Christus abgebracht werden (2.Kor.11:3) und von der Abhängigkeit zu Ihm, dann sind diese verderblich und von der Gemeinde zu verurteilen.
Der Begriff »Irrlehre« ist heute zu einer Keule geworden, mit der man nach Belieben meint, jede abweichende Meinung eines anderen Bruders sofort zu disqualifizieren, sodass man dem Heiligen Geist keinerlei Möglichkeit mehr gibt, selbst von eigenen Irrtümern in der Lehre überführt zu werden, weil es keinen Dialog mehr gibt. Das aber ist die typische Laodizäa-Haltung, dass man meint, selber keine Korrektur mehr zu benötigen (Offb.3:17). Weil man sich selbst für so überragend gesegnet hält, kann man sich nicht vorstellen, dass Gott erlaubt hätte, dass man Irrtümern zum Opfer gefallen sei. Der Geist Gottes aber handelt mit uns nicht so, dass Er uns die Erkenntnis sofort vollständig übergibt wie bei einer Datenübertragung am PC, sondern Er möchte, dass wir uns die Erkenntnis erarbeiten, indem wir uns im ständigen Austausch mit anderen Brüdern darum bemühen. So wie bei dem Apostelkonzil in Jerusalem will der HErr auch heute noch, dass wir uns miteinander unterreden, um kontroverse Fragen gemeinsam zu besehen und zu klären (Apg.15:1-29; vgl. Mal.3:16). Da darf es auch gerne »viel Wortwechsel« geben, wenn man in aller Demut miteinander um das richtige Verständnis ringt (Apg.15:6-7). Wenn dann am Ende ein »Beschluss« zustande kommt, dann sollten einzelne Brüder, die noch nicht überzeugt sind, sich darunter beugen und den HErrn bitten, dass Er doch wirken möge in den Herzen der vermeintlich »irrenden Mehrheit«, um bei anderer Gelegenheit die Frage noch einmal aufzuwerfen (vergleichbar einer Berufungsverhandlung vor Gericht).
Leider beobachtet man heute bei vielen Christen auch eine Ermüdung und Verdrossenheit, was die Klärung schwieriger biblischer Lehrfragen angeht. Weil sich die Brüder zu oft lauthals streiten und die Emotionen hochkochen, gehen dann viele resigniert davon aus, dass man dann doch lieber ganz auf Auseinandersetzungen verzichten sollte. Dem widerspricht aber das Wort in Eph.4:13, denn wir sollen ja »alle hingelangen zur Einheit des Glaubens« und dass wir nach Möglichkeit »alle dasselbe reden und nicht Spaltungen unter« uns sein sollten« (1.Kor.1:10). Vielmehr sollten wir uns im Gespräch darin üben, den anderen Bruder stets höher zu achten als uns selbst (Phil.2:3). Eine Möglichkeit der sanftmütigen Zurechtweisung können wir am Beispiel des Philosophen Sokrates lernen: Er verzichtete in der Regel ganz auf den direkten Widerspruch, sondern stellte einfach nur immer wieder Fragen. Diese waren aber so gezielt, dass der andere Gesprächspartner am Ende selber erkannte, dass seine Argumente noch gar nicht ausgereift waren, sondern sehr viele Lücken enthielten. Die Liebe zur Wahrheit sollte in uns solch eine Aufrichtigkeit hervorrufen, dass wir uns bereitwillig der Wahrheit anschließen, die sich aus der zusammenschauenden Beachtung aller dazu gehörigen biblischen Aussagen ergibt.
Einen falschen Eindruck erwecken
Wir haben gesehen, dass eine falsche Aussage noch lange keine Lüge sein muss, aber dass die Lüge auch weit mehr ist, als nur bewusst etwas Falsches zu sagen. Wer die Lüge noch »liebt und tut« wird keinen Eintritt bekommen ins himmlische Jerusalem (Offb.21:8+27), sondern muss draußen bleiben zusammen mit den Hunden und Zauberern und Hurern und Mördern und Götzendienern (Offb.22:15). Interessant ist, dass die Lüge hier nicht als Wort, sondern als Tat betrachtet wird (»die Lüge tut«). Es geht hier also nicht (nur) um bewusstes Lügen, sondern (auch) vor allem um eine unbewusste Verlogenheit, die sich indirekt in den Entscheidungen äußert, die wir Menschen treffen, und die verbunden sind mit Inkonsequenz, Unaufrichtigkeit oder Heuchelei.
Trotzdem sollen wir als Gläubige natürlich auch nicht in Worten lügen oder andere täuschen, sondern von Grund auf ehrlich sein. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, dass ich jemandem eine Information nicht vorenthalte, auf die zu erhalten er ein Recht hat. Wenn einer meiner Lehrlinge z.B. eher Feierabend macht, dann habe ich ein Recht darauf, dies zu erfahren. Oder wenn jemand vor meinen Augen versehentlich seine Tasche irgendwo liegen lässt, dann bin ich dazu verpflichtet, der Person Bescheid zu geben (vergl. 5.Mos.22:3). Ein böses Schweigen kann also auch eine Form von Falschzeugnis sein.
Manche Christen sind ja der Meinung, dass man zwar formell nicht lügen darf, aber dass es erlaubt sei, einen Menschen durch die Erweckung eines falschen Anscheins hinters Licht zu führen. So sagte ja z.B. Abraham zu Abimelech, dass Sara seine Schwester sei, was sogar z. T. richtig war, aber eben nicht die ganze Wahrheit (1.Mo.20:12). Viel entscheidender war ja die Tatsache, dass er auch mit ihr verheiratet war, was er aber aus Furcht vor seiner möglichen Ermordung verschwieg. Er hatte also kein formal »falsches Zeugnis« gegeben, wohl aber ein »Zeugnis des Wahnhaften«, weil er die Philister bewusst in einem falschen Glauben beließ.
Ein weiteres Beispiel finden wir bei der Verurteilung Jesu: Dort lesen wir, dass »viele falsche Zeugen« gegen Ihn auftraten, um Ihn zum Tode zu verurteilen. »Zuletzt aber traten zwei (falsche Zeugen) herbei und sprachen: Dieser sagte: Ich kann den Tempel Gottes abbrechen und in drei Tagen ihn wieder aufbauen« (Mt. 26:60-61). Wenn wir dies mit der Aussage des HErrn in Joh.2:19 vergleichen, stellen wir fest, dass der HErr Jesus dies im Grunde tatsächlich gesagt hatte (wenn auch mit der Abweichung, dass nicht Er selbst den Tempel abbricht). Trotzdem aber waren sie »falsche Zeugen« (vergl. Mark.14:58), denn selbst wenn sie auch formal nicht gelogen hatten, so gaben sie doch ein »Zeugnis des Wahnhaften«, indem sie die formale Wahrheit als Mittel benutzten, das Synedrium in ihrem falschen Wahn zu bestärken. Diese Methode, eine Aussage des Gegners völlig aus dem Zusammenhang zu zitieren, um ein Totalverwerfungsurteil über ihn zu fällen, wird heute nicht nur von listigen Anwälten vor Gericht verwendet, sondern leider auch von einigen Gläubigen, indem sie dadurch ein einseitiges Bild von diesen erzeugen (z.B. Luthers »Sündige tapfer«).
In dieser Gefahr stehen aber auch viele Bibelausleger, wenn sie ihre vorgefasste Überzeugung versuchen, mit Aussagen der Bibel zu rechtfertigen. Gerade wenn die klare Aussage eines biblischen Textes einer Vielzahl an Christen völlig gegen den Strich geht (z.B. 1.Kor.14:34-37), besteht eine enorme Nachfrage an wahnhaften Auslegungsmöglichkeiten, um die biblische Aussage zu relativieren und zu entkräften. Die geschulten Autoren greifen dann in die Trickkiste der Theologie, um Scheinargumente zu konstruieren unter Berufung auf die historischen Umstände oder angeblicher Besonderheiten der griechischen Grammatik, die bei den ungebildeten Lesern den beruhigenden Eindruck vermitteln: »Na, da bin ich aber froh! – denn der muss es ja schließlich wissen!«
Hier handelt es sich aber nicht mehr um eine legitime Auslegung (gr. Exegese), sondern um ein illigitimes Hineinlesen (gr. Eisegese) von gewünschten Ergebnissen, um beim eigenen Publikum Bewunderung und Applaus zu erheischen. Denn Menschen suchen nach Beweisen für das, was sie glauben wollen, um ihr Gewissen zu beruhigen. Die Kunst des virtuosen Umdeutens von Bibeltexten führt die Bibel selbst zurück auf die »… Betrügereien der Menschen, durch die Verschlagenheit zu listig ersonnenem Irrtum« (Eph.4:14). In einer Grundtext-nahen Übersetzung heißt es hier: »… in〈folge〉 des 〈betrügerischen 〉Würfelspiels der Menschen, in〈folge ihrer〉 List, 〈die〉 zu dem methodischen〈 Vorgeh〉en des Irrtums// der Irr〈eführ〉ung 〈hinführen will〉.« (GtÜ). Hier geht es also nicht bloß um eine versehentliche Fehlinterpretation aufgrund von Unachtsamkeit oder mangelnder Bibelkenntnis, sondern um ein planmäßiges Vorgehen (gr. μεθοδείαν MÄThODÄIAN = einem Weg folgend, vergl. Methode = das Mittel zum Zweck), um ein Ergebnis zu erreichen unter Inkaufnahme der Irreführung.
Als Beispiel sei hier die sog. Zitattheorie genannt, wo man versucht hat, das Gebot der Kopfbedeckung in 1.Kor.11:2-16 dadurch aufzulösen, indem behauptet wird, dass Paulus angeblich in den Versen 4-10 nur aus einem Brief der Korinther zitiert, um ihnen anschließend zu widersprechen. Aus einer Frage (»Ist es recht…?«) zaubern sie plötzlich eine Feststellung (»Es ist recht…!«) und lassen Paulus als einen erscheinen, der die angeblich gesetzlichen Korinther daran erinnert, dass die langen Haare der Frau schon ein ausreichender Schleier sein würden, um zu beten und prophetisch zu reden. Auf so eine Idee muss man erst mal kommen! Trotzdem wird diese absurde Deutung heutzutage bereitwillig von evangelikalen Frauen angenommen, um dem Gebot nicht mehr gehorchen zu müssen.
Kann Gott lügen?
Obwohl uns bewusst ist, dass Gott selbst nicht lügen kann (4.Mos.23:19, Tit.1:2), wissen wir auch, dass Gott gerade solchen Christen, die die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben, eine »Wirksamkeit/ Energie 〈des〉 Irrtums sendet, hin〈führend zu〉 dem〈 Ziel, dass sie der Lüge glauben 〈sollen/ müssen/ werden〉« (2.Thes.2:10 GtÜ). Ein klassisches Beispiel finden wir ja bei dem falschen Zeugnis des Propheten Micha in 1.Kön. 22:13-15, das jedoch von Gott selbst angeordnet wurde, weil Gott Gericht üben wollte am König Ahab, da dieser zuvor selber (d.h. seine Frau mit seiner Billigung) falsche Zeugen gedungen hatte gegen Nabot.
Man kann also daraus folgern: Gott lügt zwar nicht selber, aber Er befiehlt, dass die Lügner belogen werden sollen. Ähnlich verhält es sich ja auch bei der Versuchung: Auf der einen Seite versucht Gott selbst niemanden (Jak.1:13), aber auf der anderen Seite lässt Gott uns versuchen durch den Teufel, wie wir am Beispiel von Hiob sehen (vergl. 2.Sam.24:1 mit 1.Chr.21:1). Deshalb sollen wir ja Gott auch bitten, dass Er uns nicht »in Versuchung führe« (Luk.11:4). Der Teufel ist der »Vater der Lüge« weil »keine Wahrheit in ihm ist« (Joh.8:44). Der HErr Jesus hingegen ist »der Amen, der treue und wahrhaftige Zeuge« (Offb.3:14). »Amen« ist hebräisch und bedeutet »fest / treu/ zuverlässig«, und das ist eine Wesensart Gottes! Deshalb sollten auch wir als Kinder Gottes bestrebt sein, wahrhaftige Zeugen der Wahrheit zu werden! Das Wort Amen findet sich in Jes.7:9 in einem interessanten Wortspiel (zum besseren Verständnis in Rückwärtsreihenfolge): תֵאָמֵֽנוּ׃ לֹ֥א כִּ֖י תַאֲמִ֔ינוּ לֹ֣א אִ֚ם= »°iM Lo° Ta°aMI´NU KI Lo° Te°aMe´NU«, d.h. wörtlich: »Macht ihr euch nicht fest [in Gott], so werdet ihr nicht gefestigt werden«. D.h. nur durch das Bleiben in Gott sind wir wirklich geschützt vor den Versuchungen des Teufels, denn »Gott kann nicht versucht werden vom Bösen«.
Die Versuchung geschieht aber nie zum Selbstzweck, sondern sie ist immer ein Mittel in Gottes Hand, um unklare Verhältnisse aufzuklären und uns darüber zu belehren. Hiskia sollte alles erkennen, was in seinem Herzen war (2.Chron.32:31). Die Wahrheit Gottes soll nicht bei Gott verbleiben, sondern auf vielerlei Weise zu uns gelangen. Im Falle von Hiob war es das Schweigen, das am Ende die »friedsame Frucht der Gerechtigkeit hervorbrachte« (Hebr.12:11). »Gegen den Reinen erzeigst Du Dich rein, und gegen den Verkehrten erzeigst Du Dich verdreht« (2.Sam.22:27). Dem Hiob war erst nach bestandener Prüfung völlig klar geworden, dass Gott »alles vermochte und kein Vorhaben Ihm verwehrt werden« konnte (Hi.42:2). Wie schon am Beispiel von 1.Kön.22 gezeigt, kann sich Gott sogar der Lüge und Täuschung bedienen, wenn es für das Gericht über eine Person notwendig ist. Dies ist vielen Christen nicht bewusst und wird deshalb auch oft abgestritten. Deshalb hier noch mal drei weitere Beispiele:
1.) Mose und Aaron sollten das Volk Gottes für immer aus Ägypten herausführen, aber zum Pharao sollten sie nur sagen, dass das Volk Israel nur drei Tagesreisen weit in die Wüste ziehen wolle, um dem HErrn dort zu opfern (2.Mo.3:18). Er sollte ihm also suggerieren, dass das Volk danach zurückkehren würde.
2.) Auf die Frage Samuels, wie er unbeschadet zum Haus Isais gelangen könne, um einen seiner Söhne zum König zu salben, ohne dass Saul ihn töte, antwortete Gott ihm, dass er sagen solle, dass er nur käme, um dem HErrn zu opfern (1.Sam.16:3). Überspitzt könnte man hier sagen, dass der HErr ihn hier selbst zu einem »Zeugen des Wahnhaften« machte. Aber es war legitim, um ihn und die Ältesten vor der Mordgier Sauls zu schützen.
3.) Auf die Frage Ben-Hadads an Elisa, ob er von seiner Krankheit genesen würde, ließ Elisa ihm im Auftrag des HErrn sagen, »dass er gewisslich leben wird, doch der HErr mich sehen ließ, dass er gewisslich sterben wird« (2.Kön.8:10).
Wann ist das Lügen erlaubt?
Als Kinder Gottes sollte es für uns eine Selbstverständ-lichkeit sein, dass wir grundsätzlich immer die Wahrheit sagen. »Deshalb, da ihr die Lüge abgelegt habt, redet Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, denn wir sind Glieder voneinander« (Eph.4:25). »Belügt einander nicht, da ihr den alten Menschen mit seinen Handlungen ausgezogen habt« (Kol.3:9).
Was aber, wenn z.B. in der Zukunft plötzlich die Polizei vor Deiner Tür steht und Dich nach zwei Evangelisten befragt, die verbotenerweise das Evangelium verbreitet hatten und die Du heimlich bei Dir versteckt hältst – würdest Du ihnen sagen: »Ja, sie sind hier bei mir, Sie können sie verhaften!« oder würdest Du in solch einer Situation nicht besser sagen: »Sie waren zwar hier, sind aber schon gestern wieder gegangen«. Genau das tat aber die Hure Rahab mit den zwei Kundschaftern und wird deshalb im NT als Glaubenstreue betrachtet (Hebr.11:31, Jak.2:25). Dennoch tat sich z.B. Spurgeon u. a. Ausleger schwer, für die Lüge Rahabs Verständnis aufzubringen oder sie gar zu entschuldigen: »Sie ist unrecht und bleibt Unrecht, Unrecht ganz und gar« (Predigten-Band 5, Verlag J.G. Oncken). Er versucht eine Rechtfertigung damit, dass sie als Orientalin eine Gewohnheit hatte, zu lügen, zumal sie keine Belehrung hatte aus dem Gesetz. Aber man stelle sich nur mal vor, wenn sie die Kundschafter verraten hätte! Gerade durch ihre Lüge hatte sie doch Glaubenstreue bewiesen, indem sie das Risiko einging, dass man sie trotzdem bei ihr entdeckte. Der HErr belohnte ihren Glauben, und sie wurde schließlich die Mutter von Boas (Mt.1:5).
Auch Abraham war gezwungen, zu lügen, da er aufgrund der Schönheit seiner Frau Sara in großer Gefahr schwebte, um ihretwillen getötet zu werden. Für uns heute mutet das befremdlich an, seine eigene Frau in die Hand eines anderen zu geben, weil man um sein eigenes Leben fürchtet. Manche Brüder würden heute sicher vermuten, dass Abrahams Glaube in Gott noch nicht ausreichend war. Aber Abraham hatte nur die Verheißung, eine unvorstellbar große Nachkommenschaft zu haben, jedoch nicht die Zusage von Gott, dass der HErr ihn vor jeder Gefahr behüten würde, sondern er ging wohl davon aus, dass er selbst darauf achten müsse, nicht getötet zu werden, um Gottes Plan nicht zu gefährden.
Dies wird auch bei der Geschichte von Hagar deutlich, als Sara und Abraham vermuteten, dass sie selbst etwas nachhelfen sollten, damit sich die Prophezeiung erfüllen könne, weil sie nicht verstanden, warum Saras Mutterleib verschlossen blieb. Der HErr wollte Abraham aber beibringen, was er später auch durch Mose verkünden ließ: »Stehet und sehet die Rettung des HErrn, die Er euch heute schaffen wird… Der HErr wird für euch streiten, und ihr werdet stille sein« (2.Mos.14:14), d.h. der HErr macht schon alles, und wie Er es macht, könnt ihr ganz getrost Ihm überlassen. Später hatte Abraham diese Lektion gelernt und war völlig bereit, seinen Sohn Isaak auf Anweisung des HErrn zu opfern, weil er glaubte, dass Gott ihn gleich darauf wieder aus den Toten aufzuwecken vermochte, um die Verheißung zu erfüllen (Hebr.11:19).
Auch Jakob hatte kein Unrecht begangen, als er seinen Vater Isaak belog, denn der Segen stand ihm ja mit Recht zu, nachdem er seinem Bruder Esau das Erstgeburtsrecht rechtmäßig abgekauft hatte (1.Mo.25:30-34). Dazu mehr hier: https://www.derhahnenschrei.de/index.php/14-gastbeitraege/51-jakob-von-gott-erwaehlt-und-gesegnet.
In Verfolgungszeiten war es auch für David keine Sünde, als er den Priester Ahimelech belog, denn er wollte ihn nicht unnötig in Gefahr bringen und nahm sogar von den Schaubroten, »die niemand essen darf als nur die Priester allein« (Mt.12:4). Dennoch rechtfertigt der HErr Jesus sein Verhalten, weil er verfolgt wurde und sie Hunger hatten.
Der Edomiter Doeg hingegen, der die Wahrheit sagte, wo sich David aufhielt, versündigte sich dadurch schwer, denn durch diesen Verrat wurden 85 Priester des HErrn umgebracht, sowie die gesamte Stadt Nob, »vom Kind bis zum Säugling« (1.Sam.21:7, 22:9+18). David musste noch viele Male lügen und täuschen (1.Sam.21:14, 27:10), ja sogar andere zum Lügen anstiften (2.Sam.15:34), aber immer geschah es aus existentieller Not heraus, weshalb der HErr ihm nie einen Vorwurf machte. Als David jedoch einmal aus rein selbstsüchtigen Motiven log, um eine andere Sünde zu vertuschen, musste Gott auch ihn, den Mann nach Seinem Herzen, mit aller Strenge züchtigen, weil er »den Feinden des HErrn durch diese Sache Anlass zur Lästerung gegeben« hatte (2.Sam.12:14).
Wir lernen daraus also, dass man in Verfolgungszeiten u. U. sündigt, wenn man die Wahrheit sagt, aber nicht sündigt, wenn man lügt. Die genannten Beispiele zeigen, dass die Lüge nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie nicht im eigenen Interesse, sondern ausschließlich zum Schutze des Lebens angewendet wurde. Ein allgemeiner Machiavellismus nach der Maxime »Der Zweck heiligt die Mittel« lässt sich aus der Heiligen Schrift jedenfalls nicht herleiten.